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Ulrich Luz hat den 1985 erschienenen Matthäuskommentar völlig überarbeitet.

Produktbeschreibung
Ulrich Luz hat den 1985 erschienenen Matthäuskommentar völlig überarbeitet.
Autorenporträt
Ulrich Luz, geboren 1938 in Männedorf/Schweiz. Studium der Theologie in Zürich und Göttingen bei E. Schweizer, H. Conzelmann, W. Zimmerli und G. Ebeling. 1967 Promotion, 1968 Habilitation. 1970/71 Gastdozent an der International Christian University in Tokyo. 1972 - 1980 Professor für "Neues Testament" an der Universität Göttingen. Seit 1980 Professor für "Neues Testament" an der Universität Bern.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.2002

Mein Matthäus gehört mir

Kluge Autoren kennen beides: den Stolz auf ihre Arbeit und den Zweifel an der Wirkung ihres Werkes. Der Berner Theologe Ulrich Luz fragte sich 1989 im Vorwort zum zweiten Band seines Matthäuskommentars, ob irgend jemand das Buch vollständig lesen werde. Und er ließ ein tollkühnes Versprechen folgen: "Wer diesen Band, wie das für die matthäische Geschichte sein soll, von vorne bis hinten ganz durchgearbeitet hat, soll mir doch bitte ein Brieflein schicken. Sie oder er bekommt dann dermaleinst den dritten Band von mir geschenkt!" Als 1995 der verheißene Band herauskam, mußte Luz über siebzig Geschenkpakete zur Post tragen - und im Vorwort erklären, daß noch ein vierter Band folgen würde. Jetzt ist der wohl umfangreichste Matthäuskommentar aller Zeiten vollendet (Ulrich Luz: "Das Evangelium nach Matthäus". Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament, Band 1 in vier Teilbänden. Benziger Verlag, Düsseldorf, Zürich und Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 1985 bis 2002. Zusammen ca. 2040 S., Abb., br., 286,90 [Euro]). Doch nicht die Seitenzahl, sondern der Inhalt macht den Moment des Abschlusses zum Ereignis. Mit einer im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert beispiellosen Konsequenz wird hier die Auslegungs- und Wirkungsgeschichte des Textes in die Exegese einbezogen. Die historisch-kritische Methode, die über hundert Jahre lang geherrscht hat und auf deren Höhe auch Luz' Kommentar steht, beginnt mit diesem Opus magnum, die verschütteten Schätze der achtzehnhundertjährigen "vorkritischen" Bibelauslegung zu heben, ja sie fängt an, sich selbst historisch zu werden. Denn sie wird als Teil der Wirkungsgeschichte des Evangeliums sichtbar, ihre Defizite und ihre Vorzüge treten plastisch vor Augen. Das Niemandsland zwischen dem alten Text und seiner gegenwärtigen Interpretation wird wieder fruchtbar. Luz analysiert in historisch-kritischer Strenge Aufbau, redaktionelle Bearbeitung, Traditionen, Quellen und Motive jedes Abschnitts im Evangelium. Sein Werk ist alles andere als ein Salto mortale zurück in eine unkritische Schriftauslegung. Es geht um eine Erweiterung des Blicks. Die Theologen der ersten anderthalb Jahrtausende haben sich zwar Exegesen geleistet, bei denen sich jedem Philologen die Haare sträuben, doch - so zitiert Luz einen Aufsatz von Georg Picht - "wer wollte bestreiten, daß sie besser wußten, wovon die Rede ist, als wir?" Zum Beispiel, was die Passionsgeschichte betrifft. Die Kirche des Altertums und die Ostkirchen bis heute richten den Blick ganz auf die Herrlichkeit des auferstandenen Gottmenschen. Im lateinischen Mittelalter verlagert sich das Interesse auf den leidenden Menschen Jesus, mit dem man gleichförmig werden will. Die Reformatoren halten das für Werkgerechtigkeit, die sich den Himmel verdienen will, und setzen dagegen die Erkenntnis von Christi Heilstat "für mich". Es ist eindrucksvoll zu lesen, wie der Protestant Luz die mittelalterliche und damit auch die katholische Passionsfrömmigkeit als vertiefte Aneignung der göttlichen Gnade zu verstehen und zu schätzen lernt. Luz verwischt die Differenzen keineswegs. Er will die Vielfalt der Deutungen beleben und betont das nicht normierbare "Freiheitspotential" der biblischen Texte. Ihr Sinn sei nicht auf die ursprüngliche Bedeutung reduzierbar. Bibeltexte produzierten neuen Sinn in einer neuen Situation. Mit der protestantischen Annahme, die heilige Schrift interpretiere sich selbst und sei eindeutig, tut sich Luz darum schwer. Er möchte zeigen, daß Matthäus 16,18 ("Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen") in den ersten drei Jahrhunderten nicht auf ein Primat des Bischofs von Rom hin verstanden worden ist, hat aber Mühe, eine "päpstliche" Interpretation prinzipiell für illegitim zu erklären. Luz steht als Exeget jenem Zeitgeist oft sehr nahe, der fast alles gelten läßt und sich für nichts entscheiden kann. Aber eben darum bietet sich ein aufregendes Schauspiel: Das Meer der Tradition strömt ungehindert in die trocken gewordene Ebene der Schriftauslegung. Was mag dort künftig wachsen?

ROLAND KANY

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