"Europas Moscheen" ist eine gut lesbare Einführung in die islamische Architektur der letzten Jahrzehnte, die historische und baukünstlerische Perspektiven des Islam mit einem offenen Blick in verschiedene Länder verbindet. Die diskutierten Beispiele stammen deshalb nicht allein aus kerneuropäischen Ländern wie Frankreich, Deutschland, England, Italien, Dänemark, Spanien und den Niederlanden. Ausführlich werden auch die Entwicklungen auf dem Balkan und in der Türkei gewürdigt und mit den Aufbruchstendenzen in der islamischen Welt verglichen. Die Verbreitung der Moscheen in der Welt und die ästhetische Reaktion auf verschiedenste Kulturen, Regionen und Menschen hat die Formen der islamischen Architektur über Jahrhunderte verändert und immer wieder neu an lokale Bedürfnisse und Traditionen angepasst. "Europas Moscheen" ist ein Buch über Baukunst und Gesellschaft, über Politik und Form, über Repräsentation und Symbolik. Es stellt Projekte und Protagonisten, Diskurse und Zusammenhängevor und fordert auch Beteiligung ein. Denn die neuen europäischen Moscheen zeigen auf unmissverständliche Weise, dass nicht nur die Architektur, sondern die Gesellschaft im Aufbruch ist.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungGebaute Integration ist kein Kinderspiel
Wie kann Architektur Glauben umsetzen? Christian Welzbacher zeigt es am Beispiel neuer europäischer Moscheen und warnt zugleich vor Uniformität.
Wie könnte, wie sollte ein Moschee-Neubau aussehen, der in das heutige Europa passt? Der Architekturkritiker Christian Welzbacher umkreist diese Frage in einem üppig und erkenntnisfördernd bebilderten Bändchen. Seine Prämisse ist eindeutig: Er erhofft sich eine "europäisch-muslimische ,Ankunftsarchitektur'", die von der Integration des Islams in die westlichen Gesellschaften kündet; sie würde für ihn die erwünschte Herausbildung eines "Euroislam" symbolisieren.
Wenn im Titel des flüssig geschriebenen Essays (der leider so viele Kommafehler hat wie der Koran Suren) von "Aufbruch" die Rede ist, soll das wohl Optimismus andeuten. Dass es durchaus Anlass gibt zur Sorge, verschweigt Welzbacher nicht. Etwa in den Fällen, in denen ausländische Großspender den Bau von Moscheen ermöglichen und nicht nur auf den Baustil, sondern auch auf den Inhalt der Predigten Einfluss nehmen. Auch wegen solcher Vorgänge sind Moscheebauten inzwischen Projektionsflächen von Ängsten der Mehrheitsgesellschaft.
Das war nicht immer so, wie Welzbachers kurzer Exkurs in die Geschichte der europäischen Moschee-Architektur in den vergangenen zweieinhalb Jahrhunderten zeigt. Sie ist gekennzeichnet von aberwitzigen Volten. Die ersten Gebäude in Westeuropa, die seit Ende des achtzehnten Jahrhunderts das Formenvokabular der orientalischen Moschee-Architektur aufgriffen, hatten keinen religiösen Zweck. Stattdessen dienten sie als Gartenpavillon, als Turbinenhaus und als Tabakfabrik. Von Nichtmuslimen errichtet, verstärkten die Bauten romantische Orient-Klischees aus dem Geiste des Kolonialismus: Große Kuppel, schlankes Minarett, fertig war die Pseudo-Moschee.
An solchen simplifizierten Bildern orientierten sich später die ersten hiesigen Moscheen, die als solche genutzt wurden. Das hatte laut Welzbacher fatale Folgen: Weil ihre Gebetshäuser exotisch wirkten, verfestigte sich die Selbstwahrnehmung vieler europäischer Muslime als Fremde. Und von den Mehrheitsgesellschaften wurde die exotische Architektur nun als Teil einer Abgrenzungsstrategie der Neuankömmlinge wahrgenommen. Das gilt umso stärker, seit die Anhänger des Islams nicht mehr eine winzige Minderheit sind, sondern in größeren Gruppen auftreten. Moscheen erscheinen nun als bedrohliche Eroberungsarchitektur einer fremden Kultur, die ostentativ Bezug auf die weit entfernte Herkunftsregion nimmt.
Dieser Umwertung entspricht eine Bewegung in der arabischen Welt in den fünfziger und sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, die Welzbacher in großen Linien nachzeichnet: In den von den Kolonialherren befreiten Ländern wurde zunächst eine dezidiert moderne Architekturhaltung propagiert, wie Entwürfe von Walter Gropius und Oscar Niemeyer für Moscheen in Bagdad und Algier zeigen. Sie sollten das Selbstbewusstsein und die Gleichrangigkeit der neuen Staaten gegenüber dem Westen zeigen. Doch schon bald kippte die Stimmung: die Moderne wurde in vielen islamisch geprägten Ländern zum Synonym für Kolonialismus, der Rückbezug auf das historische Formenvokabular diente nun der Selbstvergewisserung.
Auf dem Balkan dauerte die Blüte moderner Moschee-Architektur länger. Dort entstanden in den sechziger Jahren auffällig viele elegante Bauten. Hier, wo Die Durchdringung der Religionen älter ist, konnte demnach auch die Amalgamierung der Baustile besser gelingen, will Welzbacher damit wohl sagen. Der Autor ist mit den jugoslawischen Beispielen seinem aktuellen Ideal schon recht nahe gekommen. Er plädiert für eine zeitgemäße Architektur, worunter er eine in einem nicht genauer definierten Sinn "moderne" Entwurfshaltung versteht. Er favorisiert Entwürfe in jenem Stil, die im architekturkritischen Experten-Diskurs des Westens auf breiten Konsens stoßen, egal um welche Bauaufgabe es geht. Zu ihnen zählt Zaha Hadids nicht gebauter Entwurf für die Zentralmoschee in Straßburg.
Diese Herangehensweise ist schon angesichts der Vielgestaltigkeit der Moderne heikel. Ausgeblendet wird dadurch aber auch der Zweifel gegenüber den Segnungen der zeitgenössischen Architektur, der sich längst breitgemacht hat. Wenn sich die Muslime wieder stärker orientalischen Formen zuwenden, dann ist das in gewisser Weise eine Parallele zur Vorliebe abendländischer Bürger für die Verwendung historischer Bauformen bis hin zur Rekonstruktion von ganzen Stadtvierteln.
Wenn also ein dekonstruktivistischer Moscheebau in Straßburg oder in London scheitert, dann muss das nicht ausschließlich auf Vorbehalte gegenüber einer übergroßen Präsenz des Islams im Stadtbild zurückzuführen sein, sondern kann auch an allgemeinen Vorbehalten gegenüber derartigen autistischen Großformen liegen. In einer Gesellschaft, die in ästhetischen Fragen verunsichert ist, als Minderheit die eigene Integration baulich zu symbolisieren, ist schwieriger, als es der Autor sehen möchte.
Das wird besonders deutlich in der Nonchalance, mit der Welzbacher die Zentralmoschee in Köln für misslungen erklärt. Für ihn ist der Entwurf von Paul Böhm mit seiner markanten Kuppel und dem großen Minarett zu stark an den Klischeevorstellungen einer Moschee orientiert, das gleicht auch die durchaus zeitgenössische Interpretation dieser Formen nicht aus. Wenn sich auch konservative Muslime an dieser Synthese stören, nur aus umgekehrter Motivation, könnte das jedoch darauf hindeuten, dass Böhm mit seiner Moschee einen Mittelweg gefunden hat, der kein fauler Kompromiss ist.
Als Vorbild für zeitgemäße Moschee-Architektur gilt dem Autor das islamische Zentrum in Penzberg in Oberbayern, das auf jede Kuppelästhetik verzichtet und auch sonst die Klischees des romantisierten Islams hinter sich lässt. Dass es mit Ausnahme des verkürzten Minaretts nicht als religiöses Bauwerk gekennzeichnet ist, meint Welzbacher als Lob. Damit ist der neuralgische Punkt des Essays erreicht. Er steht in einer aufklärerischen Tradition, die starke Glaubenshaltungen als Irrweg betrachtet und von einer rationalistischen oder freigeistigen Architektur eingehegt wissen möchte. Davon, dass dieses Konzept aufgehen kann, scheint Welzbacher selbst nicht überzeugt zu sein. In der Schlussbetrachtung scheint jedenfalls Skepsis auf, ob die moderne Architektur einen Weg für den europäischen Islam weisen kann. Nicht nur wegen ihrer Verbindung mit dem ästhetischen Herrschaftsanspruch des Westens, sondern auch wegen ihrer religiösen Indifferenz. Welzbacher konstatiert eine zur Uniformität neigende Tendenz im Sakralbau der Moderne, egal welcher Religion ein Gebäude dient. Woran sich nicht nur Muslime stören. Das Thema für einen weiteren, noch interessanteren Essay wäre damit schon gesetzt.
MATTHIAS ALEXANDER
Christian Welzbacher: "Europas Moscheen". Islamische Architektur im Aufbruch.
Deutscher Kunstverlag, Berlin 2017. 112 S., zahlr. Abb., br., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie kann Architektur Glauben umsetzen? Christian Welzbacher zeigt es am Beispiel neuer europäischer Moscheen und warnt zugleich vor Uniformität.
Wie könnte, wie sollte ein Moschee-Neubau aussehen, der in das heutige Europa passt? Der Architekturkritiker Christian Welzbacher umkreist diese Frage in einem üppig und erkenntnisfördernd bebilderten Bändchen. Seine Prämisse ist eindeutig: Er erhofft sich eine "europäisch-muslimische ,Ankunftsarchitektur'", die von der Integration des Islams in die westlichen Gesellschaften kündet; sie würde für ihn die erwünschte Herausbildung eines "Euroislam" symbolisieren.
Wenn im Titel des flüssig geschriebenen Essays (der leider so viele Kommafehler hat wie der Koran Suren) von "Aufbruch" die Rede ist, soll das wohl Optimismus andeuten. Dass es durchaus Anlass gibt zur Sorge, verschweigt Welzbacher nicht. Etwa in den Fällen, in denen ausländische Großspender den Bau von Moscheen ermöglichen und nicht nur auf den Baustil, sondern auch auf den Inhalt der Predigten Einfluss nehmen. Auch wegen solcher Vorgänge sind Moscheebauten inzwischen Projektionsflächen von Ängsten der Mehrheitsgesellschaft.
Das war nicht immer so, wie Welzbachers kurzer Exkurs in die Geschichte der europäischen Moschee-Architektur in den vergangenen zweieinhalb Jahrhunderten zeigt. Sie ist gekennzeichnet von aberwitzigen Volten. Die ersten Gebäude in Westeuropa, die seit Ende des achtzehnten Jahrhunderts das Formenvokabular der orientalischen Moschee-Architektur aufgriffen, hatten keinen religiösen Zweck. Stattdessen dienten sie als Gartenpavillon, als Turbinenhaus und als Tabakfabrik. Von Nichtmuslimen errichtet, verstärkten die Bauten romantische Orient-Klischees aus dem Geiste des Kolonialismus: Große Kuppel, schlankes Minarett, fertig war die Pseudo-Moschee.
An solchen simplifizierten Bildern orientierten sich später die ersten hiesigen Moscheen, die als solche genutzt wurden. Das hatte laut Welzbacher fatale Folgen: Weil ihre Gebetshäuser exotisch wirkten, verfestigte sich die Selbstwahrnehmung vieler europäischer Muslime als Fremde. Und von den Mehrheitsgesellschaften wurde die exotische Architektur nun als Teil einer Abgrenzungsstrategie der Neuankömmlinge wahrgenommen. Das gilt umso stärker, seit die Anhänger des Islams nicht mehr eine winzige Minderheit sind, sondern in größeren Gruppen auftreten. Moscheen erscheinen nun als bedrohliche Eroberungsarchitektur einer fremden Kultur, die ostentativ Bezug auf die weit entfernte Herkunftsregion nimmt.
Dieser Umwertung entspricht eine Bewegung in der arabischen Welt in den fünfziger und sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, die Welzbacher in großen Linien nachzeichnet: In den von den Kolonialherren befreiten Ländern wurde zunächst eine dezidiert moderne Architekturhaltung propagiert, wie Entwürfe von Walter Gropius und Oscar Niemeyer für Moscheen in Bagdad und Algier zeigen. Sie sollten das Selbstbewusstsein und die Gleichrangigkeit der neuen Staaten gegenüber dem Westen zeigen. Doch schon bald kippte die Stimmung: die Moderne wurde in vielen islamisch geprägten Ländern zum Synonym für Kolonialismus, der Rückbezug auf das historische Formenvokabular diente nun der Selbstvergewisserung.
Auf dem Balkan dauerte die Blüte moderner Moschee-Architektur länger. Dort entstanden in den sechziger Jahren auffällig viele elegante Bauten. Hier, wo Die Durchdringung der Religionen älter ist, konnte demnach auch die Amalgamierung der Baustile besser gelingen, will Welzbacher damit wohl sagen. Der Autor ist mit den jugoslawischen Beispielen seinem aktuellen Ideal schon recht nahe gekommen. Er plädiert für eine zeitgemäße Architektur, worunter er eine in einem nicht genauer definierten Sinn "moderne" Entwurfshaltung versteht. Er favorisiert Entwürfe in jenem Stil, die im architekturkritischen Experten-Diskurs des Westens auf breiten Konsens stoßen, egal um welche Bauaufgabe es geht. Zu ihnen zählt Zaha Hadids nicht gebauter Entwurf für die Zentralmoschee in Straßburg.
Diese Herangehensweise ist schon angesichts der Vielgestaltigkeit der Moderne heikel. Ausgeblendet wird dadurch aber auch der Zweifel gegenüber den Segnungen der zeitgenössischen Architektur, der sich längst breitgemacht hat. Wenn sich die Muslime wieder stärker orientalischen Formen zuwenden, dann ist das in gewisser Weise eine Parallele zur Vorliebe abendländischer Bürger für die Verwendung historischer Bauformen bis hin zur Rekonstruktion von ganzen Stadtvierteln.
Wenn also ein dekonstruktivistischer Moscheebau in Straßburg oder in London scheitert, dann muss das nicht ausschließlich auf Vorbehalte gegenüber einer übergroßen Präsenz des Islams im Stadtbild zurückzuführen sein, sondern kann auch an allgemeinen Vorbehalten gegenüber derartigen autistischen Großformen liegen. In einer Gesellschaft, die in ästhetischen Fragen verunsichert ist, als Minderheit die eigene Integration baulich zu symbolisieren, ist schwieriger, als es der Autor sehen möchte.
Das wird besonders deutlich in der Nonchalance, mit der Welzbacher die Zentralmoschee in Köln für misslungen erklärt. Für ihn ist der Entwurf von Paul Böhm mit seiner markanten Kuppel und dem großen Minarett zu stark an den Klischeevorstellungen einer Moschee orientiert, das gleicht auch die durchaus zeitgenössische Interpretation dieser Formen nicht aus. Wenn sich auch konservative Muslime an dieser Synthese stören, nur aus umgekehrter Motivation, könnte das jedoch darauf hindeuten, dass Böhm mit seiner Moschee einen Mittelweg gefunden hat, der kein fauler Kompromiss ist.
Als Vorbild für zeitgemäße Moschee-Architektur gilt dem Autor das islamische Zentrum in Penzberg in Oberbayern, das auf jede Kuppelästhetik verzichtet und auch sonst die Klischees des romantisierten Islams hinter sich lässt. Dass es mit Ausnahme des verkürzten Minaretts nicht als religiöses Bauwerk gekennzeichnet ist, meint Welzbacher als Lob. Damit ist der neuralgische Punkt des Essays erreicht. Er steht in einer aufklärerischen Tradition, die starke Glaubenshaltungen als Irrweg betrachtet und von einer rationalistischen oder freigeistigen Architektur eingehegt wissen möchte. Davon, dass dieses Konzept aufgehen kann, scheint Welzbacher selbst nicht überzeugt zu sein. In der Schlussbetrachtung scheint jedenfalls Skepsis auf, ob die moderne Architektur einen Weg für den europäischen Islam weisen kann. Nicht nur wegen ihrer Verbindung mit dem ästhetischen Herrschaftsanspruch des Westens, sondern auch wegen ihrer religiösen Indifferenz. Welzbacher konstatiert eine zur Uniformität neigende Tendenz im Sakralbau der Moderne, egal welcher Religion ein Gebäude dient. Woran sich nicht nur Muslime stören. Das Thema für einen weiteren, noch interessanteren Essay wäre damit schon gesetzt.
MATTHIAS ALEXANDER
Christian Welzbacher: "Europas Moscheen". Islamische Architektur im Aufbruch.
Deutscher Kunstverlag, Berlin 2017. 112 S., zahlr. Abb., br., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main