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Über den Mut und die Zerbrechlichkeit eines Mannes, der die Welt veränderte. "Saviano macht aus Fakten Literatur." Luzia Braun, ZDF Aspekte
Wie lebt man, wenn man weiß, dass die eigenen Tage gezählt sind? Savianos wichtigstes Buch seit "Gomorrah" erzählt das Leben des größten Mafiajägers der Geschichte. Nicht nur als Richter, sondern auch als Ehemann, als Bruder, als Freund. Mit seinem Geldwäsche-Gesetz forderte Falcone die Mafia heraus. Als er am 25. Mai 1992 mit seiner Frau unterwegs zum Wochenendhaus ist, sprengt die Mafia sie mitsamt einem Stück Autobahn in die Luft. Es ist ein…mehr

Produktbeschreibung
Über den Mut und die Zerbrechlichkeit eines Mannes, der die Welt veränderte. "Saviano macht aus Fakten Literatur." Luzia Braun, ZDF Aspekte

Wie lebt man, wenn man weiß, dass die eigenen Tage gezählt sind? Savianos wichtigstes Buch seit "Gomorrah" erzählt das Leben des größten Mafiajägers der Geschichte. Nicht nur als Richter, sondern auch als Ehemann, als Bruder, als Freund. Mit seinem Geldwäsche-Gesetz forderte Falcone die Mafia heraus. Als er am 25. Mai 1992 mit seiner Frau unterwegs zum Wochenendhaus ist, sprengt die Mafia sie mitsamt einem Stück Autobahn in die Luft. Es ist ein Wendepunkt in der Geschichte Italiens und Europas. Saviano, der seit Jahren unter Polizeischutz lebt, zeigt anhand von Falcones Geschichte wie demokratische Strukturen ausgehöhlt werden und wie durch Zivilcourage die Welt verändert werden kann. Ein Buch, das uns alle betrifft.
Autorenporträt
Roberto Saviano, 1979 in Neapel geboren, arbeitete nach dem Studium der Philosophie als Journalist. Gomorrha kam rasch nach Erscheinen auf die italienische Bestsellerliste und machte ihn schlagartig berühmt. Nach wiederholten Morddrohungen von Seiten der Camorra steht Saviano permanent unter Personenschutz und lebt seit vielen Jahren im Untergrund. Bei Hanser erschienen Gomorrha (Reise in das Reich der Camorra, 2007), Das Gegenteil von Tod (2009), Der Kampf geht weiter (Widerstand gegen Mafia und Korruption, 2012), ZeroZeroZero (Wie Kokain die Welt beherrscht, 2014), Super Santos (Hanser Box, 2014), Der Clan der Kinder (Roman, 2018) und Die Lebenshungrigen (Roman, 2019). 2009 erhielt Saviano den Geschwister-Scholl-Preis, 2012 den Olof-Palme-Preis für seinen publizistischen Einsatz gegen organisiertes Verbrechen und Korruption und 2016 den M100 Media Award. Er schrieb am Drehbuch zum Film "Paranza - Der Clan der Kinder" mit, das auf der Berlinale 2019 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Thomas Wörtche zeigt sich begeistert vom  Kriminalroman um den italienischen Richter und Mafiajäger Giovanni Falcone. Aus Robert Savianos Buch erfährt Wörtche viel über die innere Welt des ehrgeizigen und selbstlosen Falcone. Saviano schreibt kein Sachbuch, sondern erzählt spannend und engagiert, freut sich der Kritiker. Im Gegensatz zu den üblichen Klischees über die Mafia werde aber hier nichts romantisiert. Saviano ist sich bewusst, dass es um brutale historische Realitäten geht und erfindet somit das Genre des Mafia-Romans neu, verspricht Wörtche.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.02.2024

Eine
Verneigung
Roberto Saviano setzt mit „Falcone“ dem
legendären Staatsanwalt ein Denkmal,
der die Strukturen der Mafia offenlegte.
VON CAROLIN GASTEIGER
Dieses Buch beginnt und endet mit einer Explosion. 1943 reißt im Zweiten Weltkrieg eine Bombe Giovanni Riina und einen seiner drei Söhne in Corleone in den Tod. Ein weiterer wird schwer verletzt. Nur der zwölfjährige Salvatore überlebt, wundersamerweise ohne einen Kratzer abzukriegen. Knappe vierzig Jahre später jagen 500 Kilogramm Sprengstoff, in einem Drainagerohr unter der Autobahn deponiert, Giovanni Falcone, seine Frau Francesca Morvillo und drei seiner Leibwächter in die Luft. Sie waren auf dem Weg vom Flughafen Palermo in Falcones Wochenendhaus. Mit dem „Massaker von Capaci“ tötet die Cosa Nostra ihren größten Feind. In Auftrag gegeben wurde das Attentat vom Boss der Bosse: Salvatore „Totó“ Riina.
Zwischen diesen beiden Explosionen fächert Roberto Saviano, der als Journalist und Autor selbst unermüdlich gegen die Mafia ankämpft, das Leben des größten, des ikonischen Kämpfers gegen das organisierte Verbrechen in Italien auf. Im Original heißt das Buch „Solo è il coraggio“, also in etwa „Mut macht einsam“, auf Deutsch trägt es schlicht den Titel: „Falcone“.
Akribisch und detailliert widmet sich Saviano diesem Mann, der eigentlich Seemann werden wollte, bevor er auf Jura umschwenkte. Er legt Verbrechen der Mafia und Falcones Ermittlungen dagegen dar, von Beginn der Achtziger bis zu dessen Tod, und schildert auch wichtige Etappen in Falcones Karriere: Wie er etwa in Palermo von allen Bankdirektoren der Stadt Einsicht in ihre Finanzen fordert, um vermeintliche Geldströme aus dem Ausland zu identifizieren – ein Affront gegen die Banker, der sofort den Generalstaatsanwalt auf den Plan ruft. Oder, wie er den nach Brasilien ausgewanderten Mafioso Tommaso Buscetta zum Kronzeugen bekehrt. Es fallen viele Namen, ihre Verstrickungen fordern die Konzentration der Leserschaft heraus, selbst wenn ihr das Sujet nicht neu sein sollte. Vor allem aber stellt sich die Frage: Ist das, wie es auf dem Umschlag steht, wirklich ein Roman?
Vielleicht insofern, als Saviano eben nicht nur erzählen will, was war, sondern dem Mann hinter den Ereignissen und seiner Motivation näherzukommen versucht. Dem Ehemann, Bruder, Freund Giovanni Falcone, dem leidenschaftlichen Schwimmer und Sammler von Entenfiguren („stumme Zeugen seiner Verzagtheit“). Aber vor allem dem Mann, der sein ganzes Leben dem Kampf gegen die Mafia widmet, wohl aus einem unerschütterlichen Glauben an Gerechtigkeit heraus, und der weiß, was das bedeutet: Damit, dass man ihn töten wolle, dieser „untilgbaren Hypothek auf sein Leben“, habe er seinen Frieden gemacht, heißt es an einer Stelle.
Und an einer anderen ganz klar: „Man setzt keine Waisen in die Welt.“ Falcone wollte nie Kinder, weder mit seiner ersten Frau Rita, mit der er in Trapani noch Feste feiert (mal mehr, mal weniger gelangweilt), noch mit seiner zweiten Frau Francesca. Zu deutlich stand ihm die Gefahr vor Augen, dass die Mafia sie ermorden könnte. Auch der Satz „Man heiratet keine Witwen“ schwirrt ihm vor seiner zweiten Heirat im Kopf herum. Aber die Gefühle sind dann doch stärker.
Viereinhalb Jahre hat Saviano an seinem Roman gearbeitet, und das Erscheinungsdatum in Italien war bewusst gewählt. Er kam rechtzeitig heraus, bevor sich am 23. Mai 2022 das Massaker von Capaci zum 30. Mal jährte. Bei einem Festakt dazu sprach auch Präsident Sergio Mattarella, dessen Bruder Piersanti die Mafia 1980 ermordete. Wie viele andere kommt auch dieses Attentat im Buch vor. Dass „Solo è il coraggio“ in Italien zum Bestseller wurde, spricht sowohl für seinen Autor als auch für seinen Gegenstand.
Denn hier schreibt eine Ikone des Kampfes gegen die Mafia in Italien über eine andere. Der Titel „Mut macht einsam“ trifft auch auf Saviano zu. Nachdem 2006 sein Buch „Gomorrha“ erschienen war, in dem er die Verstrickungen der Camorra in seiner Heimat Neapel schildert, erhielt er Morddrohungen, musste mit 27 Jahren in den Untergrund. Bis heute lebt er unter Personenschutz. An manchen Stellen des Buches denkt man unweigerlich auch an die Situation des Autors: Etwa, wenn Falcone für ein ungestörtes Mittagessen mit seiner Frau die Leibwächter einmal Leibwächter sein lässt und sich davonstiehlt. Der Satz „Sein Bedürfnis, sie zu sehen, war zu groß“, könnte auch auf Saviano zutreffen. Falcone ist sein Vorbild, und seine Bewunderung klar erkennbar. In einem Interview erklärt er, was er Falcone gern fragen würde: „Woher hast du die Kraft genommen?“ Und: „Lohnt es sich, dass ich weitermache?“
Falcone ließ sich nicht aufhalten. In seiner Amtszeit musste er viele Rückschläge einstecken, er wird bei wichtigen Posten übergangen, verliert nach und nach Kollegen, die die Mafia tötet. Vor allem der Tod Rocco Chinnicis, mit dem Falcone den „Antimafia-Pool“ als Zusammenschluss von Staatsanwälten im Kampf gegen das organisierte Verbrechen gründete, trifft ihn. Eben noch versammeln sich die Kollegen zu den nach Geheimrezept zubereiteten Rigatoni alla Chinnici, es wirkt „wie ein Familientreffen“. Ein Blick Chinnicis löst bei Falcone blankes Entsetzen aus: „All dieses Leid, dieser stechende Schmerz, der eines Tages kommen und sein Fleisch zerschneiden, seine Knochen zerschlagen wird, steckt schon in ihm.“ Nur Monate später reißt eine Autobombe Chinnici, zwei seiner Leibwächter und den Concierge seiner Wohnanlage in den Tod.
Bei jedem Posten, den Falcone übernimmt, weiß er, wie viele seiner Vorgänger bereits ermordet wurden. Die Angst, wann er wohl dran sein wird, verfolgt ihn. Am deutlichsten wird das im kürzesten der insgesamt 75 Kapitel. Es ist nur zehn Zeilen lang: Falcone wird nicht zum Leiter der Ermittlungsabteilung am Gericht von Palermo gewählt. Es wäre der schlüssige Karriereschritt gewesen, nach dem berühmten „Maxi-Prozess“, in dem Falcone 1986 die verwickelte Struktur der Mafia nachweisen konnte, und in dem erstmals Mafiosi gerichtlich zur Verantwortung gezogen wurden, aus der Schusslinie zu verschwinden. Dass er übergangen wurde, quittiert Falcone mit dem Satz: „Mit dieser Entscheidung habt ihr mich zur Zielscheibe der Jahrmarktsbude gemacht.“
Die Kapitel über Falcones Karriere wechselt Roberto Saviano mit Erzählungen aus dessen Privatleben ab. So begegnen einem in diesem Buch auch berühmte Palermitaner wie der frühere Bürgermeister und Trauzeuge Falcones, Leoluca Orlando, oder die couragierte Fotografin Letizia Bataglia. Und manche Abschnitte schreibt Saviano überraschenderweise aus Sicht der Mafiosi. Etwa als sie ein Attentat in Addaura vorbereiten. Falcones Leute entdecken frühzeitig die mit Sprengstoff gefüllte Sporttasche. Als im Fernsehen über den vereitelten Anschlag berichtet wird, kommentiert Boss Riina vorwurfsvoll: „Das war der richtige Moment.“ Politisch mag dieser Wechsel in die Perspektive der Täter verwundern, dramaturgisch ergibt es Sinn. Vervollständigt er doch das bigger picture: Genauso wie die Mafia Falcone beschäftigt, beschäftigt Falcone die Mafia.
Viel Platz nehmen Vorbereitung und Verlauf des Maxi-Prozesses ein. In einer Art Bunker, für den Prozess auf dem Gelände des Ucciardone-Gefängnisses in Palermo gebaut, wurden 344 von 474 Angeklagten zu insgesamt 2665 Jahren Haft verurteilt. Im Vorfeld gelangte Falcone zu Bekanntheit in Italien, viele warfen ihm aber auch vor, er arbeite vor allem für seinen eigenen Ruhm, seine Eitelkeit. Er stört überhaupt: So beschwert sich eine Nachbarin, dass Falcones Polizeieskorte zu jeder Tageszeit mit lauten Sirenen vor dem Haus ankomme und sie an ihrem Mittagsschlaf hindere.
Savianos „Falcone“ ist keine leichte Kost, was nicht an der manchmal ins Kitschige driftenden Sprache und noch weniger an Annette Kopetzkis Übersetzung liegt. Sondern an den vielen Namen, Zahlen und Fakten, die der Roman mit sich bringt. Aber es ging Saviano noch nie so sehr ums Unterhalten, sondern ums Aufklären, Erinnern, Aufrütteln. „Falcone“ ist Verneigung, Zeitzeugnis und Appell gleichermaßen. Im Vorwort schreibt Saviano: „Jede Szene ist ein Ausschnitt des Dramas eines ganzen Landes, wo die Wahrheit so verzerrt ist, dass sie die kühnsten Phantasien übertrifft.“
Vor allem stellt sich
die Frage: Das ist
wirklich ein Roman?
Wirkt wie ein Mann, der das Leben liebt: Dieses Bild von Richter Giovanni Falcone ist auch in Savianos Buch zu sehen.
Foto: imago images / Granata Images
Roberto Saviano:
Falcone. Aus dem
Italienischen von Annette Kopetzki. Roman.
Hanser, München 2024. 544 Seiten, 32 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.03.2024

Nie mehr allein gegen die Mafia

Wenn Bewunderung zur erzählerischen Kraft wird: In Roberto Savianos Roman "Falcone" über den mutigen italienischen Vorkämpfer gegen das organisierte Verbrechen klingt nichts amtsstubentrocken, obwohl er sich eng an dokumentierte Fakten hält.

Es gibt in diesem oft so düsteren Roman eine Seite, die in jeder Hinsicht frischen Wind bringt: Sie findet sich ganz am Ende, eine Aufnahme des Richters Giovanni Falcone am offenen Fenster. Zufrieden, ja unbeschwert strahlt er. Der Mann, dem Roberto Saviano in "Falcone" rund dreißig Jahre nach seiner brutalen Ermordung ein Denkmal setzt - hier steht er zum Greifen nah, ausgelassen und ungemein sympathisch. Doch nicht allein der persönliche Eindruck lässt dieses Foto zum krönenden Abschluss eines packenden und mit über 540 Seiten auch wortreichen Werks werden. Das Bild fängt ein, was Falcone geglückt ist: Er hat ein Fenster aufgestoßen, auf dass Licht hereinwoge. "Ein echtes Licht, das die Schatten vertreiben und allen erlauben würde, klar zu sehen, zu verstehen."

Ein genauer Blick war mehr als nötig. Erst nach dem von Falcone vorbereiteten großen Gerichtsverfahren gegen Angehörige der Mafia, dem sogenannten Maxi-Prozess im Jahr 1986, konnte niemand mehr die Existenz dieser verbrecherischen Organisation leugnen. Keine Selbstverständlichkeit, wie man sich immer wieder vor Augen halten sollte.

Der Kampf gegen die Mafia muss auf vielen Ebenen geführt werden, erschöpft sich nicht in strafrechtlicher Verfolgung. Der erste Roman, der sich dieser Organisation literarisch annahm, war Leonardo Sciascias "Der Tag der Eule" von 1961. In diesem Kriminalroman legt Sciascia seinen Figuren Worte in den Mund, die ein Schlaglicht auf das damalige gesellschaftliche Klima werfen. Da ist der Nord-Süd-Konflikt, der in der Nachkriegszeit Fahrt aufnahm und der einen probaten Vorwand an die Hand gab, die Mafia als Hirngespinst des Nordens abzutun: "Wir zwei, wir Sizilianer, glauben nicht an ihre Existenz. Das müsste Ihnen, der Sie anscheinend daran glauben, doch zu denken geben. Aber ich verstehe Sie. Sie sind kein Sizilianer", doch mit "der Zeit werden Sie sich davon überzeugen, dass das alles nur aufgebauschte Geschichten sind." Und auch die Streitigkeiten zwischen den Parteien prägten die Wahrnehmung der Wirklichkeit und die Reaktion auf diese: "Stolz und verächtlich weise die Regierung die Unterstellung der Linksparteien in ihren Zeitungen von sich, dass Mitglieder des Parlaments oder gar der Regierung auch nur die losesten Beziehungen zu Angehörigen der sogenannten Mafia unterhielten, die nach Ansicht der Regierung ohnehin ausschließlich in der Fantasie der Kommunisten existiere."

Gegen diese Vorurteile muss Roberto Saviano nicht mehr anschreiben, die Existenz verschiedener mafiöser Organisationen ist längst anerkannt, auch dank seiner Werke zur neapolitanischen Camorra, mögen diese journalistischer oder literarischer Art sein. Als augenfällige Kontinuität bleibt freilich festzuhalten, dass ihm sein Engagement ein Leben unter Polizeischutz eingetragen hat. Genau wie dem von ihm bewunderten Falcone. Ein wenig davon dürfte in die Darstellung des Privatlebens Falcones eingegangen sein. So empört sich die Nachbarschaft, wenn durch die Wohnung des Richters Kinder poltern oder er eine Party feiert: "Dass einer wie er sich amüsiert, ist unanständig. Es ist nicht gottgefällig. Nicht dafür bezahlen die Bürger seinen Geleitschutz, sondern damit er leidet und das Leiden verkörpert." Damit er nur noch auf Zehenspitzen durch die eigene Wohnung schleicht.

Insgesamt hält sich Saviano mit solchen Einfühlungen jedoch sehr zurück. Das führt zu den Stärken, aber auch zu den Schwächen seines Romans.

Saviano maßt sich nie an, Falcone zu kennen - obwohl er das Material zum Maxi-Prozess vermutlich besser kennt als irgendwer sonst. Die Vorbereitung dieses Verfahrens gewinnt bei ihm durch Zeitsprünge, Perspektivwechsel und Dialoge, durch die Darstellung von Hoffnungen und Ängsten den Charakter eines Kriminalromans. Hier ist nichts amtsstubentrocken, im Gegenteil, das ist packend erzählt.

Gleichzeitig versichert Saviano mit großer Eindringlichkeit in einer Vorbemerkung, die einzelnen Episoden oder Geschichten haben sich genau in der von ihm geschilderten Weise zugetragen, seien authentisch. Mitunter gebe es verschiedene Versionen einer Begebenheit, dann habe er eine Auswahl vorgenommen. Entsprechende Quellenangaben und zusätzliche Informationen lassen sich nachlesen, der Link folgt etwas versteckt am Ende des Buches.

Das deutet auf ein Manko, das dem Roman insgesamt jedoch nachzusehen ist. Mitunter scheut Saviano vor einer mutigen Literarisierung zurück und erzählt ganz entlang dokumentierter Fakten. Als Beispiel sei ein Kapitel genannt, in dem ein Journalist den Präfekten von Palermo interviewt. Beide kennen sich noch aus der Resistenza, nach dem Krieg haben sich ihre Wege jedoch getrennt. Bei dem Präfekten handelt es sich um Carlo Alberto dalla Chiesa, der sich unter anderem bei der Bekämpfung der Roten Brigaden und während der Entführung von Aldo Moro einen Namen gemacht hat. Dann sollte er in Palermo gegen die Mafia vorgehen. In dem bereits erwähnten Hintergrundmaterial nennt Saviano die Quelle, in der dieses Interview nachzulesen ist. Im Roman setzt er an dieser Stelle zu viel voraus, vermutlich nicht nur bei einer Leserschaft, die mit den italienischen Verhältnissen nicht so vertraut ist; hier handhabt er sein Expertenwissen einfach nicht ganz souverän. So fragt der Journalist: "Was verlangen Sie? Eine Art Antimafia-Diktatur? Die Sonderbefugnisse von Präfekt Mori?" Wenn dalla Chiesa ihn daraufhin als "Verfechter liberaler rechtsstaatlicher Prinzipien" kritisiert, schimmern die Parteienkämpfe zwischen rechts und links nur noch sehr vage durch, und dass Mori unter Mussolini so erfolgreich gegen die Mafia gekämpft hat, dass diese bereits als tot galt, geht an keiner Stelle aus dem Roman hervor.

Selbst in diesem eher schwachen Kapitel kriegt Saviano am Ende die Kurve. Da behauptet dalla Chiesa, die Mafia könne jeden Gegner umbringen, egal wie mächtig er sei, wenn "er isoliert ist". Der Originaltitel lautet "Solo è il coraggio", und mit diesen Worten endet der Roman: "der Mut ist einsam." Falcones einstiger Chef hat dem entgegenzuwirken versucht. Ihm ist die Etablierung eines Teams zu verdanken. Denn wenn ein Untersuchungsrichter stirbt, "darf das Wissen, das jeder von uns angesammelt hat, nicht verloren gehen. Wenn einer fällt, fällt nicht auch die Ermittlung. Wenn einer fällt, wissen wir, dass er, bevor er fiel, den Staffelstab weitergegeben hat."

Den Kampf der Mafia gegen den Staat und des Staates gegen die Mafia stellt Saviano auch begrifflich als Krieg dar. Nur gemeinsam lässt er sich führen - und nur im Bewusstsein, wie unterwandert der Staat bereits ist. Ein Generalstaatsanwalt verlangt, Falcone solle tun, was Untersuchungsrichter immer tun: "Nichts!" Dieser jedoch "kreist mit dem Bleistift auf den Papieren, die über seinem Schreibtisch verteilt sind, Namen ein. Namen von Mafiosi, Bankangestellten und Unternehmern. Bis vor einiger Zeit hätte niemand gedacht, dass man sie miteinander in Verbindung bringen könnte." Um diesen Konnex zu sehen, gilt es, den Blick auf die Zustände und Gegebenheiten zu schärfen und sich nicht durch Parteileitplanken im Vorgehen einhegen zu lassen. Oder davon, dass Saviano ein "männliches Buch" vorgelegt hat, jedenfalls sofern man darunter ein Übergewicht an männlichen Figuren und ein recht traditionelles Rollenbild versteht. Entscheidender jedoch: Es ist ein sehr lesenswertes Buch. CHRISTIANE PÖHLMANN

Roberto Saviano:

"Falcone". Roman.

Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki. Hanser Verlag, München 2024.

544 S., geb., 32,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Ein mitreißendes Buch, das direkt ins Herz unserer politischen Gegenwart zielt." Denis Scheck, druckfrisch

"'Falcone' ist Verneigung, Zeitzeugnis und Appell gleichermaßen." Carolin Gasteiger, Süddeutsche Zeitung

"Die derzeit stärkste literarische Stimme Italiens." Birgit Schönau, Die Zeit

"Roberto Saviano hat einen akribisch recherchierten Roman über den Mafiajäger Giovanni Falcone geschrieben." Luzi Bernet, Neue Zürcher Zeitung

"Ein sehr lesenswertes Buch." Christiane Pöhlmann, Frankfurter Allgemeine Zeitung

"Ein echter Pageturner." Der Standard

"Dieser Roman ist mehr als eine atemraubende Lektüre." Susanna Bastaroli, Die Presse

"Ein großes Requiem, eine Würdigung all derjenigen, die obwohl sie wussten, dass sie höchstwahrscheinlich umgebracht werden, den Staffelstab von ihren toten Vorgängern im Kampf gegen die Mafia aufnahmen." Tomas Fitzel, Rundfunk Berlin-Brandenburg