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Roberto Bolano, in Chile geboren, in Mexiko aufgewachsen, in Spanien zu literarischem Weltruhm gelangt und früh gestorben, ist so etwas wie der Fliegende Holländer Lateinamerikas: Wie wenige hat er das Exil kennengelernt - und sich dazu unsentimentale Gedanken gemacht. Sie bilden den roten Faden dieser Fragmente zur Autobiographie eines Umhergetriebenen. Das Lied vom traurigen Latino, der im kalten Exil die warme Heimat besingt (wo Mord und Totschlag herrschen) hat dieser Autor nie mitgesungen. Bolano ist sein Leben lang durch die Welt gereist, gezwungen, freiwillig, immer aber mit äußerster…mehr

Produktbeschreibung
Roberto Bolano, in Chile geboren, in Mexiko aufgewachsen, in Spanien zu literarischem Weltruhm gelangt und früh gestorben, ist so etwas wie der Fliegende Holländer Lateinamerikas: Wie wenige hat er das Exil kennengelernt - und sich dazu unsentimentale Gedanken gemacht. Sie bilden den roten Faden dieser Fragmente zur Autobiographie eines Umhergetriebenen. Das Lied vom traurigen Latino, der im kalten Exil die warme Heimat besingt (wo Mord und Totschlag herrschen) hat dieser Autor nie mitgesungen. Bolano ist sein Leben lang durch die Welt gereist, gezwungen, freiwillig, immer aber mit äußerster Intensität. In diesen Artikeln, Essays und Reisebildern kann man nachlesen, wie krumm die Wege waren, auf denen er zum Herold der lateinamerikanischen Gegenwartsliteratur wurde.
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Autorenporträt
Roberto Bolano, geboren 1953 in Chile, starb 2003 in Barcelona. Sein Ruhm begann mit den Romanen "Die Nazi-Literatur in Amerika" und "Stern in der Ferne" (beide Kunstmann Verlag). Mit dem Roman "Die wilden Detektive" (Hanser Verlag), für den er den höchsten lateinamerikanischen Literaturpreis Premio Romulo Gallegos erhielt, hat er die Gegenwartsliteratur des Kontinents auf einen neuen Weg gebracht. Zuletzt erschienen die Erzählungen "Der unerträgliche Gaucho" (Kunstmann Verlag) und der Roman "Chilenisches Nachtstück" (Hanser Verlag).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2008

Letzte Ausfahrt Nobelpreis

Adam und Eva waren die ersten Exilanten: Der chilenische Romancier Roberto Bolaño legt postum seine Autobiographie vor - feinste Schwindelliteratur.

Ich bin sicher, dass ich ihn nicht bekommen werde", antwortete Roberto Bolaño im Juli 2003 einer mexikanischen "Playboy"-Redakteurin auf die Frage nach dem Literaturnobelpreis. Und fügte hinzu: "Genauso wie ich sicher bin, dass irgendein Strolch aus meiner Generation ihn garantiert bekommt und mich in seiner Stockholmer Rede nicht einmal nebenbei erwähnt." Mit seiner Prophezeiung sollte Bolaño für immer recht behalten. Drei Tage nach der Veröffentlichung des Interviews nämlich war er tot.

Dem Autor war sein schlechter Gesundheitszustand so sehr bewusst wie die Tatsache, dass er sich auf dem besten Wege befand, von einem Nischenautor zum literarischen Latino-Weltstar zu werden, so wie in den vorausgehenden Generationen Figuren wie García Márquez und Vargas Llosa. Sorgte seine Anthologie fiktiver Schriftstellerbiographien mit dem Titel "Die Naziliteratur in Amerika" bei der Kritik (speziell in Deutschland) oft noch für verlegenes Kopfschütteln, wurde er plötzlich mit Auszeichnungen wie dem prestigereichen Rómulo-Gallegos-Preis überhäuft. Skurril ausgedrückt, war der frühe Tod des Autors auch eine ganz spezielle Methode, die Rolle des Großschriftstellers zu subvertieren, die seinem Selbstverständnis diametral entgegenstand.

Diese Mutmaßung zumindest äußert Heinrich von Berenberg, Übersetzer, Herausgeber und Verleger Bolaños, wenn er sich dessen Schriften und Aufzeichnungen nähert, die am Wegrand der großen Romane entstanden, darunter auch das besagte letzte Interview. Berenbergs Ziel ist es, "aus den verstreuten Artikeln, Essays und Feuilletons, die sich nach seinem Tod im Nachlass und in den verschiedensten Zeitungen und Zeitschriften fanden, ein literarisches Lebensbild zu skizzieren". Greifbar wird so die Person eines Autors, der jeder Kanonisierung, jeder Klassifizierung, jeder Biographie in ebenso ingeniöser wie witziger Weise sich zu entziehen wusste.

Mit Bedacht gewählt ist insofern der Titel des Bandes: "Exil im Niemandsland. Fragmente einer Autobiographie", eine paradoxe Flucht nach vorn. Denn nicht nur, dass Bolaño von Autobiographien wenig hielt: "Ich habe nichts gegen Autobiographien, solange der, der sie schreibt, einen dreißig Zentimeter langen aufgerichteten Schwanz hat", vermerkt er in einem der Fragmente, das den bezeichnenden Titel "Varianten der Verbrecherliteratur" trägt. Auch für das vielbeschworene Martyrium des Exils und für die Spezies des in Europa heimwehkranken und kälteschnatternden lateinamerikanischen Exilanten hat er nicht viel mehr als Spott übrig.

Obwohl er selbst nur knapp dem Schicksal des "Verschwindens" nach dem Putsch Pinochets entrann und als Exilant im katalanischen Blanes einen Unterschlupf fand, ist für Bolaño das Exil in Wahrheit ein Lebenselixier. "Alle Literatur trägt das Exil in sich", proklamiert er, als er sich in einer öffentlichen Rede zum Exil äußern soll. Und: "Wahrscheinlich waren Adam und Eva die ersten Exilanten, von denen man gehört hat." So betrachtet, ist das titelgebende Niemandsland nicht nur Bolaños Exilort, sondern vielmehr seine eigentliche Heimat. Während autochthonere Gemüter den postkolonialen Stolz auf "Unser Amerika" predigen oder gar zur "bolivarianischen" Revolution blasen, macht sich Bolaño provokant zum Nestbeschmutzer: "Das Beste an Lateinamerika sind unsere Selbstmörder", verkündet er, während das mittelmäßige Gros der Intellektuellen insgeheim nur ein Ziel besitze: "an einer Universität irgendwo im mittleren Westen der Vereinigten Staaten zu unterrichten, so wie es früher das Ziel war, auf Kosten neostalinistischer Mäzene zu reisen".

Dergleichen messerscharfe und zuweilen unbändig komische Aphorismen haben dem Chilenen den Ruf des Enfant terrible der lateinamerikanischen Literatur eingebracht. Auch die in der vorliegenden Sammlung vereinten Miniaturen lassen Bolaño als Querdenker erscheinen. Neben Einblicken in seine literarischen Obsessionen in Form von wundervollen kleinen Essays über Borges, Swift oder Lichtenberg gestatten die Texte auch, nach und nach den Lebenslauf des Autors zu rekonstruieren - stets mit dem Risiko, einer von ihm selbst gelegten falschen Fährte zu folgen. Ob Bolaño wirklich im Jahre 1973 nach Chile kam, um dort Revolution zu machen, ob er tatsächlich als heroinsüchtiger Flüchtling nach Spanien kam und sich dort einer Methadontherapie unterzog, wie das Fragment "Strand" vermuten lässt, oder ob dies alles von Bolaño maliziös gestreute Legenden sind, ist eigentlich zweitrangig. Denn was seine Literatur so authentisch macht, ist die Gratwanderung zwischen Wahrem und Erfundenem.

Gerade der Schwindel (im doppelten Wortsinne), den die sich auftuenden Abgründe verursachen, macht den Reiz seines Schaffens aus. Diese Atmosphäre einzufangen gelingt der kleinen Antiautobiographie mit ihren sorgfältig ausgewählten und präzise übersetzten Fragmenten vortrefflich. Sie eignet sich bestens als Einführung in Bolaños Werk. Den vom Bolaño-Virus schon lange Infizierten dagegen wird das Buch zumindest die lange Wartezeit bis zur heißersehnten deutschen Fassung von Bolaños Mammutroman "2666" ein wenig versüßen.

FLORIAN BORCHMEYER

Roberto Bolaño: "Exil im Niemandsland". Fragmente einer Autobiographie. Aus dem Spanischen übersetzt von Kirsten Brandt und Heinrich v. Berenberg. Berenberg Verlag, Berlin 2008. 157 S., geb., 19,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die nach dem Tod von Roberto Bolano zusammengesetzte Autobiografie ist eigentlich eine "Antiautobiografie" meint Rezensent Florian Borchmeyer, da sich Bolano zeitlebens immer schon jeglicher Kategorisierung und Niederschreibung entzogen habe. Dennoch war Borchmeyer dankbar über dieses "literarische Lebensbild", das Bolanos Widerstrebungen zum Trotz versucht, seine Person einzufangen. Es befinden sich viele Schriftstücke und Aufzeichnungen, aber auch Interviews in dem Band, die zusammen den Ruf Bolanos als "Enfant terrible" und "Querdenker" bestätigen, resümiert der Rezensent. Bolano sei ein Nonkonformist gewesen, der eigentlich nur im Exil, also einem Niemandsland und in der Literatur zuhause war. Das Leben und die Aussagen des chilenischen Schriftstellers, der gerne mit Beschuldigungen um sich warf und eine große Abneigung gegen obsessive Wahrheitsfindung hegte, errege vor allem "Schwindel im doppelten Wortsinne", also Unwahrheit und Unfassbarkeit zugleich. So gebe er zum Beispiel vor, 1973 nicht die chilenische Revolution miterlebt, sondern eine Heroinsucht in Spanien auskuriert zu haben. In die Irre führen ließ sich Borchmeyer gerne und empfiehlt das Buch als gut geeignete Einführung in das Werk des Schriftstellers.

© Perlentaucher Medien GmbH