Ein Zoologe und Evolutionsbiologe kommentiert mit Witz und Ironie das seltsame Verhalten der Menschen und nimmt die eigene tierisch-ernste Zunft der Wissenschaft gleich mit aufs Korn. 100 sonderbare Geschichten aus der Welt der Forschung erzählen, was wir gar nicht wissen wollen: Zum Beispiel, dass unser Geschenkverhalten zu Weihnachten exakt dem Ausmass der genetischen Verwandtschaft und evolutionären Fitness entspricht; dass eine 24-Millionen-Dollar Studie in den USA belegt, dass Beten statistisch nichts nützt, und dass auch Wissenschafter Humor haben, indem Sie einen Mutanten mit Balanceproblemen nach dem ersten Kosmonauten Jiri Gagarin benennen und Ken und Barbie Fliegenmutanten sind, die wie die gleichnamigen Puppen nicht nach ihrem Sex zu bestimmen sind.Der Band vereint die beliebte Handelsblatt-Kolumne Quantensprung, wobei wir auch immer gedacht haben, dass mit diesem Begriff eindeutiger Fortschritt und deutliche Verbesserung gemeint ist. In der Physik ist damit aber die kleinstmögliche Veränderung beim Wechsel von einem Zustand in den anderen gemeint . Dies und zahlreiche andere Enthüllung finden sich in dem unterhaltsamen Band: very sophisticated.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.06.2008Mutter Natur? Dass ich nicht lache
Eine Buchempfehlung für den Strand und für das Nachdenken von Abiturienten darüber, was reizvoll zu studieren wäre: Die Evolutions-Kolumnen des Konstanzer Biologen Axel Meyer.
VON JÜRGEN KAUBE
Bernhard Grzimek, Heinz Haber, Hoimar von Ditfurth - wer sich an Wissenschaft im Fernsehen vor dreißig, vierzig Jahren noch erinnert, dem fallen starke Unterschiede zu heutigen Sendungen auf. Sieht man vom rührigen Astrophysiker Harald Lesch auf "Bayern-alpha" einmal ab, so sind es nicht mehr Wissenschaftler oder wissenschaftsnahe Leute, die als Moderatoren vortragen, was Stand der Forschung ist. Vielmehr betrauen die Sender damit ein Personal, das nach seinem Aussehen ausgewählt wurde oder nach seiner Fähigkeit, die Augenbrauen hochzuziehen und die Augen aufzureißen, weil die Natur ja soooo verblüffend ist. Man meint, eine Sache interessant zu machen, indem man sie nach Kriterien der Showwelt einrichtet.
Der Konstanzer Biologe Axel Meyer fragt, ob die Reserve vieler Schüler gegenüber den Naturwissenschaften vielleicht auch damit zusammenhängt. Selbst Wissenschaftssendungen, so Meyer legen ihnen nahe, sich eher für Sensationsmilieus, Unterhaltung und Starkarrieren als für die Forschung zu entscheiden. In seinen jetzt gesammelten Kolumnen "Evolution ist überall", die zuerst im Düsseldorfer "Handelsblatt" erschienen sind, versucht Meyer, dem entgegenzuwirken. Er wirbt für das Studium der Biologie, für die biologische Forschung und für biologische Aufklärung. Aber nicht, indem er ihren Sensationsgehalt oder ihre Nützlichkeit anpreist. Meyer selber befasst sich vor allem mit der Entwicklungsgeschichte afrikanischer Buntbarsche, und auch viele der anderen Beispiele, die er für interessante Erkenntnisse gibt, werden sich nicht so leicht in Steigerungen des Bruttoszialprodukts umsetzen lassen: Es geht um das Aussterben der Elefantenvögel, um den Blutkreislauf des Marlins und um die Seegurke, um die Frage, wie Amseln Würmer finden, warum große Tiere länger als kleine leben und um das vermutliche Schrumpfen der Spatzen durch den Klimawandel.
Meyer ist aber auch kein Tierromantiker. Mutter Natur, ökologisches Gleichgewicht, Krone der Schöpfung - da kann er nur lachen. Er neigt zum entgegengesetzten Weltbild des Kampfes aller gegen alle, obwohl er, als Evolutionsbiologe auch mit Paarungsverhältnissen befasst, anerkennen muss, dass es außerdem noch den, mit Georg Simmel zu reden, "Kampf aller um alle" gibt. Und dann ist Leben, wie Meyer erklärt, auch noch Kooperation, der Mensch das Resultat einer urzeitlichen symbiotischen Bakterienhochzeit.
Wie viele Evolutionstheoretiker erlaubt sich Meyer also das urtümliche Vergnügen materialistischer Argumentation. Ob wohl die Attraktivität der Naturwissenschaften auch darum geschwunden ist, weil ihre polemische, gegen den Aberglauben und Vorurteile gerichtete Spitze in Vergessenheit geraten ist? Erscheint Wissen gar nicht mehr als aufklärende Macht gegen bloße Behauptungen über unsichtbare Dinge? Meyer jedenfalls polemisiert gern gegen Kreationisten, Philosophen - "Aristoteles lag grottenfalsch mit seinen Naturbeschreibungen, warum sollte dann viel von dem Rest stimmen?"- und Leute, die noch nie ein Labor von innen gesehen haben, sich aber wortreich melden, wenn es um Stammzellen oder Biologiestunden geht.
Manchmal leistet Meyer sich dieselbe Haltung und glaubt, dass Biologen die besseren Soziologen sind. Die Liebe beispielsweise, der Altruismus - zum Beispiel der evolutionär rätselhafte, dass wir in dieser Zeitung Kolumnen empfehlen, die in einer anderen erschienen sind -, die Moral, sie alle erscheinen dem Biologen vor allem als reine Zweckmäßigkeiten und Tauschgeschäfte im Überlebensspiel. Doch anders als die Schöpfungslehre oder der Glaube, dass Außerirdische das Mayagold gestohlen haben, lassen sich Meyers soziobiologische Thesen immerhin diskutieren.
Zwischen dem Lob der Fische und der Kritik der biologischen Unbildung schimpft Meyer auf die deutsche Wissenschaftspolitik - und mit guten Gründen: auf die Lethargie, mit der sie der Abwanderung von Begabungen ins Ausland zusieht oder darauf, dass sie diesen "brain drain" sogar noch fördert; auf die Begünstigung von Kommissionskarrieren; auf Stipendien für Chinesen; auf den Unsinn von Stiftungsprofessuren, die nicht auf Dauer eingerichtet sind. Meyer gehört zu den wenigen Forschern, die von einer Stelle an einer amerikanischen Universität nach Deutschland zurückgekehrt sind, aus dem Vergleich beider Hochschulsysteme zieht er viele Motive seiner Polemik.
Auf diese Weise entsteht ein recht komplettes Bild dessen, womit sich ein Wissenschaftler zu beschäftigen hat: mit der Wissenschaft, mit der Bürokratie, mit dem Unverstand und im Falle Meyers nicht zuletzt mit dem Verschwinden seiner Gegenstände, von den chinesischen Flussdelphinen bis zu den Australischen Lungenfischen. Denn was diese Kolumnen auch lesenswert macht, ist ihre Aufmerksamkeit auf das Artensterben und die zivilisatorische Verwüstung der Umwelt. Biologie ist heute auch eine Wissenschaft von Verlusten, eine mitunter nachgerade historische und politische Disziplin. Nicht zuletzt als Einladung für Abiturienten, die noch nicht wissen, was sie studieren sollen, ist dieses Buch darum hochgeeignet.
Axel Meyer: "Evolution ist überall", Böhlau Verlag, Wien 2008.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Buchempfehlung für den Strand und für das Nachdenken von Abiturienten darüber, was reizvoll zu studieren wäre: Die Evolutions-Kolumnen des Konstanzer Biologen Axel Meyer.
VON JÜRGEN KAUBE
Bernhard Grzimek, Heinz Haber, Hoimar von Ditfurth - wer sich an Wissenschaft im Fernsehen vor dreißig, vierzig Jahren noch erinnert, dem fallen starke Unterschiede zu heutigen Sendungen auf. Sieht man vom rührigen Astrophysiker Harald Lesch auf "Bayern-alpha" einmal ab, so sind es nicht mehr Wissenschaftler oder wissenschaftsnahe Leute, die als Moderatoren vortragen, was Stand der Forschung ist. Vielmehr betrauen die Sender damit ein Personal, das nach seinem Aussehen ausgewählt wurde oder nach seiner Fähigkeit, die Augenbrauen hochzuziehen und die Augen aufzureißen, weil die Natur ja soooo verblüffend ist. Man meint, eine Sache interessant zu machen, indem man sie nach Kriterien der Showwelt einrichtet.
Der Konstanzer Biologe Axel Meyer fragt, ob die Reserve vieler Schüler gegenüber den Naturwissenschaften vielleicht auch damit zusammenhängt. Selbst Wissenschaftssendungen, so Meyer legen ihnen nahe, sich eher für Sensationsmilieus, Unterhaltung und Starkarrieren als für die Forschung zu entscheiden. In seinen jetzt gesammelten Kolumnen "Evolution ist überall", die zuerst im Düsseldorfer "Handelsblatt" erschienen sind, versucht Meyer, dem entgegenzuwirken. Er wirbt für das Studium der Biologie, für die biologische Forschung und für biologische Aufklärung. Aber nicht, indem er ihren Sensationsgehalt oder ihre Nützlichkeit anpreist. Meyer selber befasst sich vor allem mit der Entwicklungsgeschichte afrikanischer Buntbarsche, und auch viele der anderen Beispiele, die er für interessante Erkenntnisse gibt, werden sich nicht so leicht in Steigerungen des Bruttoszialprodukts umsetzen lassen: Es geht um das Aussterben der Elefantenvögel, um den Blutkreislauf des Marlins und um die Seegurke, um die Frage, wie Amseln Würmer finden, warum große Tiere länger als kleine leben und um das vermutliche Schrumpfen der Spatzen durch den Klimawandel.
Meyer ist aber auch kein Tierromantiker. Mutter Natur, ökologisches Gleichgewicht, Krone der Schöpfung - da kann er nur lachen. Er neigt zum entgegengesetzten Weltbild des Kampfes aller gegen alle, obwohl er, als Evolutionsbiologe auch mit Paarungsverhältnissen befasst, anerkennen muss, dass es außerdem noch den, mit Georg Simmel zu reden, "Kampf aller um alle" gibt. Und dann ist Leben, wie Meyer erklärt, auch noch Kooperation, der Mensch das Resultat einer urzeitlichen symbiotischen Bakterienhochzeit.
Wie viele Evolutionstheoretiker erlaubt sich Meyer also das urtümliche Vergnügen materialistischer Argumentation. Ob wohl die Attraktivität der Naturwissenschaften auch darum geschwunden ist, weil ihre polemische, gegen den Aberglauben und Vorurteile gerichtete Spitze in Vergessenheit geraten ist? Erscheint Wissen gar nicht mehr als aufklärende Macht gegen bloße Behauptungen über unsichtbare Dinge? Meyer jedenfalls polemisiert gern gegen Kreationisten, Philosophen - "Aristoteles lag grottenfalsch mit seinen Naturbeschreibungen, warum sollte dann viel von dem Rest stimmen?"- und Leute, die noch nie ein Labor von innen gesehen haben, sich aber wortreich melden, wenn es um Stammzellen oder Biologiestunden geht.
Manchmal leistet Meyer sich dieselbe Haltung und glaubt, dass Biologen die besseren Soziologen sind. Die Liebe beispielsweise, der Altruismus - zum Beispiel der evolutionär rätselhafte, dass wir in dieser Zeitung Kolumnen empfehlen, die in einer anderen erschienen sind -, die Moral, sie alle erscheinen dem Biologen vor allem als reine Zweckmäßigkeiten und Tauschgeschäfte im Überlebensspiel. Doch anders als die Schöpfungslehre oder der Glaube, dass Außerirdische das Mayagold gestohlen haben, lassen sich Meyers soziobiologische Thesen immerhin diskutieren.
Zwischen dem Lob der Fische und der Kritik der biologischen Unbildung schimpft Meyer auf die deutsche Wissenschaftspolitik - und mit guten Gründen: auf die Lethargie, mit der sie der Abwanderung von Begabungen ins Ausland zusieht oder darauf, dass sie diesen "brain drain" sogar noch fördert; auf die Begünstigung von Kommissionskarrieren; auf Stipendien für Chinesen; auf den Unsinn von Stiftungsprofessuren, die nicht auf Dauer eingerichtet sind. Meyer gehört zu den wenigen Forschern, die von einer Stelle an einer amerikanischen Universität nach Deutschland zurückgekehrt sind, aus dem Vergleich beider Hochschulsysteme zieht er viele Motive seiner Polemik.
Auf diese Weise entsteht ein recht komplettes Bild dessen, womit sich ein Wissenschaftler zu beschäftigen hat: mit der Wissenschaft, mit der Bürokratie, mit dem Unverstand und im Falle Meyers nicht zuletzt mit dem Verschwinden seiner Gegenstände, von den chinesischen Flussdelphinen bis zu den Australischen Lungenfischen. Denn was diese Kolumnen auch lesenswert macht, ist ihre Aufmerksamkeit auf das Artensterben und die zivilisatorische Verwüstung der Umwelt. Biologie ist heute auch eine Wissenschaft von Verlusten, eine mitunter nachgerade historische und politische Disziplin. Nicht zuletzt als Einladung für Abiturienten, die noch nicht wissen, was sie studieren sollen, ist dieses Buch darum hochgeeignet.
Axel Meyer: "Evolution ist überall", Böhlau Verlag, Wien 2008.
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