Zehn Jahre nach der Nelkenrevolution von 1974, die den Kolonialkriegen Portugals sowie dem Salazar-Regime ein Ende bereitete, treffen sich fünf Kriegsveteranen zu einem Abendessen mit anschließendem Besäufnis im Rotlichtbezirk Lissabons. Vier Männer, ein einfacher Soldat, ein Fernmeldeoffizier, ein Leutnant und ein Oberstleutnant, erzählen, der fünfte, ein Hauptmann, hört schweigend zu. Seine Schilderung jedoch führt uns durch diese Nacht, in der sich die Stimmen vermischen und überlagern und tief in die Zeiten vor, während und nach der Revolution eintauchen. Aus den Lebensgeschichten dieser unterschiedlichen Männer erwächst ein kritisches Bild der unmittelbaren, gewalttätigen Vergangenheit Portugals.
Vom einfachen Soldaten aus dem Elendsviertel, der sich mit Geldgeschenken eines alternden Homosexuellen über Wasser hält, über den naiven Revolutionär, dem die Geheimpolizei die Ideale austreibt, bis zum verweichlichten Befehlshaber, dessen Leben nur aus Drückebergerei, Anpassung und Lügen besteht - Lobo Antunes läßt keinen ungeschoren. Mit geradezu wollüstiger, diabolischer Boshaftigkeit beschwört er die von Kriegstraumata, Sexual- und Minderwertigkeitskomplexen beherrschte Welt dieser Antihelden herauf, erzählt von ihren Wünschen und Sehnsüchten, aber auch von ihren Ängsten und Missetaten. Ein zutiefst menschliches Epos ist dieser, Lobo Antunes' fünfter Roman, in dem sich Form und Inhalt auf genuine Weise entsprechen.
Vom einfachen Soldaten aus dem Elendsviertel, der sich mit Geldgeschenken eines alternden Homosexuellen über Wasser hält, über den naiven Revolutionär, dem die Geheimpolizei die Ideale austreibt, bis zum verweichlichten Befehlshaber, dessen Leben nur aus Drückebergerei, Anpassung und Lügen besteht - Lobo Antunes läßt keinen ungeschoren. Mit geradezu wollüstiger, diabolischer Boshaftigkeit beschwört er die von Kriegstraumata, Sexual- und Minderwertigkeitskomplexen beherrschte Welt dieser Antihelden herauf, erzählt von ihren Wünschen und Sehnsüchten, aber auch von ihren Ängsten und Missetaten. Ein zutiefst menschliches Epos ist dieser, Lobo Antunes' fünfter Roman, in dem sich Form und Inhalt auf genuine Weise entsprechen.
António Lobo Antunes' Labyrinth verkommener Leidenschaften
Ein Bataillonsabendessen war geplant, ein Treffen alter Kameraden aus jenen Tagen, da man im Busch von Mosambik die letzten Reste des einstigen Weltreichs retten sollte. Aber am Ende dieser ausschweifenden Nacht, als schon der graue Tag anbricht und Lissabon zu einer Wüste kältestarrender Fassaden macht, hat einer der Versammelten ein Messer im Rücken. Tot liegt er auf der Auslegware des billigen Nachtclubs, wo weiterhin getrunken und gehurt wird, bis der Gestank die Feiernden doch nötigt, die Leiche vorläufig in der Speisekammer zu entsorgen - oder wurde sie vielmehr auf das Pissoir im öffentlichen Park gebracht? Der Fall bleibt unklar, die Versionen widersprechen sich, und auch der ermittelnde Inspektor kann den Journalisten nur Vorläufiges melden: "Eine einzige Leiche an zwei verschiedenen Orten, das kommt häufiger vor, als man annimmt." Zu diesem Zeitpunkt jedoch haben wir ohnehin den Glauben an Gewißheiten längst eingebüßt.
In "Fado Alexandrino" mutet der portugiesische Meistererzähler António Lobo Antunes seinen Lesern wieder Ungeheures zu, ein albtraumartiges Gewirr von Stimmen und Geschichten, und man kommt schier nicht davon los. Verstört durch die ständigen Ortsverschiebungen sowie durch die Doppelungen des Erzählten oft im Ungewissen, was genau sich gerade zuträgt, folgt man doch atemlos und wie gebannt und muß schließlich, kaum anders als der resignierende Ermittler, selbst herausfinden, wie sich die Versionen fügen. Dabei ist der Todesfall fast unerheblich. Zuvor schon haben vier der Veteranen die ganze Nacht ihrem zwanghaften Mitteilungsdrang freien Lauf gelassen und Erinnerungen an die siebziger Jahre ausgetauscht - an den sinnlosen Kolonialkrieg, die Rückkehr in die fremd gewordene Heimat, die eilige Revolution, das alte neue Leben nach dem Sturz der Diktatur - und dabei feststellen müssen, wie austauschbar ihre Lebensgeschichten aus Sex und Sucht, Betrug und Mühsal letztlich sind. Darin liegt mehr Brutalität und Elend als in der morgendlichen Messerstecherei.
Im Original bereits 1983 erschienen, gehört dieser Roman wie "Die Vögel kommen zurück" oder "Die Rückkehr der Karavellen" in die Reihe von Lobo Antunes' Erkundungen der portugiesischen Geschichte und zeigt den Autor bereits ganz auf der Höhe seiner oftmals gerühmten Kunst. Die irritierende Erzählweise, alles Geschehen in eine Vielzahl von Perspektiven aufzulösen, die sich fortwährend verschieben, durchbrechen und zuweilen innerhalb desselben Satzes umkehren, macht ihn zum raunenden Beschwörer des Imperfekten, Ungereimten und daher um so mehr Bedrückenden in einer Welt, der sämtliche Hoffnungen verlorengegangen sind. Was bleibt, ist Lissabon, "eine Stadt der erschöpften, vom falschen Champagner und vom Whisky aus Apothekenalkohol zerfressenen Huren, ein Friedhofszirkus, den eine stumme Trompete klagend unterstreicht und dem ein aus Fenstern bestehendes, trübes Theater zuschaut".
Auf dieser Bühne läßt Lobo Antunes seine Figuren unerbittlich spielen: den einfachen Soldaten, der sich das Geld fürs Rendezvous mit seiner Freundin als Stricherjunge erst verdienen muß; den Oberstleutnant, der seine junge Geliebte mit dem Geld der Gattin, die ihn gleichfalls hintergeht, aushält; den Leutnant, der in die bessere Gesellschaft einheiratet und im Moment der feierlichen Brautwerbung von Erinnerungen an das dürre Kind bedrängt wird, dem er in Afrika kümmerliche Lust abkaufte; den Funker, der einer linken Untergrundgruppe angehört, die Revolution in Haft erlebt und doch auch nach dem Sturz des Klassenfeindes nicht wirklich freikommt. Die bizarre Fülle der Geschichten, die sie im Laufe dieser alkoholisierten Nacht erzählen, entwirft ein so mächtiges und düsteres Gesellschaftspanorama, ein solches Spiegellabyrinth verkommener Leidenschaften, daß jener rasche Tod durchs Messer, der einen der vier endlich trifft, wohl nur als gnädiger Ausweg gelten kann.
Als der Soldat ganz zu Anfang dieses ausufernden Romans die Armee verläßt und wieder Eingang ins zivile Leben sucht, sieht er sich einer ungeheuren Leere gegenüber, einem "Raum von Tagen, von Stunden, die mit irgend etwas möbliert werden müssen". Man möchte es als klares Zeichen für die Meisterschaft des Autors Lobo Antunes werten, daß er, anstatt sich in bekannten und gut möblierten Erzählwelten bequem einzurichten, dieser Leere der Zivilgesellschaft so konsequent wie wortgewaltig Ausdruck gibt.
António Lobo Antunes: "Fado Alexandrino". Roman. Aus dem Portugiesischen übersetzt von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Literaturverlag, München 2002. 797 S., geb., 29,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Vier ehemalige Soldaten und eine alkoholisierte Nacht, in der sich für einen zutiefst beeindruckten Tobias Döring ein mächtiges und düsteres Gesellschaftspanorama entfaltet. Dieser im Original 1983 erschienene Roman gehört nach Ansicht des Rezensenten in die Reihe von Antonio Lobo Antunes' Erkundungen der portugiesischen Geschichte, die ihn schon auf der Höhe seiner "oftmals gerühmten Kunst" zeigen. Im vorliegenden Fall mute der Meistererzähler seinen Lesern wieder Ungeheures zu, schreibt Döring: "ein albtraumartiges Gewirr von Stimmen und Geschichten, und man kommt schier nicht davon los". Am Ende eines ausschweifenden Bataillonsessens, wo sich alte Kameraden "aus jenen Tagen, da man im Busch von Mosambik die letzten Reste des einstigen Weltreiches retten sollte", ende einer der Versammelten mit einem Messer im Rücken auf der Auslegware eines billigen Nachtclubs. Der Fall bleibt den Auskünften des Rezensenten zufolge unklar, denn die Versionen vom Geschehen widersprechen sich. Verstört durch die ständigen Ortsverschiebungen und Doppelungen des Erzählten folgt der Rezensent dem Geschehen eigenem Bekunden zufolge "ebenso atemlos wie gebannt". Der Todesfall entpuppt sich für ihn dabei als eher unerheblich. Denn in dem, was die vier Veteranen in zwanghaftem Mitteilungsdrang in ihren Erinnerungen an die siebziger Jahre über den sinnlosen Kolonialkrieg und austauschbaren Lebensgeschichten aus Sex und Sucht, Betrug und Mühsal zu erzählen haben, liegt für Döring mehr "Brutalität und Elend" als in der Messerstecherei.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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