Mods, Skinheads, Scooterboys - die britische Subkultur erreicht auch die Kleinstadt Wesel, in der Tobi aufwächst. Er wird Mod, übernimmt deren modischen Style, hört Ska-Musik und sucht nach Anerkennung. Die Bewegung wird ihn nicht mehr loslassen, doch die Übergänge zu anderen Subkulturen sind fließend - und gefährlich. Tobi Dahmen gelingt mit seiner autobiographischen coming of age-Graphic Novel ein eindringliches Bild von Jugendkulturen und den Gefahren auf dem falschen Weg zu kommen. Es ist ein Buch über die Neunziger, über Aufwachsen in der Kleinstadt und über Freundschaft. Und es ist ein Buch über die Liebe zur Musik.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.2016Partys! Mädchen!
Die Kunst, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein: Ein Comic und eine CD feiern westdeutsche Jugendkultur
Ein Typ ist älter geworden, er sitzt in seinem Auto auf dem Heimweg zu Frau und Kindern, legt eine alte Kassette von früher ein und erzählt sich sein Leben. Und ein paar jüngere Typen sitzen in einem Auto und singen von dem Leben, was auf sie wartet. "Wir fuhren nur durch die Nacht / wir hatten kein besonderes Ziel", singen sie, "und das winzig kleine Licht / des Radios hielt uns warm / auf dem Weg in die nächste Stadt. / Doch es war eine Nacht / wie schon Hunderte davor / jeden Freitag, jeden Samstag fuhren wir davon / in eine Nacht, die niemand haben wollte."
Der älter gewordenene Typ im Auto heißt Tobi, eigentlich wollte er, als er jünger war, einen Roller wie seine Idole, die Mods, aber es reichte nur für ein Fahrrad, also hat er aus dem Scheitern eine Haltung gemacht und aus seinem Leben viel später einen Comic: "Fahrradmod" erzählt die Geschichte, die sich Tobi Dahmen am Steuer seines Autos erzählt, und damit uns: eine einzigartige, also ganz gewöhnliche Geschichte einer Jugend zur falschen Zeit am falschen Ort. Die falsche Zeit, das waren die achtziger und neunziger Jahre und nicht die sechziger. Der falsche Ort, das war Wesel am Niederrhein und nicht London.
Tobi Dahmen ist Nachfahr und Kopie der Mods, jener englischen Jugendlichen der Sechziger, die in Parkas auf Rollern durch eine Welt rasten, die ihnen zwar nicht gehörte, über die sie aber triumphierten, weil sie die besseren Anzüge trugen und die bessere Musik hörten. Es war ein so verführerischer, rebellischer Style, dass er bis heute nichts von seiner Anziehungskraft verloren hat. Mod kann man auch in Wesel sein und auf einem Fahrrad. Deswegen Fahrradmod.
Man kann nicht alles haben, meistens genau dann, wenn man alles haben will.
Die paar Jungs im Auto wiederum sind Bernd Begemann und seine alte Band Die Antwort, und das Lied, in dem sie von den immer gleichen Freitagen und Samstagen unterwegs im Licht des Radios singen, heißt "Die Nacht, die niemand haben wollte". Es ist 1985 aufgenommen und jetzt zum ersten Mal veröffentlicht worden - auf einer wunderbaren Kompilation, die "Falscher Ort Falsche Zeit" heißt und 19 Lieder versammelt: von Bands aus Darmstadt, München, Wien und Bad Salzuflen. Bands, die heute kaum einer mehr kennt und auch damals kaum einer kannte - höchstens Leute wie der Schriftsteller Christian Kracht, der eine dieser Bands, Huah!, für das Magazin "Tempo" porträtierte.
Diese Bands sangen deutsch. Was nach der Neuen Deutschen Welle (Hubert Kah, Extrabreit, UKW, alles mehr blch! als huah!) noch peinlicher ist, als es vorher schon war. Und sie füllten diese Lücke zwischen der Neuen Deutschen Welle der frühen Achtziger und der Hamburger Schule der frühen Neunziger (Blumfeld, Tocotronic) mit kluger guter Laune, mit Gitarren, Bläsern und Zitaten - und vor allem mit einem britischen Verständnis von Style und Haltung und Melodie. Ihre 19 Songs erzählen von einem Aufbruch in der deutschen Popmusik, der leider wieder abbrach, viel zu früh und immer wieder ist das passiert.
Man könnte die Songs dieser Platte für den Soundtrack des preisgekrönten Comics halten, den Tobi Dahmen, Jahrgang 1971, über sein Leben als Fahrradmod gezeichnet hat, ein Leben strenger Regeln und ewigen Feierns (die Parole lautet "Partys! Musik! Mädchen! Schlägereien!"). Denn alles zusammen, hier die Songs, dort die schwarzweißen Bilder, ergibt die gleiche Story vom gleichen Spirit: vom Stolz und Trotz, sich etwas Eigenes zu erobern gegen die Umstände - und das dann gegen die Trottel zu verteidigen, die es nicht kapieren, ja nicht einmal kapieren, dass man hier etwas gegen sie verteidigt.
Und es geht, wie so oft im Pop, um die Imitation eines urbanen Stils mit den Mitteln der Provinz, was eine ganz eigene Freiheit auslöst. Und wenn man auf London schaut, egal zu welcher Epoche, dann sind nicht nur Wesel oder Bad Salzuflen Provinz, sondern auch München, Düsseldorf, Wien oder Hamburg: also auch die Städte, in die Bernd Begemann oder Knarf Rellöm von Huah! irgendwann aufbrachen, oder Jochen Distelmeyer, dessen Bad Salzuflener Band Die Bienenjäger leider auf dem Sampler fehlt.
"Wir sind irrelevante Landeier und wir singen ausschließlich über das Wichtigste", hat Bernd Begemann über seine frühen Jahre in Ostwestfalen geschrieben. Tobi Dahmen vom Niederrhein hat diesen nuklear strahlenden Widerspruch in herrliche Szenen verwandelt, einsame Jungs und ihre angebeteten Mädchen mit den kürzesten Miniröcken aller Zeiten ("Wie du das machst", singen Start! dazu), die euphorische Nacht und der fiese helle Morgen danach, tausendmal kann man das erleben, und doch will man es immer wieder haben, "noch einmal", schreibt Tobi Dahmen auf den letzten Seiten seines Comics, "noch einmal!" Also spult er die Kassette zurück. Und das winzig kleine Licht des Radios hält ihn warm.
TOBIAS RÜTHER.
Tobi Dahmen: "Fahrradmod". Carlsen, 480 Seiten, 29,99 Euro. "Falscher Ort, falsche Zeit. Power Pop & Mod Sounds from Germany, Austria and Switzerland 1980-1990", Tapete Records
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Kunst, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein: Ein Comic und eine CD feiern westdeutsche Jugendkultur
Ein Typ ist älter geworden, er sitzt in seinem Auto auf dem Heimweg zu Frau und Kindern, legt eine alte Kassette von früher ein und erzählt sich sein Leben. Und ein paar jüngere Typen sitzen in einem Auto und singen von dem Leben, was auf sie wartet. "Wir fuhren nur durch die Nacht / wir hatten kein besonderes Ziel", singen sie, "und das winzig kleine Licht / des Radios hielt uns warm / auf dem Weg in die nächste Stadt. / Doch es war eine Nacht / wie schon Hunderte davor / jeden Freitag, jeden Samstag fuhren wir davon / in eine Nacht, die niemand haben wollte."
Der älter gewordenene Typ im Auto heißt Tobi, eigentlich wollte er, als er jünger war, einen Roller wie seine Idole, die Mods, aber es reichte nur für ein Fahrrad, also hat er aus dem Scheitern eine Haltung gemacht und aus seinem Leben viel später einen Comic: "Fahrradmod" erzählt die Geschichte, die sich Tobi Dahmen am Steuer seines Autos erzählt, und damit uns: eine einzigartige, also ganz gewöhnliche Geschichte einer Jugend zur falschen Zeit am falschen Ort. Die falsche Zeit, das waren die achtziger und neunziger Jahre und nicht die sechziger. Der falsche Ort, das war Wesel am Niederrhein und nicht London.
Tobi Dahmen ist Nachfahr und Kopie der Mods, jener englischen Jugendlichen der Sechziger, die in Parkas auf Rollern durch eine Welt rasten, die ihnen zwar nicht gehörte, über die sie aber triumphierten, weil sie die besseren Anzüge trugen und die bessere Musik hörten. Es war ein so verführerischer, rebellischer Style, dass er bis heute nichts von seiner Anziehungskraft verloren hat. Mod kann man auch in Wesel sein und auf einem Fahrrad. Deswegen Fahrradmod.
Man kann nicht alles haben, meistens genau dann, wenn man alles haben will.
Die paar Jungs im Auto wiederum sind Bernd Begemann und seine alte Band Die Antwort, und das Lied, in dem sie von den immer gleichen Freitagen und Samstagen unterwegs im Licht des Radios singen, heißt "Die Nacht, die niemand haben wollte". Es ist 1985 aufgenommen und jetzt zum ersten Mal veröffentlicht worden - auf einer wunderbaren Kompilation, die "Falscher Ort Falsche Zeit" heißt und 19 Lieder versammelt: von Bands aus Darmstadt, München, Wien und Bad Salzuflen. Bands, die heute kaum einer mehr kennt und auch damals kaum einer kannte - höchstens Leute wie der Schriftsteller Christian Kracht, der eine dieser Bands, Huah!, für das Magazin "Tempo" porträtierte.
Diese Bands sangen deutsch. Was nach der Neuen Deutschen Welle (Hubert Kah, Extrabreit, UKW, alles mehr blch! als huah!) noch peinlicher ist, als es vorher schon war. Und sie füllten diese Lücke zwischen der Neuen Deutschen Welle der frühen Achtziger und der Hamburger Schule der frühen Neunziger (Blumfeld, Tocotronic) mit kluger guter Laune, mit Gitarren, Bläsern und Zitaten - und vor allem mit einem britischen Verständnis von Style und Haltung und Melodie. Ihre 19 Songs erzählen von einem Aufbruch in der deutschen Popmusik, der leider wieder abbrach, viel zu früh und immer wieder ist das passiert.
Man könnte die Songs dieser Platte für den Soundtrack des preisgekrönten Comics halten, den Tobi Dahmen, Jahrgang 1971, über sein Leben als Fahrradmod gezeichnet hat, ein Leben strenger Regeln und ewigen Feierns (die Parole lautet "Partys! Musik! Mädchen! Schlägereien!"). Denn alles zusammen, hier die Songs, dort die schwarzweißen Bilder, ergibt die gleiche Story vom gleichen Spirit: vom Stolz und Trotz, sich etwas Eigenes zu erobern gegen die Umstände - und das dann gegen die Trottel zu verteidigen, die es nicht kapieren, ja nicht einmal kapieren, dass man hier etwas gegen sie verteidigt.
Und es geht, wie so oft im Pop, um die Imitation eines urbanen Stils mit den Mitteln der Provinz, was eine ganz eigene Freiheit auslöst. Und wenn man auf London schaut, egal zu welcher Epoche, dann sind nicht nur Wesel oder Bad Salzuflen Provinz, sondern auch München, Düsseldorf, Wien oder Hamburg: also auch die Städte, in die Bernd Begemann oder Knarf Rellöm von Huah! irgendwann aufbrachen, oder Jochen Distelmeyer, dessen Bad Salzuflener Band Die Bienenjäger leider auf dem Sampler fehlt.
"Wir sind irrelevante Landeier und wir singen ausschließlich über das Wichtigste", hat Bernd Begemann über seine frühen Jahre in Ostwestfalen geschrieben. Tobi Dahmen vom Niederrhein hat diesen nuklear strahlenden Widerspruch in herrliche Szenen verwandelt, einsame Jungs und ihre angebeteten Mädchen mit den kürzesten Miniröcken aller Zeiten ("Wie du das machst", singen Start! dazu), die euphorische Nacht und der fiese helle Morgen danach, tausendmal kann man das erleben, und doch will man es immer wieder haben, "noch einmal", schreibt Tobi Dahmen auf den letzten Seiten seines Comics, "noch einmal!" Also spult er die Kassette zurück. Und das winzig kleine Licht des Radios hält ihn warm.
TOBIAS RÜTHER.
Tobi Dahmen: "Fahrradmod". Carlsen, 480 Seiten, 29,99 Euro. "Falscher Ort, falsche Zeit. Power Pop & Mod Sounds from Germany, Austria and Switzerland 1980-1990", Tapete Records
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Genial! Omas, schenkt es euren Enkeln. Mädchen, schenkt es euren Vätern, und hört euch durch den Soundtrack am Ende des Buches." Thees Uhlmann Thees Ullmann Stories.Magazin von Thalia 20160608
"Eine grandiose Zeitreise in eine spannende Jugendkultur-Epoche." Solinger Tageblatt 20240803