Wo immer der Mensch im Bild erscheint, steht das Gesicht im Mittelpunkt. Gleichzeitig trotzt das Gesicht allen Versuchen, es auf Bilder festzulegen. Im Bild erstarrt es zur Maske, gegen die das lebendige Gesicht als Gegenspieler auftritt. Hans Belting erkundet diese Spannung in seiner grandiosen Geschichte des Gesichts - der ersten, die je geschrieben wurde.
Sie beginnt bei den Masken der Steinzeit und endet bei den Gesichtern, die die modernen Massenmedien produzieren. In Theatermasken und der Mimik des Schauspielers, im europäischen Porträt und in der Fotografie, im Film und in der Gegenwartskunst entdeckt Belting die vielfältigen Versuche, sich des Gesichts zu bemächtigen, und deren permanentes Scheitern am Leben des Gesichts und des Selbst. Dieses Leben ist undarstellbar, bleibt gegen alle Normen und Klischees resistent und drängt doch immer wieder ins Bild. Selbst die Porträtkunst der europäischen Neuzeit hat am Ende oft nur Masken produziert. Und auch der Film, der das menschliche Gesicht in unvergleichlicher Intimität vorführte, scheiterte an seinem Anspruch, den Menschen zum ersten Mal wirklich ins Bild zu bringen. Beltings Buch ist voll von funkelnden Einsichten, mit denen es unsere gängigen Vorstellungen durchbricht. Es ist eine brillante Erkundung der Bilder, die sich die Menschen im Laufe der Geschichte von sich selbst gemacht haben.
Sie beginnt bei den Masken der Steinzeit und endet bei den Gesichtern, die die modernen Massenmedien produzieren. In Theatermasken und der Mimik des Schauspielers, im europäischen Porträt und in der Fotografie, im Film und in der Gegenwartskunst entdeckt Belting die vielfältigen Versuche, sich des Gesichts zu bemächtigen, und deren permanentes Scheitern am Leben des Gesichts und des Selbst. Dieses Leben ist undarstellbar, bleibt gegen alle Normen und Klischees resistent und drängt doch immer wieder ins Bild. Selbst die Porträtkunst der europäischen Neuzeit hat am Ende oft nur Masken produziert. Und auch der Film, der das menschliche Gesicht in unvergleichlicher Intimität vorführte, scheiterte an seinem Anspruch, den Menschen zum ersten Mal wirklich ins Bild zu bringen. Beltings Buch ist voll von funkelnden Einsichten, mit denen es unsere gängigen Vorstellungen durchbricht. Es ist eine brillante Erkundung der Bilder, die sich die Menschen im Laufe der Geschichte von sich selbst gemacht haben.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Valentin Groebner staunt über die unerhörte Gelehrsamkeit des neuen Buches des Kunsthistorikers Hans Belting, der hier die allgegenwärtigen icons in eine Traditionslinie mit dem guten alten Porträt stellt, die er vom 7. Jahrtausend vor Christus bis in die Gegenwart spannt. Beltings Beobachtungen scheinen dem Rezensenten nicht nur frappierend, sondern auch von feiner Ironie durchzogen. Allerdings entgeht ihm auch nicht des Autors kulturkritischer Tonfall, das Klagen über den Gesichtsverlust der Moderne. Und über das Verhältnis Verlust und Kult in diesem Kontext hätte er gern mehr gelesen. Ebenso wie über den subjektiven Umgang mit wirklichen Gesichtern, dem flüchtigen in der U-Bahn etwa.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2013Wir Maskenmenschen
Hans Belting erzählt „Eine Geschichte des Gesichts“ von den kultischen
Anfängen bis zur Mediengesellschaft – und sieht keinen Ausweg aus der Pose
VON KIA VAHLAND
Das Gesicht. Man kann es zeigen oder nicht, bewahren oder verlieren. Kann es befremdlich finden, morgens im Spiegel nach durchzechter Nacht, oder es ganz ohne Spiegel für großartig halten. So oder so, wir sehen das bisschen Haut und Fleisch mitsamt etwaiger Nasenhaare als einen Ausdruck unserer Selbst an, und hören nicht gerne, dass vom schönsten Antlitz auf Dauer nichts bleibt als die Knochen von Stirn, Wangen und Kinn. Goethe noch verehrte auf einem Samtkissen einen Schädel, den er für Schillers hielt. Uns Nachgeborenen wäre das zu viel der Information; wir wollen vom Ende der Gesichter nichts wissen und halten uns lieber an Porträts, die zu Lebzeiten entstanden sind: Fotos, Filme, vielleicht auch Zeichnungen und Gemälde.
Alle glauben an das Gesicht und seine Wahrheit, nur einer nicht: Hans Belting. Der Kunsthistoriker hat gerade eine umfängliche und aufregende „Geschichte des Gesichts“ vorgelegt, die vom Zweifel an der vermeintlichen Wahrheit der „Faces“, so der Haupttitel, lebt. Das Angesicht nämlich kann sich, so Belting, nicht seiner Bildhistorie entziehen, die von den altgriechischen Maskenschauspielern über die Porträts der Renaissance bis zum computermanipulierten Konterfei der Gegenwart reicht. So sehr sich die Ideen vom Gesicht im Laufe der Zeit auch gewandelt haben, immer erkennt der Autor einen vergeblichen Kampf des Menschen gegen die Maske. Die Idee der Aufklärung, das Gesicht sei ein „Bild des Ich“, die Maske dagegen nur eine „Fälschung des Ich“, wird in diesem Band Seite um Seite zerpflückt.
Ob dies in seiner Absolutheit immer und überall so stimmt, sei dahingestellt. Darauf kommt es aber nicht zuvorderst an – es wäre im Übrigen nicht das erste gewichtige Buch des Bildwissenschaftlers, das in etlichen Einzelaspekten widerlegt wird und trotzdem durch seinen Mut zum Querdenken Forschern und kulturinteressiertem Publikum neue Erkenntnisse eröffnet. Und das leistet Belting mit diesem Alterswerk. Wie schon in seiner „Bild-Anthropologie“ (2001) oder „Das echte Bild“ (2005), so nimmt er sich auch diesmal die Freiheit, hinauszudenken über einen engeren Kunstbegriff, der nur von der frühen Neuzeit bis in die Moderne reicht. Gleichermaßen wie höfische und bürgerliche Porträts in Öl oder auf Fotopapier interessieren ihn die älteren kultischen Zusammenhänge und die neuen, vielleicht nicht weniger kultischen Bedingungen der Mediengesellschaft. Er fragt, was in der longue durée nachwirkt, was das Bildnis erst zum Bild macht – und stößt dabei auf die Maske, die schon in den meisten Naturreligionen verwendet wurde.
In den alten Stammesgesellschaften, etwa auf Papua-Neuguinea, war die aus Blättern und Stöcken geflochtene Maske als Ding wenig wert. Sie wurde erst in der Zeremonie durch ihren Träger aktiviert, der in Tanz und Trance mit den Geistern der Ahnen in Kontakt kam. Nach diesem mystischen Moment verschwanden die Masken im Gebüsch oder im Feuer. Dass sie und andere Bildwerke auch ohne menschlichen Mittler leben, ja die Toten imaginär wiederbringen könnten, war nicht vorgesehen. In den Völkerkundemuseen aber werden sie ausgestellt wie westliche Porträts, die genau dies vorgeben: den Abwesenden im scheinbar so lebensnahen Gesichtsbild anwesend zu machen, den Tod mit ein bisschen Farbe auf Holz zu überwinden.
Sind die abendländischen Porträts also keine Masken? Im Gegenteil, meint Belting, die vom Körper losgelöste Gesichtermalerei kennzeichnet zwar den visuellen Sonderweg des Westens seit dem 15. Jahrhundert, doch an der Richtung ändert sich nichts. Die Porträts perfektionieren nur das alte Maskenspiel, das durch die antike Schauspielkunst in säkularisierter Form auch der europäischen Tradition zugrunde liegt. Die gemalten und in Stein gehauenen Bildnisse simulieren einen abwesenden Menschen, doch seinem so vielseitigen realen Mienenspiel sind sie nicht gewachsen (wobei Belting auch dem lebenden Gesicht unterstellt, eine Rollenmaske nach der anderen aufzusetzen).
Das Porträt der frühen Neuzeit braucht die Pose, es zelebriert soziale Rollen, die sich in den physiognomischen Ausdruck eingeschrieben haben. Das ganze schon in der Renaissance so beliebte Gerede von der verblüffenden Ähnlichkeit der Porträts mit diesem oder jenem Modell hält Belting für Ideologie: Für ihn ist das Porträt von vorneherein Selbst- und Fremdinszenierung, die gesellschaftlich bedingte Entscheidung für eine bestimmte Maske.
Die Behauptung vom wahren Gesicht wandert nach der Malerei erst in die Fotografie, dann in den Film, schließlich in das Live-Bild des Fernsehens und in die digitalen Massenmedien. Jede neue Darstellungsform will demaskieren, lebendiger sein als die alten Techniken, und endet, meint Belting, doch nur wieder im Schema. Manche Macher erkennen dies selbst an, wie der von Walter Benjamin deshalb bewunderte Fotograf August Sander mit seiner Serie der „Menschen des 20. Jahrhunderts“, einem Typenpanorama der Zwischenkriegszeit. Andere arbeiten sich an der Unausweichlichkeit der Maske ab wie der Maler Francis Bacon, der seinen lautlos schreienden Kardinal auf der Leinwand lila anlaufen lässt, was der Figur auch nicht zu mehr Einzigartigkeit verhilft.
Aus den Zwängen des Gesehenwerdens gibt es bei Belting keinen Ausweg, nicht einmal im stillen Blick in den Spiegel, denn: „Die Selbstbeobachtung hat sofort zur Folge, dass wir den spontanen Selbstausdruck verlieren“. Rembrandt spricht der Kunsthistoriker zu, in seinen vielen Selbstbildnissen mit der Fiktion des Ich lustvoll gespielt zu haben, bis er sich schließlich als runzligen, kichernden Alten malte, der genau wusste, dass „sein Selbst in seinem Bewusstsein verankert ist und nicht in seinem Aussehen“.
Wenn dem so war, wusste Rembrandt mehr als wir. Heute sind wir umzingelt von Gesichtern aller Größenordnungen, sie prangen überdimensional an Plakatwänden, glotzen vom TV-Schirm in unsere Schlafzimmer, kennzeichnen einen Anrufer auf dem Smartphone. Längst ist das Gesicht zum abstrakten Zeichen geworden – und dennoch geben wir noch im fernsten Abbild die Hoffnung auf ein bisschen menschliche Nähe nicht auf. Der Prozess der Entkörperlichung ist dabei an sein vorläufiges Ende geraten: Brauchte der rituelle Maskentänzer seinen eigenen Leib, der Maler immerhin noch ein Modell, so lassen sich inzwischen am Computer Gesichter auch ohne Vorlagen generieren.
Was dabei verloren geht, so Belting, ist die Dialogfähigkeit. Das bildliche Gegenüber wirkt losgelöst von der Realität, es erinnert nicht mehr an einen Abwesenden oder Toten wie noch die handliche Holztafel der Renaissance mit dem Gesicht des oder der Liebsten. Die alten Maler hatten das Spiel des gegenseitigen Anschauens bis zur Aufdringlichkeit kultiviert, man konnte und sollte das Bildnis ansprechen, sogar küssen, und durfte sich in seinem Blick erkannt fühlen.
Parallel aber lebte stets eine andere Geschichte fort: die der Ikone. Sie flirtet nicht mit dem Betrachter, braucht keine Rede und Widerrede. Ihr Blick ist entrückt und allwissend, hier nimmt der göttliche Schöpfer sein Geschöpf ins Visier. Am Beispiel der überlebensgroßen Mao-Ikone am Tiannanmen-Platz in Peking erläutert Belting die Wirkung dieses Bildertyps in der Moderne. Überzeitlich sollte das Mao-Gemälde sein, wie einer seiner Maler einmal beteuerte. Gerade deshalb zog es 1989 die Eierwürfe der protestierenden Studenten auf sich, was diese in den Kerker brachte.
Der Kunsthistoriker interessiert sich besonders für Andy Warhols Adaption der Mao-Bilder: Im leicht verschmierten Siebdruck zwang der amerikanische Künstler der kommunistischen Ikone seine Handschrift auf und eroberte mit ihrer Hilfe, sinnentleert, aber sehr effektiv, den Sammlermarkt. Viele Halbreiche wollten nun in diesem Stil von Warhol gemalt werden. Die Prinzipien der Massenkultur wirken frei von ideologischen Prämissen – und in manch einem ziellosen Blick einer Schauspielerikone von einem Magazincover funktionieren sie bis heute.
So bleibt die Maske „der dunkle Widerpart des Gesichts“, des berühmten wie des privaten. Pessimistisch klingt diese Diagnose, und doch mag man die Hoffnung nicht aufgeben: Von so vielen Varianten, so viel Widerborstigkeit in der Geschichte des Gesichts erzählt dieses facettenreiche Buch, da wird auch der Facebook-Generation noch etwas Neues einfallen.
Hans Belting: Faces. Eine Geschichte des Gesichts. Verlag C.H. Beck, München 2013. 243 Seiten, 29,95 Euro.
Die alten Gemälde gaben vor,
Verlust und Tod mit Farbe und
Pinsel zu überwinden – eine Lüge
Die Ikone braucht keine Rede
und Widerrede. Sie will zeitlos
sein – und prägt unsere Zeit
Das Bild oben zeigt Greta Garbo auf dem Titelblatt von „Life“, 1937. Unten: Maske aus Lipari vom Typ „schöner junger Mann“, 2. Jahrhundert v. Chr.
FOTOS (2): LIFE, REGIONAL ARCHAEOLOGICAL MUSEUM LUIGI BERNABÒ BREA – LIPARI, ITALIEN
In den späten Achtzigerjahren inszenierte Cindy Sherman sich in historischen Rollen.
FOTO: COURTESY THE ARTIST AND METRO PICTURES
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Hans Belting erzählt „Eine Geschichte des Gesichts“ von den kultischen
Anfängen bis zur Mediengesellschaft – und sieht keinen Ausweg aus der Pose
VON KIA VAHLAND
Das Gesicht. Man kann es zeigen oder nicht, bewahren oder verlieren. Kann es befremdlich finden, morgens im Spiegel nach durchzechter Nacht, oder es ganz ohne Spiegel für großartig halten. So oder so, wir sehen das bisschen Haut und Fleisch mitsamt etwaiger Nasenhaare als einen Ausdruck unserer Selbst an, und hören nicht gerne, dass vom schönsten Antlitz auf Dauer nichts bleibt als die Knochen von Stirn, Wangen und Kinn. Goethe noch verehrte auf einem Samtkissen einen Schädel, den er für Schillers hielt. Uns Nachgeborenen wäre das zu viel der Information; wir wollen vom Ende der Gesichter nichts wissen und halten uns lieber an Porträts, die zu Lebzeiten entstanden sind: Fotos, Filme, vielleicht auch Zeichnungen und Gemälde.
Alle glauben an das Gesicht und seine Wahrheit, nur einer nicht: Hans Belting. Der Kunsthistoriker hat gerade eine umfängliche und aufregende „Geschichte des Gesichts“ vorgelegt, die vom Zweifel an der vermeintlichen Wahrheit der „Faces“, so der Haupttitel, lebt. Das Angesicht nämlich kann sich, so Belting, nicht seiner Bildhistorie entziehen, die von den altgriechischen Maskenschauspielern über die Porträts der Renaissance bis zum computermanipulierten Konterfei der Gegenwart reicht. So sehr sich die Ideen vom Gesicht im Laufe der Zeit auch gewandelt haben, immer erkennt der Autor einen vergeblichen Kampf des Menschen gegen die Maske. Die Idee der Aufklärung, das Gesicht sei ein „Bild des Ich“, die Maske dagegen nur eine „Fälschung des Ich“, wird in diesem Band Seite um Seite zerpflückt.
Ob dies in seiner Absolutheit immer und überall so stimmt, sei dahingestellt. Darauf kommt es aber nicht zuvorderst an – es wäre im Übrigen nicht das erste gewichtige Buch des Bildwissenschaftlers, das in etlichen Einzelaspekten widerlegt wird und trotzdem durch seinen Mut zum Querdenken Forschern und kulturinteressiertem Publikum neue Erkenntnisse eröffnet. Und das leistet Belting mit diesem Alterswerk. Wie schon in seiner „Bild-Anthropologie“ (2001) oder „Das echte Bild“ (2005), so nimmt er sich auch diesmal die Freiheit, hinauszudenken über einen engeren Kunstbegriff, der nur von der frühen Neuzeit bis in die Moderne reicht. Gleichermaßen wie höfische und bürgerliche Porträts in Öl oder auf Fotopapier interessieren ihn die älteren kultischen Zusammenhänge und die neuen, vielleicht nicht weniger kultischen Bedingungen der Mediengesellschaft. Er fragt, was in der longue durée nachwirkt, was das Bildnis erst zum Bild macht – und stößt dabei auf die Maske, die schon in den meisten Naturreligionen verwendet wurde.
In den alten Stammesgesellschaften, etwa auf Papua-Neuguinea, war die aus Blättern und Stöcken geflochtene Maske als Ding wenig wert. Sie wurde erst in der Zeremonie durch ihren Träger aktiviert, der in Tanz und Trance mit den Geistern der Ahnen in Kontakt kam. Nach diesem mystischen Moment verschwanden die Masken im Gebüsch oder im Feuer. Dass sie und andere Bildwerke auch ohne menschlichen Mittler leben, ja die Toten imaginär wiederbringen könnten, war nicht vorgesehen. In den Völkerkundemuseen aber werden sie ausgestellt wie westliche Porträts, die genau dies vorgeben: den Abwesenden im scheinbar so lebensnahen Gesichtsbild anwesend zu machen, den Tod mit ein bisschen Farbe auf Holz zu überwinden.
Sind die abendländischen Porträts also keine Masken? Im Gegenteil, meint Belting, die vom Körper losgelöste Gesichtermalerei kennzeichnet zwar den visuellen Sonderweg des Westens seit dem 15. Jahrhundert, doch an der Richtung ändert sich nichts. Die Porträts perfektionieren nur das alte Maskenspiel, das durch die antike Schauspielkunst in säkularisierter Form auch der europäischen Tradition zugrunde liegt. Die gemalten und in Stein gehauenen Bildnisse simulieren einen abwesenden Menschen, doch seinem so vielseitigen realen Mienenspiel sind sie nicht gewachsen (wobei Belting auch dem lebenden Gesicht unterstellt, eine Rollenmaske nach der anderen aufzusetzen).
Das Porträt der frühen Neuzeit braucht die Pose, es zelebriert soziale Rollen, die sich in den physiognomischen Ausdruck eingeschrieben haben. Das ganze schon in der Renaissance so beliebte Gerede von der verblüffenden Ähnlichkeit der Porträts mit diesem oder jenem Modell hält Belting für Ideologie: Für ihn ist das Porträt von vorneherein Selbst- und Fremdinszenierung, die gesellschaftlich bedingte Entscheidung für eine bestimmte Maske.
Die Behauptung vom wahren Gesicht wandert nach der Malerei erst in die Fotografie, dann in den Film, schließlich in das Live-Bild des Fernsehens und in die digitalen Massenmedien. Jede neue Darstellungsform will demaskieren, lebendiger sein als die alten Techniken, und endet, meint Belting, doch nur wieder im Schema. Manche Macher erkennen dies selbst an, wie der von Walter Benjamin deshalb bewunderte Fotograf August Sander mit seiner Serie der „Menschen des 20. Jahrhunderts“, einem Typenpanorama der Zwischenkriegszeit. Andere arbeiten sich an der Unausweichlichkeit der Maske ab wie der Maler Francis Bacon, der seinen lautlos schreienden Kardinal auf der Leinwand lila anlaufen lässt, was der Figur auch nicht zu mehr Einzigartigkeit verhilft.
Aus den Zwängen des Gesehenwerdens gibt es bei Belting keinen Ausweg, nicht einmal im stillen Blick in den Spiegel, denn: „Die Selbstbeobachtung hat sofort zur Folge, dass wir den spontanen Selbstausdruck verlieren“. Rembrandt spricht der Kunsthistoriker zu, in seinen vielen Selbstbildnissen mit der Fiktion des Ich lustvoll gespielt zu haben, bis er sich schließlich als runzligen, kichernden Alten malte, der genau wusste, dass „sein Selbst in seinem Bewusstsein verankert ist und nicht in seinem Aussehen“.
Wenn dem so war, wusste Rembrandt mehr als wir. Heute sind wir umzingelt von Gesichtern aller Größenordnungen, sie prangen überdimensional an Plakatwänden, glotzen vom TV-Schirm in unsere Schlafzimmer, kennzeichnen einen Anrufer auf dem Smartphone. Längst ist das Gesicht zum abstrakten Zeichen geworden – und dennoch geben wir noch im fernsten Abbild die Hoffnung auf ein bisschen menschliche Nähe nicht auf. Der Prozess der Entkörperlichung ist dabei an sein vorläufiges Ende geraten: Brauchte der rituelle Maskentänzer seinen eigenen Leib, der Maler immerhin noch ein Modell, so lassen sich inzwischen am Computer Gesichter auch ohne Vorlagen generieren.
Was dabei verloren geht, so Belting, ist die Dialogfähigkeit. Das bildliche Gegenüber wirkt losgelöst von der Realität, es erinnert nicht mehr an einen Abwesenden oder Toten wie noch die handliche Holztafel der Renaissance mit dem Gesicht des oder der Liebsten. Die alten Maler hatten das Spiel des gegenseitigen Anschauens bis zur Aufdringlichkeit kultiviert, man konnte und sollte das Bildnis ansprechen, sogar küssen, und durfte sich in seinem Blick erkannt fühlen.
Parallel aber lebte stets eine andere Geschichte fort: die der Ikone. Sie flirtet nicht mit dem Betrachter, braucht keine Rede und Widerrede. Ihr Blick ist entrückt und allwissend, hier nimmt der göttliche Schöpfer sein Geschöpf ins Visier. Am Beispiel der überlebensgroßen Mao-Ikone am Tiannanmen-Platz in Peking erläutert Belting die Wirkung dieses Bildertyps in der Moderne. Überzeitlich sollte das Mao-Gemälde sein, wie einer seiner Maler einmal beteuerte. Gerade deshalb zog es 1989 die Eierwürfe der protestierenden Studenten auf sich, was diese in den Kerker brachte.
Der Kunsthistoriker interessiert sich besonders für Andy Warhols Adaption der Mao-Bilder: Im leicht verschmierten Siebdruck zwang der amerikanische Künstler der kommunistischen Ikone seine Handschrift auf und eroberte mit ihrer Hilfe, sinnentleert, aber sehr effektiv, den Sammlermarkt. Viele Halbreiche wollten nun in diesem Stil von Warhol gemalt werden. Die Prinzipien der Massenkultur wirken frei von ideologischen Prämissen – und in manch einem ziellosen Blick einer Schauspielerikone von einem Magazincover funktionieren sie bis heute.
So bleibt die Maske „der dunkle Widerpart des Gesichts“, des berühmten wie des privaten. Pessimistisch klingt diese Diagnose, und doch mag man die Hoffnung nicht aufgeben: Von so vielen Varianten, so viel Widerborstigkeit in der Geschichte des Gesichts erzählt dieses facettenreiche Buch, da wird auch der Facebook-Generation noch etwas Neues einfallen.
Hans Belting: Faces. Eine Geschichte des Gesichts. Verlag C.H. Beck, München 2013. 243 Seiten, 29,95 Euro.
Die alten Gemälde gaben vor,
Verlust und Tod mit Farbe und
Pinsel zu überwinden – eine Lüge
Die Ikone braucht keine Rede
und Widerrede. Sie will zeitlos
sein – und prägt unsere Zeit
Das Bild oben zeigt Greta Garbo auf dem Titelblatt von „Life“, 1937. Unten: Maske aus Lipari vom Typ „schöner junger Mann“, 2. Jahrhundert v. Chr.
FOTOS (2): LIFE, REGIONAL ARCHAEOLOGICAL MUSEUM LUIGI BERNABÒ BREA – LIPARI, ITALIEN
In den späten Achtzigerjahren inszenierte Cindy Sherman sich in historischen Rollen.
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"Eine aufregende 'Geschichte des Gesichts'."
Kia Vahland, Süddeutsche Zeitung
"Hans Beltings souveräner Gang durch die Kulturgeschichte liefert eine Fülle bestechender Einsichten."
Ingo Arnd, die tageszeitung
"Dieses Buch setzt Maßstäbe, ein Standardwerk, an dem man nicht mehr vorbeikommt."
Michael Opitz, Deutschlandradio Kultur
"Fesselnd, äußerst anregend."
Roger Willemsen, DIE ZEIT
Kia Vahland, Süddeutsche Zeitung
"Hans Beltings souveräner Gang durch die Kulturgeschichte liefert eine Fülle bestechender Einsichten."
Ingo Arnd, die tageszeitung
"Dieses Buch setzt Maßstäbe, ein Standardwerk, an dem man nicht mehr vorbeikommt."
Michael Opitz, Deutschlandradio Kultur
"Fesselnd, äußerst anregend."
Roger Willemsen, DIE ZEIT