Eine tragische Liebesgeschichte in Südtirol, das von Deutschland und Italien zerrissen wurde
Eva ist Anfang 40, als sie einen Anruf von dem Mann erhält, der in ihrer Kindheit eine Zeit lang die Rolle des Vaters einnahm, bevor er scheinbar für immer verschwand: Vito Anania. Er liegt im Sterben und noch einmal möchte er Eva sehen. Also tritt sie die Zugreise von Südtirol quer durch Italien in den äußersten Süden an. In ihrer Vorstellung entfaltet sich noch einmal ihre ganze Kindheit in Südtirol, geprägt von den politischen Verwerfungen dieser Region, aber mehr noch von der Liebe ihrer Mutter, der im Leben nichts geschenkt wurde - außer ihrer Schönheit.
Eva ist Anfang 40, als sie einen Anruf von dem Mann erhält, der in ihrer Kindheit eine Zeit lang die Rolle des Vaters einnahm, bevor er scheinbar für immer verschwand: Vito Anania. Er liegt im Sterben und noch einmal möchte er Eva sehen. Also tritt sie die Zugreise von Südtirol quer durch Italien in den äußersten Süden an. In ihrer Vorstellung entfaltet sich noch einmal ihre ganze Kindheit in Südtirol, geprägt von den politischen Verwerfungen dieser Region, aber mehr noch von der Liebe ihrer Mutter, der im Leben nichts geschenkt wurde - außer ihrer Schönheit.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.11.2018NEUE TASCHENBÜCHER
Königskinder –
Francesca Melandris „Eva schläft“
Gerda ist eine Frau, bei deren Anblick sich bei allen die Pupillen weiten, bei den Männern vor Verlangen, bei den Frauen aus Bestürzung über den Kontrast zur eigenen Erscheinung. Vito ist der erste Mann, der respektvoll umgeht mit Gerda, einer alleinerziehenden Mutter im Südtirol der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Er ist einer der aus dem Süden in den Norden, nach Bozen versetzten Carabinieri, die mit den „Daitschen“ kaum etwas anfangen können. Die italienische Regierung in Rom betreibt massiv die Diskriminierung der Südtiroler, die mit teilweise blutigen Attentaten gegen die Walschen aufbegehren. Gerdas Bruder Peter ist bei einem Attentatsversuch ums Leben gekommen. Die Schwester eines Terroristen, dazu „so eine“, zu heiraten, hieße für Vito Dienstentlassung. Also werden sie im Unglück auseinandergehen.
All das erzählt Eva, Gerdas uneheliches Kind, auf ihrem Weg zu Vito, der ihr über Jahre hin ein Vater gewesen ist. Eva sieht die Welt offenbar wie die Autorin, die einen anderen Ton anschlägt als das Gros ihrer schreibenden Landsleute. Was sie erzählt, berührt empfindliche Punkte aus Italiens jüngerer Geschichte, hier die Italianisierung Südtirols, von der viele Südtiroler bis heute mit einem Unterton der Kränkung erzählen. Aber das merken wir zuerst einmal gar nicht: Es fängt an mit einem Bergbauernbub, der, bevor er sich auf den weiten Schulweg vom Almhof ins Dorf macht, noch einen großen Schluck kuhwarmer Milch aus dem Melkeimer trinken darf und sich dann erst auf der Mitte des Weges den Milchbart abwischt. Später wird er ein verstörter Mann, der seine Tochter Gerda roh verstößt. Die äußeren Bedingungen und ihre Folgen, die sich über Generationen wie Gift in die Gemüter legen, begründen Francesca Melandris Helden. Zwischendurch stellt sie sogar Fakten richtig, doch liest sich das mit derselben Spannung, wie wir am Ende gerührt sind, wenn Eva ihren „Ersatzpapa“ Vito am Sterbebett nach 30 Jahren wiedersieht und mit ihrer Mutter endlich ihren Frieden machen kann.
RUDOLF VON BITTER
Francesca Melandri: Eva schläft.
Aus dem Italienischen von Bruno Genzler. Wagenbach Verlag, Berlin 2018.
440 Seiten, 15,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Königskinder –
Francesca Melandris „Eva schläft“
Gerda ist eine Frau, bei deren Anblick sich bei allen die Pupillen weiten, bei den Männern vor Verlangen, bei den Frauen aus Bestürzung über den Kontrast zur eigenen Erscheinung. Vito ist der erste Mann, der respektvoll umgeht mit Gerda, einer alleinerziehenden Mutter im Südtirol der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Er ist einer der aus dem Süden in den Norden, nach Bozen versetzten Carabinieri, die mit den „Daitschen“ kaum etwas anfangen können. Die italienische Regierung in Rom betreibt massiv die Diskriminierung der Südtiroler, die mit teilweise blutigen Attentaten gegen die Walschen aufbegehren. Gerdas Bruder Peter ist bei einem Attentatsversuch ums Leben gekommen. Die Schwester eines Terroristen, dazu „so eine“, zu heiraten, hieße für Vito Dienstentlassung. Also werden sie im Unglück auseinandergehen.
All das erzählt Eva, Gerdas uneheliches Kind, auf ihrem Weg zu Vito, der ihr über Jahre hin ein Vater gewesen ist. Eva sieht die Welt offenbar wie die Autorin, die einen anderen Ton anschlägt als das Gros ihrer schreibenden Landsleute. Was sie erzählt, berührt empfindliche Punkte aus Italiens jüngerer Geschichte, hier die Italianisierung Südtirols, von der viele Südtiroler bis heute mit einem Unterton der Kränkung erzählen. Aber das merken wir zuerst einmal gar nicht: Es fängt an mit einem Bergbauernbub, der, bevor er sich auf den weiten Schulweg vom Almhof ins Dorf macht, noch einen großen Schluck kuhwarmer Milch aus dem Melkeimer trinken darf und sich dann erst auf der Mitte des Weges den Milchbart abwischt. Später wird er ein verstörter Mann, der seine Tochter Gerda roh verstößt. Die äußeren Bedingungen und ihre Folgen, die sich über Generationen wie Gift in die Gemüter legen, begründen Francesca Melandris Helden. Zwischendurch stellt sie sogar Fakten richtig, doch liest sich das mit derselben Spannung, wie wir am Ende gerührt sind, wenn Eva ihren „Ersatzpapa“ Vito am Sterbebett nach 30 Jahren wiedersieht und mit ihrer Mutter endlich ihren Frieden machen kann.
RUDOLF VON BITTER
Francesca Melandri: Eva schläft.
Aus dem Italienischen von Bruno Genzler. Wagenbach Verlag, Berlin 2018.
440 Seiten, 15,90 Euro.
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»Eine ergreifende Liebesgeschichte, ein packender Roman über Familien im Kampf mit Armut, Stolz und Vorurteilen und ein Porträt Südtirols und der historisch-politischen Bedeutung dieser wunderschönen Gegend.« Margarete von Schwarzkopf, NDR