Produktdetails
- Verlag: Universitätsverlag Winter
- 2., aktualis. Aufl.
- Seitenzahl: 113
- Deutsch
- Abmessung: 250mm x 190mm x 12mm
- Gewicht: 516g
- ISBN-13: 9783825307004
- ISBN-10: 382530700X
- Artikelnr.: 22294249
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.12.1997Heiße Erde, kühle Winde und dazu die Charaktere: Die Geister der Nationen im Bild
Es hat einen Weltkrieg gebraucht, damit das Gerede von nationalen Charakteren versiege. Derselbe Weltkrieg hat auch die Idee desavouiert, daß die Menschheit aus verschiedenen Rassen bestehe, die deutlich voneinander geschieden werden könnten und mit verschiedenen "rassetypischen" Charaktereigenschaften ausgestattet seien. Europa formiert sich, und nationale Stereotype werden allenfalls unterderhand erwähnt. Manche Politologen vermerken mit genüßlicher Borniertheit, daß die französischen Europa-Politiker stets lögen, "die Briten" stets heuchelten und "die Deutschen" die ehrlichen Einfaltspinsel seien.
Tatsächlich ist der "Nationalcharakter", der frühmoderne Vorläufer des "Rassecharakters", eine Größe, mit der wider besseres Wissen gerechnet wird. Im "Herald Tribune" war vor wenigen Wochen ein Artikel zu lesen, dessen Autor den Europäern weismachte, sie sollten sich glücklich schätzen, so etwas wie nationale Charaktere zu besitzen: Es helfe ihnen dabei, sich voneinander zu unterscheiden. Europäische Leser mochten den Eindruck gewinnen, daß ihre Nationalcharaktere vor allem den Amerikanern dabei helfen, sich auf dem Vielvölkerkontinent Europa zurechtzufinden. Davon abgesehen, mag es die Europäer amüsieren, zu erfahren, wer sie in den Augen der anderen waren oder sind.
Was Franz K. Stanzel einen "imagologischen Essay" nennt, ist ein fröhliches Sammelsurium von Zeugnissen über Charaktereigenschaften, die den europäischen Völkern zwischen dem siebzehnten und dem neunzehnten Jahrhundert zugeschrieben wurden. Die Quellen des emeritierten Anglisten berichten von den stets betrunkenen Deutschen, den hochmütigen Spaniern, den aufrührerischen Ungarn, den "wohllüstigen" Engländern und vielen anderen.
Stanzel kennt die Texte der frühen Ethnographie und den Niederschlag, den der Gedanke des Nationalcharakters in der Literatur gefunden hat. Die Details seines Kompendiums sind manchmal schnurrig, manchmal kurios. Und bisweilen stutzt der Leser, weil ein Charakterzug unversehens aus dem Vergessen auftaucht: Von den unkeuschen Schwaben beispielsweise haben wir seit längerem nicht mehr gehört.
In der frühen Neuzeit waren die Formen der Stereotypisierung durch die Klimatheorie gedeckt, die ihrerseits auf der Humorallehre basierte: Die Temperamente der Menschen wurden in eine Beziehung zu den Wetterbedingungen gesetzt, in denen die Völker lebten. Reste des Humoralismus hatten bis in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts Bestand. Nicht zufällig wurde die Lehre von den Nationalcharakteren damals durch die Rasselehre abgelöst. Die Reden von den nationalen Eigenheiten indes gelten seitdem als unwissenschaftliche Narreteien.
Leider hat Stanzel seinem Essay ein recht unglückliches Nachwort angefügt. Sein Buch, schreibt er da, habe er im Geist einer "aufklärerisch-politkorrekten Sicht auf das Phänomen der Nationalität" verfaßt. Was will er damit andeuten? Wozu distanziert er sich von seinem eigenen Text? Was genau sollen seine Leser davon halten, daß er den Gedanken der Aufklärung mit der political correctness des amerikanischen Campus in einen Hut wirft? Derweil dreht sich das Rad der Geschichte weiter: Unser Bild zeigt einen "Ewigen Kreislauf" von einem anonymen Maler aus Österreich (um 1800). Auf der Banderole über den Köpfen der Figuren steht: "Armuth macht Demuth / Demuth macht Beförderung / Beförderung macht reich / reich macht Hochfahrt / Hochfahrt macht Krieg / Krieg macht Armuth". FRANZISKA AUGSTEIN
Franz K. Stanzel: "Europäer". Ein imagologischer Essay. Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg 1997. 113 S., Farb- u. S/W-Abb., geb., 28,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es hat einen Weltkrieg gebraucht, damit das Gerede von nationalen Charakteren versiege. Derselbe Weltkrieg hat auch die Idee desavouiert, daß die Menschheit aus verschiedenen Rassen bestehe, die deutlich voneinander geschieden werden könnten und mit verschiedenen "rassetypischen" Charaktereigenschaften ausgestattet seien. Europa formiert sich, und nationale Stereotype werden allenfalls unterderhand erwähnt. Manche Politologen vermerken mit genüßlicher Borniertheit, daß die französischen Europa-Politiker stets lögen, "die Briten" stets heuchelten und "die Deutschen" die ehrlichen Einfaltspinsel seien.
Tatsächlich ist der "Nationalcharakter", der frühmoderne Vorläufer des "Rassecharakters", eine Größe, mit der wider besseres Wissen gerechnet wird. Im "Herald Tribune" war vor wenigen Wochen ein Artikel zu lesen, dessen Autor den Europäern weismachte, sie sollten sich glücklich schätzen, so etwas wie nationale Charaktere zu besitzen: Es helfe ihnen dabei, sich voneinander zu unterscheiden. Europäische Leser mochten den Eindruck gewinnen, daß ihre Nationalcharaktere vor allem den Amerikanern dabei helfen, sich auf dem Vielvölkerkontinent Europa zurechtzufinden. Davon abgesehen, mag es die Europäer amüsieren, zu erfahren, wer sie in den Augen der anderen waren oder sind.
Was Franz K. Stanzel einen "imagologischen Essay" nennt, ist ein fröhliches Sammelsurium von Zeugnissen über Charaktereigenschaften, die den europäischen Völkern zwischen dem siebzehnten und dem neunzehnten Jahrhundert zugeschrieben wurden. Die Quellen des emeritierten Anglisten berichten von den stets betrunkenen Deutschen, den hochmütigen Spaniern, den aufrührerischen Ungarn, den "wohllüstigen" Engländern und vielen anderen.
Stanzel kennt die Texte der frühen Ethnographie und den Niederschlag, den der Gedanke des Nationalcharakters in der Literatur gefunden hat. Die Details seines Kompendiums sind manchmal schnurrig, manchmal kurios. Und bisweilen stutzt der Leser, weil ein Charakterzug unversehens aus dem Vergessen auftaucht: Von den unkeuschen Schwaben beispielsweise haben wir seit längerem nicht mehr gehört.
In der frühen Neuzeit waren die Formen der Stereotypisierung durch die Klimatheorie gedeckt, die ihrerseits auf der Humorallehre basierte: Die Temperamente der Menschen wurden in eine Beziehung zu den Wetterbedingungen gesetzt, in denen die Völker lebten. Reste des Humoralismus hatten bis in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts Bestand. Nicht zufällig wurde die Lehre von den Nationalcharakteren damals durch die Rasselehre abgelöst. Die Reden von den nationalen Eigenheiten indes gelten seitdem als unwissenschaftliche Narreteien.
Leider hat Stanzel seinem Essay ein recht unglückliches Nachwort angefügt. Sein Buch, schreibt er da, habe er im Geist einer "aufklärerisch-politkorrekten Sicht auf das Phänomen der Nationalität" verfaßt. Was will er damit andeuten? Wozu distanziert er sich von seinem eigenen Text? Was genau sollen seine Leser davon halten, daß er den Gedanken der Aufklärung mit der political correctness des amerikanischen Campus in einen Hut wirft? Derweil dreht sich das Rad der Geschichte weiter: Unser Bild zeigt einen "Ewigen Kreislauf" von einem anonymen Maler aus Österreich (um 1800). Auf der Banderole über den Köpfen der Figuren steht: "Armuth macht Demuth / Demuth macht Beförderung / Beförderung macht reich / reich macht Hochfahrt / Hochfahrt macht Krieg / Krieg macht Armuth". FRANZISKA AUGSTEIN
Franz K. Stanzel: "Europäer". Ein imagologischer Essay. Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg 1997. 113 S., Farb- u. S/W-Abb., geb., 28,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main