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Der Wunsch nach ewiger Jugend ist so alt wie die Menschheit selbst. Seit Ende des 19. Jahrhunderts schien es möglich, diesen Traum zu erfüllen. Dabei standen sich zwei Verfahren gegenüber, die inhaltlich auf ganz unterschiedliche Konzepte verwiesen: Eine natürliche Verjüngung durch Gymnastik und naturheilkundliche Mittel versprach die dauerhafte Regeneration eines trainierten und gereinigten Körpers; eine künstliche Verjüngung mittels Chirurgie und Hormontherapie bot hingegen die "ewige Jugend" als Ware an. Als im Sommer 1920 die Zeitungen weltweit die wissenschaftliche Sensation verbreiteten,…mehr

Produktbeschreibung
Der Wunsch nach ewiger Jugend ist so alt wie die Menschheit selbst. Seit Ende des 19. Jahrhunderts schien es möglich, diesen Traum zu erfüllen. Dabei standen sich zwei Verfahren gegenüber, die inhaltlich auf ganz unterschiedliche Konzepte verwiesen: Eine natürliche Verjüngung durch Gymnastik und naturheilkundliche Mittel versprach die dauerhafte Regeneration eines trainierten und gereinigten Körpers; eine künstliche Verjüngung mittels Chirurgie und Hormontherapie bot hingegen die "ewige Jugend" als Ware an. Als im Sommer 1920 die Zeitungen weltweit die wissenschaftliche Sensation verbreiteten, dass der Wiener Physiologe Eugen Steinach die künstliche Verjüngung im Versuchslabor mittels Transplantation von jungen Hoden und Ovarien realisiert habe, war dies zugleich auch ein besorgniserregender Skandal. In den Folgejahren schien die künstliche Verjüngung konsumorientierte Menschen hervorzubringen. Anders argumentierten dagegen die Jugendbewegung und die neue Generation, die "Jugend"als ein durch Arbeit am Einzel- und Volkskörper zu erhaltendes Gut verkündeten. Im Nationalsozialismus wurde das Konzept der künstlichen Verjüngung von einem rassenhygienischen Selektionsprogramm abgelöst. Um die aktuelle Begeisterung für die Verjüngung zu verstehen - das ist das Leitmotiv dieser gut lesbaren und wissenschaftlich fundierten Darstellung - ist es notwendig, ihre spezifischen Ursprünge in der Krise der Moderne um 1900 v. a. für Berlin und Wien zu analysieren.
Autorenporträt
Stoff, Heiko
Heiko Stoff wurde mit dieser Studie an der Universität Hamburg promoviert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2004

Ey, Alter, mach hier nicht den Affen!
Da ging ihnen die Drüse: Heiko Stoff schildert die Kulturgeschichte der Verjüngungstechniken

Einer findet sich immer. Paris, 1889: Auf einer Sitzung der "Société de Biologie" verkündete der Neurologe und Physiologe Charles Édouard Brown-Séquard, daß er sich selbst einen Saft, gewonnen aus tierischen Hoden, injiziert habe. Er fühle sich jetzt dreißig Jahre jünger. Ade Alter. Brown-Séquard wurde zum Ahnherrn der Endokrinologie und der Hormontherapie und, so der Arzt Peter Schmidt 1928 in seinem Buch "Das überwundene Alter", zum "Vater des modernen wissenschaftlichen Verjüngungsgedankens". Nicht allen hilft der Tierhoden weiter. Schmidt zum Beispiel wurde nicht alt. Er überwand seine Depressionen nicht und erschoß sich 1930. Sechs Jahre vor seinem Selbstmord hatte er noch in einem englischen Gefängnis in Schanghai an Gefangenen Verjüngungsoperationen durchgeführt.

Einer fand sich auch in Österreich. Wien, 1920: Eugen Steinach, Vorstand der physiologischen Abteilung der Biologischen Versuchsanstalt der Akademie der Wissenschaften in Wien, hatte eine Verjüngungsmethode für den lebensunersättlichen Menschen gefunden. Er transplantierte Hoden beziehungsweise Ovarien, bestrahlte Eierstöcke mit Röntgenstrahlen. Am liebsten aber - das wird seine Spezialität - band Steinach Samenstränge ab. Eine Anekdote als Beweis der menschlichen Not und ärztlichen Rettung. Ein Fabrikant war müde. Einundfünfzig Jahre war er alt und trug seine Depression im Gesicht. Er hatte seinen Beruf an den Nagel gehängt und sich darauf zu Steinach begeben. Der legte den Unterleib frei und schritt zur Tat. Wochen später. Der Fabrikant jubelt. Ihm gehe es glänzend. Er könne im Geschäft wieder zupacken. Und privat: "Ich habe eine starken Drang zum Sexualverkehr und führe den Koitus dreimal pro Woche aus." Aufsehenerregende Leistungen beim Arzt und beim Patienten. Die wohlhabenden Alten schnupperten auf, sie rochen ihren zweiten, einen Steinachschen Frühling. Der verjüngte Fabrikant, der nun wieder dreimal in der Woche die Frau beglückte, zog in der Sommersaison 1920 als "Lustgreis" in die Cabarets, Variétés und Operettenbühnen ein. Die Methode bekam einen Namen: "steinachen" und sprach sich herum.

Sigmund Freud ging hin. Am 17. November 1923 beugte sich der Urologe Viktor Blum über den Psychoanalytiker. Freud hatte Krebs und hoffte, daß er durch diesen Eingriff dem wuchernden Geschwür Einhalt gebieten könnte. Vergebens. Der irische Dichter William Butler Yeats ging hin. Er wurde 1934 in London von dem australischen Sexologen Norman Haire nach Methode Steinach operiert und fühlte sich prompt besser. Steinach hatte auch Gegner. Die sagten, daß gesteinachte Patienten in Geisteskrankheit und Sexualwahn enden würden.

Die Geschichte der Verjüngung um die Jahrhundertwende ist abenteuerlich, aberwitzig und anekdotenreich. Medizin, Politik und Kultur vermengen sich zur Biopolitik - und die will die Herrschaft nicht über den Tod, sondern über das Leben. In dieser Schlinge baumelt das zwanzigste Jahrhundert. Heiko Stoff hat diese Geschichte in seinem materialreichen und gelehrten Buch mit dem Elan der Jugend, die aus der Schule der Diskurse kommt, erzählt und analysiert.

Zurück zum Unterleib. In den ersten Jahrzehnten des zwanzigste Jahrhunderts stritten sich Mediziner darüber, ob die Männlichkeit aus dem Samen oder aus den Zwischenzellen kommt. War's der Samen, bestand eine Verbindung zwischen Sexualität und Fortpflanzung. Waren es die Zwischenzellen, bestand keine Verbindung. Darauf wurde am Tier experimentiert und der Schluß auf die Zwischenzellen gezogen. Steinach war rechtzeitig zur Stelle und gab den Zwischenzellen erst einmal einen Namen: "Pubertätsdrüse". Die Folge: Der sexuelle Konsum, das Begehren, war nicht mehr an die sexuelle Produktivität, das Kindermachen, gebunden. Es freute sich darüber der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld, einer der frühen Anhänger Steinachs. Dessen Lehre von der Pubertätsdrüse bestätigte "wissenschaftlich" Hirschfelds Theorie der sexuellen Zwischenstufen als reinen Erscheinungen der Natur: Sexualität - das war eben doch mehr als der Fortpflanzungsakt zwischen Mann und Frau.

Nun hingen Leib und Seele des Menschen an einer Drüse. Der Geschlechtsunterschied, der Bau und die Vitalität, Entwicklung und Verfall des Körpers: sie lagen in der Hand von Hormonen, die von einer Drüse produziert wurde. Steinach dachte 1920, "ob es nicht möglich wäre, noch einmal im individuellen Leben die Wirkungen der Pubertätsdrüse auszulösen und wenigstens bis zu einer gewissen Grenze die Attribute und Äußerungen der Jugend wieder hervorzurufen". Die Drüse brauchte Hilfe: entweder durch die Transplantation einer fremden frischen Drüse oder durch die Vasoligatur, die Abbindung des Samenleiters, die dazu führe, daß die Drüse zu wuchern beginne. Der russische Arzt Samuel Abramowitsch Voronoff, der in Paris lehrte, konzentrierte sich auf die Transplantation: Er setzte Affenhoden in müde Männer ein.

Der Wille zur Jugend war auch in den Vereinigten Staaten am Werk. Der Gefängnisarzt des California State Prison "San Quentin" experimentierte an Häftlingen mit den Hoden hingerichteter Häftlinge und mit Tierhoden. Die Häftlinge sollen sich für diese Versuche freiwillig gemeldet haben. Auch weibliche Häftlinge willigten in Hormontherapien ein.

Zuerst riefen Stimmen in den "transatlantischen Gesellschaften": Wir altern zu früh, wir sterben ja, bevor wir unsere Aufgabe auf Erden erfüllt haben. Dann riefen Deutsche: Schaut, das deutsche Volk vergreist. Die Geburtenrate ging zurück. Die Familienplanung pendelte sich bei einem Zwei-Kinder-System ein. Dabei blieb es nicht. Man raunte vom kulturellen Verfall, sprach von Degeneration und redete sich ein, der gesellschaftliche Organismus sei krank. Die Vorstellung vom Opa in Ehren, bei dem Weisheit und Güte sich paaren, zerstob. Die Verfechter einer neuen Arbeitsideologie schubsten die Alten ohne Rücksicht von der Bank: Wer sechzig sei, der habe gesellschaftlich keinen Nutzen. Die Nationalsozialisten ahnten darin eine Gemeinschaftsflucht der Alten aus dem Volkskörper und erklärten: Kein Mensch habe das Recht, "sich alt zu fühlen oder als alt zu gebärden", der nicht fünfundsiebzig Jahre sei. Alt sah jetzt aus, wer sich nicht "fit" hielt.

Die Jugend: Sie war die Metapher der Moderne. Die Biologie übersetzte die Metapher ins Leben. Am Anfang rauscht die Pubertät, am Ende wartet das Klimakterium. Wenn die Geschlechtsdrüse verfällt, verfällt der Mensch. Der Jugendwahn in den Vereinigten Staaten fand in Deutschland auch heftige Kritiker. Man rügte die amerikanische Großmutter "mit dem Bubikopf und den kniefreien Röcken, die alternde Frau, die ihr faltiges Gesicht mit einem ganzen Arsenal von Schminke, Emaille usw. wieder herrichtet und sich lächerlich macht in dem Bestreben, für die jüngere Tochter ihrer Schwester gehalten zu werden". Die Kritiker schauten sich schaudernd daheim um: Das deutsche Volk sei restlos amerikanisiert, der deutschen Kultur drohe eine Verweiblichung. Hans Blüher stieß ins Horn und polierte am Leitbild für die neue Jugend: ein Bund aus Kameraden schmiedend, die im besten Falle Helden seien. Die Idee einer "jungen Generation" okkupierten schließlich die Nationalsozialisten. Die Kommunisten sahen verständnislos zu. Das Jungsein hatte in ihrer Klassentheorie keinen eigenständigen Wert. Der Irrsinn einer deutschen Verjüngung im Sinne der Nationalsozialisten erfüllte sich schließlich, so Heiko Stoff, mit der Ermordung der Juden.

Den Verfechtern der künstlichen Verjüngung standen die Freunde der natürlichen Verjüngung gegenüber. Die Naturheilkundler empfahlen Gymnastik und prüften die natürlichen Nährstoffe. Sie setzen auf die Einsicht ins Gesunde und auf die Selbstdisziplin. Die Moderne mache den Menschen mit ihrem Theater, mit den Zeitungen, dem Straßenverkehr und so weiter, mit ihrer ganzen Kopflastigkeit völlig verrückt. Die Vollschlanke kehrte zurück, stellte sich selbstbewußt vor den gesunden Mann und drängte die dürren Modepuppen der maroden Moderne beiseite: Sie sei das Symbol einer Zeit, die zur Vernunft komme, mit ihr beginne die Rückkehr zum Weibe in der Frau: "Der Schrei nach dem weiblichen Weibe ist bekundeter Fortpfanzungswille, ist Schrei nach der Mutter, ist Verzicht auf den Spielkameraden ,Girl' genannt." So 1930 in "Die Aufklärung. Monatsschrift für Sexual- und Lebensreform".

Der Wahn legte manchen Gehirn nahe, die Fortpflanzung unter die eugenische Prämisse zu stellen, einen höheren, einen gesünderen Menschen zu schaffen. Ärzte sahen Chancen. "Mit der Erfassung der Charakterzugehörigkeit zu einer bestimmten Hormondrüse ist die Möglichkeit gegeben, die Persönlichkeit eines Mernschen von Grund auf zu wandeln, durch jeweils gebotene Hormoninjektionen einen neuen, besseren, lebenstauglicheren Charakter zu bestellen", stand in der Zeitschrift "Figaro". Mit Hormonspritzen also raus aus dem Schlamassel einer Kultur, in der nicht einmal Mann und Frau auf ihren angestammten Plätzen wachten. Die Vereinigten Staaten schienen die Nase wieder einmal vorn zu haben. Der Verjüngungsarzt Peter Schmidt hatte in seinem Buch über "Das überwundene Alter" aus Amerika berichtet, daß dort ein Gesetz existiere, das "die Sterilisation von Verbrechern, Geisteskranken, Süchtigen usw. anordnet". Die Zahl der nach Gesetz sterilisierten Geisteskranken und Verbrecher ginge in mehreren Staaten im Laufe von drei Jahrzehnten - in die Zehntausende.

EBERHARD RATHGEB

Heiko Stoff: "Ewige Jugend". Konzepte der Verjüngung vom späten neunzehnten Jahrhundert bis ins Dritte Reich. Böhlau Verlag, Köln 2004. 555 S., br., 54,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Es klingt vielleicht unappetitlich, aber Abbindung des Samenleiters, Transplantation von Affenhoden und Bestrahlung von Eierstöcken waren in den Wissenschaften einst populäre Verjüngungstechniken. "Abenteuerlich, aberwitzig und anekdotenreich" findet Rezensent Eberhard Rathgeb denn auch die Geschichte der Verjüngung um die Jahrhundertwende, der Heiko Stoff in seinem Band über "Konzepte der Verjüngung vom späten neunzehnten Jahrhundert bis ins Dritte Reich" nachgeht. Der Autor schildere, wie sich Medizin, Politik und Kultur zur Biopolitik vermengten, der es um die Herrschaft über das Leben ging, und die dazu auch die Fortpflanzung unter die eugenische Prämisse stellte, einen höheren, einen gesünderen Menschen zu schaffen. Jugend erscheine als Metapher der Moderne, die von der Biologie ins Leben übersetzt worden sei. Rathgeb lobt das Werk als "materialreich", "gelehrt" und "mit dem Elan der Jugend, die aus der Schule der Diskurse kommt, erzählt und analysiert".

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