Der Siegeszug der Osmanen bis vor die Tore Wiens schlug sich in einem weitverzweigten, bis heute kaum überschaubaren Schrifttum nieder, das alle materiellen Mittel der Kommunikation umfaßt und als transnationales Paradigma frühneuzeitlicher Öffentlichkeit angesehen werden muß. Die in diesem Band vereinigten Studien, Ergebnisse eines Kolloquiums, das der Wolfenbütteler Arbeitskreis für Renaissanceforschung zusammen mit der Ungarischen Akademie der Wissenschaften veranstaltete, wenden sich im interdisziplinären Ausgriff und in internationaler Perspektive sowohl den Akteuren der osmanisch-europäischen Konfrontation wie auch den Autoren, Schreibweisen, Problemlagen, Traditionslinien und Rezeptionsmodalitäten der einschlägigen Literatur zu.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.05.2001Bleib doch ein Muselmann
Vor Europas Toren: Studien über die Türken in der Renaissance
Janus, dem in der Zeit die Anfänge, im Raum die Passagen in Obhut gegeben sind, tauchte plötzlich nicht am Tiber, sondern an der Oder aus dem Äther auf; es war die Zeit seines Festes, der 9. Januar, und die Weingärten am Ufer der "deutschen Fluren" glänzten vom Schnee. Sein Gegenüber, der Wanderer unter den Stadtmauern von Frankfurt, gewahrte in der Linken des heidnischen Gottes erstaunt die Schlüssel zum Himmel, Abzeichen eines anderen Heros im ewigen Rom. Doch warum sprach den Namen des Apostelfürsten der Dichter nicht aus, dem wir die suggestive Szene danken?
Er war kein katholischer Christ, sondern Schüler Melanchthons, inzwischen gar Schwiegersohn von Luthers Weggefährten und Rhetorikprofessor der brandenburgischen Universität; bald sollte er noch zum Rektor von Königsberg avancieren, der evangelischen Neugründung für die Nachbarn der Preußen. Doch Georg Sabinus (1508 bis 1560), der dem Kurfürsten Joachim II. auch diplomatisch zu Diensten war, ging eigene Wege der politischen Utopie. Wie der Hohenzoller selbst trotz seines Übertritts zur Reformation dem altgläubigen Reichsoberhaupt König Ferdinand in den Krieg gegen die Türken folgte, so wollte sein Hauspoet über die Großen des politisch und religiös zersplitterten Reichs hinaus auch die Kirche wieder geeint sehen, um die furchtbare Bedrohung abzuwenden.
Sabinus' Elegie vom Frühjahr 1542 war dem Humanisten Pietro Bembo gewidmet, der auch den Purpur des Kardinals trug. Der gelehrte Dichter hoffte, sein Freund könnte in Rom zur Befriedung der Kirche beitragen, um die Abwehrkräfte des christlichen Europa zu stärken. Deshalb legte er dem Janus die Vision in den Mund, wie die Fürsten die Donau, Griechenland und selbst Palästina von den Türken befreiten; das letzte Ziel eines neuen Kreuzzugs konnte er allerdings nicht direkt ansprechen, sondern nur alludieren.
Die schönen Träume zerstoben schnell; Bembo bewirkte nichts, wie er auch später dem Königsberger Gründungsrektor die gewohnten päpstlichen Privilegien für seine hohe Schule zu besorgen verfehlte. Joachim von Brandenburg aber, der ein Reichsheer von dreißigtausend Mann noch 1542 in den Krieg führte und dem die Ungarn mit einer üppigen Steuerumlage halfen, rückte vor bis Gran, versagte aber bei der Belagerung von Ofen. Sultan Süleyman der Prächtige nahm im Gegenschlag fast alle wichtigen Orte des Landes ein. Die Osmanen, die seit Beginn des vierzehnten Jahrhunderts als Eroberer in Erscheinung getreten waren, 1453 Konstantinopel eingenommen und nur 1529 vor Wien einen Fehlschlag erlitten hatten, hielten jetzt fast ganz Ungarn besetzt und verstärkten das Trauma der Hilflosigkeit bei den Mitteleuropäern.
Weiter im Westen des Kontinents indessen, in Frankreich, ganz zu schweigen von England, aber auch schon in Norddeutschland, wurde die Gefahr viel gedämpfter empfunden. In seiner Rivalität mit den spanischen Habsburgern erklärte Franz I. von Frankreich just im Sommer 1542 Kaiser Karl V. den Krieg und ließ, um den Druck zu erhöhen, gar eine osmanische Flotte in Toulon vor Anker gehen. Und das Fürstenbündnis mit dem Papst, von dem ein Sabinus phantasierte, entsprach ganz und gar nicht der Generallinie seiner Glaubensbrüder. Luther sah im Großtürken wie im Papst den Antichrist und dichtete in Endzeitstimmung gerade zur selben Zeit die Strophe mit der Todesbitte für die Feinde: "Erhalt uns Herr bei deinem Wort / Und steur des Babst und Türcken Mord / Die Jhesum Christum deinen Son / Wolten stürtzen von deinem Thron."
Nichts vor der osmanischen Expansion hatte in Europa so viele Texte aller Art und eine gleichwertige transnationale Öffentlichkeit entstehen lassen. Deshalb war die Anregung der Philologen Bodo Guthmüller und Wilhelm Kühlmann verdienstvoll, die Reaktion der christlichen Europäer auf die fremdgläubigen Feinde in Schriftzeugnissen, aber auch im Bild, interdisziplinär zu sichten. Ein von beiden verantworteter Sammelband bietet zwanzig Beiträge verschiedener Fachgelehrter aus mehreren Wissenschaftsnationen, darunter vor allem aus Ungarn. Wie üblich steht hier neben Beunruhigend-Weiterführendem auch manches Abseitige.
Strafe für eigene Sünden
Als Leser wundert man sich über Gelehrte, die sich mit Gänseblümchen auf unkultiviertem Boden begnügen, wo sie doch breite, aber kaum begangene Alleen zu früchtereichen Feldern führen könnten, verstörend sind auch ausufernde Zwiegespräche mit der Überlieferung, die mehr dem Selbstgenuß als der Aufhellung bedrängter Probleme zu dienen scheinen; und was soll man davon halten, wenn ausgerechnet ein "Liebhaber des Wortes" die Sprache stranguliert und ankündigt: "Ich konzentriere mich auf exemplarische Reiseberichte und ziehe daneben auch einen autoptischen Traktat heran, der in seiner expositorisch-deskriptiven Gestalt einen ähnlichen wissenschaftslogischen Ort markiert wie das deskriptiv-expositorische Stadtbeschreibungs- und Weltchroniken-Genus, wo klassifikatorische und kategoriale Entscheidungen zur Bewältigung des Phänomens spezifischer Fremdheit in einem umfassenden Sinn entworfen werden"?
Ganz überwiegend bietet der Band jedoch vielfarbige neue Facetten im Prisma eines bekannten Themas, und mit geweitetem Horizont beschenkt, nimmt man von ihm am Ende fast schweren Herzens Abschied. So erfährt man, daß die Ungarn die Muslime zunächst als christliche Schismatiker unterschätzten (Jozsef Jankovics), dann aber Luthers Lehre folgten, daß die Türken als Strafe für eigene Sünden zu ertragen seien; eine Meinung, die sogar die Reformierten teilten, weil sie in Wittenberg und also bei Melanchthon studiert hatten. Bis in die ungarische Nationalhymne - und Mentalität - hinein hat diese Auffassung nachgewirkt (András Szabó).
Gebannt folgt man der personengeschichtlichen Parallelstudie von Pál Ács über die osmanischen Diplomaten, Übersetzer und Schriftsteller Mahmud und Marud, die beide in jungen Jahren von den Türken verschleppt und Muslime geworden waren. Der erste von ihnen war der Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Wien gewesen und verfaßte in den 1540er Jahren eine ungarische Chronik in türkischer Sprache; trotz wiederholter Gesandtschaften in den Westen (unter anderem Polen, Italien, Frankreich, Wien und Prag) dachte er weder an Flucht, noch verriet er den Islam. Murad stammte als Ungar aus Balácz Somlyai und hatte noch in Wien studiert, bevor er bei der schicksalsschweren Niederlage seines Volkes in der Schlacht bei Mohács 1526 gefangengenommen und deportiert wurde. Sein Werk in Prosa und Poesie, für das er die Sprache seiner Herkunft, aber auch Latein benutzte, sollte nach einigen Worten christliche Leser seiner Religion zuführen; bei einer dreißigmonatigen Gefangenschaft in Transsylvanien widerstand er jedem Versuch einer Rekonversion durch habsburgische Truppen. Als er im hohen Alter bei der Pforte in Ungnade fiel, verkaufte er dem kaiserlichen Gesandten Johannes Löwenklau nur sein literarisches Können und seine historischen Kenntnisse; Murad, der auch Arabisch, Persisch und Kroatisch zu sprechen verstand, übersetzte für eine beträchtliche Summe ein türkisches Geschichtswerk ins Lateinische.
Großadmiral Hayreddin Barbarossa, der die osmanische Flotte 1543 nach Toulon geführt hatte, beschenkte den Kapitän der französischen Seestreitmacht mit elf Sultanporträts. Hans Georg Majer, der Münchener Turkologe, ist der Geschichte dieser bemerkenswerten Gabe nachgegangen bis zur Autopsie erhaltener Kopien, vor allem aber konnte er die Genese der Sammlung so aufhellen, daß ein fruchtbarer Austausch zwischen westlicher und orientalischer Kultur deutlich wird. Demnach war eine Porträtserie, wie sie zur Stabilisierung einer Dynastie oder zur Demonstration adliger Vornehmheit im Westen üblich war, den Türken ursprünglich fremd. Der mutmaßliche Porträtmaler Nigâri muß sich deshalb an westlichen Mustern geschult haben; vom Sultan hat er auch den Auftrag erhalten, dessen größte Rivalen, den Kaiser und den französischen König, abzubilden. Die Serie der Porträts von Osman bis Süleyman für einen westlichen Empfänger sollte dann wohl als europäische Form der Repräsentation propagandistische Wirkung entfalten. Da sich im sechzehnten Jahrhundert in Italien und anderswo Sammler und Künstler wiederholt um entsprechende Bilderreihen der Sultane bemühten, konstatiert Majer zu Recht an diesem Beispiel eine "deutlich durchlässige Kulturgrenze" zwischen beiden Seiten.
Identität und Ausgrenzung
Im allgemeinen gilt aber, daß der Vorstoß der Osmanen nach Europa zu immer neuen Anstrengungen um Distanz und Separation führte. In der Renaissance wurde "Europa" geradezu erfunden nach einem Identitätskonzept der Christenheit, das die Türken pauschal als die Fremden ausschloß (Dieter Mertens). Von Mehmet II., dem Eroberer von Konstantinopel, wird berichtet, er habe die Überreste von Troja aufgesucht und erklärt, durch ihn sei der Fall der Stadt an den Griechen gerächt; denn sein Volk, die "Türken", galten weithin als Nachfahren der "Teukrer" also der Trojaner. Dieser Versuch, sich der alten europäischen Völkerfamilie auch nach 1453 beizugesellen, beruhte auf dem uralten mythologischen Denken, nach dem sich, wer nur wollte, auf trojanische Abkunft berufen konnte. Der narrative Diskurs des Mythos ist ja unendlich erneuer- und erweiterbar und schließt niemanden aus; so galten die "Turchi", "Turci" und so weiter auch als Verwandte der Römer und Griechen. Nun aber, als das hochberühmte Byzanz zur Erschütterung der westlichen Welt seinen Lauf enden mußte, entdeckten die Humanisten, daß wohl die Griechen, nicht aber die Türken zu Europa gehörten. Zum Emblem dieser Bewußtseinswende sind die Worte geworden, die Enea Silvio Piccolomini auf dem Frankfurter Reichstag von 1454 sprach: "Gewiß sind wir in zurückliegenden Zeiten in Afrika und Asien, also in fremden Erdteilen, besiegt worden; jetzt aber ist es in Europa, das heißt in unserem Vaterland, in unserem eigenen Haus, in unserer Heimat, wo man uns geschlagen und zu Boden geworfen hat."
Johannes Helmrath hat die vielfältigen Äußerungen des späteren Papstes Pius II. zur Türkenfrage noch einmal zusammengestellt. Ergänzt werden muß hier aber, was es bedeutet, daß die Türken in der Vorstellungswelt des Westens von Europa ausgeschlossen und zu Asiaten wurden. Das Mittel dazu war die historische Quellenkritik; nach der Konstruktion von europäischer Identität und türkischer Alterität durch Flavio Biondo bemühte sich eben besonders Enea Silvio darum, nachzuweisen, daß die "Teukrer" mit den "Türken" nicht identisch waren. Der argumentative Diskurs der Wissenschaft wurde gebraucht, um den narrativen Diskurs des Mythos zu durchbrechen. Was Geschichte als Wissenschaft ausmacht, Kritik und Unterscheidung, zog unvermeidlich auch die Abgrenzung zu den Türken nach sich. An der Wiege Europas steht die Geburt der neuzeitlichen Wissenschaft, aber der Preis war ein verschärfter Gegensatz zwischen West und Ost, Europa und dem Islam.
MICHAEL BORGOLTE
Bodo Guthmüller, Wilhelm Kühlmann (Hrsg.): "Europa und die Türken in der Renaissance". Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2000. 451 S., 12 Abb., br., 228,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vor Europas Toren: Studien über die Türken in der Renaissance
Janus, dem in der Zeit die Anfänge, im Raum die Passagen in Obhut gegeben sind, tauchte plötzlich nicht am Tiber, sondern an der Oder aus dem Äther auf; es war die Zeit seines Festes, der 9. Januar, und die Weingärten am Ufer der "deutschen Fluren" glänzten vom Schnee. Sein Gegenüber, der Wanderer unter den Stadtmauern von Frankfurt, gewahrte in der Linken des heidnischen Gottes erstaunt die Schlüssel zum Himmel, Abzeichen eines anderen Heros im ewigen Rom. Doch warum sprach den Namen des Apostelfürsten der Dichter nicht aus, dem wir die suggestive Szene danken?
Er war kein katholischer Christ, sondern Schüler Melanchthons, inzwischen gar Schwiegersohn von Luthers Weggefährten und Rhetorikprofessor der brandenburgischen Universität; bald sollte er noch zum Rektor von Königsberg avancieren, der evangelischen Neugründung für die Nachbarn der Preußen. Doch Georg Sabinus (1508 bis 1560), der dem Kurfürsten Joachim II. auch diplomatisch zu Diensten war, ging eigene Wege der politischen Utopie. Wie der Hohenzoller selbst trotz seines Übertritts zur Reformation dem altgläubigen Reichsoberhaupt König Ferdinand in den Krieg gegen die Türken folgte, so wollte sein Hauspoet über die Großen des politisch und religiös zersplitterten Reichs hinaus auch die Kirche wieder geeint sehen, um die furchtbare Bedrohung abzuwenden.
Sabinus' Elegie vom Frühjahr 1542 war dem Humanisten Pietro Bembo gewidmet, der auch den Purpur des Kardinals trug. Der gelehrte Dichter hoffte, sein Freund könnte in Rom zur Befriedung der Kirche beitragen, um die Abwehrkräfte des christlichen Europa zu stärken. Deshalb legte er dem Janus die Vision in den Mund, wie die Fürsten die Donau, Griechenland und selbst Palästina von den Türken befreiten; das letzte Ziel eines neuen Kreuzzugs konnte er allerdings nicht direkt ansprechen, sondern nur alludieren.
Die schönen Träume zerstoben schnell; Bembo bewirkte nichts, wie er auch später dem Königsberger Gründungsrektor die gewohnten päpstlichen Privilegien für seine hohe Schule zu besorgen verfehlte. Joachim von Brandenburg aber, der ein Reichsheer von dreißigtausend Mann noch 1542 in den Krieg führte und dem die Ungarn mit einer üppigen Steuerumlage halfen, rückte vor bis Gran, versagte aber bei der Belagerung von Ofen. Sultan Süleyman der Prächtige nahm im Gegenschlag fast alle wichtigen Orte des Landes ein. Die Osmanen, die seit Beginn des vierzehnten Jahrhunderts als Eroberer in Erscheinung getreten waren, 1453 Konstantinopel eingenommen und nur 1529 vor Wien einen Fehlschlag erlitten hatten, hielten jetzt fast ganz Ungarn besetzt und verstärkten das Trauma der Hilflosigkeit bei den Mitteleuropäern.
Weiter im Westen des Kontinents indessen, in Frankreich, ganz zu schweigen von England, aber auch schon in Norddeutschland, wurde die Gefahr viel gedämpfter empfunden. In seiner Rivalität mit den spanischen Habsburgern erklärte Franz I. von Frankreich just im Sommer 1542 Kaiser Karl V. den Krieg und ließ, um den Druck zu erhöhen, gar eine osmanische Flotte in Toulon vor Anker gehen. Und das Fürstenbündnis mit dem Papst, von dem ein Sabinus phantasierte, entsprach ganz und gar nicht der Generallinie seiner Glaubensbrüder. Luther sah im Großtürken wie im Papst den Antichrist und dichtete in Endzeitstimmung gerade zur selben Zeit die Strophe mit der Todesbitte für die Feinde: "Erhalt uns Herr bei deinem Wort / Und steur des Babst und Türcken Mord / Die Jhesum Christum deinen Son / Wolten stürtzen von deinem Thron."
Nichts vor der osmanischen Expansion hatte in Europa so viele Texte aller Art und eine gleichwertige transnationale Öffentlichkeit entstehen lassen. Deshalb war die Anregung der Philologen Bodo Guthmüller und Wilhelm Kühlmann verdienstvoll, die Reaktion der christlichen Europäer auf die fremdgläubigen Feinde in Schriftzeugnissen, aber auch im Bild, interdisziplinär zu sichten. Ein von beiden verantworteter Sammelband bietet zwanzig Beiträge verschiedener Fachgelehrter aus mehreren Wissenschaftsnationen, darunter vor allem aus Ungarn. Wie üblich steht hier neben Beunruhigend-Weiterführendem auch manches Abseitige.
Strafe für eigene Sünden
Als Leser wundert man sich über Gelehrte, die sich mit Gänseblümchen auf unkultiviertem Boden begnügen, wo sie doch breite, aber kaum begangene Alleen zu früchtereichen Feldern führen könnten, verstörend sind auch ausufernde Zwiegespräche mit der Überlieferung, die mehr dem Selbstgenuß als der Aufhellung bedrängter Probleme zu dienen scheinen; und was soll man davon halten, wenn ausgerechnet ein "Liebhaber des Wortes" die Sprache stranguliert und ankündigt: "Ich konzentriere mich auf exemplarische Reiseberichte und ziehe daneben auch einen autoptischen Traktat heran, der in seiner expositorisch-deskriptiven Gestalt einen ähnlichen wissenschaftslogischen Ort markiert wie das deskriptiv-expositorische Stadtbeschreibungs- und Weltchroniken-Genus, wo klassifikatorische und kategoriale Entscheidungen zur Bewältigung des Phänomens spezifischer Fremdheit in einem umfassenden Sinn entworfen werden"?
Ganz überwiegend bietet der Band jedoch vielfarbige neue Facetten im Prisma eines bekannten Themas, und mit geweitetem Horizont beschenkt, nimmt man von ihm am Ende fast schweren Herzens Abschied. So erfährt man, daß die Ungarn die Muslime zunächst als christliche Schismatiker unterschätzten (Jozsef Jankovics), dann aber Luthers Lehre folgten, daß die Türken als Strafe für eigene Sünden zu ertragen seien; eine Meinung, die sogar die Reformierten teilten, weil sie in Wittenberg und also bei Melanchthon studiert hatten. Bis in die ungarische Nationalhymne - und Mentalität - hinein hat diese Auffassung nachgewirkt (András Szabó).
Gebannt folgt man der personengeschichtlichen Parallelstudie von Pál Ács über die osmanischen Diplomaten, Übersetzer und Schriftsteller Mahmud und Marud, die beide in jungen Jahren von den Türken verschleppt und Muslime geworden waren. Der erste von ihnen war der Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Wien gewesen und verfaßte in den 1540er Jahren eine ungarische Chronik in türkischer Sprache; trotz wiederholter Gesandtschaften in den Westen (unter anderem Polen, Italien, Frankreich, Wien und Prag) dachte er weder an Flucht, noch verriet er den Islam. Murad stammte als Ungar aus Balácz Somlyai und hatte noch in Wien studiert, bevor er bei der schicksalsschweren Niederlage seines Volkes in der Schlacht bei Mohács 1526 gefangengenommen und deportiert wurde. Sein Werk in Prosa und Poesie, für das er die Sprache seiner Herkunft, aber auch Latein benutzte, sollte nach einigen Worten christliche Leser seiner Religion zuführen; bei einer dreißigmonatigen Gefangenschaft in Transsylvanien widerstand er jedem Versuch einer Rekonversion durch habsburgische Truppen. Als er im hohen Alter bei der Pforte in Ungnade fiel, verkaufte er dem kaiserlichen Gesandten Johannes Löwenklau nur sein literarisches Können und seine historischen Kenntnisse; Murad, der auch Arabisch, Persisch und Kroatisch zu sprechen verstand, übersetzte für eine beträchtliche Summe ein türkisches Geschichtswerk ins Lateinische.
Großadmiral Hayreddin Barbarossa, der die osmanische Flotte 1543 nach Toulon geführt hatte, beschenkte den Kapitän der französischen Seestreitmacht mit elf Sultanporträts. Hans Georg Majer, der Münchener Turkologe, ist der Geschichte dieser bemerkenswerten Gabe nachgegangen bis zur Autopsie erhaltener Kopien, vor allem aber konnte er die Genese der Sammlung so aufhellen, daß ein fruchtbarer Austausch zwischen westlicher und orientalischer Kultur deutlich wird. Demnach war eine Porträtserie, wie sie zur Stabilisierung einer Dynastie oder zur Demonstration adliger Vornehmheit im Westen üblich war, den Türken ursprünglich fremd. Der mutmaßliche Porträtmaler Nigâri muß sich deshalb an westlichen Mustern geschult haben; vom Sultan hat er auch den Auftrag erhalten, dessen größte Rivalen, den Kaiser und den französischen König, abzubilden. Die Serie der Porträts von Osman bis Süleyman für einen westlichen Empfänger sollte dann wohl als europäische Form der Repräsentation propagandistische Wirkung entfalten. Da sich im sechzehnten Jahrhundert in Italien und anderswo Sammler und Künstler wiederholt um entsprechende Bilderreihen der Sultane bemühten, konstatiert Majer zu Recht an diesem Beispiel eine "deutlich durchlässige Kulturgrenze" zwischen beiden Seiten.
Identität und Ausgrenzung
Im allgemeinen gilt aber, daß der Vorstoß der Osmanen nach Europa zu immer neuen Anstrengungen um Distanz und Separation führte. In der Renaissance wurde "Europa" geradezu erfunden nach einem Identitätskonzept der Christenheit, das die Türken pauschal als die Fremden ausschloß (Dieter Mertens). Von Mehmet II., dem Eroberer von Konstantinopel, wird berichtet, er habe die Überreste von Troja aufgesucht und erklärt, durch ihn sei der Fall der Stadt an den Griechen gerächt; denn sein Volk, die "Türken", galten weithin als Nachfahren der "Teukrer" also der Trojaner. Dieser Versuch, sich der alten europäischen Völkerfamilie auch nach 1453 beizugesellen, beruhte auf dem uralten mythologischen Denken, nach dem sich, wer nur wollte, auf trojanische Abkunft berufen konnte. Der narrative Diskurs des Mythos ist ja unendlich erneuer- und erweiterbar und schließt niemanden aus; so galten die "Turchi", "Turci" und so weiter auch als Verwandte der Römer und Griechen. Nun aber, als das hochberühmte Byzanz zur Erschütterung der westlichen Welt seinen Lauf enden mußte, entdeckten die Humanisten, daß wohl die Griechen, nicht aber die Türken zu Europa gehörten. Zum Emblem dieser Bewußtseinswende sind die Worte geworden, die Enea Silvio Piccolomini auf dem Frankfurter Reichstag von 1454 sprach: "Gewiß sind wir in zurückliegenden Zeiten in Afrika und Asien, also in fremden Erdteilen, besiegt worden; jetzt aber ist es in Europa, das heißt in unserem Vaterland, in unserem eigenen Haus, in unserer Heimat, wo man uns geschlagen und zu Boden geworfen hat."
Johannes Helmrath hat die vielfältigen Äußerungen des späteren Papstes Pius II. zur Türkenfrage noch einmal zusammengestellt. Ergänzt werden muß hier aber, was es bedeutet, daß die Türken in der Vorstellungswelt des Westens von Europa ausgeschlossen und zu Asiaten wurden. Das Mittel dazu war die historische Quellenkritik; nach der Konstruktion von europäischer Identität und türkischer Alterität durch Flavio Biondo bemühte sich eben besonders Enea Silvio darum, nachzuweisen, daß die "Teukrer" mit den "Türken" nicht identisch waren. Der argumentative Diskurs der Wissenschaft wurde gebraucht, um den narrativen Diskurs des Mythos zu durchbrechen. Was Geschichte als Wissenschaft ausmacht, Kritik und Unterscheidung, zog unvermeidlich auch die Abgrenzung zu den Türken nach sich. An der Wiege Europas steht die Geburt der neuzeitlichen Wissenschaft, aber der Preis war ein verschärfter Gegensatz zwischen West und Ost, Europa und dem Islam.
MICHAEL BORGOLTE
Bodo Guthmüller, Wilhelm Kühlmann (Hrsg.): "Europa und die Türken in der Renaissance". Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2000. 451 S., 12 Abb., br., 228,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Michael Borgolte erzählt uns was über die Reaktionen der christlichen Europäer auf die "osmanische Expansion", wie sie die Herausgeber des Sammelbandes "verdienstvoll ... in Schriftzeugnissen, aber auch im Bild, interdisziplinär" gesichtet haben. Später wendet er sich der Ausrichtung einzelner Beiträge zu. Gefunden hat er sowohl "Beunruhigend-Weiterführendes" wie "manches Abseitige" (eine personengeschichtliche Parallelstudie über osmanische Diplomaten und Schriftsteller etwa), sowohl Darstellungen eines fruchtbaren Austausches zwischen westlicher und orientalischer Kultur als auch solche, die den Vorstoß der Osmanen nach Europa als eine Quelle der Entfremdung vorführen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH