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  • Verlag: Werner
  • ISBN-13: 9783804118126
  • Artikelnr.: 25104470
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2008

Milliarden aus dem Nichts
Woher kommt bloß das ganze Geld, mit dem die Notenbanken jetzt die Märkte fluten?

VON GERALD BRAUNBERGER

Seit Beginn der Finanzmarktkrise kommen immer wieder Meldungen des Typs: "Die Europäische Zentralbank unterstützt den Geldmarkt, indem sie den Banken kurzfristig 90 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stellt" oder: "Die großen Notenbanken haben sich entschlossen, den Banken vorübergehend bis zu 200 Milliarden Dollar auszuleihen. Die Fed bietet hierzu den anderen Notenbanken Swapgeschäfte an." Was geschieht da eigentlich? Wie produziert man so schnell so viel Geld? Und wozu?

Um es gleich zu sagen: Es handelt sich hier nicht um die Produktion zusätzlicher Banknoten. Erstens wäre es völlig unmöglich, in so kurzer Zeit so viel Bargeld zu drucken, und zum Zweiten verändert sich der Bargeldbedarf einer Wirtschaft kurzfristig kaum. Vielmehr handelt es sich um sogenanntes Buchgeld, das heißt Einlagen bei einer Bank, die physisch als Geld überhaupt nicht existieren, sondern nichts anderes sind als Computerbytes. Der größte Teil des Geldes ist längst entstofflicht. Sein Wert beruht auf dem Vertrauen, das die Menschen ihm schenken. Daher spricht man auch von einer "Fiat-Währung".

Im konkreten Fall geht es um die Einlagen, die Geschäftsbanken auf ihrem Konto bei der Notenbank halten. Diese Einlagen entstehen durch Kredite der Notenbank an die Geschäftsbanken, die hierfür häufig Pfänder in Form erstklassiger Wertpapiere wie Staatsanleihen hinterlegen müssen. In der Euro-Zone erhalten die Geschäftsbanken den größten Teil ihrer Einlagen gegen Kredit mit einer Woche Laufzeit, die immer wieder erneuert werden und für die die Geschäftsbanken den sogenannten Leitzins zahlen müssen. Daneben sind Geschäfte mit einer Laufzeit von einem Monat üblich; zum Arsenal der Notenbanken gehören bei Bedarf aber auch Kredite mit weiteren Laufzeiten.

Mit Hilfe dieser "Offenmarktgeschäfte" steuert die Notenbank die Geldversorgung der Geschäftsbanken. In normalen Zeiten verändert sich dieser Geldbedarf nicht sprunghaft; Ende 2006 betrugen die durch solche Kreditgeschäfte geschaffenen Einlagen der Geschäftsbanken bei der Notenbank 450,5 Milliarden Euro.

Jede Geschäftsbank verbucht permanent Geldzuflüsse (Zahlungen auf Konten ihrer Kunden) und Geldabflüsse (Zahlungen von Konten ihrer Kunden). Wenn Redakteur A, der sein Konto bei der X-Bank unterhält, dem Redakteur B Geld überweist, der sein Konto bei der Y-Bank unterhält, fließt bei der Notenbank Geld vom Konto der Bank X auf das Konto der Bank Y. Aus den zahlreichen individuellen Geldzuflüssen und -abflüssen errechnet sich für jede Bank täglich ein Saldo, der sich auf ihrem Konto bei der Notenbank niederschlägt.

Da die Notenbank den einzelnen Banken Vorschriften über die Höhe der bei ihr zu unterhaltenden Einlagen macht (die sogenannten Mindestreserven), gibt es immer Geschäftsbanken, die kurzfristig mehr Geld bei der Notenbank unterhalten als verlangt, während andere Geschäftsbanken zusätzliche Einlagen benötigen. Hier setzt nun in normalen Zeiten der Handel am Geldmarkt ein: Geschäftsbanken mit überschüssigen Einlagen leihen, häufig nur für einen Tag, Geld an Geschäftsbanken aus, die zusätzliche Einlagen bei der Notenbank benötigen.

In der Finanzmarktkrise funktioniert dieser Handel mit Notenbankeinlagen nicht mehr richtig, weil sich die Geschäftsbanken misstrauen. Die Banken, die überschüssige Einlagen besitzen, leihen sie nicht mehr aus, sondern bunkern ihr Geld aus Vorsicht. Damit droht jenen Geschäftsbanken, die gerade zu wenige Einlagen haben, ein Zahlungsengpass, der ernste Folgen haben kann.

In solchen Notsituationen, die es seit Beginn der Finanzmarktkrise mehrfach gegeben hat, bietet eine Notenbank befristet zusätzliche Einlagen gegen Kredit an, um den bedürftigen Banken die benötigten Gelder zur Verfügung zu stellen. Im Grunde genommen geht das mit ein paar elektronischen Buchungen: Die Notenbank schreibt den Konten der Geschäftsbanken zusätzliche Beträge gut, während im Gegenzug Wertpapiere (die es längst auch nicht mehr physisch, sondern nur noch als Bytes gibt) der Notenbank als Pfand gutgeschrieben werden. Funktioniert der Geldmarkt wieder normal, verlängert die Notenbank diese Kreditgeschäfte einfach nicht mehr. Eine permanente Geldschöpfung ist mit diesen Sondergeschäften nicht verbunden.

Wo liegen die Grenzen dieser Geldschöpfung? Solange die Notenbank auf Wertpapieren als Pfand besteht, wird ihre Kreditvergabe durch das Volumen der zur Verfügung stehenden Pfänder begrenzt. Die Notenbank kann Kreditgeschäfte aber auch ohne Pfänder betreiben, und dann ist ihre Fähigkeit, den Geschäftsbanken zusätzliches Geld zuzuteilen, im Prinzip unbegrenzt.

Die Devisenswapgeschäfte laufen nach demselben Prinzip ab. Seit einiger Zeit können Banken außerhalb Amerikas nur noch zu abenteuerlich hohen Zinsen am Geldmarkt Dollar-Kredite erhalten, weil die amerikanischen Banken aus Vorsichtsgründen auf ihren Guthaben sitzenbleiben. Daher stellen die Notenbanken außerhalb Amerikas ihren Geschäftsbanken die benötigten Dollar-Guthaben gegen befristete Kredite zur Verfügung. Allerdings kann eine ausländische Notenbank keine Dollar-Beträge aus dem Nichts schaffen. Das kann sie nur mit ihrer eigenen Währung. Die ausländischen Notenbanken leihen sich die benötigten Dollar daher von der amerikanischen Notenbank, der Fed, befristet aus, denn Dollar produzieren kann nur die Fed. Bei solchen befristeten Geschäften wird aber gleich die Rückgabe der Dollar-Beträge unter den Notenbanken vereinbart. Solche Währungsgeschäfte nennt man Devisenswapgeschäfte. Wie lange die Notenbanken noch als Feuerwehr am Geldmarkt auftreten werden, lässt sich nicht vorhersagen. Von einer Entspannung kann derzeit jedenfalls keine Rede sein.

Egon Görgens/Karlheinz Ruckriegel/Franz Seitz: Europäische Geldpolitik. 5. Auflage. Stuttgart 2008 (Verlag Lucius & Lucius)

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