Daß Robert Walser zu den unpolitischen Autoren zähle, gilt selbst Liebhabern seines Werks für ausgemacht. Ebenso zählt zu den gängigen Ansichten über die Schweiz, daß sie unpolitisch, weil neutral sei. In beiden Fällen handelt es sich um Vorurteile, die in Frage zu stellen sich lohnt.
So hat sich Robert Walser nicht nur beiläufig zu politischen Fragen geäußert, auch wenn ihm der präzeptorale Zeigefinger gänzlich fremd war. »Meiner Ansicht nach gibt es überhaupt nichts Unpolitisches«, bemerkt er sogar in einem Mikrogramm-Text.
Eigenartig war denn auch sein Verhältnis zur Schweiz. Zweifellos hat er dieses Land geliebt und daraus keinen Hehl gemacht. Der Heimattümelei und ihren literarischen Ausdrucksformen begegnete er jedoch mit unverhohlenem Spott. Und da der Humor in der Schweiz bisweilen keinen einfachen Stand hat, trug ihm dies auch manche Schwierigkeit ein. Schon gar nicht willkommen war, wenn er beispielsweise schrieb: »Mit kühler Empörtheit, die mich durchtanzt, durchlacht, die mir übrigens ganz und gar paßt, weil sie eine sittliche Höhe darstellt, sage ich, daß in einem kleinen europäischen Land jährlich achtzig Millionen für Militärzwecke verausgabt werden. Schade um so viel Geld!«
So hat sich Robert Walser nicht nur beiläufig zu politischen Fragen geäußert, auch wenn ihm der präzeptorale Zeigefinger gänzlich fremd war. »Meiner Ansicht nach gibt es überhaupt nichts Unpolitisches«, bemerkt er sogar in einem Mikrogramm-Text.
Eigenartig war denn auch sein Verhältnis zur Schweiz. Zweifellos hat er dieses Land geliebt und daraus keinen Hehl gemacht. Der Heimattümelei und ihren literarischen Ausdrucksformen begegnete er jedoch mit unverhohlenem Spott. Und da der Humor in der Schweiz bisweilen keinen einfachen Stand hat, trug ihm dies auch manche Schwierigkeit ein. Schon gar nicht willkommen war, wenn er beispielsweise schrieb: »Mit kühler Empörtheit, die mich durchtanzt, durchlacht, die mir übrigens ganz und gar paßt, weil sie eine sittliche Höhe darstellt, sage ich, daß in einem kleinen europäischen Land jährlich achtzig Millionen für Militärzwecke verausgabt werden. Schade um so viel Geld!«
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.07.2003Treffsicher wie Tell
Bergwertung: Zwei neue Sammlungen von Texten Robert Walsers
Das große Vaterland "noch größer zu machen wird mein Stolz, mein Leben, meine Sehnsucht, meine Ehrsucht sein": Im ersten Aufsatz - Schulaufsatz? - eines Bandes, der seine "Texte zur Schweiz" dokumentiert, entpuppt sich Robert Walser als glühender Patriot. Sein Schwärmen entspricht dem politischen Bewußtseinsstand eines Halbwüchsigen. Mindestens zweimal gibt sich der Verfasser tatsächlich als "Schüler der zweiten A-Klasse" zu erkennen. Der Herausgeber Bernhard Echte datiert den Text auf 1902 - damals war Robert Walser vierundzwanzig Jahre alt.
Es ist nicht die einzige Stelle dieser Ausgabe, die Mißtrauen erregt. Im Nachwort bezeichnet Echte die Schweiz "am Anfang des 20. Jahrhunderts als einzige Demokratie auf dem Kontinent". Und Finnland - wo die Frauen 1906 wahlberechtigt wurden? Frankreich? Schwamm drüber! Auch über den Umschlag, für den natürlich ein grimmiger Berg hermußte. Er wurde dem Mont-Blanc-Massiv entlehnt - das leider nicht zur Schweiz gehört. Das größte und wirklich störende Ärgernis ist indes der Buchtitel. Er stammt aus dem eher belanglosen Kurztext "Allerlei": "Das Schweizerland, wie kühn und klein steht es da, umarmt von Staaten." Walser bezeichnet es als "Europas schneeige Pelzboa". Was immer er damit gemeint haben mag - gesuchte Formulierungen dieser exotischen Art finden sich in seinen Feuilletons und Essays ansonsten kaum. Aber dennoch hat man mit sicherem Instinkt für den vielleicht überhaupt unverbindlichsten und harmlosesten Abschnitt in der ganzen Sammlung diese "schneeige Pelzboa" in den Buchtitel übernommen.
Robert Walser war kein Humorist, der sich im Kalauern versuchte, und kein Kommentator der politischen Lage. Die Schweiz im weitesten Sinne ist das zentrale und ergiebige Thema dieser gebündelten Schriften. Mehrere Skizzen über Wilhelm Tell hat Walser hinterlassen. Diese Nachdichtungen bekannter Szenen enthalten scharfsinnige Einschätzungen über den Kitsch in der Literatur, der entzückend sein könne, wie über den Nationalhelden: Sind Tell und Gessler, der Landvogt, "nicht eine einzige widerspruchsvolle Persönlichkeit?" Man wird in Zukunft Robert Walsers Beschreibung der Schlacht von Sempach im Geschichtsunterricht lesen müssen. Sie enthält genau das Pathos, das der Schweizer Mythologie so genau entspricht, und bricht es gleichzeitig ohne jeden Zwang zur Ironie. In Walsers Erzählung suchen die siegreichen Eidgenossen in der Nacht im Lichte ihrer Fackeln nach ihrem Märtyrer Winkelried, der sich vor dem Heer der Habsburger niederwarf, die Spitzen ihrer Speere auf sich zog und damit eine Bresche in ihre Reihen schlug. Das Ereignis "lehrt uns eigentlich, wie furchtbar dumm es ist, sich einzumummeln" - und mündet in eine sehr Walsersche Geschichtsphilosophie: "Eine große Tat tilgt die mühselige Folge der Tage nicht aus. Das Leben steht nach einem Schlachtentag noch lange nicht still; die Geschichte macht nur eine kleine Pause, bis auch sie, vom herrischen Leben gedrängt, vorwärtseilen muß."
Genauso erhellend ist Robert Walsers Streifzug durch die helvetische Geistesgeschichte, die begann, als "die Römer kulturbringend durch das Schweizerland zogen". Jahrhunderte später machten sich dann im Ausland "Dichter bemerkbar wie Shakespeare und Cervantes". Auf einer Insel im Bieler See hielt sich Jean-Jacques Rousseau vorübergehend auf: "Genannter verbreitete eine Menge zarter, sentimentaler Einflüsse, und Wirkungen gingen von ihm aus, die man landschaftsanerkennend nennen kann." Mehrere Aufsätze sind Gotthelf und Gottfried Keller gewidmet, den Walser einen "nicht nur beliebten, sondern anerkannt großartigen Behaglichkeitsvertreter" nennt. Genauso unterhaltsam und ungemein aufschlußreich sind Robert Walsers Studien über die Maler Albert Anker und Karl Staufer-Bern. Er porträtiert den Züricher Reformator Zwingli und den Stadtpräsidenten Hans Waldmann. Landschafts- und Stadtbeschreibungen finden sich in diesem Band - ein Schmuckstück ist der Bericht "Kleist in Thun".
Auf eine direktere Art politisch und kritisch - aber keineswegs radikaler - sind die gegen Schluß präsentierten Abhandlungen über "Die Zukunft der Nationen", Geschichte und Bildung: "Mit kühler Empörtheit, die mich durchtanzt, durchlacht, die mir übrigens ganz und gar paßt, weil sie eine sittliche Höhe darstellt, sage ich, daß in einem kleinen Land jährlich achtzig Millionen für Militärzwecke verausgabt werden. Schade um so viel Geld!" Gerade in diesen etwas banaleren Stücken zu tagespolitischen Fragen zeigt sich deutlich, wie unverbraucht der Ton Robert Walsers ist.
Doch der Ärger über die Edition verfolgt den Leser auch noch, nachdem er den Band bereits zur Seite gelegt hat: "Die von Bernhard Echte zusammengestellten Texte . . . entdecken Robert Walser als politischen Autor" - womit sie bei aller Lebhaftigkeit, die sie auszeichnet, wohl doch ein bißchen überfordert sein dürften. Der Satz über die Texte, die ihren Autor entdecken, steht auf dem Klappentext einer zweiten Neuerscheinung, die Suhrkamp zum 125. Geburtstag des Schriftstellers herausgebracht hat: "Feuer". Es handelt sich um eine Sammlung kleiner Prosastücke, die Walser in großer Zahl produzierte und verschiedenen Zeitungen zum Druck anbot. Um seine Arbeiten "für die Katz, will sagen, für den Tagesgebrauch", um ihren Abdruck und die Honorierung hat er sich nicht besonders intensiv gekümmert. Meist stellte er keine Kopien her. Auch an die Nachwelt hatte er nie gedacht. Sie wird nun mit diesen wiedergefundenen Feuilletons beglückt, auf die sie eher als Walsers Zeitgenossen hätte verzichten können - interessant sind die Arbeiten für literaturwissenschaftliche Experten, allen anderen kann man sie allenfalls empfehlen, wenn sie den ganzen Walser bereits gelesen haben.
Zu seinem Verständnis tragen sie nichts Neues bei, und dies ganz im Gegensatz zu den Texten über die Schweiz, die manchmal geradezu visionär sind und in ihrer Gesamtheit ein Profil, eine Mentalität, eine Geschichte erkennen lassen - und auch eine Emanzipation. Walser, der patriotische Schüler, wurde zum subversivsten und freisten Schriftsteller des Landes - vor Dürrenmatt; nicht nur bezüglich der Chronologie. Seine Schriften enthalten die überzeugendste, weil unscheinbare und ideologiefreie Kritik der "politischen Korrektheit" - über die Scheinheiligkeit der Moral in der Politik findet man in seinen Texten stechende Argumente von radikalster Aktualität.
Walser ist mit seinen Worten so treffsicher wie Wilhelm Tell mit der Armbrust. Selbst den Überdruß an den zum Geschwätz verkommenden Debatten und die Krise des politischen Intellektuellen hat er vor siebzig Jahren in überraschenden Gedankengängen thematisiert. "Der schweizerische Schriftsteller sieht sich nicht entmutigt", schrieb er 1931, "aber irgendwie protestierte das nationale Leben gegenüber fortwährender Ausbeutung." Deshalb legte Walser den Intellektuellen auch schon mal das Schweigen nahe: "Ein Land und ein Volk wollen nicht in einem fort geschildert, dargestellt oder abgebildet, sondern begehren in Ruhe gelassen zu sein."
JÜRG ALTWEGG
Robert Walser: "Europas schneeige Pelzboa". Texte zur Schweiz. Herausgegeben von Bernhard Echte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 350 S., geb., 23,- [Euro].
Robert Walser: "Feuer". Unbekannte Prosa und Gedichte. Herausgegeben von Bernhard Echte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 141 S., geb., 17,90 [Euro].
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Bergwertung: Zwei neue Sammlungen von Texten Robert Walsers
Das große Vaterland "noch größer zu machen wird mein Stolz, mein Leben, meine Sehnsucht, meine Ehrsucht sein": Im ersten Aufsatz - Schulaufsatz? - eines Bandes, der seine "Texte zur Schweiz" dokumentiert, entpuppt sich Robert Walser als glühender Patriot. Sein Schwärmen entspricht dem politischen Bewußtseinsstand eines Halbwüchsigen. Mindestens zweimal gibt sich der Verfasser tatsächlich als "Schüler der zweiten A-Klasse" zu erkennen. Der Herausgeber Bernhard Echte datiert den Text auf 1902 - damals war Robert Walser vierundzwanzig Jahre alt.
Es ist nicht die einzige Stelle dieser Ausgabe, die Mißtrauen erregt. Im Nachwort bezeichnet Echte die Schweiz "am Anfang des 20. Jahrhunderts als einzige Demokratie auf dem Kontinent". Und Finnland - wo die Frauen 1906 wahlberechtigt wurden? Frankreich? Schwamm drüber! Auch über den Umschlag, für den natürlich ein grimmiger Berg hermußte. Er wurde dem Mont-Blanc-Massiv entlehnt - das leider nicht zur Schweiz gehört. Das größte und wirklich störende Ärgernis ist indes der Buchtitel. Er stammt aus dem eher belanglosen Kurztext "Allerlei": "Das Schweizerland, wie kühn und klein steht es da, umarmt von Staaten." Walser bezeichnet es als "Europas schneeige Pelzboa". Was immer er damit gemeint haben mag - gesuchte Formulierungen dieser exotischen Art finden sich in seinen Feuilletons und Essays ansonsten kaum. Aber dennoch hat man mit sicherem Instinkt für den vielleicht überhaupt unverbindlichsten und harmlosesten Abschnitt in der ganzen Sammlung diese "schneeige Pelzboa" in den Buchtitel übernommen.
Robert Walser war kein Humorist, der sich im Kalauern versuchte, und kein Kommentator der politischen Lage. Die Schweiz im weitesten Sinne ist das zentrale und ergiebige Thema dieser gebündelten Schriften. Mehrere Skizzen über Wilhelm Tell hat Walser hinterlassen. Diese Nachdichtungen bekannter Szenen enthalten scharfsinnige Einschätzungen über den Kitsch in der Literatur, der entzückend sein könne, wie über den Nationalhelden: Sind Tell und Gessler, der Landvogt, "nicht eine einzige widerspruchsvolle Persönlichkeit?" Man wird in Zukunft Robert Walsers Beschreibung der Schlacht von Sempach im Geschichtsunterricht lesen müssen. Sie enthält genau das Pathos, das der Schweizer Mythologie so genau entspricht, und bricht es gleichzeitig ohne jeden Zwang zur Ironie. In Walsers Erzählung suchen die siegreichen Eidgenossen in der Nacht im Lichte ihrer Fackeln nach ihrem Märtyrer Winkelried, der sich vor dem Heer der Habsburger niederwarf, die Spitzen ihrer Speere auf sich zog und damit eine Bresche in ihre Reihen schlug. Das Ereignis "lehrt uns eigentlich, wie furchtbar dumm es ist, sich einzumummeln" - und mündet in eine sehr Walsersche Geschichtsphilosophie: "Eine große Tat tilgt die mühselige Folge der Tage nicht aus. Das Leben steht nach einem Schlachtentag noch lange nicht still; die Geschichte macht nur eine kleine Pause, bis auch sie, vom herrischen Leben gedrängt, vorwärtseilen muß."
Genauso erhellend ist Robert Walsers Streifzug durch die helvetische Geistesgeschichte, die begann, als "die Römer kulturbringend durch das Schweizerland zogen". Jahrhunderte später machten sich dann im Ausland "Dichter bemerkbar wie Shakespeare und Cervantes". Auf einer Insel im Bieler See hielt sich Jean-Jacques Rousseau vorübergehend auf: "Genannter verbreitete eine Menge zarter, sentimentaler Einflüsse, und Wirkungen gingen von ihm aus, die man landschaftsanerkennend nennen kann." Mehrere Aufsätze sind Gotthelf und Gottfried Keller gewidmet, den Walser einen "nicht nur beliebten, sondern anerkannt großartigen Behaglichkeitsvertreter" nennt. Genauso unterhaltsam und ungemein aufschlußreich sind Robert Walsers Studien über die Maler Albert Anker und Karl Staufer-Bern. Er porträtiert den Züricher Reformator Zwingli und den Stadtpräsidenten Hans Waldmann. Landschafts- und Stadtbeschreibungen finden sich in diesem Band - ein Schmuckstück ist der Bericht "Kleist in Thun".
Auf eine direktere Art politisch und kritisch - aber keineswegs radikaler - sind die gegen Schluß präsentierten Abhandlungen über "Die Zukunft der Nationen", Geschichte und Bildung: "Mit kühler Empörtheit, die mich durchtanzt, durchlacht, die mir übrigens ganz und gar paßt, weil sie eine sittliche Höhe darstellt, sage ich, daß in einem kleinen Land jährlich achtzig Millionen für Militärzwecke verausgabt werden. Schade um so viel Geld!" Gerade in diesen etwas banaleren Stücken zu tagespolitischen Fragen zeigt sich deutlich, wie unverbraucht der Ton Robert Walsers ist.
Doch der Ärger über die Edition verfolgt den Leser auch noch, nachdem er den Band bereits zur Seite gelegt hat: "Die von Bernhard Echte zusammengestellten Texte . . . entdecken Robert Walser als politischen Autor" - womit sie bei aller Lebhaftigkeit, die sie auszeichnet, wohl doch ein bißchen überfordert sein dürften. Der Satz über die Texte, die ihren Autor entdecken, steht auf dem Klappentext einer zweiten Neuerscheinung, die Suhrkamp zum 125. Geburtstag des Schriftstellers herausgebracht hat: "Feuer". Es handelt sich um eine Sammlung kleiner Prosastücke, die Walser in großer Zahl produzierte und verschiedenen Zeitungen zum Druck anbot. Um seine Arbeiten "für die Katz, will sagen, für den Tagesgebrauch", um ihren Abdruck und die Honorierung hat er sich nicht besonders intensiv gekümmert. Meist stellte er keine Kopien her. Auch an die Nachwelt hatte er nie gedacht. Sie wird nun mit diesen wiedergefundenen Feuilletons beglückt, auf die sie eher als Walsers Zeitgenossen hätte verzichten können - interessant sind die Arbeiten für literaturwissenschaftliche Experten, allen anderen kann man sie allenfalls empfehlen, wenn sie den ganzen Walser bereits gelesen haben.
Zu seinem Verständnis tragen sie nichts Neues bei, und dies ganz im Gegensatz zu den Texten über die Schweiz, die manchmal geradezu visionär sind und in ihrer Gesamtheit ein Profil, eine Mentalität, eine Geschichte erkennen lassen - und auch eine Emanzipation. Walser, der patriotische Schüler, wurde zum subversivsten und freisten Schriftsteller des Landes - vor Dürrenmatt; nicht nur bezüglich der Chronologie. Seine Schriften enthalten die überzeugendste, weil unscheinbare und ideologiefreie Kritik der "politischen Korrektheit" - über die Scheinheiligkeit der Moral in der Politik findet man in seinen Texten stechende Argumente von radikalster Aktualität.
Walser ist mit seinen Worten so treffsicher wie Wilhelm Tell mit der Armbrust. Selbst den Überdruß an den zum Geschwätz verkommenden Debatten und die Krise des politischen Intellektuellen hat er vor siebzig Jahren in überraschenden Gedankengängen thematisiert. "Der schweizerische Schriftsteller sieht sich nicht entmutigt", schrieb er 1931, "aber irgendwie protestierte das nationale Leben gegenüber fortwährender Ausbeutung." Deshalb legte Walser den Intellektuellen auch schon mal das Schweigen nahe: "Ein Land und ein Volk wollen nicht in einem fort geschildert, dargestellt oder abgebildet, sondern begehren in Ruhe gelassen zu sein."
JÜRG ALTWEGG
Robert Walser: "Europas schneeige Pelzboa". Texte zur Schweiz. Herausgegeben von Bernhard Echte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 350 S., geb., 23,- [Euro].
Robert Walser: "Feuer". Unbekannte Prosa und Gedichte. Herausgegeben von Bernhard Echte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 141 S., geb., 17,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Lothar Müller hat sich vom Schalk der Texte Robert Walsers anstecken lassen und lobt etwas unkonventionell: Die "unsinnigsten Fragen" fallen einem ein, sobald man durch ist mit dem Band, in dem "nachgelassene Mikrogramme" und journalistische Stücke versammelt sind - alles, was Walser so zur Schweiz einfiel. Die Berge? Nein, schreibt Müller, keine Berge, zumindest nicht im Sinne erhabener Gipfel und Schluchten; statt dessen stelle Walser sein sprechendes Ich auf den "Gipfel der Mittelmäßigkeit" und lasse es von dort die Schweiz preisen, doch "spielen Stoff und Spiel so lange miteinander Fangen und Verstecken, bis die Loblieder auf die Schweiz wie ihre eigene Parodie klingen". Herrlich und gut, befindet Müller also.
© Perlentaucher Medien GmbH
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