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Ein Roman über die Innenwelt des Geschäftslebens, geschrieben von einem Insider.
Georg Voigtländer, Mitte Dreißig, Wirtschaftswissenschaftler, tritt die Nachfolge seines Vaters an. Durch Einführung einer zeitgemäßeren Gesellschaftsform und eine strategische Neuausrichtung will er den familieneigenen mittelständischen Betrieb den sich verändernden Bedingungen des Marktes anpassen. Doch sein Onkel, wie er Anteilseigner, hat nur ein Ziel: seinem Sohn Friedrich eine möglichst hoch dotierte Geschäftsführerposition zuzuschanzen und den lästigen Mitgesellschafter aus der Firma zu drängen. Georg…mehr

Produktbeschreibung
Ein Roman über die Innenwelt des Geschäftslebens, geschrieben von einem Insider.
Georg Voigtländer, Mitte Dreißig, Wirtschaftswissenschaftler, tritt die Nachfolge seines Vaters an. Durch Einführung einer zeitgemäßeren Gesellschaftsform und eine strategische Neuausrichtung will er den familieneigenen mittelständischen Betrieb den sich verändernden Bedingungen des Marktes anpassen. Doch sein Onkel, wie er Anteilseigner, hat nur ein Ziel: seinem Sohn Friedrich eine möglichst hoch dotierte Geschäftsführerposition zuzuschanzen und den lästigen Mitgesellschafter aus der Firma zu drängen. Georg sucht Rettung in der Welt der Bücher ... Ein Roman über die Innenwelt des Geschäftslebens, geschrieben von einem Insider.

Ernst-Wilhelm Händler wurde 1953 geboren und lebt in Regensburg. 1995 erschien sein vielbeachtetes erstes Buch, der Erzählungsband 'Stadt mit Häusern', 1996 der Roman 'Kongreß'.

Autorenporträt
Händler, Ernst-Wilhelm
Ernst-Wilhelm Händler wurde 1953 in München geboren, studierte Philosophie und Wirtschaftswissenschaften und lebt als Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens in Regensburg. 'Stadt mit Häusern' war 1995 sein vielbeachtetes literarisches Debüt, dem die Romane 'Kongreß' (1996; dtv 12586), 'Fall' (1997; dtv 12731), 'Sturm' (1999; dtv 13163) und 'Wenn wir sterben' (2002) folgten. 1999 erhielt Händler den Erik-Reger-Preis des Landes Rheinland-Pfalz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.09.1997

Das Kontor
Ernst-Wilhelm Händlers Roman "Fall" · Von Mark Siemons

Das Wirtschaftsleben gilt in Deutschland nicht eben als würdiger Gegenstand der Literatur. Dafür ist es den in Frage kommenden Autoren zu fremd, vielleicht auch zu unheimlich. Die alle Facetten des Daseins subtil umgarnende Welt der Wirtschaft ist heute eine mit der Literatur durchaus konkurrierende Welt; sie verschlingt keineswegs bloß instrumentelle Energien, sondern auch ästhetische, moralische und politische - bis am Ende selbst das kulturelle Milieu auf ihm unbewußte Weise die Kategorien eines Betriebs reproduziert.

Die Wirtschaftswelt ist so stark, daß sie für die Literatur keinen Stoff, sondern geradezu eine Bedrohung darstellt. "Ich werde mich von diesem Büro weder zerstören noch vernichten lassen", schreibt in Thomas Bernhards letztem Roman "Auslöschung" der Privatgelehrte Franz Josef Murau, der im Angesicht des Todes trotzig um die Wahrheit seines Lebens ringt: "Im Grunde genommen, habe ich zu Gambetti gesagt, haben die Deutschen in diesem Jahrhundert nur eine von Leitzordnern beherrschte Literatur produziert." Die einzige Ausnahme sei ausgerechnet der Angestellte Kafka gewesen. Das Büro, könnte man sagen, ist die Nemesis der deutschen Literatur. Sie steht unter dem magischen Zwang, nicht den Grund zu nennen, dem sie sich verdankt.

Das ist der Horizont, vor dem der mittelständische Unternehmer Ernst-Wilhelm Händler bei der Frankfurter Verlagsanstalt nun einen Roman über den Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens vorlegt. Es ist - nach dem im vorigen Jahr erschienenen "Kongreß" - bereits sein zweiter Roman. Händler gilt als schwieriger, aber interessanter Autor. Das Buch besteht zu einem gut Teil aus Vertragstexten, Konferenzprotokollen und Aktenvorgängen. Aber gerade deshalb gehört es der von Leitzordnern beherrschten Literatur nicht an. Es hält sich fern von der Angestellten-Correctness des literarischen Betriebs, der nur auf die immer gleichen Reizwörter zu warten scheint, um in immer gleicher Weise auszuschlagen, zum Beispiel gegen die Ökonomisierung des Lebens. Händler dagegen beziehungsweise sein Held Georg Voigtländer notiert: "Ich hörte mir erstaunt zu, wie ich von meinem falschen Berufsleben sprach." In Wirklichkeit ist er davon überzeugt, daß er das richtige Leben führt. Er will, seitdem er an die Stelle seines verstorbenen Vaters gerückt ist, der Firma seinen Stempel aufdrücken und zu diesem Zweck beispielsweise den verhaßten Vetter Friedrich, den er als einen Versager hinstellt, aus dem Geschäft befördern.

Traute man dem Klappentext, dann ginge es in dem Roman bloß um einen Verdrängungskampf an der Spitze einer Firma, um den Widerstreit zwischen modernen Managementmethoden und unausgesprochenen Familientraditionen. Doch das ist nur die Folie für einen wesentlich abgründigeren Vorgang. Georg Voigtländer, der Geschäftsführer mit literarischen Ambitionen, unternimmt den Versuch, sich im Leben zu behaupten oder vielmehr überhaupt erst einen Ort in ihm zu finden - aber er unterliegt. Um dies darzustellen, verzichtet Händler auf jegliche psychologische Introspektion. Er hält sich nur an objektive Taten, wozu freilich gemäß dem Wittgenstein entlehnten Motto auch Worte gehören. Doch selbst in den Worten, die der Ich-Erzähler Voigtländer an andere richtet, gibt er nichts von seinem Inneren preis.

Sein Lebenskampf spielt sich in zwei Sphären ab: im Unternehmen, wo er durch Aktennotizen und Gespräche dokumentiert ist, und in der Literatur. Die Literatur ist natürlich die Sphäre der Eigentlichkeit, der reinen Selbstfindung. Hier wird es nun ziemlich kompliziert. Tatsächlich ist der Roman "Fall" eine Zumutung. Nicht nur, daß der Leser, nachdem er sich bis zum Epilog durchgekämpft hat, das Buch mindestens noch ein zweites Mal lesen muß, um nur die notwendigsten Signale und Verweise halbwegs mitzubekommen. Es wird von ihm auch die Kenntnis der Romane "Auslöschung" von Thomas Bernhard und "Auf dem Turm" von Gert Hofmann verlangt, in die sich nämlich der Held des "Falls" ständig hineinphantasiert, ohne die Grenze von einer zur anderen Bedeutungsebene auch nur durch Anführungszeichen zu markieren. Voigtländer stellt sich vor, daß er ständig mit Murau, dem Helden der "Auslöschung", im Roman zusammentrifft und mit ihm dort über literarische Fragen debattiert. Er begegnet dort auch "dem Schriftsteller", der von seinem neuen Roman redet. Hinter dieser Figur verbirgt sich der 1993 verstorbene Autor der "Kleinen Stechardin", Gert Hofmann.

Die Bedeutung der Parallelhandlungen geht jedoch über kennerische Anspielungen weit hinaus. "Fall" ist der spiegelverkehrte Nachvollzug des Bernhardschen "Zerfalls". So wie Murau sich von seiner Herkunft, die ihn wider Willen geformt hat, abstoßen, sie durch Beschreibung "auslöschen" will, will Voigtländer das Erbe seines Vaters bewußt in Besitz nehmen. Was für Murau das Familiengut Wolfsegg ist, ist für Voigtländer das Familienunternehmen: das Material, aus dem auf noch ungeklärte Weise das eigene Ich geformt ist und ohne das zu erkunden ein künftiges Leben unmöglich ist.

Händler geht es offensichtlich nicht um die Erzählung einer leicht nachvollziehbaren Geschichte. Er baut seine aufwendige Versuchsanlage auf, um Wirtschaft und Literatur wechselseitig auf die Probe zu stellen. Letztlich geht es ihm um die Wahrheit der eigenen Selbstfindung. "Im Roman kann man noch Urteile fällen", heißt es einmal. Die Pointe des Buches ist, daß dieser Versuch mißlingt, daß "Corporate world" über den Autor, der gegen sie anschreibt, wie über die Literatur als ganze siegt - wie im wirklichen Leben. Nicht nur, daß Georg Voigtländer am Ende aus der Firma fliegt, die er erobern wollte. Er hört auch auf zu lesen und zu schreiben.

Wer ihm schließlich die Augen über sich selbst und seine wirkliche Stellung im Betrieb öffnet, ist ein gewisser "K.", ein Schulfreund, der mittlerweile Partner einer bedeutenden Unternehmensberatungsgesellschaft, der "Firm", ist, ein "säkularisierter Priester in Anbetung eines gottlosen Gemeinwohls", wie Voigtländer ihn einmal nennt. Er steht für die vollkommene Geschlossenheit des Systems. Die Firm hat Macht, weil sie eine "ethische Zielvorstellung" vertritt, die einzig mögliche, nämlich die Ziele der Klienten unberührt zu lassen. Ihre Mitarbeiter "erarbeiten für den Klienten Anweisungen, bei deren Befolgung er sein Ziel erreicht, indem sie alle Widerspiegelungen ihrer früheren Erfahrungen über die Beziehungen zwischen Zielen und Mitteln einfließen lassen, aber nichts, gar nichts, was darüber hinausgeht". Insofern bilden ihr Erkennen, ihr Handeln und ihre Stellung in der Gesellschaft eine Einheit, die wiederum ihre "Wirklichkeit" ausmacht. "Eben alles reinster Luhmann", wie K. einmal leichthin bemerkt.

Gegen diese Welt kommt Georg Voigtländer mit seiner emphatischen Wahrheitssuche und seinem Ehrgeiz, einen Roman zu schreiben, nicht an. Obwohl es schon zu Beginn Anzeichen für seinen zunehmenden Realitätsverlust gibt, macht er sich und dem Leser bis zuletzt etwas vor. Mit seiner souveränen Diktion erweckt er den Anschein, daß er nicht nur im Recht sei, sondern auch die Firma im Griff habe. In Wirklichkeit, so müssen er und der Leser am Ende erkennen, beging er einen Fehler nach dem anderen: Er betrieb die Umwandlung des Familienbetriebs in eine GmbH, womit er sich als Miteigentümer des Sonderrechts zur Bestellung von Geschäftsführern beraubte. Als er später den Vetter wegen persönlicher Vorteilnahme aus der Geschäftsführung herausdrängen will, wendet sich das gegen ihn. Wegen seiner häufigen Abwesenheiten und seiner das Betriebsklima gefährdenden Attacken muß er am Ende die Geschäftsführung verlassen.

Dieses Scheitern, und dies ist das Besondere an Händlers Perspektive, wird nun aber nicht in einen moralischen Sieg umgedeutet. Sein Scheitern ist kein heroisches, würdevolles wie bei Murau, der in der Niederlage seine Ehre sucht und sich womöglich gerade dort am meisten selbst betrügt, sondern ein durchaus mickriges und glanzloses Scheitern, das auch die literarische Sphäre in Mitleidenschaft zieht. Aus der Versuchsperson wird keineswegs ein Held der Ichwerdung, der den Mächten der Anonymität, wenn auch vergeblich, getrotzt habe. Vielmehr wird Georg Voigtländer der Erbe von Wolfsegg, also ausgerechnet jener antiintellektuellen Spießerwelt, gegen die sich sein Alter ego Murau immer aufgelehnt hatte. Zugleich bezieht er eine hübsche Wohnung in Rom. Kein sehr ruhmvolles Ende. Es gibt nur ein richtiges Leben im falschen.

Händlers Buch ist letztlich auch ein Experiment zur Fähigkeit der Literatur, ins Innere der Dinge einzudringen. "Wir haben geschrieben, weil wir Heilige sein wollten", also Bewohner eines exemten, transzendenten Orts, von dem her sich "etwas ausdrücken" läßt, "was nicht auszudrücken ist", wie es einmal in einer dem "Tractatus" Wittgensteins nachgebildeten Passage heißt. Auch dieser Versuch, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf der verbrauchten Sprache und des verbrauchten Lebens zu ziehen, mißlingt. Zwar kann sich Georg Voigtländer von den falschen Gewißheiten freihalten, in die sich Murau einlullt, doch an der robusten Wirklichkeit der "Corporate world" verzweifelt er. Zwar ruft er immer wieder Heilige und Himmel und Hölle auf, doch in Wahrheit zieht er die Möglichkeit eines die Welt beglaubigenden Gottes nicht ernsthaft in Betracht. Es ist eine im ursprünglichen Wortsinn gnadenlose Welt, aus der heraus er schreibt, in der Heiligkeit ebensowenig möglich ist wie die Ganzheit eines literarischen Entwurfs. Es gibt kein Entrinnen. "Wir, K., wir sind Himmel und Hölle zugleich . . . Wir sind Himmel und Hölle für uns selbst."

Das eigentliche Thema des "Falls" wie schon der "Auslöschung" ist die Verzweiflung dessen, der verzweifelt er selbst sein will, wie Kierkegaard diese Krankheit zum Tode genannt hat. Das Selbst mag die eindrucksvollsten Luftschlösser herbeizaubern, um sich zu verstehen. Und doch kommt es damit nie an ein Ende, es bleibt sich ein Rätsel: "Gerade in dem Augenblick, wo es scheint, daß es am nächsten daran ist, den Bau fertigzustellen, kann es willkürlich das Ganze in nichts auflösen." In diesem Sinne ist auch der "Fall" kein vollendeter Bau und kein zur Gänze gelungenes Buch. Aber mit solchem Ernst sind in jüngster Zeit die scheinbaren Selbstverständlichkeiten des wirtschaftlichen wie des literarischen Milieus nicht aufgebrochen worden.

Ernst-Wilhelm Händler: "Fall". Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1997. 412 S., geb., 44,- DM.

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