Sie sind Acht. Unterschiedlicher Herkunft und Religion, aus unterschiedlichen sozialen Milieus, von verschiedenem Alter und Charakter. Sie alle wollen mitten im libyschen Bürgerkrieg Tripolis verlassen. Gemeinsam in einem Land Cruiser, unter Beschuss, in sengender Hitze. Quer durch die Wüste in Richtung Tunesien.
Wegen einer Reifenpanne müssen sie in einem von den Regierungstruppen zurückeroberten Dorf Rast machen und in der Ruine eines Hotels übernachten, in dem ausgerechnet auch der Kommandant der Besatzungstruppe logiert.
Nun nimmt kein griechisches, so aber ein ganz reales libysches Drama seinen Lauf.
Wegen einer Reifenpanne müssen sie in einem von den Regierungstruppen zurückeroberten Dorf Rast machen und in der Ruine eines Hotels übernachten, in dem ausgerechnet auch der Kommandant der Besatzungstruppe logiert.
Nun nimmt kein griechisches, so aber ein ganz reales libysches Drama seinen Lauf.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Tobias Lehmkuhl kann nur staunen über so ein Alterswerk. Was Tito Topin mit 81 Jahren hier vorlegt, so stringent, leicht und lässig erzählt, zieht ihn unweigerlich in den Bann, nicht zuletzt wegen seiner souveränen Erzählökonomie: "Ein paar Striche, nicht zu dick und nicht zu dünn". Dabei handelt es sich nicht um ein Roadmovie und auch um keinen Krimi im herkömmlichen Sinn, wie Lehmkuhl erklärt. Vielmehr blättert der im französischen Original 2013 erschienene Roman laut Rezensent unterschiedlichste Welten auf, vereint im Exodus aus Libyen, ansonsten allerlei wenig harmonische Verwicklungen bietend. Als Kammerspiel um eine Notgemeinschaft rasant in der Wüste endend, ist das Buch für Lehmkuhl ein Knaller.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.01.2016Ich, der Flüchtling
Brutal beeindruckend: Tito Topins "Exodus aus Libyen"
Libyen, dafür muss kein Nordafrika-Experte konsultiert werden, ist ein sogenannter "failed state". Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen und formuliert diplomatisch: "Die staatlichen Sicherheitsorgane können grundsätzlich keinen ausreichenden Schutz garantieren oder Hilfe leisten. Regierungstreue, aber auch unabhängige Brigaden beanspruchen, Teile der öffentlichen Ordnung zu sichern, sind jedoch nicht ausgebildet und wenig berechenbar."
Das heißt, weniger gewunden, dass nach Gaddafis Tod 2011 der Bürgerkrieg nicht aufgehört hat, dass es zwei Regierungen gibt, dass Clans und Milizen miteinander rivalisieren, dass sich vor allem der IS auch hier eine breite Basis verschafft hat - es herrscht Chaos im Land.
Kommt da, könnte man fragen, ein Roman, der im Jahr 2011 spielt, 2013 in Frankreich erschien und jetzt auf Deutsch herauskommt, nicht etwas zu spät? Ist nicht seine Sicht der Dinge überholt, notwendig harmloser, als die Realität von heute es erlaubt? Wer nur ein paar Seiten in Tito Topins "Exodus aus Libyen" gelesen hat, wird das tendenziell verneinen, wer den Roman beendet hat, dürfte sich sicher sein und allenfalls bezweifeln, dass für dieses Buch der Zusatz "Série noire" ideal ist. Denn was die acht Menschen, die versuchen, durch die Wüste ins benachbarte Tunesien zu fliehen, durchmachen, ist weniger eine Kriminalstory als eine Geschichte von Flucht und Überleben.
Der dreiundachtzigjährige Topin, der in Marokko geboren wurde und in Frankreich lebt, ist nicht nur Schriftsteller, er hat auch als Illustrator und Drehbuchautor gearbeitet, und sein gutes Auge für visuell starke Szenen, für Verdichtung und knappe Sätze spürt man von der ersten Seite an, wenn er mit ein paar Reißschwenks das Straßenleben in Tripolis einfängt. "Im Rinnstein trocknet eine Blutlache vollends aus, der Körper ist verschwunden, übrig ist nur ein Schuh mit Löchern in der Sohle. Ein Schwarm fliegender Schaben schwirrt aus einem Gully hervor und verdunkelt die angrenzende Straße mit einem sich bewegenden Schatten."
In diesem Tempo geht es weiter, auf der Flucht ist schnelles Handeln Überlebensprinzip - nichts wie raus aus Tripolis. Topin verliert deshalb auch keine Zeit damit, sein Personal, das in einem gestohlenen Land Cruiser unterwegs ist, umständlich in kleinen Portionen und Dialogen einzuführen. Wie in einem Film, bei dem die Protagonisten auf einmal direkt in die Kamera sprechen, lässt er nacheinander jeden der acht in der ersten Person Singular in einem Kapitel sich kurz vorstellen: den Fahrer, einen Arabischlehrer und Gaddafi-Gegner, den abgestürzten französischen Luftwaffenpiloten, den zynischen kanadischen Arzt, den französischen Archäologen, den ägyptischen Gauner, den Arbeiter aus dem Tschad, die Schauspielerin mit dem dunklen Geheimnis, die schwangere Frau.
Sie entkommen den Straßensperren, den Kugeln, aber sie kommen nicht allzu weit. Ein platter Reifen lässt sie stranden in einem Kaff, das die Rebellen erobert und Gaddafis Truppen zurückerobert haben. Die differierenden Interessen und die Konflikte mit den Militärs liefern den bewährten dramatischen Brandbeschleuniger: Sie geraten aneinander, wegen Geld, Proviant, der besten Fluchtstrategie. Topin legt das Ganze fast so hart und heftig an wie Tarantino in seinem neuen Film "The Hateful 8" - mit allmählicher Reduzierung des Personals ist daher zu rechnen. Nur spielerisch geht es hier keine Sekunde lang zu, in einem Bürgerkriegsland, in dem die Zahl der Leichen ohnehin sehr hoch ist. Was da von den Plänen, Wünschen, Träumen der Einzelnen übrig bleibt, ist nicht viel.
"Meine Bücher", schreibt Topin auf seiner Website, "sind das Ergebnis schlechter Lektüren, langer, alkoholisierter Gespräche und großer Schmerzen." So viel Koketterie kann sich einer jenseits der achtzig leisten. Nach diesem so brutalen wie beeindruckenden Roman erst recht. Und man würde nach diesem libyschen Exodus auch gerne noch weitere Bücher dieses nicht gerade reichlich übersetzten Autors kennenlernen.
PETER KÖRTE
Tito Topin: "Exodus aus Libyen".
Aus dem Französischen von Katarina Grän. Distel Literaturverlag, Heilbronn 2015. 233 S., br., 14,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Brutal beeindruckend: Tito Topins "Exodus aus Libyen"
Libyen, dafür muss kein Nordafrika-Experte konsultiert werden, ist ein sogenannter "failed state". Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen und formuliert diplomatisch: "Die staatlichen Sicherheitsorgane können grundsätzlich keinen ausreichenden Schutz garantieren oder Hilfe leisten. Regierungstreue, aber auch unabhängige Brigaden beanspruchen, Teile der öffentlichen Ordnung zu sichern, sind jedoch nicht ausgebildet und wenig berechenbar."
Das heißt, weniger gewunden, dass nach Gaddafis Tod 2011 der Bürgerkrieg nicht aufgehört hat, dass es zwei Regierungen gibt, dass Clans und Milizen miteinander rivalisieren, dass sich vor allem der IS auch hier eine breite Basis verschafft hat - es herrscht Chaos im Land.
Kommt da, könnte man fragen, ein Roman, der im Jahr 2011 spielt, 2013 in Frankreich erschien und jetzt auf Deutsch herauskommt, nicht etwas zu spät? Ist nicht seine Sicht der Dinge überholt, notwendig harmloser, als die Realität von heute es erlaubt? Wer nur ein paar Seiten in Tito Topins "Exodus aus Libyen" gelesen hat, wird das tendenziell verneinen, wer den Roman beendet hat, dürfte sich sicher sein und allenfalls bezweifeln, dass für dieses Buch der Zusatz "Série noire" ideal ist. Denn was die acht Menschen, die versuchen, durch die Wüste ins benachbarte Tunesien zu fliehen, durchmachen, ist weniger eine Kriminalstory als eine Geschichte von Flucht und Überleben.
Der dreiundachtzigjährige Topin, der in Marokko geboren wurde und in Frankreich lebt, ist nicht nur Schriftsteller, er hat auch als Illustrator und Drehbuchautor gearbeitet, und sein gutes Auge für visuell starke Szenen, für Verdichtung und knappe Sätze spürt man von der ersten Seite an, wenn er mit ein paar Reißschwenks das Straßenleben in Tripolis einfängt. "Im Rinnstein trocknet eine Blutlache vollends aus, der Körper ist verschwunden, übrig ist nur ein Schuh mit Löchern in der Sohle. Ein Schwarm fliegender Schaben schwirrt aus einem Gully hervor und verdunkelt die angrenzende Straße mit einem sich bewegenden Schatten."
In diesem Tempo geht es weiter, auf der Flucht ist schnelles Handeln Überlebensprinzip - nichts wie raus aus Tripolis. Topin verliert deshalb auch keine Zeit damit, sein Personal, das in einem gestohlenen Land Cruiser unterwegs ist, umständlich in kleinen Portionen und Dialogen einzuführen. Wie in einem Film, bei dem die Protagonisten auf einmal direkt in die Kamera sprechen, lässt er nacheinander jeden der acht in der ersten Person Singular in einem Kapitel sich kurz vorstellen: den Fahrer, einen Arabischlehrer und Gaddafi-Gegner, den abgestürzten französischen Luftwaffenpiloten, den zynischen kanadischen Arzt, den französischen Archäologen, den ägyptischen Gauner, den Arbeiter aus dem Tschad, die Schauspielerin mit dem dunklen Geheimnis, die schwangere Frau.
Sie entkommen den Straßensperren, den Kugeln, aber sie kommen nicht allzu weit. Ein platter Reifen lässt sie stranden in einem Kaff, das die Rebellen erobert und Gaddafis Truppen zurückerobert haben. Die differierenden Interessen und die Konflikte mit den Militärs liefern den bewährten dramatischen Brandbeschleuniger: Sie geraten aneinander, wegen Geld, Proviant, der besten Fluchtstrategie. Topin legt das Ganze fast so hart und heftig an wie Tarantino in seinem neuen Film "The Hateful 8" - mit allmählicher Reduzierung des Personals ist daher zu rechnen. Nur spielerisch geht es hier keine Sekunde lang zu, in einem Bürgerkriegsland, in dem die Zahl der Leichen ohnehin sehr hoch ist. Was da von den Plänen, Wünschen, Träumen der Einzelnen übrig bleibt, ist nicht viel.
"Meine Bücher", schreibt Topin auf seiner Website, "sind das Ergebnis schlechter Lektüren, langer, alkoholisierter Gespräche und großer Schmerzen." So viel Koketterie kann sich einer jenseits der achtzig leisten. Nach diesem so brutalen wie beeindruckenden Roman erst recht. Und man würde nach diesem libyschen Exodus auch gerne noch weitere Bücher dieses nicht gerade reichlich übersetzten Autors kennenlernen.
PETER KÖRTE
Tito Topin: "Exodus aus Libyen".
Aus dem Französischen von Katarina Grän. Distel Literaturverlag, Heilbronn 2015. 233 S., br., 14,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Krieg und die Liebe. Schlachtfelder des Lebens. Vielleicht muss man Franzose sein, um so darüber schreiben zu können:"Sie wissen sehr wohl, dass Kriege schon lange nicht mehr gewonnen werden. Niemand ist als Gewinner aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen. Wer hat den Koreakrieg gewonnen? Der Norden, der Süden? Afghanistan, Irak, Israel-Palästina, die Hututs gegen die Tutsis, die Liste dieser aufreibenden Kriege, die letztendlich immer ohne Siege oder Besiegte enden, ist lang. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich lieber auf die Liebe anstoßen, dabei gibt es nur Verlierer, aber wenigstens entspricht das den Spielregeln."Der so spricht ist kein Pazifist, sondern Hajj Ahmet, Kommandant der libysischen Armee. Wir befinden uns mitten im libyschen Bürgerkrieg, 2011, in einem zerstörten Wüstennest, etwa 100 Kilometer von der tunesischen Grenze entfernt. Die versucht eine Gruppe von sechs Männern und zwei Frauen zu erreichen, in einem gestohlenen Land Cruiser, mit wenig mehr als Erinnerungen und ein bisschen Hoffnung im Gepäck.
Die seltsam zusammengewürfelte Truppe (hier muss der Leser ein wenig Toleranz gegenüber UNwahrscheinlichkeiten aufbringen) - darunter ein kanadischer Arzt, ein französischer Fälscher, ein libyscher Lehrer und eine Ex-Geliebte Gaddafis - hat eigentlich keine Chance. Der Wagen geht kaputt, untereinander ist man zerstritten und dann ist da eben noch Hajj Ahmet, der die Gruppe an der Weiterfahrt hindert. Als der erste von ihnen von den Soldaten ermordet wird, scheint es als einzigen Ausweg nur noch den Tod zu geben
Ein seltsamer, ein aufregender Hybrid ist dem Franzosen Tito Topin, dessen frühere Romane in Deutschland nicht übersetzt oder längst out of print sind, mit "Exodus aus Libyen" gelungen: Halb Actionreißer, halb existenzialistisches Drama, hoch spannend, politisch und voller kluger Gedanken über den Krieg und was er mit den Menschen anstellt.
www.krimi-welt.de, 7.11.15
Die seltsam zusammengewürfelte Truppe (hier muss der Leser ein wenig Toleranz gegenüber UNwahrscheinlichkeiten aufbringen) - darunter ein kanadischer Arzt, ein französischer Fälscher, ein libyscher Lehrer und eine Ex-Geliebte Gaddafis - hat eigentlich keine Chance. Der Wagen geht kaputt, untereinander ist man zerstritten und dann ist da eben noch Hajj Ahmet, der die Gruppe an der Weiterfahrt hindert. Als der erste von ihnen von den Soldaten ermordet wird, scheint es als einzigen Ausweg nur noch den Tod zu geben
Ein seltsamer, ein aufregender Hybrid ist dem Franzosen Tito Topin, dessen frühere Romane in Deutschland nicht übersetzt oder längst out of print sind, mit "Exodus aus Libyen" gelungen: Halb Actionreißer, halb existenzialistisches Drama, hoch spannend, politisch und voller kluger Gedanken über den Krieg und was er mit den Menschen anstellt.
www.krimi-welt.de, 7.11.15