• Gebundenes Buch

2 Kundenbewertungen

Als Gott den Garten Eden erschuf, dachte er sich ein grausames Szenario aus: Er schenkte Adam und Eva den Baum der Erkenntnis, verbot ihnen aber, von dessen Früchten zu kosten. Den Ungehorsam seiner Kinder bestrafte der Über-Vater mit schwerem Leid. Dieses Paradies, in dem Fügsamkeit als Tugend, Neugierde als Sünde und Unkenntnis von Gut und Böse als Idealzustand gelten, hat fatale Ähnlichkeiten mit dem, was am Anfang nahezu jeden Lebens steht und gemeinhin das "Paradies der Kindheit" genannt wird: Sobald ein Kind nicht die gottgleichen Gebote der Eltern befolgt, wird es bestraft, wenn nicht…mehr

Produktbeschreibung
Als Gott den Garten Eden erschuf, dachte er sich ein grausames Szenario aus: Er schenkte Adam und Eva den Baum der Erkenntnis, verbot ihnen aber, von dessen Früchten zu kosten. Den Ungehorsam seiner Kinder bestrafte der Über-Vater mit schwerem Leid. Dieses Paradies, in dem Fügsamkeit als Tugend, Neugierde als Sünde und Unkenntnis von Gut und Böse als Idealzustand gelten, hat fatale Ähnlichkeiten mit dem, was am Anfang nahezu jeden Lebens steht und gemeinhin das "Paradies der Kindheit" genannt wird: Sobald ein Kind nicht die gottgleichen Gebote der Eltern befolgt, wird es bestraft, wenn nicht gezüchtigt, und ihm obendrein eingeredet, dies alles sei nur zu seinem Besten. Was aber geschieht mit dem Zorn und dem Schmerz, die es unterdrücken muss, wenn es die psychische und physische Misshandlung auch noch als eine Wohltat annehmen soll? Frühe emotionale Erfahrungen hinterlassen im Körper Spuren, werden als Informationen kodiert und beeinflussen im Erwachsenenalter unsere Art zu d enken, zu fühlen und zu handeln, entziehen sich aber dem Bewusstsein. Daraus ergibt sich häufig ein Teufelskreis der Gewalt. Wie dieser durchbrochen werden kann, wie sich aus der emotionalen Kenntnis der eigenen Geschichte ein tieferes Bewusstsein ergibt, zeigt Alice Miller in ihrem neuen Buch. In Evas Erwachen klärt sie uns über die Ursachen unserer oft unverstandenen Gefühle auf und zeigt uns den Ausgang aus unserer unverschuldeten Unmündigkeit - zum Wohle der heutigen wie auch der künftigen Generationen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2001

Konrad, sprach der Herr Papa
Gespielte Unschuld: Alice Miller entdeckt Eva als ein Opfer von Kindsmißbrauch

Ein Unbekannter geistert am Vorabend des Ersten Weltkriegs durch den Briefwechsel der Psychoanalytiker Sándor Ferenczi und Sigmund Freud, der diesem am 2. Oktober 1912 schreibt: "Ich bin, kaum heimgekehrt, von der hier grassierenden Influenza befallen worden, die aber nur das Äußerliche des armen Konrad schädigen konnte." Ferenczi leitet im Gegenzug am 3. November 1912 eine Schilderung seiner Herzbeschwerden mit der Bemerkung ein: "Ich muß immer noch auch von meinem armen Konrad berichten." An der vorweihnachtlichen Sitzung der Wiener psychoanalytischen Gesellschaft kann er nicht teilnehmen: "Statt dessen muß ich jetzt die Weihnachten in meiner Stube verbringen und den armen Konrad mit heißen Umschlägen traktieren."

Tatsächlich ist der "arme Konrad" die personifizierte Überraschung darüber, daß der Körper in der dritten Person Singular ein Eigenleben führt, das sich der Berechenbarkeit durch die erste Person entzieht, der ungebetene Gast, den man bewohnt. Im Gegensatz zur Psychoanalyse, die dieses "verrückte" Verhältnis zwischen Selbstwahrnehmung und Körperempfinden nur als krankheitsbedingten Störfall zur Kenntnis nehmen wollte, hat Baruch de Spinoza daraus den umgekehrten Schluß gezogen und einen erstaunlichen Satz geprägt, der dem französischen Philosophen Gilles Deleuze zeitlebens keine Ruhe ließ: Wir wissen nicht, was unser Körper vermag.

Alice Miller ist zwar eine entschiedene Gegnerin des Freudschen Triebdualismus zwischen Eros und Thanatos, zwischen Lustprinzip und Todestrieb. In ihren Augen naturalisiert er den Widerstreit zwischen traumatisierenden Sozialisierungserfahrungen in der frühesten Kindheit und ihrer Verdrängung. Aber sie steht weit deutlicher in der Erbschuld des psychoanalytischen Körperbildes, als ihre Auflehnung gegen den biblischen Schöpfungsmythos in "Evas Erwachen" zu erkennen geben will, den sie verdächtigt, Fragen nach der eigenen Vergangenheit zu unterbinden und dadurch "Denkblockaden" zu errichten, die den Verkehr zwischen den Eltern- und Kindergenerationen in die falsche Richtung lenken.

Für Alice Miller ist der Körper im Gegensatz zu Spinoza kein Kräftebündel ungeahnter Vermögen, das unablässig auf der abenteuerlichen Suche nach neuen Verhältnissen zu Kräften ist, die seine eigenen Vermögen vervielfältigen und stärken, sondern ein "Speicher" von Informationen über die frühkindliche "Programmierung" durch die traumatisierende Abrichtung vom unschuldig geborenen Menschenkind zur wertvollen Stütze der Gesellschaft, die unter dieser Last versteinert und so das Trauma weitervererbt. Sie beruft ihn zum ebenso stummen wie quälenden Zeugen der verheerenden psychosomatischen Folgen, die Schläge in der Kindheit zeitigen, Folgen, die weder die Medizin noch die Psychotherapie, die Politik, der Strafvollzug, die religiöse Erziehung oder die biographische Forschung wahrnehmen wollen, gegen die sich Alice Miller ereifert.

Das ist das Betrübliche ihres Buches, das einerseits von der unleugbaren Tatsache des Kindsmißbrauchs rührt, andrerseits aber vom Umstand, daß dem Körper die Freude an seinen ungeahnten Vermögen in der bloßen Funktion als "Körpergedächtnis" und "Informationsspeicher" verwehrt bleibt. Auf der einen Seite also die gespielte Unschuld und Naivität, die sich mit Eva identifiziert und gegen Gottes Nötigung auflehnt, durch die Früchte vom Baum der Erkenntnis verführt zu werden, ohne davon essen zu dürfen; auf der anderen Seite die Mißachtung der schlichten diesseitigen Tatsache, daß der Apfel auch der eigenen Stärkung dienen könnte. Mag trotz der stilistisch ungelenken Wendungen sein, "daß nur Menschen, die selber geschlagen wurden, den Zwang dazu in sich verspüren (was nicht heißt, daß alle ihm nachgeben)". Doch erst wenn wir den ungeahnten Reichtum von Konrad respektieren, werden wir die Hand nicht mehr gegen ihn erheben.

MARTIN STINGELIN

Alice Miller: "Evas Erwachen". Über die Auflösung emotionaler Blindheit. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 185 S., geb., 34,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Martin Stingelin stellt uns Alice Miller als "entschiedene Gegnerin des Freudschen Triebdualismus" vor. Stingelin meint aber, Miller stehe doch "deutlicher in der Erbschuld des psychoanalytischen Körperbildes", als es diese "Auflehnung gegen den biblischen Schöpfungsmythos" zu erkennen gebe. Millers Konzept beschreibe den Körper als "Speicher von Informationen über die frühkindliche Programmierung", die "traumatisierende Abrichtung" zur "wertvollen Stütze der Gesellschaft". Stingelin scheint da abweichende Vorstellungen zu haben und auch hin und wieder Formulierungen für "stilistisch ungelenk" zu halten. Aber so richtig werden weder die Positionen des Buches klar, noch die Haltung des Rezensenten dazu.

© Perlentaucher Medien GmbH