In a city swollen by refugees but still mostly at peace, Saeed and Nadia fall in love. But the sound of bombs gets closer, the radio announces new laws and public executions. Meanwhile, rumours spread of strange black doors in secret places across the city that lead to London or Dubai. Soon they join those fleeing a collapsing city, hoping against hope, looking for their place in the world.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2017Ein ganzer Planet setzt sich in Bewegung
Etwas bleibt immer auf der Strecke: Mohsin Hamid erzählt von einem Flüchtlingspaar, das auf dem langen Weg in den Westen seine Liebe einbüßt.
Von Hubert Spiegel
Es liegt Krieg in der Luft. Patrouillen fahren durch London. Der Strom wird rationiert, Lebensmittel sind knapp. Die Menschen verschanzen sich in ihren Häusern. Aber das gilt nur für bestimmte Stadtteile, für Chelsea etwa oder South Kensington. In den schönen Häusern, deren wohlhabende Besitzer große Teile des Jahres an anderen Orten verbringen, leben jetzt Einwanderer, Flüchtlinge aus allen Teilen der Welt. Sie haben die Häuser einfach besetzt, nicht weil sie besonders schön und prächtig wären, sondern weil sie leer standen und niemand da war, um die zahllosen Neuankömmlinge zu vertreiben. Viele von ihnen sind vor einem Krieg in ihrer Heimat geflohen, vor Terror, Armut oder religiösem Fanatismus, aber es ist, als klebte ihnen die Gewalt wie Pech an den Schuhsohlen: Wo immer sie hinkommen, in Dörfer, Städte oder riesige Flüchtlingscamps, es wartet neue Gewalt auf sie. Die Heimatlosen werden drangsaliert, betrogen, gedemütigt und vertrieben. Aber in London soll es anders sein, hier wollen sie bleiben. Die Flüchtlinge haben begonnen, sich zu organisieren.
Mohsin Hamid wurde in Lahore geboren, studierte Jura in Harvard und Literatur in Princeton, arbeitete als Unternehmensberater in den Vereinigten Staaten und kehrte vor einigen Jahren in seine pakistanische Heimat zurück. Wie Taiye Selasi oder Chimamanda Ngozi Adichie gehört er zu jenen international erfolgreichen Autoren, die aus der gehobenen Mittelschicht oder der Elite ihrer Heimatländer stammen, im westlichen Ausland hervorragend ausgebildet wurden und in ihren Büchern wechselnde Perspektiven einnehmen: Sie blicken mit den Augen des Westens auf ihre Heimat in der arabischen Welt oder in Afrika und mit den Augen ihrer Landsleute auf den Westen. Das gibt ihren Büchern den Reiz des Vertrauten wie des Fremden und schafft Raum für ungewohnte Einsichten.
In "Exit West" erzählt Hamid eine Geschichte von Flucht und Exil und von den damit verbundenen Nöten, Ängsten und Hoffnungen. Zwei junge Menschen, Saeed und Nadia, verlieben sich einander, während sich die Lage in ihrer Heimat immer mehr zuspitzt. Militante Extremisten greifen nach der Macht. Patrouillen fahren durch die Stadt. Der Strom wird rationiert, Lebensmittel sind knapp. Die Menschen verschanzen sich in ihren Häusern. Nadia kann nicht länger allein in ihrer Wohnung bleiben und zieht zu Saeed und dessen Vater, der vor Trauer um seine Frau fast vergeht. Ein Querschläger hat ihr den Kopf zerfetzt.
Behutsam und drastisch zugleich erzählt Hamid die Liebesgeschichte eines ungleichen Paares unter dramatischen Umständen. Nadia ist säkular, emanzipiert, eine selbstbewusste Motorradfahrerin. Saeed hingegen will aus religiösen Gründen zumindest halbwegs keusch bleiben, betet regelmäßig und hängt an Traditionen. Als die Lage in der namenlosen Stadt immer gefährlicher wird, entschließt sich das Paar, durch eine jener geheimnisvollen Türen zu gehen, die sich überall auf der Welt auf unerklärliche Weise öffnen und schließen.
Die Odyssee der Flüchtlinge mit immer neuen Schleppern und lebensgefährlichen Transportmitteln spielt bei Hamid keine Rolle. In "Exit West" vollzieht sich der Übergang von einem Teil der Welt in einen anderen auf geradezu mystische Weise. Wie in einem Fantasy-Roman verwandeln sich ganz normale Türen in magische Portale: Eines davon bringt Nadia und Saeed nach Mykonos, ein anderes führt sie nach London und ein drittes in die Bucht von San Francisco, wo die Geschichte dieses unglücklichen Liebespaares ein vorläufiges Ende findet, während der Roman, der als Dystopie begonnen hat, sich häutet und die Züge einer Utopie annimmt. In jenem Sommer, in dem es Nadia und Saeed so vorkam, als hätte sich "der ganze Planet in Bewegung gesetzt", werden für die Migranten neue Städte gebaut, alternative Steuersysteme erdacht und Wege gesucht, das Verhältnis zwischen Neubürgern und Alteingesessenen friedlich zu regeln.
Doch Nadias und Saeeds Liebe ist den Belastungen ihrer Flüchtlingsexistenz nicht gewachsen. Nach und nach werden sie einander fremd, leiden darunter und können doch nichts dagegen tun. Nadia ist offener für die neuen Situationen, in die sie geraten, Saeed hingegen sucht Halt und Orientierung bei seinen Landsleuten und in der Religion. Nadia denkt und handelt individuell, während Saeed sich eine Lösung ihrer Probleme nur in der Gemeinschaft mit anderen vorstellen kann. Sie schließt sich einer Gruppe von Nigerianern an, er lauscht den Worten eines bärtigen alten Mannes, der im Namen seiner Religion für den Zusammenschluss einzelner Gruppen von Migranten wirbt, "basierend auf religiösen Prinzipien, ungeachtet aller ethnischen, sprachlichen oder nationalen Zugehörigkeiten, denn was bedeuteten diese Unterteilungen noch in einer Welt voller Türen, die einzige Unterteilung, die jetzt noch zähle, sei die zwischen jenen, die Einlass begehrten, und jenen, die ihnen diesen verwehrten, und in einer solchen Welt müsse die Religion der Aufrechten die Einlasssuchenden verteidigen".
Saeed fühlt sich angezogen und abgestoßen zugleich von solchen Worten, denn sie erinnern ihn an die Extremisten in seiner Heimat, "und bei diesem Gedanken stieg ein fauliger Geschmack in ihm auf, als würde er von innen verderben".
"Exit West" ist ein Hybridwesen, in dem sich Elemente des Zeitromans, der Parabel, des dystopischen wie des utopischen Romans und einer modernen Legende zu einer Geschichte über die Liebe in Zeiten der Flüchtlingskrise mischen. Dass sie scheitert, ist tragisch, aber in dieser Tragik liegt auch ein Triumph, denn Nadia und Saeed scheitern so, wie sie ihr gesamtes Flüchtlingsschicksal zu meistern versuchen: mit Zuneigung, Fürsorge und in Würde. Zwei Botschaften hält dieser Roman bereit. Die eine ist schlecht, die andere nicht sehr viel besser, obwohl optimistisch gemeint Die schlechte zuerst: Die Flüchtlingskrise wird sich noch weiter zuspitzen. Und die gute Nachricht? Es muss noch schlimmer werden, damit es einmal besser werden kann.
Mohsin Hamid: "Exit West". Roman.
Aus dem Englischen von Monika Köpfer. DuMont Buchverlag, Köln 2017. 224 S., geb, 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Etwas bleibt immer auf der Strecke: Mohsin Hamid erzählt von einem Flüchtlingspaar, das auf dem langen Weg in den Westen seine Liebe einbüßt.
Von Hubert Spiegel
Es liegt Krieg in der Luft. Patrouillen fahren durch London. Der Strom wird rationiert, Lebensmittel sind knapp. Die Menschen verschanzen sich in ihren Häusern. Aber das gilt nur für bestimmte Stadtteile, für Chelsea etwa oder South Kensington. In den schönen Häusern, deren wohlhabende Besitzer große Teile des Jahres an anderen Orten verbringen, leben jetzt Einwanderer, Flüchtlinge aus allen Teilen der Welt. Sie haben die Häuser einfach besetzt, nicht weil sie besonders schön und prächtig wären, sondern weil sie leer standen und niemand da war, um die zahllosen Neuankömmlinge zu vertreiben. Viele von ihnen sind vor einem Krieg in ihrer Heimat geflohen, vor Terror, Armut oder religiösem Fanatismus, aber es ist, als klebte ihnen die Gewalt wie Pech an den Schuhsohlen: Wo immer sie hinkommen, in Dörfer, Städte oder riesige Flüchtlingscamps, es wartet neue Gewalt auf sie. Die Heimatlosen werden drangsaliert, betrogen, gedemütigt und vertrieben. Aber in London soll es anders sein, hier wollen sie bleiben. Die Flüchtlinge haben begonnen, sich zu organisieren.
Mohsin Hamid wurde in Lahore geboren, studierte Jura in Harvard und Literatur in Princeton, arbeitete als Unternehmensberater in den Vereinigten Staaten und kehrte vor einigen Jahren in seine pakistanische Heimat zurück. Wie Taiye Selasi oder Chimamanda Ngozi Adichie gehört er zu jenen international erfolgreichen Autoren, die aus der gehobenen Mittelschicht oder der Elite ihrer Heimatländer stammen, im westlichen Ausland hervorragend ausgebildet wurden und in ihren Büchern wechselnde Perspektiven einnehmen: Sie blicken mit den Augen des Westens auf ihre Heimat in der arabischen Welt oder in Afrika und mit den Augen ihrer Landsleute auf den Westen. Das gibt ihren Büchern den Reiz des Vertrauten wie des Fremden und schafft Raum für ungewohnte Einsichten.
In "Exit West" erzählt Hamid eine Geschichte von Flucht und Exil und von den damit verbundenen Nöten, Ängsten und Hoffnungen. Zwei junge Menschen, Saeed und Nadia, verlieben sich einander, während sich die Lage in ihrer Heimat immer mehr zuspitzt. Militante Extremisten greifen nach der Macht. Patrouillen fahren durch die Stadt. Der Strom wird rationiert, Lebensmittel sind knapp. Die Menschen verschanzen sich in ihren Häusern. Nadia kann nicht länger allein in ihrer Wohnung bleiben und zieht zu Saeed und dessen Vater, der vor Trauer um seine Frau fast vergeht. Ein Querschläger hat ihr den Kopf zerfetzt.
Behutsam und drastisch zugleich erzählt Hamid die Liebesgeschichte eines ungleichen Paares unter dramatischen Umständen. Nadia ist säkular, emanzipiert, eine selbstbewusste Motorradfahrerin. Saeed hingegen will aus religiösen Gründen zumindest halbwegs keusch bleiben, betet regelmäßig und hängt an Traditionen. Als die Lage in der namenlosen Stadt immer gefährlicher wird, entschließt sich das Paar, durch eine jener geheimnisvollen Türen zu gehen, die sich überall auf der Welt auf unerklärliche Weise öffnen und schließen.
Die Odyssee der Flüchtlinge mit immer neuen Schleppern und lebensgefährlichen Transportmitteln spielt bei Hamid keine Rolle. In "Exit West" vollzieht sich der Übergang von einem Teil der Welt in einen anderen auf geradezu mystische Weise. Wie in einem Fantasy-Roman verwandeln sich ganz normale Türen in magische Portale: Eines davon bringt Nadia und Saeed nach Mykonos, ein anderes führt sie nach London und ein drittes in die Bucht von San Francisco, wo die Geschichte dieses unglücklichen Liebespaares ein vorläufiges Ende findet, während der Roman, der als Dystopie begonnen hat, sich häutet und die Züge einer Utopie annimmt. In jenem Sommer, in dem es Nadia und Saeed so vorkam, als hätte sich "der ganze Planet in Bewegung gesetzt", werden für die Migranten neue Städte gebaut, alternative Steuersysteme erdacht und Wege gesucht, das Verhältnis zwischen Neubürgern und Alteingesessenen friedlich zu regeln.
Doch Nadias und Saeeds Liebe ist den Belastungen ihrer Flüchtlingsexistenz nicht gewachsen. Nach und nach werden sie einander fremd, leiden darunter und können doch nichts dagegen tun. Nadia ist offener für die neuen Situationen, in die sie geraten, Saeed hingegen sucht Halt und Orientierung bei seinen Landsleuten und in der Religion. Nadia denkt und handelt individuell, während Saeed sich eine Lösung ihrer Probleme nur in der Gemeinschaft mit anderen vorstellen kann. Sie schließt sich einer Gruppe von Nigerianern an, er lauscht den Worten eines bärtigen alten Mannes, der im Namen seiner Religion für den Zusammenschluss einzelner Gruppen von Migranten wirbt, "basierend auf religiösen Prinzipien, ungeachtet aller ethnischen, sprachlichen oder nationalen Zugehörigkeiten, denn was bedeuteten diese Unterteilungen noch in einer Welt voller Türen, die einzige Unterteilung, die jetzt noch zähle, sei die zwischen jenen, die Einlass begehrten, und jenen, die ihnen diesen verwehrten, und in einer solchen Welt müsse die Religion der Aufrechten die Einlasssuchenden verteidigen".
Saeed fühlt sich angezogen und abgestoßen zugleich von solchen Worten, denn sie erinnern ihn an die Extremisten in seiner Heimat, "und bei diesem Gedanken stieg ein fauliger Geschmack in ihm auf, als würde er von innen verderben".
"Exit West" ist ein Hybridwesen, in dem sich Elemente des Zeitromans, der Parabel, des dystopischen wie des utopischen Romans und einer modernen Legende zu einer Geschichte über die Liebe in Zeiten der Flüchtlingskrise mischen. Dass sie scheitert, ist tragisch, aber in dieser Tragik liegt auch ein Triumph, denn Nadia und Saeed scheitern so, wie sie ihr gesamtes Flüchtlingsschicksal zu meistern versuchen: mit Zuneigung, Fürsorge und in Würde. Zwei Botschaften hält dieser Roman bereit. Die eine ist schlecht, die andere nicht sehr viel besser, obwohl optimistisch gemeint Die schlechte zuerst: Die Flüchtlingskrise wird sich noch weiter zuspitzen. Und die gute Nachricht? Es muss noch schlimmer werden, damit es einmal besser werden kann.
Mohsin Hamid: "Exit West". Roman.
Aus dem Englischen von Monika Köpfer. DuMont Buchverlag, Köln 2017. 224 S., geb, 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main