"An mir ist fast alles zufällig." Ob im Labor oder im Schreibvorgang, in der künstlerischen Forschung oder im Leben - das Experiment steht im Zentrum der zwischen Wissenschaftsgeschichte und wissenschaftlicher Biografie pendelnden Gespräche mit Hans-Jörg Rheinberger. In ausführlichen Interviews spricht der Wissenschaftshistoriker über den Menschen und seine Gene, über das Schreiben des Historikers, über Derrida im Labor und wie das genau ist mit der Neugier in der Wissenschaft. Welche Rolle spielen Planung und Zufall in der Forschungsarbeit, wie verhält es sich mit Leidenschaft und Glücksempfinden? Und warum ist ausgerechnet das Geheimnis das schönste Motiv für Forschung?
Meist eher an entlegenen Orten publiziert, können die Gespräche in dieser Zusammenstellung als ein Projekt wahrgenommen werden, das sich über mehrere Jahre erstreckt und selbst Experimentalcharakter hat. So werden die Bezugspunkte sichtbar, die sie vereinen, aber auch, was sie in Spannung zueinander hält.
Meist eher an entlegenen Orten publiziert, können die Gespräche in dieser Zusammenstellung als ein Projekt wahrgenommen werden, das sich über mehrere Jahre erstreckt und selbst Experimentalcharakter hat. So werden die Bezugspunkte sichtbar, die sie vereinen, aber auch, was sie in Spannung zueinander hält.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.2018Vom Nutzen der Instabilität
Forschungsweisen: Hans-Jörg Rheinberger im Gespräch
Von den vielen guten Gründen, sich mit dem Wesen und der Zukunft der Wissenschaften zu beschäftigen, sind die aktuellen politischen Malaisen, die sich mit den Begriffen Trump, Alternativfakten und Populismus verbinden, vielleicht die augenfälligsten. Sie deuten jedoch lediglich an, was Hans-Jörg Rheinberger immer wieder als latente "Instabilität" des Systems der Wahrheitsfindung vorführt. Sein akademisches Leben lang, zuerst als Naturforscher und Molekularbiologe, dann vor allem als Historiker und Philosoph, hat sich der langjährige Direktor des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte einen Namen gemacht mit dem Nachweis, dass "Experimentalsysteme" treibende Kräfte in der Wahrheitsfindung sind. Die biowissenschaftliche Laborarbeit, das "epistemische Ding", steht dabei im Zentrum seiner Reflexionen.
In dem nun erschienenen Gesprächssammelband ruft Rheinberger deshalb etwas in Erinnerung, das in den aktuellen Debatten oft zu kurz kommt: Wissenschaft spielt sich eben nicht allein in den Köpfen ab, sondern muss sich im realen Leben bewähren. Experimentatoren sind für ihn auch keine Erfüllungsgehilfen, die lediglich bestehende Theorien und Konzepte überprüfen, ihre Arbeit ist vielmehr, wie Rheinberger hier deutlich macht, die "Handhabung und Auseinandersetzung" mit offenen Fragen.
Der Band versammelt Gespräche der letzten Jahre, die an eher abgelegenen Orten erschienen. In dieser Zusammenstellung zeigen sie besonders eindrücklich, wie Rheinberger den Forschungsprozess und dessen historische Rolle deutet - und keineswegs allein in den Wissenschaften, denn auch der Kunst als Komplementärform der Erforschung unserer Welt weist er eine prominente Rolle zu. Dreizehn inspirierende Gespräche, in denen Begriffe wie Neugier und Gene ebenso tiefschürfend behandelt werden wie das Schreiben des Historikers oder die Bedeutung von Zufällen. Eine fast spielerische, mit den eingestreuten biographischen Einzelheiten auch oft erfrischend lebendige Ergänzung eines hervorstechenden wissenschaftsphilosophischen Werks.
JOACHIM MÜLLER-JUNG
"Experimentalität".
Hans-Jörg Rheinberger im Gespräch über Labor,
Atelier und Archiv.
Kulturverlag Kadmos, Berlin 2018. 289 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Forschungsweisen: Hans-Jörg Rheinberger im Gespräch
Von den vielen guten Gründen, sich mit dem Wesen und der Zukunft der Wissenschaften zu beschäftigen, sind die aktuellen politischen Malaisen, die sich mit den Begriffen Trump, Alternativfakten und Populismus verbinden, vielleicht die augenfälligsten. Sie deuten jedoch lediglich an, was Hans-Jörg Rheinberger immer wieder als latente "Instabilität" des Systems der Wahrheitsfindung vorführt. Sein akademisches Leben lang, zuerst als Naturforscher und Molekularbiologe, dann vor allem als Historiker und Philosoph, hat sich der langjährige Direktor des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte einen Namen gemacht mit dem Nachweis, dass "Experimentalsysteme" treibende Kräfte in der Wahrheitsfindung sind. Die biowissenschaftliche Laborarbeit, das "epistemische Ding", steht dabei im Zentrum seiner Reflexionen.
In dem nun erschienenen Gesprächssammelband ruft Rheinberger deshalb etwas in Erinnerung, das in den aktuellen Debatten oft zu kurz kommt: Wissenschaft spielt sich eben nicht allein in den Köpfen ab, sondern muss sich im realen Leben bewähren. Experimentatoren sind für ihn auch keine Erfüllungsgehilfen, die lediglich bestehende Theorien und Konzepte überprüfen, ihre Arbeit ist vielmehr, wie Rheinberger hier deutlich macht, die "Handhabung und Auseinandersetzung" mit offenen Fragen.
Der Band versammelt Gespräche der letzten Jahre, die an eher abgelegenen Orten erschienen. In dieser Zusammenstellung zeigen sie besonders eindrücklich, wie Rheinberger den Forschungsprozess und dessen historische Rolle deutet - und keineswegs allein in den Wissenschaften, denn auch der Kunst als Komplementärform der Erforschung unserer Welt weist er eine prominente Rolle zu. Dreizehn inspirierende Gespräche, in denen Begriffe wie Neugier und Gene ebenso tiefschürfend behandelt werden wie das Schreiben des Historikers oder die Bedeutung von Zufällen. Eine fast spielerische, mit den eingestreuten biographischen Einzelheiten auch oft erfrischend lebendige Ergänzung eines hervorstechenden wissenschaftsphilosophischen Werks.
JOACHIM MÜLLER-JUNG
"Experimentalität".
Hans-Jörg Rheinberger im Gespräch über Labor,
Atelier und Archiv.
Kulturverlag Kadmos, Berlin 2018. 289 S., geb., 24,90 [Euro].
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