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'Dieser Dichter, der größte unserer Zeit, ein literarischer Nachfahre Puskins in der Linie Tjutcevs, wird der Stolz der russischen Dichtung bleiben ...' Mit diesen Worten beginnt Vladimir Nabokovs Nachruf auf Vladislav Chodasevic (1886-1939). In der Sowjetunion als 'dekadenter Nihilist' verfemt, ging Chodasevic auch in der Emigration mit seiner unsentimentalen, formvollendeten Gedankenlyrik und seiner kompromißlosen Literaturkritik eigene Wege.Diese zweisprachige Ausgabe vermittelt einen Querschnitt durch sein Schaffen. Einen Schwerpunkt bilden Exilgedichte aus Die schwere Leier (1922) und…mehr

Produktbeschreibung
'Dieser Dichter, der größte unserer Zeit, ein literarischer Nachfahre Puskins in der Linie Tjutcevs, wird der Stolz der russischen Dichtung bleiben ...' Mit diesen Worten beginnt Vladimir Nabokovs Nachruf auf Vladislav Chodasevic (1886-1939). In der Sowjetunion als 'dekadenter Nihilist' verfemt, ging Chodasevic auch in der Emigration mit seiner unsentimentalen, formvollendeten Gedankenlyrik und seiner kompromißlosen Literaturkritik eigene Wege.Diese zweisprachige Ausgabe vermittelt einen Querschnitt durch sein Schaffen. Einen Schwerpunkt bilden Exilgedichte aus Die schwere Leier (1922) und Europäische Nacht (1927). Chodasevics Darstellung von Berlin als dynamische und dämonische 'Stiefmutter der russischen Städte' leistet einen wenig be- kannten Beitrag zur Poetik eines Brennpunkts der urbanen Moderne. Die Texte aus der nächsten Exilstation - Paris - zeugen von einer mit scharfer (Selbst-) Beobachtung gepaarten abgrundtiefen Skepsis und Desillusion. Seine Lyrik wird so zur Beschwörung einer 'Europäischen Nacht', 'wo alles - Bitterkeit, Wut, Engel, das Klaffen der Vokale - echt, einzigartig' ist (Nabokov).Diese Nachdichtung versucht, unter Beibehaltung von Versmaß und Reim, die formale Präzision und kühle Prägnanz von Chodasevics Gedankenlyrik zu vermitteln.
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Autorenporträt
Zum Autor:Vladislav Chodasevic (1886-1939), Sohn eines polnischen Adligen und einer jüdisch-stämmigen russischen Mutter, wuchs in Moskau auf. Er lebte ab 1922 im Exil in Berlin, in Paris und - wie Maksim Gorkij - am Golf von Neapel; neben fünf Lyrikbänden hinterließ er ein bedeutendes literaturkritisches Werk. In seiner Heimat gilt Chodasevic inzwischen als einer der größten Dichter des 20. Jahrhunderts, in zahlreiche Fremdsprachen übersetzt. Autoren wie Vladimir Nabokov, Osip Mandel'stam, Gorkij, Josif Brodskij oder sein tschechischer Nachdichter Petr Borkovec zählen zu seinen Bewunderern.Zum ÜbersetzerAdrian Wanner ist Professor für Russische und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Pennsylvania State University. Er hat Bände von Aleksandr Blok, Innokentij Annenskij und Liliana Ursu übersetzt sowie Anthologien mit russischen Prosaminiaturen und Lyrik der ukrainischen Moderne.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Luisa Schulz kann kaum glauben, dass dieser Klassiker des 20. Jahrhunderts bei uns noch immer nahezu unbekannt ist, selbst nach Nabokovs Einsatz für Vladislav Chodasevic. Die nun in einer Auswahl erstmals auf Deutsch zu lesenden Gedichten des russischstämmigen Dichters bieten Schulz bittere Exilgedichte, herbstlich-düstere Russland-Impressionen, Symbolistisches, eine Chronik der Oktoberrevolution, "Elegien der Unsicherheit" und ein für die Rezensentin erstaunlich aktuelles Porträt Berlins, in dem sie die "Ästhetik des Missklangs" ausmacht. Dass der Band mit gutem Papier, Anmerkungsteil, Nachwort (von Nabokov) und Bildern recht hochwertig daherkommt, erscheint ihr fast zu viel für einen Vergessenen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.2014

In den Ohren pfeift die Zeit
Der Lyriker Vladislav Chodasevic wird entdeckt

Wie kann es sein, dass ein Dichter vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, den Nabokov als größten seiner Zeit preist, in Deutschland bis heute weitgehend unbekannt ist? Die Geschichte seiner Vergessenheit ist auch eine des letzten Jahrhunderts. Das "Stiefkind Russlands", wie sich Vladislav Chodasevic in einem Gedicht selbst nennt, verließ seine Heimat 1922, lebte in Berlin und Paris, wo er auch starb. Nach seinem Tod wurde er in der Sowjetunion als "dekadenter Nihilist" verfemt. Erst in der Zeit des Tauwetters der sechziger Jahre wurden einzelne, besonders bittere Exilgedichte Chodasevics abgedruckt - als angeblicher Beweis für seine antikapitalistische Haltung. Die restlichen kursierten nur im Samisdat. Erst unter Gorbatschow erschien eine Gesamtausgabe, und Chodasevic wurde in Russland schlagartig zum Klassiker. Nun erscheint erstmals eine Auswahl größeren Umfangs auf Deutsch.

Die Gedichte spiegeln sein bewegtes Leben. 1886 in Moskau in ein polnisch-jüdisches Milieu geboren, wuchs Chodasevic im Silbernen Zeitalter auf, der Blüte russischer Poesie kurz vor dem Bürgerkrieg. Sein erster Gedichtband, "Jugend", in dem er sehr alt wirkt, beschreibt die herbstliche, dämmerige, verwesende Stimmung seines Landes. Er hüllt das abgetragene Russland in "müde Purpurroben", das Gespenst der Revolution geht schon um. Im morbid-prophetischen Stil hört man die Symbolisten wie Waleri Brjussow und Andrej Bely heraus.

Eine Chronik von Revolution und Weltkrieg ist Chodasevics "Der Weg des Korns". Das epische Gedicht "2. November" ist ein Panorama Moskaus am Tag nach der Oktoberrevolution. Chodasevic und die Revolution hatten anfangs ein neugierig-skeptisches Verhältnis zueinander. Eine Zeitlang wurde er sogar von "Proletkult" beauftragt, das Proletariat in der Dichtkunst zu unterweisen. Aber schon 1918 schrieb er auch: "Mit kalten Blicken mustere ich nur / Den Ruhm der Zukunft, schal und leer." Revolution und Weltkrieg erlebte er in langen Elegien der Unsicherheit, in großen Gleichnissen der spirituellen Obdachlosigkeit.

Im Jahr 1922 zog er mit seiner Lebensgefährtin Nina Berberowa nach Berlin, in die "Europäische Nacht", wie er die düstere Sammlung seiner Exilgedichte nannte und wie nun auch die Auswahl heißt. Berlin erscheint ihm als "Rabenmutterstadt", wo Winde durch die Ritzen wehen: ein verspuktes, verblüffend aktuelles Porträt der Stadt. Durchkreuzten seine Dichtung schon früher Straßenbahnen, Automobile und Aviatoren, setzte sich nun expressionistische Großstadtlyrik immer mehr durch: eine klirrende Ästhetik des Missklangs, des Gestanks, einfallende Lichtstrahlen, giftige Farben, seine eigenen gespiegelten Nachtvisagen. Gleichzeitig wurden die Gedichte immer lebensmüder, zynischer, manchmal fast sadistisch. Staatenlos zog Chodasevic 1925 weiter nach Paris, ins Zentrum der russischen Emigration. "So ein Kerl, grämlich-gelb, halb ergraut schon", porträtierte er sich selbst. Auch wenn in seinen Balladen noch Zärtlichkeit mitschwingt, man hört den knöchernen Schritt des Todes. Am 14. Juni 1939 stirbt Chodasevic an Krebs - womit er zumindest dem Konzentrationslager entrinnt, in dem seine letzte Frau umkommen wird.

Nabokov begründet sein Lob für Chodasevic damit, dass der Dichter sich in schwieriger Zeit weder dem äußeren Zwang der Sowjetunion noch dem inneren Gruppenzwang unter den Exilanten unterwarf, sondern sein dichterisches Einzelgängertum bewahrte. Wie radikal sich die Welt veränderte, sein lyrisches Ich blieb ihr fremd, ob es Maja-Schleier, Aquariumsfenster oder eine "Weltmembran" sind, die es von ihr trennen. Wir lesen ihn in einer hochwertigen Ausgabe, zweisprachig, auf gutem Papier, mit Anmerkungen, Nachwort von Nabokov, ein paar Bildern, viel Platz; fast schon spießig für einen Verfemten.

LUISA SCHULZ.

Vladislav Chodasevic: "Europäische Nacht". Ausgewählte Gedichte 1907-1927. Zweisprachige Ausgabe.

Aus dem Russischen von Adrian Wanner. Arco Verlag, Wuppertal 2014. 222 S., geb., 24,- [Euro].

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