Volker Gerhardt, seit 1992 Professor für Philosophie an der Berliner Humboldt-Universität, Koordinator der Akademieforschung in der Bundesrepublik Deutschland und Mitglied zunächst des Nationalen, dann des Deutschen Ethikrates legt hier die Sammlung seiner seit 1999 erschienen Merkur-Aufsätze vor. Sie behandeln Grundsatzfragen der Philosophie, der Politik und der Ethik - ausgehend von aktuellen Fragen der öffentlichen Diskussion. Die Aktualität hat sich bislang noch in keinem Punkt erledigt, zumal der Autor im Vor- und im Nachwort seine umstrittenen Positionen zur Bioethik und zur internationalen Politik erläutert. In der Einleitung wird erklärt, dass sich alle Beiträge einer existenziellen Erfahrung verdanken, die in der Methode des exemplarischen Denkens auch für andere erschlossen wird. So wird verständlich, wie nahe selbst die größte philosophische Abstraktion dem Ausgangspunkt des philosophischen Denkens - der sinnlichen Erfahrung und der konkreten Problembewältigung - ist.Das exemplarische Denken bewegt sich im Medium des Allgemeinen, bezieht aber seine ganze Beweiskraft aus der Gegenwart des Individuellen, die nur für Individuen Bedeutung hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.01.2009Erfolgsorientiert
Volker Gerhardt sieht die Vernunft bedroht. Von Rousseau über den Positivismus, den Marxismus, die Hermeneutik bis hin zu den Kulturwissenschaften führe eine Linie des Bestrebens, die philosophischen Ideen an sozio-historische Kontexte zurückzubinden und so ihres universellen Anspruchs zu berauben. Dagegen möchte Gerhardt mit rhetorisch versierten Interventionen zeigen, dass man auch in gegebenen Zusammenhängen von Wahrheit, Glaube, Recht, Person, Menschheit oder Menschenrecht sprechen kann. Das Konkrete, Sachbezogene, Aktuelle, Existentielle, Exemplarische ist freilich nicht ganz offenbar, wenn Aufsätze Nietzsche als Provokateur bezeichnen, in dessen Vernunftkritik aber doch viel Vernunft stecke, Hegel als Autor von hohem Rang, stilistischer Prägnanz und eigenem Denken ausweisen oder gar in simpelster sozio-historischer Kontextualisierung Heideggers Spätwerk als einen Entnazifizierungsversuch entlarven. Andere Aufsätze handeln ganz traditionell von der Realität der Außenwelt und dem Zusammenhang von Wahrheit und Existenz und betreiben das Projekt eines anthropologisierten Kantianismus. Wo Gerhardt sich aber auf die Gegenwart einlässt, argumentiert er durchgängig für den Fortschritt. Er spottet über die rechtlichen Bedenken der Deutschen gegen die Kriege in Afghanistan und im Irak, über die apokalyptischen Ängste angesichts der Überbevölkerung und des Klimawandels, über die verbreitete Hilflosigkeit angesichts der Gen- und Nanotechnologien und vor allem über den biopolitischen Fundamentalismus, der im Namen des ungeborenen Lebens die Lebenden beschränkt. "Es wäre töricht, das neue Lebenschancen freisetzende Zusammenspiel zwischen Mensch und Natur ausgerechnet jetzt für beendet zu erklären." Worum es bei Gerhardt einzig geht, scheint es, ist der Erfolg. (Volker Gerhardt: "Exemplarisches Denken". Aufsätze aus dem Merkur. Wilhelm Fink Verlag, München 2009. 332 S., br., 29,90 [Euro].) gf.
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Volker Gerhardt sieht die Vernunft bedroht. Von Rousseau über den Positivismus, den Marxismus, die Hermeneutik bis hin zu den Kulturwissenschaften führe eine Linie des Bestrebens, die philosophischen Ideen an sozio-historische Kontexte zurückzubinden und so ihres universellen Anspruchs zu berauben. Dagegen möchte Gerhardt mit rhetorisch versierten Interventionen zeigen, dass man auch in gegebenen Zusammenhängen von Wahrheit, Glaube, Recht, Person, Menschheit oder Menschenrecht sprechen kann. Das Konkrete, Sachbezogene, Aktuelle, Existentielle, Exemplarische ist freilich nicht ganz offenbar, wenn Aufsätze Nietzsche als Provokateur bezeichnen, in dessen Vernunftkritik aber doch viel Vernunft stecke, Hegel als Autor von hohem Rang, stilistischer Prägnanz und eigenem Denken ausweisen oder gar in simpelster sozio-historischer Kontextualisierung Heideggers Spätwerk als einen Entnazifizierungsversuch entlarven. Andere Aufsätze handeln ganz traditionell von der Realität der Außenwelt und dem Zusammenhang von Wahrheit und Existenz und betreiben das Projekt eines anthropologisierten Kantianismus. Wo Gerhardt sich aber auf die Gegenwart einlässt, argumentiert er durchgängig für den Fortschritt. Er spottet über die rechtlichen Bedenken der Deutschen gegen die Kriege in Afghanistan und im Irak, über die apokalyptischen Ängste angesichts der Überbevölkerung und des Klimawandels, über die verbreitete Hilflosigkeit angesichts der Gen- und Nanotechnologien und vor allem über den biopolitischen Fundamentalismus, der im Namen des ungeborenen Lebens die Lebenden beschränkt. "Es wäre töricht, das neue Lebenschancen freisetzende Zusammenspiel zwischen Mensch und Natur ausgerechnet jetzt für beendet zu erklären." Worum es bei Gerhardt einzig geht, scheint es, ist der Erfolg. (Volker Gerhardt: "Exemplarisches Denken". Aufsätze aus dem Merkur. Wilhelm Fink Verlag, München 2009. 332 S., br., 29,90 [Euro].) gf.
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