Nathan Zuckerman, Roths langjähriger Held und vielleicht sein Alter Ego, kehrt nach New York zurück, um dann für immer abzutreten. Er trifft in Manhattan ein junges Paar, das nach dem 11. September der Stadt entfliehen will, und bietet ihnen einen Wohnungstausch an - nicht ohne Hintergedanken. Ihn fasziniert Jamie, die junge Frau, und ihn überfallen Gefühle, die er längst überwunden glaubte. Durch sie lernt er einen Mann kennen, der die Biographie des vom jungen Zuckerman verehrten Schriftstellers Lonoff schreiben möchte. Auf einmal ist Zuckerman so involviert, wie er es nie mehr sein wollte. Liebe, Trauer, Begehren und Ressentiment, alles ist wieder da.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.02.2008Noch ein letztes Mal
Philip Roth nimmt in "Exit Ghost" Abschied von Nathan Zuckerman
"Bevor der Tod dich nimmt, nimm dies zurück", lauten die Schlusszeilen von Dylan Thomas' Gedicht "Find Meat on Bones", die Philip Roth' neuem Roman "Exit Ghost" voranstehen wie eine Aufforderung zum letzten Tanz; wie der Wunsch, dem Leben ein letztes Mal, und sei es nur in der Phantasie, alles abzutrotzen, was es zu bieten hat, was schon immer schön an ihm gewesen ist. Es ist ein letzter Tanz mit Nathan Zuckerman, dem inzwischen alt gewordenen Schriftstellerprotagonisten, den man durch Roth' Romane längst zum Freund gewonnen hat über die Jahre und dem zu widerstehen einem schwerfiele. Also greift man bereitwillig nach seiner Hand und kehrt mit Nathan Zuckerman aus der Bergeinsamkeit zurück auf das Parkett - nach New York.
Elf Jahre hat Zuckerman allein in einem kleinen Haus an einem Feldweg in der hintersten Provinz gelebt, ist nicht zu Dinnerpartys, nicht ins Kino, nicht mehr zur Wahl gegangen. Macht, das war für ihn nicht der uneingeschränkte Gehorsam der geliebten Menschen um ihn herum; Macht war, keine Menschen in seinem Leben zu haben. Nichts führte ihn so in Versuchung, zu hoffen. Nichts lenkte ihn ab von der Arbeit. Zuckerman ist einundsiebzig Jahre alt, seit einer Prostatakrebsoperation inkontinent, impotent, und er ist eigentlich nur wegen einer urologischen Behandlung zurück in der Stadt, wo ihn die Wirklichkeit überfällt, die Möglichkeit wiederaufscheint, das Leben könnte ihm noch einmal in die Glieder fahren: "Ich hatte mich von der Hoffnung verabschiedet. Doch dann war ich nach New York gefahren, und New York hatte innerhalb von Stunden getan, was es bei allen Menschen tut: Es hatte mir Möglichkeiten bewusst gemacht. Die Hoffnung hatte sich Bahn gebrochen."
Und so kommt in der Begegnung mit zwei Frauen - der vierzig Jahre jüngeren, hinreißenden Jamie und der alten, todkranken und beinahe verwahrlost lebenden Schriftstellerwitwe Amy - erneut alles zusammen, was den Philip-Roth-Kosmos ausmacht. Einen kurzen Moment muss man an "Casanovas Heimfahrt" denken, Arthur Schnitzlers Novelle, in der der alt gewordene Casanova in der Begegnung mit der jungen Mathematikerin Marcolina die Wirkung seines eigenen Mythos noch einmal auf die Probe stellt und jenen jugendlichen Männerrivalen zum Duell fordert, der ihm wie ein Abbild seiner eigenen, längst verjährten Jugend erscheint.
Auch Nathan Zuckerman muss gegen einen jungen Rivalen antreten, einen Freund Jamies, der an einer Biographie ausgerechnet jenes Schriftstellers arbeitet, der einmal Zuckermans Mentor, Freund, Lehrer und Amys Mann gewesen ist. Zuckerman hasst Schriftstellerbiographien wie die Pest. Für ihn sind sie nichts als das hinausposaunte Ressentiment eines zweitklassigen Menschen. Die Kunst, vom Ressentiment getötet. Was bleibt von einem Schriftstellerleben, wenn andere, Jüngere sich anmaßen, haltlos auszuplaudern, was sie in der Fiktion an angeblich wirklich Gelebtem gefunden zu haben glauben? Roth' "Exit Ghost" ist ein Sich-Aufbäumen gegen das Reich der Mutmaßung und Spekulation, gegen den "biographischen Reduktionismus" und das "Boulevardzeitungsgeschwätz" des Kulturjournalismus. Der Schriftsteller bei Roth hat seinen eigenen Mythos wie Casanova bei Schnitzler nicht im Griff. Mythen werden von anderen gemacht, entgleiten der Kontrolle, unternehmen kann Zuckerman nichts dagegen. Er kann nur weiter lesen, noch einmal leben und vor allem: weiter schreiben.
Wie wenig dabei das Erlebte vom Gelesenen und Erschriebenen zu trennen ist, das ist die eigentliche Geschichte von "Exit Ghost". Zuckerman sieht in einer Zeitungsannonce, dass ein junges New Yorker Paar aufs Land ziehen will und einen Wohnungstausch anbietet. Er ruft unter der Nummer an, sucht die beiden in ihrer Wohnung auf, trifft auf die vierzig Jahre jüngere Frau, von der er den Blick nicht mehr lassen will. Er erinnert sich an eine Erzählung von Tschechow mit dem Titel "Er und Sie", deren Inhalt er vergessen hat. Er erinnert sich daran, dass Tschechow geschrieben hatte: "Der Schwerpunkt sollte in zwei Personen liegen: ihm und ihr." So beginnen die Dialoge zwischen ihm, Zuckerman, und ihr, Jamie. Nach jeder Begegnung rennt er ins Hotel und schreibt sie auf. So, wie er sie aufschreibt, haben sie nie stattgefunden, aber hier, auf dem Hotelbriefpapier, verdichtet sich alles zu einer sprachlichen Wirklichkeit, die, dem Leben enthoben, überhaupt erst zu sagen vermag, was das Leben ist: "Die Gespräche, die wir nicht führten, sind noch bewegender als die anderen, die wir führten, und das imaginäre ,Sie' ist fester in der Mitte von Jamies Wesen verankert, als es das tatsächliche ,Sie' je sein wird."
Das ist Zuckermans letzter Tanz, bevor er mit Shakespeares Regieanweisung aus "Hamlet" geht: "Exit Ghost". Man wünschte, er könnte wiederkommen und für immer bleiben.
JULIA ENCKE
Philip Roth: "Exit Ghost". Roman. Hanser-Verlag. 297 Seiten, 19,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Philip Roth nimmt in "Exit Ghost" Abschied von Nathan Zuckerman
"Bevor der Tod dich nimmt, nimm dies zurück", lauten die Schlusszeilen von Dylan Thomas' Gedicht "Find Meat on Bones", die Philip Roth' neuem Roman "Exit Ghost" voranstehen wie eine Aufforderung zum letzten Tanz; wie der Wunsch, dem Leben ein letztes Mal, und sei es nur in der Phantasie, alles abzutrotzen, was es zu bieten hat, was schon immer schön an ihm gewesen ist. Es ist ein letzter Tanz mit Nathan Zuckerman, dem inzwischen alt gewordenen Schriftstellerprotagonisten, den man durch Roth' Romane längst zum Freund gewonnen hat über die Jahre und dem zu widerstehen einem schwerfiele. Also greift man bereitwillig nach seiner Hand und kehrt mit Nathan Zuckerman aus der Bergeinsamkeit zurück auf das Parkett - nach New York.
Elf Jahre hat Zuckerman allein in einem kleinen Haus an einem Feldweg in der hintersten Provinz gelebt, ist nicht zu Dinnerpartys, nicht ins Kino, nicht mehr zur Wahl gegangen. Macht, das war für ihn nicht der uneingeschränkte Gehorsam der geliebten Menschen um ihn herum; Macht war, keine Menschen in seinem Leben zu haben. Nichts führte ihn so in Versuchung, zu hoffen. Nichts lenkte ihn ab von der Arbeit. Zuckerman ist einundsiebzig Jahre alt, seit einer Prostatakrebsoperation inkontinent, impotent, und er ist eigentlich nur wegen einer urologischen Behandlung zurück in der Stadt, wo ihn die Wirklichkeit überfällt, die Möglichkeit wiederaufscheint, das Leben könnte ihm noch einmal in die Glieder fahren: "Ich hatte mich von der Hoffnung verabschiedet. Doch dann war ich nach New York gefahren, und New York hatte innerhalb von Stunden getan, was es bei allen Menschen tut: Es hatte mir Möglichkeiten bewusst gemacht. Die Hoffnung hatte sich Bahn gebrochen."
Und so kommt in der Begegnung mit zwei Frauen - der vierzig Jahre jüngeren, hinreißenden Jamie und der alten, todkranken und beinahe verwahrlost lebenden Schriftstellerwitwe Amy - erneut alles zusammen, was den Philip-Roth-Kosmos ausmacht. Einen kurzen Moment muss man an "Casanovas Heimfahrt" denken, Arthur Schnitzlers Novelle, in der der alt gewordene Casanova in der Begegnung mit der jungen Mathematikerin Marcolina die Wirkung seines eigenen Mythos noch einmal auf die Probe stellt und jenen jugendlichen Männerrivalen zum Duell fordert, der ihm wie ein Abbild seiner eigenen, längst verjährten Jugend erscheint.
Auch Nathan Zuckerman muss gegen einen jungen Rivalen antreten, einen Freund Jamies, der an einer Biographie ausgerechnet jenes Schriftstellers arbeitet, der einmal Zuckermans Mentor, Freund, Lehrer und Amys Mann gewesen ist. Zuckerman hasst Schriftstellerbiographien wie die Pest. Für ihn sind sie nichts als das hinausposaunte Ressentiment eines zweitklassigen Menschen. Die Kunst, vom Ressentiment getötet. Was bleibt von einem Schriftstellerleben, wenn andere, Jüngere sich anmaßen, haltlos auszuplaudern, was sie in der Fiktion an angeblich wirklich Gelebtem gefunden zu haben glauben? Roth' "Exit Ghost" ist ein Sich-Aufbäumen gegen das Reich der Mutmaßung und Spekulation, gegen den "biographischen Reduktionismus" und das "Boulevardzeitungsgeschwätz" des Kulturjournalismus. Der Schriftsteller bei Roth hat seinen eigenen Mythos wie Casanova bei Schnitzler nicht im Griff. Mythen werden von anderen gemacht, entgleiten der Kontrolle, unternehmen kann Zuckerman nichts dagegen. Er kann nur weiter lesen, noch einmal leben und vor allem: weiter schreiben.
Wie wenig dabei das Erlebte vom Gelesenen und Erschriebenen zu trennen ist, das ist die eigentliche Geschichte von "Exit Ghost". Zuckerman sieht in einer Zeitungsannonce, dass ein junges New Yorker Paar aufs Land ziehen will und einen Wohnungstausch anbietet. Er ruft unter der Nummer an, sucht die beiden in ihrer Wohnung auf, trifft auf die vierzig Jahre jüngere Frau, von der er den Blick nicht mehr lassen will. Er erinnert sich an eine Erzählung von Tschechow mit dem Titel "Er und Sie", deren Inhalt er vergessen hat. Er erinnert sich daran, dass Tschechow geschrieben hatte: "Der Schwerpunkt sollte in zwei Personen liegen: ihm und ihr." So beginnen die Dialoge zwischen ihm, Zuckerman, und ihr, Jamie. Nach jeder Begegnung rennt er ins Hotel und schreibt sie auf. So, wie er sie aufschreibt, haben sie nie stattgefunden, aber hier, auf dem Hotelbriefpapier, verdichtet sich alles zu einer sprachlichen Wirklichkeit, die, dem Leben enthoben, überhaupt erst zu sagen vermag, was das Leben ist: "Die Gespräche, die wir nicht führten, sind noch bewegender als die anderen, die wir führten, und das imaginäre ,Sie' ist fester in der Mitte von Jamies Wesen verankert, als es das tatsächliche ,Sie' je sein wird."
Das ist Zuckermans letzter Tanz, bevor er mit Shakespeares Regieanweisung aus "Hamlet" geht: "Exit Ghost". Man wünschte, er könnte wiederkommen und für immer bleiben.
JULIA ENCKE
Philip Roth: "Exit Ghost". Roman. Hanser-Verlag. 297 Seiten, 19,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Exit Ghost", letzter Auftritt Nathan Zuckerman. Das Alter Ego des Autors, dessen Lebenswendungen freilich keineswegs, wie Roth immer wieder betont, autobiografisch zu lesen sind, kämpft ein letztes Mal mit dem Begehren und der Liebe. Er kehrt, nach einer Prostata-Krebs-Operation, aus dem Ruhestand nach New York zurück, verfällt, um die Aussichtslosigkeit diese Verfallens wissend, einer viel, viel jüngeren Frau und zieht im zweiten Teil noch einmal in den Kampf mit einem jüngeren Rivalen. Der Rezensent Richard Kämmerlings weist auf Bezüge zu früheren Romanen hin - so taucht die Figur der Amy Bellette aus dem "Ghost Writer" wieder auf - und sieht ihn als weitere Variation von Roths Zuckerman-Grundthemen. Die drei Motive "Judentum", "Schriftstellertum" und "Geilheit" werden durchdekliniert, mal das eine, mal das andere probeweise weggelassen, diesmal "begegnet uns ein Zuckerman ohne Sex". Zwar erwähnt Kämmerlings gewisse Konstruiertheiten der Handlung nebenbei, auch die Übersetzung habe, wie er meint, ihre "Nachlässigkeiten" - insgesamt aber hält er den Roman offenkundig für ein weiteres reifes Werk eines großen Autors.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Nur wenige Schriftsteller verstehen sich so hervorragend auf das Spiel mit Autobiografie und Autofiktion wie er, nur wenige vermögen so abgründig humorvoll und so päzise über Egomanie und Gegenwart, über Persönliches und das Geheimnis der menschlichen Existenz an sich zu schreiben." Sacha Verna, Frankfurter Rundschau, 02.02.08
"Ein nuancenreicher und vielstimmiger Roman. ... 'Exit Ghost' ist vielleicht das erste richtig poetische Buch dieses Meisters der Prosa geworden." Andrea Köhler, Neue Zürcher Zeitung, 05.02.08
"Literatur, die süchtig macht." Britta Bode, Welt am Sonntag, 10.02.08
"Das ist Zuckermans letzter Tanz, bevor er mit Shakespeares Regieanweisung aus 'Hamlet' geht: 'Exit Ghost'. Man wünschte, er könnte wiederkommen und für immer bleiben." Julia Encke, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 10.02.08
"Ein wunderbarer Roman für alle Literaturversessenen, für alle echten Büchersäufer." Die Welt, 08.03.08
"Ein nuancenreicher und vielstimmiger Roman. ... 'Exit Ghost' ist vielleicht das erste richtig poetische Buch dieses Meisters der Prosa geworden." Andrea Köhler, Neue Zürcher Zeitung, 05.02.08
"Literatur, die süchtig macht." Britta Bode, Welt am Sonntag, 10.02.08
"Das ist Zuckermans letzter Tanz, bevor er mit Shakespeares Regieanweisung aus 'Hamlet' geht: 'Exit Ghost'. Man wünschte, er könnte wiederkommen und für immer bleiben." Julia Encke, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 10.02.08
"Ein wunderbarer Roman für alle Literaturversessenen, für alle echten Büchersäufer." Die Welt, 08.03.08