Dieses Buch bietet erstmals eine Geschichte der Mineralölindustrie in Deutschland. Auf der Grundlage umfassender Archivmaterialien schildern die Autoren die Entwicklung der Ölindustrie und ihren großen Einfluss auf wirtschaftliche, soziale und mentale Veränderungen der deutschen Gesellschaft sowie die besondere Bedeutung des Mineralöls in Krisen- und Kriegszeiten. Die Autoren verbinden Unternehmens-, Gesellschafts- und politische Geschichte miteinander.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.04.2003Schmierstoff aus Pechelbronn
Umkämpft: Eine Studie über die deutsche Mineralölindustrie
Die möglichen Motive des Irak-Kriegs, die enorme Höhe der Mineralölsteuer sowie der dringend gebotene Klimaschutz rücken immer wieder den "Faktor Öl" in den Mittelpunkt des öffentlichen wie privaten Interesses. Über das Wesen und Wirken dieses Grundstoffes der Moderne kann man demnach nicht genug wissen. Allein schon deshalb muß jede Publikation willkommen sein, die dazu sachliche Informationen liefert, Zusammenhänge erklärt und damit unser Wissen über die "Tränen des Teufels" erweitert. Das gilt vor allem für den deutschen Bereich, der noch immer einer modernen Geschichte der Mineralölwirtschaft entbehren muß. Zur Erfüllung dieses Desiderats sind die Autoren Rainer Karlsch für die Zeit von 1859 bis 1945 und Raymond G. Stokes vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Ölpreiskrise von 1974 ein gutes Stück vorangekommen.
Als Behördenkundler, Verflechtungsspezialist und Dividendenexperte gelingt jedem in seinem Zeitabschnitt eine Reihe erhellender Aufklärungen über Unternehmensstrukturen, Interessenverschiebungen und Marktlagen in einer Industrie, die binnen zweier Generationen ein globales Netzwerk aufgebaut hat, ohne das die Moderne bis heute nicht denkbar wäre. Karlsch arbeitet dabei sorgfältig heraus, wie stark das von der Stein- und Braunkohle dominierte Mitteleuropa auf die Einfuhr amerikanischer Ölprodukte bis zum Ersten Weltkrieg angewiesen war. Allerdings kommen in seiner Amerika-Lastigkeit Blockaden in der Geologie, Erfolge der deutschen Bohrtechnik sowie notwendige Begriffsklärungen ("Energieverbrauch", "Ölkrise", "Deutschland", "Monopol") oft zu kurz: Die erste gezielte Ölbohrung fand weder 1859 im amerikanischen Titusville noch im russischen Baku statt, sondern 1785 im elsässischen Pechelbronn.
Trotz dieser Mängel wird deutlich, warum der Ölmarkt (Leucht-, Brenn- und Schmierstoffe) in Mitteleuropa zeitweise von der Esso und den russischen Nobels so umkämpft war: Es fehlte hier an größeren Ölvorkommen. Die steigende Motorisierung verstärkte noch das oft verbissene Ringen um Marktanteile und führte ab 1914 zur Hydriertechnik mit ihrem teuren Kohlebenzin: Darin sah noch Walter Teagle, der mächtige Boß der Esso, in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Zukunft - und weniger in der vielfältigen Nutzung des Erdöls, dessen Reserven man im Verhältnis zur Stein- und Braunkohle für äußerst begrenzt hielt.
Auf eine derartige Profilierung seines Themas durch Vergleich läßt sich Karlsch nur selten ein. Dafür bemüht er gerne den schwammigen Begriff "Monopol", sobald er die amerikanische Ölszene beschreibt und bei John D. Rockefeller fündig wird, dessen Werdegang sehr verkürzt und teilweise verzerrt dargestellt wird. Die 1870 gegründete Esso war bis 1919 ein reines Ölhandelsunternehmen. Ebenso die Shell. Sie bediente also in erster Linie den Downstream-Bereich (Verarbeitung und Vermarktung von Ölprodukten), während man den Upstream-Bereich (Erschließung und Produktion) wegen des hohen Risikos anderen Firmen überließ.
Auch diese beiden Zentralbegriffe der global tätigen Ölindustrie bereiten den Autoren streckenweise Probleme, die zum Uran-Bergbau (Karlsch) und zur BASF (Stokes) vorab gediegene Beiträge veröffentlicht haben. Dennoch ist festzuhalten: Wer sich die größte Industrie der Welt in ihren mitteleuropäischen Ausprägungen und nach 1945 im Zeichen einer steigenden Amerikanisierung (Firmenübernahmen, Fall Dea) erklären lassen will, der kommt durchaus auf seine Kosten, was das Steinkohleland Bundesrepublik betrifft - aber auch hinsichtlich der Sowjetisierung des Braunkohlelandes DDR.
Darüber referieren beide Autoren stellenweise mit akribischem Fleiß aus dem zugänglichen Quellenmaterial. Aber man erfährt so gut wie nichts zum komplexen Mechanismus der Ölpreisbildung seit 1859 mit ihrem Dekadenzyklus. Bezeichnend dafür ist, daß nicht einmal Hartshorns klassische Studie zu diesem Bereich erwähnt wird. Kein Wunder auch, daß beide Autoren von der "Ölkrise" reden, wenn sie ihr Buch mit 1974 abschließen. Obgleich es eine Ölpreiskrise war, das heißt, die Erhöhung des Faßpreises von drei auf zwölf Dollar bedeutete nichts anderes als einen Inflationsausgleich dafür, daß die Vereinigten Staaten ihr Vietnam-Abenteuer zwischen 1964 und 1974 mit schleichender Inflation finanziert und damit den Petro-Dollar bewußt entwertet haben.
Solche Bezüge findet man hier nicht. Auch der "menschliche Faktor" in Gestalt von Ölleuten aller Art, Petro-Chemie-Werkern oder Tankstellenpächtern kommt sowenig vor wie die erschütternden Berichte von Berthold Beitz über jüdische Mitarbeiter in der galizischen Ölindustrie während des Zweiten Weltkrieges. Gewiß, zur Öl-Lage des NS-Regimes wird einiges an interessanten Querverbindungen angeführt. Aber eine gründliche Analyse zum "Sozialismus" des Energiewirtschaftsgesetzes von 1934 wird man vergeblich suchen, das im Prinzip noch fünfzig Jahre später in der alten Bundesrepublik als "geltendes Recht" angesehen wurde.
Zur Geschichte der Umstrukturierung des alten Kohlelandes in Gestalt von Besatzungszonen und ab 1949 der Bundesrepublik Deutschland als eines Wirtschaftsgebietes mit steigender Ölabhängigkeit erwartet man zumindest eine Erörterung der Hauptgründe für das "Zechensterben". Und zur Erschließung der Nordsee ab 1958 fehlt eine erhellende Untersuchung zum bundesdeutschen Sektor, das heißt zur Problematik der politischen, rechtlichen und physischen Aufteilung des Festlandssockels unterhalb der Wasserzone.
Die oft vergebliche Suche bundesdeutscher Unternehmen nach auswärtigen Ölvorkommen (Syrien, Libyen) vor der Nordsee-Exploration wird gebührend erörtert. Dafür aber müssen andere Weglassungen (Explorationstechnik, sekundäre Förderverfahren, Mineralölsteuer) in Kauf genommen werden, wie zum Beispiel der lange Werdegang der Preussag als ältestes Kohle- und Ölunternehmen, obgleich es mit seinen Pionieren wie Karl Scheibe in den Mittelpunkt gehörte. Dennoch ist Karlsch und Stokes eine wichtige Bestandsaufnahme vornehmlich zur Firmenstruktur der Mineralölindustrie in ihren nationalen wie globalen Verflechtungen gelungen: Sie wird für eine künftige Geschichte dieser lebenswichtigen Branche unverzichtbar sein.
GÜNTER BARUDIO
Rainer Karlsch, Raymond G. Stokes: "Faktor Öl". Die Mineralölwirtschaft in Deutschland 1859-1974. Verlag C. H. Beck, München 2003. 480 S., 48 Abb., geb., 34,90 [Euro].
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Umkämpft: Eine Studie über die deutsche Mineralölindustrie
Die möglichen Motive des Irak-Kriegs, die enorme Höhe der Mineralölsteuer sowie der dringend gebotene Klimaschutz rücken immer wieder den "Faktor Öl" in den Mittelpunkt des öffentlichen wie privaten Interesses. Über das Wesen und Wirken dieses Grundstoffes der Moderne kann man demnach nicht genug wissen. Allein schon deshalb muß jede Publikation willkommen sein, die dazu sachliche Informationen liefert, Zusammenhänge erklärt und damit unser Wissen über die "Tränen des Teufels" erweitert. Das gilt vor allem für den deutschen Bereich, der noch immer einer modernen Geschichte der Mineralölwirtschaft entbehren muß. Zur Erfüllung dieses Desiderats sind die Autoren Rainer Karlsch für die Zeit von 1859 bis 1945 und Raymond G. Stokes vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Ölpreiskrise von 1974 ein gutes Stück vorangekommen.
Als Behördenkundler, Verflechtungsspezialist und Dividendenexperte gelingt jedem in seinem Zeitabschnitt eine Reihe erhellender Aufklärungen über Unternehmensstrukturen, Interessenverschiebungen und Marktlagen in einer Industrie, die binnen zweier Generationen ein globales Netzwerk aufgebaut hat, ohne das die Moderne bis heute nicht denkbar wäre. Karlsch arbeitet dabei sorgfältig heraus, wie stark das von der Stein- und Braunkohle dominierte Mitteleuropa auf die Einfuhr amerikanischer Ölprodukte bis zum Ersten Weltkrieg angewiesen war. Allerdings kommen in seiner Amerika-Lastigkeit Blockaden in der Geologie, Erfolge der deutschen Bohrtechnik sowie notwendige Begriffsklärungen ("Energieverbrauch", "Ölkrise", "Deutschland", "Monopol") oft zu kurz: Die erste gezielte Ölbohrung fand weder 1859 im amerikanischen Titusville noch im russischen Baku statt, sondern 1785 im elsässischen Pechelbronn.
Trotz dieser Mängel wird deutlich, warum der Ölmarkt (Leucht-, Brenn- und Schmierstoffe) in Mitteleuropa zeitweise von der Esso und den russischen Nobels so umkämpft war: Es fehlte hier an größeren Ölvorkommen. Die steigende Motorisierung verstärkte noch das oft verbissene Ringen um Marktanteile und führte ab 1914 zur Hydriertechnik mit ihrem teuren Kohlebenzin: Darin sah noch Walter Teagle, der mächtige Boß der Esso, in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Zukunft - und weniger in der vielfältigen Nutzung des Erdöls, dessen Reserven man im Verhältnis zur Stein- und Braunkohle für äußerst begrenzt hielt.
Auf eine derartige Profilierung seines Themas durch Vergleich läßt sich Karlsch nur selten ein. Dafür bemüht er gerne den schwammigen Begriff "Monopol", sobald er die amerikanische Ölszene beschreibt und bei John D. Rockefeller fündig wird, dessen Werdegang sehr verkürzt und teilweise verzerrt dargestellt wird. Die 1870 gegründete Esso war bis 1919 ein reines Ölhandelsunternehmen. Ebenso die Shell. Sie bediente also in erster Linie den Downstream-Bereich (Verarbeitung und Vermarktung von Ölprodukten), während man den Upstream-Bereich (Erschließung und Produktion) wegen des hohen Risikos anderen Firmen überließ.
Auch diese beiden Zentralbegriffe der global tätigen Ölindustrie bereiten den Autoren streckenweise Probleme, die zum Uran-Bergbau (Karlsch) und zur BASF (Stokes) vorab gediegene Beiträge veröffentlicht haben. Dennoch ist festzuhalten: Wer sich die größte Industrie der Welt in ihren mitteleuropäischen Ausprägungen und nach 1945 im Zeichen einer steigenden Amerikanisierung (Firmenübernahmen, Fall Dea) erklären lassen will, der kommt durchaus auf seine Kosten, was das Steinkohleland Bundesrepublik betrifft - aber auch hinsichtlich der Sowjetisierung des Braunkohlelandes DDR.
Darüber referieren beide Autoren stellenweise mit akribischem Fleiß aus dem zugänglichen Quellenmaterial. Aber man erfährt so gut wie nichts zum komplexen Mechanismus der Ölpreisbildung seit 1859 mit ihrem Dekadenzyklus. Bezeichnend dafür ist, daß nicht einmal Hartshorns klassische Studie zu diesem Bereich erwähnt wird. Kein Wunder auch, daß beide Autoren von der "Ölkrise" reden, wenn sie ihr Buch mit 1974 abschließen. Obgleich es eine Ölpreiskrise war, das heißt, die Erhöhung des Faßpreises von drei auf zwölf Dollar bedeutete nichts anderes als einen Inflationsausgleich dafür, daß die Vereinigten Staaten ihr Vietnam-Abenteuer zwischen 1964 und 1974 mit schleichender Inflation finanziert und damit den Petro-Dollar bewußt entwertet haben.
Solche Bezüge findet man hier nicht. Auch der "menschliche Faktor" in Gestalt von Ölleuten aller Art, Petro-Chemie-Werkern oder Tankstellenpächtern kommt sowenig vor wie die erschütternden Berichte von Berthold Beitz über jüdische Mitarbeiter in der galizischen Ölindustrie während des Zweiten Weltkrieges. Gewiß, zur Öl-Lage des NS-Regimes wird einiges an interessanten Querverbindungen angeführt. Aber eine gründliche Analyse zum "Sozialismus" des Energiewirtschaftsgesetzes von 1934 wird man vergeblich suchen, das im Prinzip noch fünfzig Jahre später in der alten Bundesrepublik als "geltendes Recht" angesehen wurde.
Zur Geschichte der Umstrukturierung des alten Kohlelandes in Gestalt von Besatzungszonen und ab 1949 der Bundesrepublik Deutschland als eines Wirtschaftsgebietes mit steigender Ölabhängigkeit erwartet man zumindest eine Erörterung der Hauptgründe für das "Zechensterben". Und zur Erschließung der Nordsee ab 1958 fehlt eine erhellende Untersuchung zum bundesdeutschen Sektor, das heißt zur Problematik der politischen, rechtlichen und physischen Aufteilung des Festlandssockels unterhalb der Wasserzone.
Die oft vergebliche Suche bundesdeutscher Unternehmen nach auswärtigen Ölvorkommen (Syrien, Libyen) vor der Nordsee-Exploration wird gebührend erörtert. Dafür aber müssen andere Weglassungen (Explorationstechnik, sekundäre Förderverfahren, Mineralölsteuer) in Kauf genommen werden, wie zum Beispiel der lange Werdegang der Preussag als ältestes Kohle- und Ölunternehmen, obgleich es mit seinen Pionieren wie Karl Scheibe in den Mittelpunkt gehörte. Dennoch ist Karlsch und Stokes eine wichtige Bestandsaufnahme vornehmlich zur Firmenstruktur der Mineralölindustrie in ihren nationalen wie globalen Verflechtungen gelungen: Sie wird für eine künftige Geschichte dieser lebenswichtigen Branche unverzichtbar sein.
GÜNTER BARUDIO
Rainer Karlsch, Raymond G. Stokes: "Faktor Öl". Die Mineralölwirtschaft in Deutschland 1859-1974. Verlag C. H. Beck, München 2003. 480 S., 48 Abb., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stimme aus dem Verlag
„Wie kaum ein anderer Rohstoff hat das Erdöl die Welt verändert und die Industrialisierung maßgeblich beeinflußt. Und anders als bei anderen Industriebranchen hatte der Staat zum Zweck der privaten, vor allem aber der öffentlichen Energieversorgung stets ein besonderes Interesse am flüssigen Gold. Den engen Verbindungen zwischen Wirtschaft, Staat und Politik gilt denn auch ein Hauptaugenmerk der Autoren.“
(Presseabteilung, Verlag C.H.Beck)
„Wie kaum ein anderer Rohstoff hat das Erdöl die Welt verändert und die Industrialisierung maßgeblich beeinflußt. Und anders als bei anderen Industriebranchen hatte der Staat zum Zweck der privaten, vor allem aber der öffentlichen Energieversorgung stets ein besonderes Interesse am flüssigen Gold. Den engen Verbindungen zwischen Wirtschaft, Staat und Politik gilt denn auch ein Hauptaugenmerk der Autoren.“
(Presseabteilung, Verlag C.H.Beck)
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Im Großen und Ganzen begrüßt Rezensent Günter Barduio diese "wichtige Bestandsaufnahme" zur Firmenstruktur der deutschen Mineralölindustrie "in ihren nationalen wie globalen Strukturen" als wichtiges "Desiderat" zu einer modernen Geschichte dieses Industriezweigs. Als "Behördenkundler, Verflechtungsspezialist und Dividendenexperten" gelinge jedem der Autoren in seinem Zeitabschnitt eine Reihe "erhellender Aufklärungen über Unternehmensstrukturen, Interessenverschiebungen und Marktlagen". Dennoch macht der Rezensent gelegentlich sachliche Mängel aus, vermisst Informationen über den "komplexen Mechanismus der Ölpreisbildung seit 1859", sowie einen Blick auf den "menschlichen Faktor in Gestalt von Ölleuten aller Art". Auch fehlte ihm eine gründliche Analyse zum "Sozialismus" des nationalsozialistischen Energiewirtschaftsgesetzes von 1934. Auch stört sich Barduio an der häufigen Verwendung des "schwammigen" Begriffes "Monopol", sobald es um die amerikanische Ölszene geht. Dort fand er auch den Werdegang John D. Rockefellers "sehr verkürzt und teilweise verzerrt" dargestellt. Über die "Sowjetisierung der DDR" dagegen fand der Rezensent die Autoren "mit akribischem Fleiß" aus dem zugänglichen Quellenmaterial referieren.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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