Bruno Lüdke wurde - fälschlich - als der 'größte Massenmörder in der Kriminalgeschichte' bezeichnet. Der im Nationalsozialismus geheim gehaltene Fall bot seit den 1950er Jahren Stoff für Enthüllungsgeschichten und filmische Fiktionen. Die Akteure beriefen sich auf die Wahrheit der Archivakten: medizinische Gutachten, Protokolle der Polizei, Fotografien, Körperabformungen und Lüdkes Sterbeurkunde. Dieses Buch entwirft zu den wissenschaftlichen und populären Imaginationen vom Bösen eine Medien- und Wissensgeschichte vom 19. Jahrhundert bis in unsere Gegenwart. Analysiert werden stereotype und rassistische Menschenbilder, Visualisierungen des Verbrechers als Typus, Wahrheits- und Trophäenproduktionen und die vergangenheitspolitischen Dimensionen von Medienpraxis. Fabrikation eines Verbrechers demonstriert wissenschaftliches Denken dicht am Material, theoretisch und methodisch transparent - für eine zeitgemäße historische, politische und ästhetische Bildung.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rezensent Ronald Düker staunt: Postfaktisch und Fake News gab's schon vor dem Internet, Vermessung einer Person auch, inklusive Erhebung der intimsten Daten. Gelesen hat er das in einem aufschlussreichen Band über Bruno Lüdke, einen offenbar etwas zurückgebliebenen Gelegenheitsarbeiter, der einige kleinere Diebstähle begangen hatte, bevor ihn sich 1943 der Kriminalkommissar Heinrich Franz schnappte und ihn zum Geständnis von 53 bislang unaufgeklärten Morden überredete. Die Verhörmethoden waren so obskur, dass der Fall gar nicht erst vor Gericht kam, erzählt Düker. Stattdessen wurde Lüdke auf Anweisung Himmlers ins Kriminalmedizinische Zentralinstitut Wien eingewiesen, wo er vermessen wurde und schließlich für Experimente herhalten musste, an denen er vermutlich qualvoll starb. Noch mehr als diese Geschichte - davon gab's viele, meint Düker etwas kaltschnäuzig - empört den Rezensenten, dass Lüdke noch 1950 vom Spiegel als Massenmörder verleumdet wurde, um den Ruf der deutschen Kriminalpolizei zu retten. In Filmen, Zeitungsartikeln und sogar noch in der Wikipedia wurde Lüdke immer wieder als Mörder hingestellt. Ein Medienskandal, ruft der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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