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Der einfache Soldat, der Funkoffizier, der Leutnant, der Oberstleutnant und der Hauptmann erzählen von der gewalttätigen Vergangenheit Portugals. Mit nahezu wollüstiger Boshaftigkeit beschwört Antunes die von Kriegstrauma, Sexual- und Minderwertigkeitskomplexen beherrschte Welt dieser Antihelden.

Produktbeschreibung
Der einfache Soldat, der Funkoffizier, der Leutnant, der Oberstleutnant und der Hauptmann erzählen von der gewalttätigen Vergangenheit Portugals. Mit nahezu wollüstiger Boshaftigkeit beschwört Antunes die von Kriegstrauma, Sexual- und Minderwertigkeitskomplexen beherrschte Welt dieser Antihelden.
Autorenporträt
António Lobo Antunes, geb. 1942 in Lissabon, studierte Medizin, war während des Kolonialkrieges 27 Monate lang Militärarzt in Angola und arbeitete danach als Psychiater in einem Lissabonner Krankenhaus. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. In seinem Werk, das mittlerweile zwanzig Titel umfasst und in über dreißig Sprachen übersetzt worden ist, setzt er sich intensiv und kritisch mit der portugiesischen Gesellschaft auseinander. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter den 'Großen Romanpreis des Portugiesischen Schriftstellerverbandes', den 'Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur', den 'Jerusalem-Preis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft' und zuletzt 2007 den Camões-Preis.

Maralde Meyer-Minnemann, geboren 1943 in Hamburg, lebt heute als Übersetzerin in Hamburg. 1997 erhielt sie den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzungen, 1997 den Preis Portugal-Frankfurt, 1998 den Helmut-M.-Braem-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.2002

Wo alle Gewißheiten enden
António Lobo Antunes' Labyrinth verkommener Leidenschaften

Ein Bataillonsabendessen war geplant, ein Treffen alter Kameraden aus jenen Tagen, da man im Busch von Mosambik die letzten Reste des einstigen Weltreichs retten sollte. Aber am Ende dieser ausschweifenden Nacht, als schon der graue Tag anbricht und Lissabon zu einer Wüste kältestarrender Fassaden macht, hat einer der Versammelten ein Messer im Rücken. Tot liegt er auf der Auslegware des billigen Nachtclubs, wo weiterhin getrunken und gehurt wird, bis der Gestank die Feiernden doch nötigt, die Leiche vorläufig in der Speisekammer zu entsorgen - oder wurde sie vielmehr auf das Pissoir im öffentlichen Park gebracht? Der Fall bleibt unklar, die Versionen widersprechen sich, und auch der ermittelnde Inspektor kann den Journalisten nur Vorläufiges melden: "Eine einzige Leiche an zwei verschiedenen Orten, das kommt häufiger vor, als man annimmt." Zu diesem Zeitpunkt jedoch haben wir ohnehin den Glauben an Gewißheiten längst eingebüßt.

In "Fado Alexandrino" mutet der portugiesische Meistererzähler António Lobo Antunes seinen Lesern wieder Ungeheures zu, ein albtraumartiges Gewirr von Stimmen und Geschichten, und man kommt schier nicht davon los. Verstört durch die ständigen Ortsverschiebungen sowie durch die Doppelungen des Erzählten oft im Ungewissen, was genau sich gerade zuträgt, folgt man doch atemlos und wie gebannt und muß schließlich, kaum anders als der resignierende Ermittler, selbst herausfinden, wie sich die Versionen fügen. Dabei ist der Todesfall fast unerheblich. Zuvor schon haben vier der Veteranen die ganze Nacht ihrem zwanghaften Mitteilungsdrang freien Lauf gelassen und Erinnerungen an die siebziger Jahre ausgetauscht - an den sinnlosen Kolonialkrieg, die Rückkehr in die fremd gewordene Heimat, die eilige Revolution, das alte neue Leben nach dem Sturz der Diktatur - und dabei feststellen müssen, wie austauschbar ihre Lebensgeschichten aus Sex und Sucht, Betrug und Mühsal letztlich sind. Darin liegt mehr Brutalität und Elend als in der morgendlichen Messerstecherei.

Im Original bereits 1983 erschienen, gehört dieser Roman wie "Die Vögel kommen zurück" oder "Die Rückkehr der Karavellen" in die Reihe von Lobo Antunes' Erkundungen der portugiesischen Geschichte und zeigt den Autor bereits ganz auf der Höhe seiner oftmals gerühmten Kunst. Die irritierende Erzählweise, alles Geschehen in eine Vielzahl von Perspektiven aufzulösen, die sich fortwährend verschieben, durchbrechen und zuweilen innerhalb desselben Satzes umkehren, macht ihn zum raunenden Beschwörer des Imperfekten, Ungereimten und daher um so mehr Bedrückenden in einer Welt, der sämtliche Hoffnungen verlorengegangen sind. Was bleibt, ist Lissabon, "eine Stadt der erschöpften, vom falschen Champagner und vom Whisky aus Apothekenalkohol zerfressenen Huren, ein Friedhofszirkus, den eine stumme Trompete klagend unterstreicht und dem ein aus Fenstern bestehendes, trübes Theater zuschaut".

Auf dieser Bühne läßt Lobo Antunes seine Figuren unerbittlich spielen: den einfachen Soldaten, der sich das Geld fürs Rendezvous mit seiner Freundin als Stricherjunge erst verdienen muß; den Oberstleutnant, der seine junge Geliebte mit dem Geld der Gattin, die ihn gleichfalls hintergeht, aushält; den Leutnant, der in die bessere Gesellschaft einheiratet und im Moment der feierlichen Brautwerbung von Erinnerungen an das dürre Kind bedrängt wird, dem er in Afrika kümmerliche Lust abkaufte; den Funker, der einer linken Untergrundgruppe angehört, die Revolution in Haft erlebt und doch auch nach dem Sturz des Klassenfeindes nicht wirklich freikommt. Die bizarre Fülle der Geschichten, die sie im Laufe dieser alkoholisierten Nacht erzählen, entwirft ein so mächtiges und düsteres Gesellschaftspanorama, ein solches Spiegellabyrinth verkommener Leidenschaften, daß jener rasche Tod durchs Messer, der einen der vier endlich trifft, wohl nur als gnädiger Ausweg gelten kann.

Als der Soldat ganz zu Anfang dieses ausufernden Romans die Armee verläßt und wieder Eingang ins zivile Leben sucht, sieht er sich einer ungeheuren Leere gegenüber, einem "Raum von Tagen, von Stunden, die mit irgend etwas möbliert werden müssen". Man möchte es als klares Zeichen für die Meisterschaft des Autors Lobo Antunes werten, daß er, anstatt sich in bekannten und gut möblierten Erzählwelten bequem einzurichten, dieser Leere der Zivilgesellschaft so konsequent wie wortgewaltig Ausdruck gibt.

António Lobo Antunes: "Fado Alexandrino". Roman. Aus dem Portugiesischen übersetzt von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand Literaturverlag, München 2002. 797 S., geb., 29,50 [Euro].

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