Die Jugendbuch-Sensation aus Norwegen!Es sind Sommerferien und der fünfzehnjährige Mahmoud stellt sich auf lange Tage außerhalb seines Plattenbau-Viertels am Rand von Oslo ein. Norwegische Norweger verreisen in den Sommerferien, aber was machen mittellose Ausländer? Doch dieser Sommer wird anders. Denn die Familie erhält Besuch von Onkel Ji aus Pakistan und Mahmoud soll ihm die Stadt zeigen. Onkel Ji ist fasziniert von dem fremden Land, doch dann beginnt auch er sich zu fragen, ob mit Ali, Mahmouds kleinem Bruder, etwas nicht stimmt. Denn Ali spielt mit Puppen und benimmt sich nicht so, wie ein Pakistani-Junge sich benehmen sollte ...
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Florian Welle hat die Figuren aus Gulraiz Sharifs Jugendroman über das Aufwachsen eines jungen Muslims im heutigen Oslo lange vor Augen. Außerordentlich an diesem Debüt findet er nicht nur die Figurenzeichnung, auch der von Meike Batzheim und Sarah Onkels laut Welle kongenial ins Deutsche gebrachte "Sound der Straße" mit "Bro", "Digga" und großer Schnauze überzeugt den Rezensenten. Wenn Mahmoud im Buch mal klug, mal zynisch, mal überfordert über Familien-Trouble, Transgender, Rassismus abzieht, gefällt Welle der unverkrampfte Blick, der sich um political correctness nicht sonderlich schert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.06.2022Kleines Weibsbild!
Gulraiz Sharif erzählt eine Transgender-Geschichte
von einer pakistanischen Einwandererfamilie in Oslo
VON FLORIAN WELLE
Der fünfzehnjährige Mahmoud Mahroof ist der Ich-Erzähler in dem in vieler Hinsicht außerordentlichen Debüt „Ey hör mal!“ des norwegischen Autors Gulraiz Sharif. Das beginnt schon damit, dass man es nicht literarisches Erzählen nennen kann, was der Junge über seine Sommerferien berichtet. Das wäre viel zu hochtrabend. Nein, Mahmoud spricht uns direkt als „Alter“, „Bro“ und „Digga“ an und labert einfach drauflos. In einem Slang, mit dem er in den Sozialwohnungen in Ost-Oslo aufgewachsen ist: „Ich bin der Block, und der Block ist ich.“
Einfacher Satzbau, englische Worthülsen, drastische Ausdrücke. Einigen Älteren dürfte das aus Feridun Zaimoğlus legendärem Buch „Kanak Sprak – 24 Misstöne vom Rande der Gesellschaft“ bekannt vorkommen. Aber im Kinder- und Jugendgenre hat man es so direkt bisher nur selten zu lesen bekommen. Lob gebührt hier auch den Übersetzerinnen Meike Blatzheim und Sarah Onkels, die das in Norwegen mit dem Debütantenpreis für Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnete Buch und dessen unverblümten Sound der Straße in ein entsprechendes Deutsch übertragen haben.
Der 1984 in Oslo geborene Gulraiz Sharif weiß, wovon er schreibt. Wie sein Mahmoud wuchs Sharif als Kind pakistanischer Zuwanderer auf. Heute arbeitet er als Lehrer, ein Beruf, den auch sein jugendlicher Held anstrebt, weil er einfach „Bock“ hat, mit Jugendlichen zu arbeiten. Es steckt also viel Gulraiz in Mahmoud, der sich nach außen lässig gibt, aber ein weiches Herz besitzt. Diese Seite zeigt er vor allem gegenüber seinem zehnjährigen Bruder Ali, der ihm eines Tages gesteht, dass er sich als Mädchen fühlt und verzweifelt fragt, warum Gott einen Jungen aus ihm gemacht hat.
Die Frage wird im weiteren Verlauf zu mächtigem Trouble in der Familie führen, in der sich die Eltern seit Jahrzehnten in der neuen Heimat abrackern, damit es die Kinder einmal besser haben. Der Vater rastet aus, fürchtet um sein Ansehen bei den Taxikollegen und der eigenen Verwandtschaft. Ausgerechnet jetzt ist auch noch sein Bruder Ji aus Pakistan zu Besuch: „Mein Sohn ein kleines … Weibsbild! Wie soll ich den Leuten noch vor die Augen treten?“ Anders die Mutter, die sich vor ihr Kind stellt: „Wenn ich noch einmal so eine Scheiße von dir höre, pack ich meine Sachen …“ Was sie von ihrem Mann einfordert, ist nichts weniger, als traditionelle Werte hinter sich zu lassen und Rückgrat zu zeigen. Mahmoud würde sagen: Eier zu haben.
Bis das derzeit im Jugendbuch häufig verhandelte Transgender-Thema die Geschichte bestimmt und die ziemlich langweilig gestarteten Sommerferien aufmischt, lässt Mahmoud aber erst einmal eine Suada vom Stapel, die es in sich und im wahrsten Sinne Gott und die Welt zum Ziel hat. In ihr bekommt jeder sein Fett weg. Gut situierte „norwegische Norweger“, die nicht noch mehr Einwanderung wollen, ebenso wie die eigene Familie: „Norwegische Jugendliche schmeißen zu Hause Partys, wir massieren nonstop unsre Mütter und Väter, um gesegnet zu werden.“
Mahmoud hat eine große Schnauze. Dabei ist er witzig, klug, zynisch, verwirrt, überfordert, immer jedoch gerade heraus und ehrlich. Political Correctness? Schert ihn nicht. Mit dem Ergebnis, dass „Ey hör mal!“ einen erfrischend unverkrampften Blick auf Fragen nach Identität, Geschlecht, Rassismus und sozialer Gerechtigkeit wirft. Gerade weil das Buch auch das Spiel mit Rollenbildern, Stereotypen und Vorurteilen riskiert, um diese letztlich ad absurdum zu führen.
„Ali ist ein Kind“, schimpft Mahmoud einmal, um dann die alles entscheidende Frage zu stellen: „Soll er sich jetzt etwa hassen, weil er Muslim ist, weil er dunkle Haut hat, weil er Pakistani ist, kein Norweger, ein trans Kind, Ausländer, Einwanderer, Kanake, Paki, jetzt echt mal, soll er sich für so viele unterschiedliche Sachen hassen?“ Am Ende hat sich jeder aus der Familie Mahroof, die einem noch lange im Gedächtnis bleibt, neu ge- und erfunden. (ab 14 Jahre)
Der 1984 in Oslo geborene
Autor Gulraiz Sharif
weiß, wovon er schreibt
Gulraiz Sharif: Ey hör mal! Aus
dem Norwegischen von Meike Blatzheim
und Sarah Onkels. Arctis Verlag 2022.
208 Seiten, 15 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Gulraiz Sharif erzählt eine Transgender-Geschichte
von einer pakistanischen Einwandererfamilie in Oslo
VON FLORIAN WELLE
Der fünfzehnjährige Mahmoud Mahroof ist der Ich-Erzähler in dem in vieler Hinsicht außerordentlichen Debüt „Ey hör mal!“ des norwegischen Autors Gulraiz Sharif. Das beginnt schon damit, dass man es nicht literarisches Erzählen nennen kann, was der Junge über seine Sommerferien berichtet. Das wäre viel zu hochtrabend. Nein, Mahmoud spricht uns direkt als „Alter“, „Bro“ und „Digga“ an und labert einfach drauflos. In einem Slang, mit dem er in den Sozialwohnungen in Ost-Oslo aufgewachsen ist: „Ich bin der Block, und der Block ist ich.“
Einfacher Satzbau, englische Worthülsen, drastische Ausdrücke. Einigen Älteren dürfte das aus Feridun Zaimoğlus legendärem Buch „Kanak Sprak – 24 Misstöne vom Rande der Gesellschaft“ bekannt vorkommen. Aber im Kinder- und Jugendgenre hat man es so direkt bisher nur selten zu lesen bekommen. Lob gebührt hier auch den Übersetzerinnen Meike Blatzheim und Sarah Onkels, die das in Norwegen mit dem Debütantenpreis für Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnete Buch und dessen unverblümten Sound der Straße in ein entsprechendes Deutsch übertragen haben.
Der 1984 in Oslo geborene Gulraiz Sharif weiß, wovon er schreibt. Wie sein Mahmoud wuchs Sharif als Kind pakistanischer Zuwanderer auf. Heute arbeitet er als Lehrer, ein Beruf, den auch sein jugendlicher Held anstrebt, weil er einfach „Bock“ hat, mit Jugendlichen zu arbeiten. Es steckt also viel Gulraiz in Mahmoud, der sich nach außen lässig gibt, aber ein weiches Herz besitzt. Diese Seite zeigt er vor allem gegenüber seinem zehnjährigen Bruder Ali, der ihm eines Tages gesteht, dass er sich als Mädchen fühlt und verzweifelt fragt, warum Gott einen Jungen aus ihm gemacht hat.
Die Frage wird im weiteren Verlauf zu mächtigem Trouble in der Familie führen, in der sich die Eltern seit Jahrzehnten in der neuen Heimat abrackern, damit es die Kinder einmal besser haben. Der Vater rastet aus, fürchtet um sein Ansehen bei den Taxikollegen und der eigenen Verwandtschaft. Ausgerechnet jetzt ist auch noch sein Bruder Ji aus Pakistan zu Besuch: „Mein Sohn ein kleines … Weibsbild! Wie soll ich den Leuten noch vor die Augen treten?“ Anders die Mutter, die sich vor ihr Kind stellt: „Wenn ich noch einmal so eine Scheiße von dir höre, pack ich meine Sachen …“ Was sie von ihrem Mann einfordert, ist nichts weniger, als traditionelle Werte hinter sich zu lassen und Rückgrat zu zeigen. Mahmoud würde sagen: Eier zu haben.
Bis das derzeit im Jugendbuch häufig verhandelte Transgender-Thema die Geschichte bestimmt und die ziemlich langweilig gestarteten Sommerferien aufmischt, lässt Mahmoud aber erst einmal eine Suada vom Stapel, die es in sich und im wahrsten Sinne Gott und die Welt zum Ziel hat. In ihr bekommt jeder sein Fett weg. Gut situierte „norwegische Norweger“, die nicht noch mehr Einwanderung wollen, ebenso wie die eigene Familie: „Norwegische Jugendliche schmeißen zu Hause Partys, wir massieren nonstop unsre Mütter und Väter, um gesegnet zu werden.“
Mahmoud hat eine große Schnauze. Dabei ist er witzig, klug, zynisch, verwirrt, überfordert, immer jedoch gerade heraus und ehrlich. Political Correctness? Schert ihn nicht. Mit dem Ergebnis, dass „Ey hör mal!“ einen erfrischend unverkrampften Blick auf Fragen nach Identität, Geschlecht, Rassismus und sozialer Gerechtigkeit wirft. Gerade weil das Buch auch das Spiel mit Rollenbildern, Stereotypen und Vorurteilen riskiert, um diese letztlich ad absurdum zu führen.
„Ali ist ein Kind“, schimpft Mahmoud einmal, um dann die alles entscheidende Frage zu stellen: „Soll er sich jetzt etwa hassen, weil er Muslim ist, weil er dunkle Haut hat, weil er Pakistani ist, kein Norweger, ein trans Kind, Ausländer, Einwanderer, Kanake, Paki, jetzt echt mal, soll er sich für so viele unterschiedliche Sachen hassen?“ Am Ende hat sich jeder aus der Familie Mahroof, die einem noch lange im Gedächtnis bleibt, neu ge- und erfunden. (ab 14 Jahre)
Der 1984 in Oslo geborene
Autor Gulraiz Sharif
weiß, wovon er schreibt
Gulraiz Sharif: Ey hör mal! Aus
dem Norwegischen von Meike Blatzheim
und Sarah Onkels. Arctis Verlag 2022.
208 Seiten, 15 Euro.
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