Wien, 1950er Jahre: Jeden Donnerstag treffen sich bei Theophil Kanakis Künstler, Schauspielerinnen, Journalisten. Von den Verfolgungen der Kriegszeit spricht hier keiner; neu beginnen will auch Kuno Adler, jüdischer Wissenschaftler, zurückgekehrt aus dem Exil. Er hofft, seine Arbeit dort weiterführen zu können, wo er sie verlassen musste. Aber er trifft auf Ausflüchte, Geringschätzung und Feindseligkeit. Und da ist Marie-Theres, das Mädchen aus Amerika. Sie gerät in ein Milieu voller moralischer Zweideutigkeit und geht an ihrer eigenen Arglosigkeit zugrunde. De Waals Roman ist vieles zugleich: scharfsichtiges Sitten- und Zeitporträt, Milieuschilderung und elegischer Abgesang.
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Süddeutsche ZeitungDie Ringstraßen-Parabel
„Alles ganz offen, offiziell und legal“: Elisabeth de Waal porträtiert in ihrem Roman „Donnerstags
bei Kanakis“ das Wien der Nachkriegszeit – und die Profiteure der Enteignung jüdischen Besitzes
VON LOTHAR MÜLLER
Kürzlich ist der überaus aktuelle Roman einer vor gut zwanzig Jahren in hohem Alter verstorbenen Autorin erschienen, die keine Schriftstellerin war. Ganz unbekannt aber ist die Verfasserin nicht. Elisabeth de Waal gehört zu den markantesten Figuren in dem Buch „Der Hase mit den Bernsteinaugen“, das ihr Enkel, der Londoner Töpfer und Professor für Keramik, Edmund de Waal, im englischen Original 2010 publiziert hat. Die deutsche Ausgabe erschien 2011 .
De Waal erzählt darin im Blick auf die verschlungenen Wege von japanischen Miniaturschnitzereien aus Holz und Elfenbein, die er geerbt hat, die Geschichte seiner weitverzweigten Herkunftsfamilie, der jüdischen Bankiers Ephrussi, zwischen Odessa und St. Petersburg, Paris, London und Wien vom 19. Jahrhundert bis in die Zeit nach dem Weltkrieg. Als Kind der Eheleute Viktor und Emmy von Ephrussi wurde Elisabeth de Waal 1899 in Wien geboren. Der Vorname, den sie erhielt, war eine Reverenz an die Kaiserin Elisabeth, die im Vorjahr in Genf von einem italienischen Anarchisten ermordet worden war.
Dass die Ephrussis ihren Kindern Namen aus der österreichischen Herrscherfamilie gaben, ist eines der Details, das sie als Teil der assimilierten jüdischen Großbürgerschicht im Wien des Fin de Siècle ausweist. Das noch heute existierende Palais Ephrussi nahe der Universität an der Ringstraße war das steinerne Zeichen des Aufstiegs der Familie im späten 19. Jahrhundert. Im Buch ihres Enkels gerät Elisabeth von Ephrussi, die in diesem Palais aufwuchs und 1929 Henk de Waal heiratete, den Sohn einer Amsterdamer Kaufmannsfamilie, früh in den Bann der Literatur und der Wissenschaften.
Sie erhält Privatunterricht von Lehrern des nahen Schottengymnasiums, einer der angesehenen Schulen für Knaben, legt als Externe die Matura ab und studiert dann Philosophie, Jura und Wirtschaft; ihre Gedichte schickt sie 1921 an Rainer Maria Rilke, der zurückschreibt und sie unter seine Korrespondentinnen einreiht. 1924 legt sie das Doktorexamen in Jura ab, in den Dreißigerjahren lebt sie in Paris, später in Tunbridge Wells in der Grafschaft Kent in England. Sie stirbt 1991.
In Edmund de Waals Buch ist seine Großmutter die Schlüsselfigur der Exilgeschichte der Familie. Sie ist es, die 1938 nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland nach Wien zurückkehrt, um den gefährdeten Eltern beizustehen, sie ist es, die nach dem Tod der Mutter im Oktober 1938 den Vater nach England holt, sie ist es, die im Dezember 1945 für einige Zeit nach Österreich zurückkehrt, um – trotz ihres juristischen Sachverstandes weitgehend vergeblich – vom Familienbesitz zu retten, was noch zu retten ist. Auf diese Rückkehr geht das in den späten Fünfzigern verfasste Typoskript zurück, das ihr Enkel im vergangenen Jahr im englischen Original unter dem Titel „The Exiles return“ publiziert hat und das nun auf deutsch „Donnerstags bei Kanakis“ heißt .
Eine der Hauptfiguren ist der jüdische Wissenschaftler Kuno Adler, der 1954, kurz vor Abschluss des Staatsvertrages über den Abzug der alliierten Besatzung und die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität Österreichs aus dem ungeliebten amerikanischen Exil in seine Heimatstadt Wien zurückkehrt. An ihm, dem hochqualifizierten Erforscher der Struktur von Hormonzellen, zeigt der Roman die Innenwelt des zurückgekehrten Emigranten, dem im Zug an der Grenze zwischen der Schweiz und Österreich angstvoll das Herz klopft und dessen Misstrauen, in der Nachkriegsgesellschaft unerwünscht zu sein, reichlich Nahrung findet.
Das Reparationsgesetz, liest man es richtig, erlaubt es, ihm nur eine mindere Anstellung zuzugestehen und ihm einen unverbesserlichen Nationalsozialisten als Chef vor die Nase zu setzen. Die Antiquitätenhändler und Immobilienmakler sind wichtige Nebenfiguren: Sie verwalten Häuser oder handeln mit Bildern und anderen Kunstwerken, deren Herkunft aus ehemals jüdischem Besitz so wahrscheinlich ist, dass sie sich unverfängliche Provenienzgeschichten zurechtgelegt haben: „Ich habe die Bilder im Auktionshaus erworben, ebenso wie die meisten Sachen, die Sie in diesem Raum sehen. Alles ganz offen, offiziell und legal, sehen Sie.“
Diesen Strang des Romans hat Elisabeth de Waal mit der Bitterkeit ihrer eigenen Erfahrung des Hingehaltenwerdens und der juristischen Komplikationen beim Kampf um den Familienbesitz der Ephrussis durchtränkt. Sie wollte sich aber offenbar mit dieser Facette, der Rückkehr in das Wien der Nachkriegsgesellschaft nicht begnügen. Denn sie hat ihrem Manuskript die Form eines Gesellschaftsromans gegeben, der ein ganzes Tableau von Figuren – und in ihnen die Liebe und die sozialen Schichten, die Geschäfte und die Hochzeiten – locker miteinander verknüpft.
Da ist, zum Beispiel, Theophil Kanakis, der in Amerika reich gewordene Ästhet und alternde homosexuelle Lebemann. Er entstammt der alten griechischen Bevölkerungsschicht Wiens, sein stets am Donnerstag stattfindender Salon gibt dieser deutschen Ausgabe des Romans den Titel. Da ist die verarmte katholische Prinzessin, die sich als Laborassistentin durchschlägt und mit dem Heimkehrer Kuno Adler eine zart melodramatischer Liebesgeschichte erlebt. Da ist der jesuitische Pater, der streng über die Moral der katholischen Prinzessin wacht und ihr notfalls die Hölle heißmacht, aber wenig Skrupel hat, wenn es gilt, die besseren Kreise durch eine ausgefeilte Vertuschungstechnik vor einem öffentlichen Skandal zu schützen.
Und da ist die naive achtzehnjährige Marie-Therese, als Kind einer österreichischen Aristokratin und eines dänischen Chemikers in Amerika aufgewachsen, die ihre Eltern zur Selbstfindung zu den österreichischen Verwandten nach Europa geschickt haben. Ein junger Sozialist aus den unteren Klassen wird sie umwerben, in einen jungen zynischen Sprössling des Wiener Adels wird sie sich verlieben und ihr europäisches Abenteuer nicht überleben.
Es überlebt aber die Form des Gesellschaftsromans und seine Erzählerstimme, die alle Fäden in der Hand hält und Innenwelten nur so weit ausleuchtet, wie es das Gesamttableau erlaubt. Elisabeth de Waal war klug genug, als Romanautorin nicht mit ihrer Lektüre konkurrieren zu wollen: mit den Erzähltechniken, die in Rilkes Roman „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“, in Schnitzlers „Leutnant Gustl“ oder der „Traumnovelle“, in der
„Recherche“ Marcel Prousts alle Stabilität des Romans ins Wanken brachten. Aber sie hat erreicht, was sie wollte: ihr Wien der Nachkriegszeit ist ein Ort, der die Rückkehrer aus dem Exil abweist, aber es bleibt zugleich ein Ort der Sehnsucht, eine nicht aufzugebende Heimat. Die Form des Gesellschaftsromans ist der Rahmen für das Bild dieser Heimat.
Elisabeth de Waal: Donnerstags bei Kanakis. Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer. Mit einem Vorwort von Edmund de Waal und einem Nachwort von Sigrid Löffler. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2014. 336 Seiten, 19,90 Euro.
Die Antiquitätenhändler und
Makler handeln mit Bildern und
Häusern zweifelhafter Provenienz
Korrespondenzpartnerin Rilkes und Juristin im Einsatz für den Besitz ihrer jüdischen Familie: Elisabeth de Waal.
Foto: Archiv Edmund de Waal, Zsolnay verlag
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„Alles ganz offen, offiziell und legal“: Elisabeth de Waal porträtiert in ihrem Roman „Donnerstags
bei Kanakis“ das Wien der Nachkriegszeit – und die Profiteure der Enteignung jüdischen Besitzes
VON LOTHAR MÜLLER
Kürzlich ist der überaus aktuelle Roman einer vor gut zwanzig Jahren in hohem Alter verstorbenen Autorin erschienen, die keine Schriftstellerin war. Ganz unbekannt aber ist die Verfasserin nicht. Elisabeth de Waal gehört zu den markantesten Figuren in dem Buch „Der Hase mit den Bernsteinaugen“, das ihr Enkel, der Londoner Töpfer und Professor für Keramik, Edmund de Waal, im englischen Original 2010 publiziert hat. Die deutsche Ausgabe erschien 2011 .
De Waal erzählt darin im Blick auf die verschlungenen Wege von japanischen Miniaturschnitzereien aus Holz und Elfenbein, die er geerbt hat, die Geschichte seiner weitverzweigten Herkunftsfamilie, der jüdischen Bankiers Ephrussi, zwischen Odessa und St. Petersburg, Paris, London und Wien vom 19. Jahrhundert bis in die Zeit nach dem Weltkrieg. Als Kind der Eheleute Viktor und Emmy von Ephrussi wurde Elisabeth de Waal 1899 in Wien geboren. Der Vorname, den sie erhielt, war eine Reverenz an die Kaiserin Elisabeth, die im Vorjahr in Genf von einem italienischen Anarchisten ermordet worden war.
Dass die Ephrussis ihren Kindern Namen aus der österreichischen Herrscherfamilie gaben, ist eines der Details, das sie als Teil der assimilierten jüdischen Großbürgerschicht im Wien des Fin de Siècle ausweist. Das noch heute existierende Palais Ephrussi nahe der Universität an der Ringstraße war das steinerne Zeichen des Aufstiegs der Familie im späten 19. Jahrhundert. Im Buch ihres Enkels gerät Elisabeth von Ephrussi, die in diesem Palais aufwuchs und 1929 Henk de Waal heiratete, den Sohn einer Amsterdamer Kaufmannsfamilie, früh in den Bann der Literatur und der Wissenschaften.
Sie erhält Privatunterricht von Lehrern des nahen Schottengymnasiums, einer der angesehenen Schulen für Knaben, legt als Externe die Matura ab und studiert dann Philosophie, Jura und Wirtschaft; ihre Gedichte schickt sie 1921 an Rainer Maria Rilke, der zurückschreibt und sie unter seine Korrespondentinnen einreiht. 1924 legt sie das Doktorexamen in Jura ab, in den Dreißigerjahren lebt sie in Paris, später in Tunbridge Wells in der Grafschaft Kent in England. Sie stirbt 1991.
In Edmund de Waals Buch ist seine Großmutter die Schlüsselfigur der Exilgeschichte der Familie. Sie ist es, die 1938 nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland nach Wien zurückkehrt, um den gefährdeten Eltern beizustehen, sie ist es, die nach dem Tod der Mutter im Oktober 1938 den Vater nach England holt, sie ist es, die im Dezember 1945 für einige Zeit nach Österreich zurückkehrt, um – trotz ihres juristischen Sachverstandes weitgehend vergeblich – vom Familienbesitz zu retten, was noch zu retten ist. Auf diese Rückkehr geht das in den späten Fünfzigern verfasste Typoskript zurück, das ihr Enkel im vergangenen Jahr im englischen Original unter dem Titel „The Exiles return“ publiziert hat und das nun auf deutsch „Donnerstags bei Kanakis“ heißt .
Eine der Hauptfiguren ist der jüdische Wissenschaftler Kuno Adler, der 1954, kurz vor Abschluss des Staatsvertrages über den Abzug der alliierten Besatzung und die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität Österreichs aus dem ungeliebten amerikanischen Exil in seine Heimatstadt Wien zurückkehrt. An ihm, dem hochqualifizierten Erforscher der Struktur von Hormonzellen, zeigt der Roman die Innenwelt des zurückgekehrten Emigranten, dem im Zug an der Grenze zwischen der Schweiz und Österreich angstvoll das Herz klopft und dessen Misstrauen, in der Nachkriegsgesellschaft unerwünscht zu sein, reichlich Nahrung findet.
Das Reparationsgesetz, liest man es richtig, erlaubt es, ihm nur eine mindere Anstellung zuzugestehen und ihm einen unverbesserlichen Nationalsozialisten als Chef vor die Nase zu setzen. Die Antiquitätenhändler und Immobilienmakler sind wichtige Nebenfiguren: Sie verwalten Häuser oder handeln mit Bildern und anderen Kunstwerken, deren Herkunft aus ehemals jüdischem Besitz so wahrscheinlich ist, dass sie sich unverfängliche Provenienzgeschichten zurechtgelegt haben: „Ich habe die Bilder im Auktionshaus erworben, ebenso wie die meisten Sachen, die Sie in diesem Raum sehen. Alles ganz offen, offiziell und legal, sehen Sie.“
Diesen Strang des Romans hat Elisabeth de Waal mit der Bitterkeit ihrer eigenen Erfahrung des Hingehaltenwerdens und der juristischen Komplikationen beim Kampf um den Familienbesitz der Ephrussis durchtränkt. Sie wollte sich aber offenbar mit dieser Facette, der Rückkehr in das Wien der Nachkriegsgesellschaft nicht begnügen. Denn sie hat ihrem Manuskript die Form eines Gesellschaftsromans gegeben, der ein ganzes Tableau von Figuren – und in ihnen die Liebe und die sozialen Schichten, die Geschäfte und die Hochzeiten – locker miteinander verknüpft.
Da ist, zum Beispiel, Theophil Kanakis, der in Amerika reich gewordene Ästhet und alternde homosexuelle Lebemann. Er entstammt der alten griechischen Bevölkerungsschicht Wiens, sein stets am Donnerstag stattfindender Salon gibt dieser deutschen Ausgabe des Romans den Titel. Da ist die verarmte katholische Prinzessin, die sich als Laborassistentin durchschlägt und mit dem Heimkehrer Kuno Adler eine zart melodramatischer Liebesgeschichte erlebt. Da ist der jesuitische Pater, der streng über die Moral der katholischen Prinzessin wacht und ihr notfalls die Hölle heißmacht, aber wenig Skrupel hat, wenn es gilt, die besseren Kreise durch eine ausgefeilte Vertuschungstechnik vor einem öffentlichen Skandal zu schützen.
Und da ist die naive achtzehnjährige Marie-Therese, als Kind einer österreichischen Aristokratin und eines dänischen Chemikers in Amerika aufgewachsen, die ihre Eltern zur Selbstfindung zu den österreichischen Verwandten nach Europa geschickt haben. Ein junger Sozialist aus den unteren Klassen wird sie umwerben, in einen jungen zynischen Sprössling des Wiener Adels wird sie sich verlieben und ihr europäisches Abenteuer nicht überleben.
Es überlebt aber die Form des Gesellschaftsromans und seine Erzählerstimme, die alle Fäden in der Hand hält und Innenwelten nur so weit ausleuchtet, wie es das Gesamttableau erlaubt. Elisabeth de Waal war klug genug, als Romanautorin nicht mit ihrer Lektüre konkurrieren zu wollen: mit den Erzähltechniken, die in Rilkes Roman „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“, in Schnitzlers „Leutnant Gustl“ oder der „Traumnovelle“, in der
„Recherche“ Marcel Prousts alle Stabilität des Romans ins Wanken brachten. Aber sie hat erreicht, was sie wollte: ihr Wien der Nachkriegszeit ist ein Ort, der die Rückkehrer aus dem Exil abweist, aber es bleibt zugleich ein Ort der Sehnsucht, eine nicht aufzugebende Heimat. Die Form des Gesellschaftsromans ist der Rahmen für das Bild dieser Heimat.
Elisabeth de Waal: Donnerstags bei Kanakis. Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer. Mit einem Vorwort von Edmund de Waal und einem Nachwort von Sigrid Löffler. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2014. 336 Seiten, 19,90 Euro.
Die Antiquitätenhändler und
Makler handeln mit Bildern und
Häusern zweifelhafter Provenienz
Korrespondenzpartnerin Rilkes und Juristin im Einsatz für den Besitz ihrer jüdischen Familie: Elisabeth de Waal.
Foto: Archiv Edmund de Waal, Zsolnay verlag
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