Kaum ein Historiker hat sich mit so vielen Personen beschäftigt wie CarloGinzburg: Aristoteles, Dante, Machiavelli, Diderot, Hegel, Heine, Flaubert,Tolstoi,Warburg,Proust, Picasso und viele andere. Vor allem aber ist Ginzburgberühmt für seinen speziellen Blick und seine Forschungsmethode, gehörteer doch zu den ersten Historikern, die sich mit der Kultur der sogenannteneinfachen Leute befassten (siehe seine Bücher Hexensabbat und Der Käse unddie Würmer). Und mittels der von ihm begründeten Mikrohistorie sucht ergroße geschichtliche Zusammenhänge aus der Betrachtung kleiner Details zuverstehen.In den Texten dieses Bandes lässt Ginzburg sein Forscherleben Revue passieren- er erklärt, wie er zu seinen Themen und seiner Betrachtungsweise kamund diese zum Teil über Jahrzehnte weiterentwickelte. Seine Rückschau wirdzu einer persönlichen Selbstbefragung: Am Beispiel des Hexensabbat erzähltGinzburg von den Märchenbüchern seiner Kindheit und von seiner Mutter Natalia.Und er fragt sich, ob es nicht auch seine eigene jüdische Familie und dasSchicksal seines Vaters waren, die ihn immer wieder die Opfer von Verfolgungzum Gegenstand seiner Arbeit wählen ließen.Dieses Buch kann als Summe der Werke Carlo Ginzburgs gelesen werdenund lädt zugleich dazu ein, einen der interessantesten Gelehrten unserer Zeitneu zu entdecken.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Carlo Ginzburg schlägt in seinen Abhandlungen über das Verhältnis von Literatur und Geschichte die Postmoderne mit ihren eigenen Waffen, freut sich Gustav Seibt. In "Faden und Fährten" wird eine Debatte nachgezeichnet, die nur in ihren Ausläufern bis nach Deutschland vorgedrungen war, weiß der Rezensent, der es umso wichtiger findet, dass Ginzburgs Beiträge nun auf Deutsch vorliegen. Gegenüber der schon damals modischen "Tendenz zur Literarisierung" historischer Fakten positioniert sich der italienische Theoretiker als "Verteidiger des Realitätsprinzips", berichtet Seibt. Ginzburg wendet sich also gegen die absolute Skepsis gegenüber geschichtlichen Wahrheitsansprüchen, erklärt der Rezensent, auch weil die Folgen ihres Verlustes nicht wünschenswert sein können. Wer Wahrheit verwirft, wie sie etwa in der juristischen Tradition durch unabhängige Zeugen begründet wird, redet dem Recht des Stärkeren das Wort. Die Grundlage von Wahrheitsansprüchen mag kontingent sein, die Entscheidung für sie ist deswegen noch lange nicht beliebig, lernt Seibt vom Autor.
© Perlentaucher Medien GmbH
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