Mutig und meinungsstark - das grundlegende Buch zur aktuellen Flüchtlingskrise
Angesichts der Hunderttausenden Flüchtlinge, die aktuell nach Deutschland und in andere Länder Europas strömen, ist wohl kaum eine Frage so brisant wie die der Einwanderung. Dürfen wir Menschen an der Grenze abweisen und wieder in ihre Heimatländer zurückschicken, auch wenn dort Krieg, Armut und Hunger herrschen? In seinem hochgelobten Buch Exodus gibt der Entwicklungsökonom Paul Collier neue, überraschende Antworten. Seine Einsichten sind für die anhaltende Debatte über Flüchtlinge und Zuwanderung unverzichtbar.
Wer darf ins Land kommen und wer nicht? Profitieren wir von der Einwanderung - oder hilft der Massenexodus nur den Migranten selbst? Paul Collier erforscht, welche Kosten und welchen Nutzen die weltweite Migration mit sich bringt: für die aufnehmenden Ländern (vor allem in Europa), für die Einwanderer selbst und für jene Länder, die die Migranten zurücklassen. Auch das Schicksal dieser Staaten, die oft zu den Ländern der »ärmsten Milliarde« gehören, müssen wir im Blick behalten, so Collier, wenn wir über die Gewinner und Verlierer von Migration sprechen. Nur so wird es möglich sein, angesichts der aktuellen Flüchtlingskrise gerechte neue Regeln für die Einwanderung zu finden und keiner Gesellschaft zu schaden.
Angesichts der Hunderttausenden Flüchtlinge, die aktuell nach Deutschland und in andere Länder Europas strömen, ist wohl kaum eine Frage so brisant wie die der Einwanderung. Dürfen wir Menschen an der Grenze abweisen und wieder in ihre Heimatländer zurückschicken, auch wenn dort Krieg, Armut und Hunger herrschen? In seinem hochgelobten Buch Exodus gibt der Entwicklungsökonom Paul Collier neue, überraschende Antworten. Seine Einsichten sind für die anhaltende Debatte über Flüchtlinge und Zuwanderung unverzichtbar.
Wer darf ins Land kommen und wer nicht? Profitieren wir von der Einwanderung - oder hilft der Massenexodus nur den Migranten selbst? Paul Collier erforscht, welche Kosten und welchen Nutzen die weltweite Migration mit sich bringt: für die aufnehmenden Ländern (vor allem in Europa), für die Einwanderer selbst und für jene Länder, die die Migranten zurücklassen. Auch das Schicksal dieser Staaten, die oft zu den Ländern der »ärmsten Milliarde« gehören, müssen wir im Blick behalten, so Collier, wenn wir über die Gewinner und Verlierer von Migration sprechen. Nur so wird es möglich sein, angesichts der aktuellen Flüchtlingskrise gerechte neue Regeln für die Einwanderung zu finden und keiner Gesellschaft zu schaden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.03.2016NEUE TASCHENBÜCHER
Vom gesellschaftlichen Vertrauen -
wie Paul Collier die Migration sieht
Der Oxforder Armutsforscher Paul Collier hat ein nüchternes Buch zu Migration geschrieben, das auch der lesen sollte, der die Aufnahme von Flüchtlingen nicht als Maßnahme der Migrationspolitik versteht. Für Collier sind die Wanderungsströme Folge globaler ökonomischer Ungleichgewichte, die in einigen Jahrzehnten überwunden sein werden. Bis dahin sind Nutzen und Nachteile für beide Seiten abzuwägen, für die Herkunftsgesellschaften und die Zielländer der Wanderungen. Es sei wie beim Essen, sagt Collier: Es geht nicht ums Ob, sondern ums Wieviel.
Einwanderung kann den reichen Gesellschaften nützen, solange sie deren öffentliche Güter nicht in Gefahr bringt. Dazu zählt Collier an erster Stelle das gesellschaftliche Vertrauen, ein Gefühl von Gemeinschaft, ohne das eine arbeitsteilige Wirtschaft ebenso wenig existieren kann wie der Rechts- und Sozialstaat mit seinen Sicherungs- und Transferleistungen. Zu große Gruppen nicht absorbierter Fremder bedrohen das „Clubgut“ des kooperativen Vertrauens auch unter den Einheimischen, sie erschweren die Aufnahme der Neuen in den Club der Mehrheitsgesellschaft. Dabei versucht sich Collier in tabellarischen Modellen, die Migrationsraten und Absorptionraten in mathematische Verhältnisse setzen. Die ökonomischen Effekte auf die Zielländer hält Collier für überschätzt, aber insgesamt für leicht positiv.
Die Auswanderungsländer gewinnen durch Rückflüsse des nach Hause überwiesenen Geldes, oft auch durch die Bildungstransfers bei Heimkehr und durch den Ansporn bei den Zurückgebliebenen, sich ihrerseits zu ertüchtigen. Doch bedroht Auswanderung die armen Gesellschaften auch durch den Verlust der Besten. Gerade wer Armut langfristig bekämpfen will, könne, so Collier, nicht für unbegrenzte Migration sein. „Daher kann man die Migration nicht der individuellen Entscheidung der Migranten überlassen; sie muss von den Staaten gesteuert werden.“ Der britische Wissenschaftler ist Enkel deutscher Migranten; die derzeitige Politik Deutschlands sieht er skeptisch.
GUSTAV SEIBT
Paul Collier: Exodus. Warum wir Einwanderung neu regeln müssen. Aus d. Englischen v. Klaus-Dieter Schmidt. Pantheon Verlag, München 2016. 320 S., 14,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Vom gesellschaftlichen Vertrauen -
wie Paul Collier die Migration sieht
Der Oxforder Armutsforscher Paul Collier hat ein nüchternes Buch zu Migration geschrieben, das auch der lesen sollte, der die Aufnahme von Flüchtlingen nicht als Maßnahme der Migrationspolitik versteht. Für Collier sind die Wanderungsströme Folge globaler ökonomischer Ungleichgewichte, die in einigen Jahrzehnten überwunden sein werden. Bis dahin sind Nutzen und Nachteile für beide Seiten abzuwägen, für die Herkunftsgesellschaften und die Zielländer der Wanderungen. Es sei wie beim Essen, sagt Collier: Es geht nicht ums Ob, sondern ums Wieviel.
Einwanderung kann den reichen Gesellschaften nützen, solange sie deren öffentliche Güter nicht in Gefahr bringt. Dazu zählt Collier an erster Stelle das gesellschaftliche Vertrauen, ein Gefühl von Gemeinschaft, ohne das eine arbeitsteilige Wirtschaft ebenso wenig existieren kann wie der Rechts- und Sozialstaat mit seinen Sicherungs- und Transferleistungen. Zu große Gruppen nicht absorbierter Fremder bedrohen das „Clubgut“ des kooperativen Vertrauens auch unter den Einheimischen, sie erschweren die Aufnahme der Neuen in den Club der Mehrheitsgesellschaft. Dabei versucht sich Collier in tabellarischen Modellen, die Migrationsraten und Absorptionraten in mathematische Verhältnisse setzen. Die ökonomischen Effekte auf die Zielländer hält Collier für überschätzt, aber insgesamt für leicht positiv.
Die Auswanderungsländer gewinnen durch Rückflüsse des nach Hause überwiesenen Geldes, oft auch durch die Bildungstransfers bei Heimkehr und durch den Ansporn bei den Zurückgebliebenen, sich ihrerseits zu ertüchtigen. Doch bedroht Auswanderung die armen Gesellschaften auch durch den Verlust der Besten. Gerade wer Armut langfristig bekämpfen will, könne, so Collier, nicht für unbegrenzte Migration sein. „Daher kann man die Migration nicht der individuellen Entscheidung der Migranten überlassen; sie muss von den Staaten gesteuert werden.“ Der britische Wissenschaftler ist Enkel deutscher Migranten; die derzeitige Politik Deutschlands sieht er skeptisch.
GUSTAV SEIBT
Paul Collier: Exodus. Warum wir Einwanderung neu regeln müssen. Aus d. Englischen v. Klaus-Dieter Schmidt. Pantheon Verlag, München 2016. 320 S., 14,99 Euro.
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»[Eine wahre] Fundgrube für Erkenntnisse, die in der Debatte bisher keine Rolle spielten.« Neue Zürcher Zeitung (CH), 29.01.2015