Der Spiegel-Bestseller von Sasa Stanisic: Acht Erzählungen, reich an "verspielter Komik, Traurigkeit und brillanten Sätzen" (Zeit Online).
Ein vom Leben nicht sehr verwöhnter alter Mann hat eine Leidenschaft für die Magie. Er bittet um Ruhe für die Große Illusion. Aber die Gemeinde trinkt Kaffee und hält nicht still.
Ein geheimnisvoller schwarzgekleideter Mann taucht in unserem Dorf auf, er behauptet, Fallen herstellen zu können für jeden Zweck, nicht nur für das Tier. Mit dem Fallensteller kehrt Stanisic nach Fürstenfelde zurück, jenes uckermärkische Dorf, das den Lesern aus "Vor dem Fest" bekannt ist, und in dem alles immer möglich ist, auch Magie.
"Ich finde Bäume nur als Schrank super", ruft der naturabgeneigte Erzähler der Geschichte "Im Ferienlager im Wald". Immerhin freundet er sich mit Hirschen an und spielt eine Runde Fifa auf der X-Box mit ihnen.
Ständig auf der Reise sind "der unterhaltsame Gesetzesbrechers Mo und seine wohlstandstrübsinnige Begleiterin" (Hamburger Abendblatt). Zwei Freunde, die mit Karacho und Geschick ihren Sehnsüchten hinterher jagen, quer durch Europa: einer christlichen Menschenrechtsaktivistin, einer syrischen Surrealistin, einem bedrohten Vogel. Um nur ein paar zu nennen.
Dies sind Geschichten über Menschen, die Fallen stellen, Menschen, die sich locken lassen, Menschen die sich befreien - im Krieg und im Spiel, mit Trug und Tricks und Mut und Witz.
Ein vom Leben nicht sehr verwöhnter alter Mann hat eine Leidenschaft für die Magie. Er bittet um Ruhe für die Große Illusion. Aber die Gemeinde trinkt Kaffee und hält nicht still.
Ein geheimnisvoller schwarzgekleideter Mann taucht in unserem Dorf auf, er behauptet, Fallen herstellen zu können für jeden Zweck, nicht nur für das Tier. Mit dem Fallensteller kehrt Stanisic nach Fürstenfelde zurück, jenes uckermärkische Dorf, das den Lesern aus "Vor dem Fest" bekannt ist, und in dem alles immer möglich ist, auch Magie.
"Ich finde Bäume nur als Schrank super", ruft der naturabgeneigte Erzähler der Geschichte "Im Ferienlager im Wald". Immerhin freundet er sich mit Hirschen an und spielt eine Runde Fifa auf der X-Box mit ihnen.
Ständig auf der Reise sind "der unterhaltsame Gesetzesbrechers Mo und seine wohlstandstrübsinnige Begleiterin" (Hamburger Abendblatt). Zwei Freunde, die mit Karacho und Geschick ihren Sehnsüchten hinterher jagen, quer durch Europa: einer christlichen Menschenrechtsaktivistin, einer syrischen Surrealistin, einem bedrohten Vogel. Um nur ein paar zu nennen.
Dies sind Geschichten über Menschen, die Fallen stellen, Menschen, die sich locken lassen, Menschen die sich befreien - im Krieg und im Spiel, mit Trug und Tricks und Mut und Witz.
buecher-magazin.deEs gibt ein Wiedersehen mit den Protagonisten aus Saša Stanišis auf der Leipziger Buchmesse preisgekröntem Roman "Vor dem Fest". Ins beschauliche Fürstenfelde hält eine neue Nebenfigur Einzug, ein schwarz gekleideter Mann, der stets eine gezähmte Ratte bei sich hat, in Reimen spricht und allerhand eigenartige, poetisch primitive Tierfallen aufstellt, die aber eigentlich, oder vielleicht, Fallen sind, in denen sich manchmal eines der eigenartigen, poetisch primitiven menschlichen Gefühle verfängt. Oder so ähnlich. In seinen kürzeren Prosastücken zeigt sich Saša Staniši umso deutlicher als der, der er wirklich ist. Nämlich nicht der Romanautor, als der er gefeiert wurde, sondern ein Dichter in Prosa. Dichter erklären nichts. Die Protagonisten von Stanišis Erzählungen, die mal in Brasilien, mal in Stockholm, mal in Südfrankreich auf Abwege geraten, sind sich selbst ein Rätsel und haben damit gar keine Probleme. Dass ihre Handlungen oftmals unbegreiflich erscheinen, zeigt nur, dass sie in einer anderen Welt als der unseren existieren, einer Welt, in der es das Größte ist, mit Worten und Bildern so zu jonglieren, dass die Luft anfängt zu flirren und darin die völlig unmögliche Fata Morgana einer anderen Existenz sichtbar wird. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen seltsam, macht aber viel Spaß.
© BÜCHERmagazin, Katharina Granzin (kgr)
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Christian Metz entdeckt in Sasa Stanisics neuem Erzählband "Fallenstaller" alles, was er an dem Autor liebt: sprachliche Brillanz, außergewöhnliches Einfühlungsvermögen und "episodisches Ausperlen" der Handlungsstränge. Und doch ist der Kritiker nicht ganz zufrieden: Den zwölf Erzählungen fehlt irgendwie das Neue, klagt Metz und kritisiert dabei nicht mal, dass es sich hier überwiegend um Reise- und Abenteuererzählungen handelt. Vielmehr vermisst der Rezensent Stanisics stilistische und stimmliche Vielfalt und das Gespür für präzise Gegenwartsbeschreibungen. "Routiniertes", aber gut gemachtes "Satzflusshandwerk", schließt der Kritiker.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.05.2016Wunderkindermund
Mit seinem hinreißenden Erzählungsband „Fallensteller“ zeigt sich
Saša Stanišić abermals als großer Zauberkünstler der jüngeren deutschsprachigen Literatur
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Die Nummer mit der zersägten Jungfrau gehört zum Standardrepertoire der Zauberkunst. Seltener kommt es dagegen vor, dass der Jungfrauen zersägende Zauberer zugleich Inhaber eines Sägewerks ist, oder zumindest Mitinhaber wie Ferdinand Klingenreiter, besser Freddie, der Famose, Freddie, der Fantastische, so sein Künstlername. Seit fünfzig Jahren ist er im Sägewerk der Familie angestellt, aber das Geschäft hat er seinem Bruder überlassen, der erneuern wollte, investieren, „entwurmen“. Freddie ist immer schon lieber „Kirschen und Träume pflücken gegangen“. Nun, mit 77 Jahren hat er zum ersten Mal selbst Hand angelegt im Sägewerk und sich „eine Kiste für eine Große Illusion“ gebaut, „eine Kiste für die Kunst“. Eine Betriebsfeier steht bevor, und endlich soll seine Stunde schlagen, will er der Welt beweisen, was seine wahre Berufung ist: die Zauberei.
Glühend vor Lampenfieber und Angst, sich wieder mal einzunässen, wartet Freddie auf seinen großen Auftritt, doch sein Neffe, der seit dem Tod des Bruders die Fabrik leitet, will sich ihm nicht als Freiwilliger aus dem Publikum zur Verfügung stellen. Für ihn springt dessen Sohn Felix ein, auch er einer, der eine künstlerische Ader hat, aus der Art geschlagen ist – Hanno Buddenbrook lässt grüßen. Und wenn wir schon bei Thomas Mann sind, darf dessen Novelle „Mario und der Zauberer“ nicht unerwähnt bleiben. Wie diese ist auch die Auftakterzählung von Saša Stanišićs Band „Fallensteller“ eine Künstlerparabel. Sie handelt von der Magie des Schreibens, bei dem es wie beim Zaubern nicht darum geht, „was ich mache“, sondern darum, „was ihr nicht seht, was ich mache“. Es geht darum, wie man dem Holz der Wörter die Schwere nimmt. Natürlich hat Stanišić diese Geschichte programmatisch an den Anfang seines Sammelbandes gestellt, als erzählerische Einführung in seine Poetologie des Kirschen- und Träumepflückens. Und mit diesem Autor ist wahrlich gut Träume pflücken.
„Fallensteller“ ist selbst so eine magische Kiste, in die Saša Stanišić allerlei Wunderdinge und literarische Zauberkunststücke hinein gelegt hat, aber schon auch manchen übrig gebliebenen Krimskrams. So ist die Titelerzählung eine Fortschreibung seines Romans „Vor dem Fest“, für den Stanišić 2014 den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten hat, und das längste Stück des Bandes. In diesem Bonus-Track schildert der Autor, wie es weiterging nach dem Fest in Fürstenfelde, dem Schauplatz seines Bestseller gewordenen „uckermarkerschütternden“ Dorfromans.
Der titelgebende Fallensteller ist ein Mann, der sich um allerhand Plagen kümmern soll, um Problemwölfe und vandalistische Keiler, um Ratten und am besten auch gleich noch um die Neonazis. Aber der beste Fallensteller und fidelste Rattenfänger ist der Autor selbst, der sich als „verweichlichter Jugo-Schriftsteller“ in den Text geschmuggelt hat. Stanišić versteht sich darauf, Schlingen und falsche Fährten auszulegen, um den Leser zu fangen. Mit seinem Lausbuben-Charme hat er den Literaturbetrieb gründlich um den Schlingelfinger gewickelt – ein unwiderstehlicher Trickster und Hütchenspieler, bei dem einem der Sascha aus dem Kinderlied in den Sinn kommt, das einst und vielleicht auch noch heute an den Montessori-Schulen beliebt war und in dem es heißt: „Konnte hoch im Bogen spucken, / Und auch mit den Ohren zucken.“
Unter den jüngeren Autoren gehört Stanišić definitiv zu denen, die am weitesten spucken, und mit den Ohren zucken seine Texte sowieso. Jeder von ihnen ist ein kleines Sprachkunstwerk, die Performance eines wunderbaren Alleinunterhalters. Als Köder dienen ihm dabei manchmal einzelne Wörter. Man meint, Stanišić geradezu dabei zusehen zu können, wie beispielsweise das Wort „Inflight-Riesling“ seine Fantasie und Fabulierlust in Gang setzt und sich auswächst zu gleich mehreren Erzählungen. Ein Anwalt reist im Auftrag einer Brauerei mit dem Flugzeug nach Brasilien. Vom Riesling befeuert, findet er sich irgendwann in einem irrwitzigen Traum wieder, in dem er – lost in translation – in Bukarest verloren geht. Es entspinnt sich eine Geschichte, in der es allein darum zu gehen scheint, die rumänischen Wörter für das Groteske und das Kafkaeske, nämlich „Groteskul“ und „Kafkaeskul“, anzuwenden.
„Das Biest Sprache hat mich in seinen Fängen“, heißt es einmal. Manche von Stanišićs Geschichten funktionieren nach dem Prinzip des Kinderspiels „Ich packe meinen Koffer und nehme mit . . .“. Seinen persönlichen Reisekoffer aber bezeichnet Stanišić als „Gepäck voll Allerlei: Sprache, Mut und Zauberei“. Je näher dieser Autor ein Wort anschaut, desto ferner, fremder, surrealer schaut es zurück. Das hängt auch damit zusammen, dass Deutsch nicht die erste Sprache des 1978 im bosnischen Višegrad geborenen Stanišić ist, der 1992 mit seinen Eltern vor den serbischen Bomben nach Deutschland floh.
Ist die Sprache schon selbst ein Abenteuer für ihn, so erschöpft sich in ihr nicht seine Reiselust. Stanišić bewegt sich vielmehr mühelos in den unterschiedlichsten Milieus und Geografien, und am ehesten lassen sich seine Geschichten der Abenteuerliteratur zuordnen, Große-Jungs-Abenteuerliteratur möchte man sagen. Und sei solch ein Abenteuer auch die Verweigerung des Abenteuers wie bei dem Jungen in einer Geschichte, der nicht ins Ferienlager fahren möchte, der Folienkartoffeln ablehnt, wie er sagt, Bäume nur als Schrank „super“ findet und lieber über Abenteuer liest, als welche zu erleben.
Abgründiger wird es, wenn Stanišić über eine verlassene Fabrik im ehemaligen Jugoslawien schreibt, die für kurze Zeit einmal eine EU-finanzierte Traumfabrik war, oder wenn er den interkulturellen Dialog an einer Gruppe von Migranten in einem Billardsalon exemplifiziert. Mehrere Geschichten führen den Ich-Erzähler und seinen Freund Mo an höchst seltsame Orte. Einmal entern sie ein Floß am Ufer des Rheins, auf dem eine Gruppe von Menschenrechtsaktivisten zusammengekommen ist, und wünschen sich, der Fluss würde „dem milden Wetter eine schallende Ohrfeige knallen“ – wobei das selbstgerechte Gesprächsklima durchaus als Teil dieser falschen Milde zu verstehen ist. Ein anderes Mal kapern sie eine Vernissage in Stockholm, wo ein syrischer Flüchtling über den angeblichen Bombentod seiner Kinder spricht, die jedoch im Hinterzimmer friedlich schlafen.
Auch die letzte und vielleicht schönste Geschichte in diesem Band ist eine Reisegeschichte und eine trügerisch leichte Sommerlaune. Ein paar Freunde sind unterwegs in Frankreich, aber in die Heiterkeit mischen sich Erinnerungen des Erzählers an den bosnischen Großvater, der im Sterben liegt. Einst hatte ihm dieser Großvater die Angst vor dem Wasser genommen, dem Fluss, an dessen Ufer der Vater spurlos verschwand, in dem die Tränen der Mutter versanken und der den Jungen über vier Grenzen nach Deutschland trug. Die Beiläufigkeit, mit der Stanišić eine schmerzvolle Geschichte über Heimatverlust mit einer romantischen Burleske verbindet, beweist das Format dieses großartigen Erzählers. Die Geschichten von Saša Stanišić sind aus Sprache, Mut und Zauberei gemacht. Dieser Autor besitzt mehr als nur eine magische Kiste, ihm steht ein ganzes Sägewerk der Magie zu Gebote.
Je näher dieser Autor ein Wort
anschaut, desto ferner, fremder,
surrealer schaut es zurück
Ein Sprachabenteurer:
Saša Stanišić. Foto: dpa
Wie bei der Zauberei geht es auch beim Schreiben nicht um das, „was ich mache“, sondern darum, „was ihr nicht seht, was ich mache“.
Foto: Lukas Barth
Saša Stanišić:
Fallensteller. Erzählungen.
Luchterhand Literatur-
verlag, München 2016.
288 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Mit seinem hinreißenden Erzählungsband „Fallensteller“ zeigt sich
Saša Stanišić abermals als großer Zauberkünstler der jüngeren deutschsprachigen Literatur
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Die Nummer mit der zersägten Jungfrau gehört zum Standardrepertoire der Zauberkunst. Seltener kommt es dagegen vor, dass der Jungfrauen zersägende Zauberer zugleich Inhaber eines Sägewerks ist, oder zumindest Mitinhaber wie Ferdinand Klingenreiter, besser Freddie, der Famose, Freddie, der Fantastische, so sein Künstlername. Seit fünfzig Jahren ist er im Sägewerk der Familie angestellt, aber das Geschäft hat er seinem Bruder überlassen, der erneuern wollte, investieren, „entwurmen“. Freddie ist immer schon lieber „Kirschen und Träume pflücken gegangen“. Nun, mit 77 Jahren hat er zum ersten Mal selbst Hand angelegt im Sägewerk und sich „eine Kiste für eine Große Illusion“ gebaut, „eine Kiste für die Kunst“. Eine Betriebsfeier steht bevor, und endlich soll seine Stunde schlagen, will er der Welt beweisen, was seine wahre Berufung ist: die Zauberei.
Glühend vor Lampenfieber und Angst, sich wieder mal einzunässen, wartet Freddie auf seinen großen Auftritt, doch sein Neffe, der seit dem Tod des Bruders die Fabrik leitet, will sich ihm nicht als Freiwilliger aus dem Publikum zur Verfügung stellen. Für ihn springt dessen Sohn Felix ein, auch er einer, der eine künstlerische Ader hat, aus der Art geschlagen ist – Hanno Buddenbrook lässt grüßen. Und wenn wir schon bei Thomas Mann sind, darf dessen Novelle „Mario und der Zauberer“ nicht unerwähnt bleiben. Wie diese ist auch die Auftakterzählung von Saša Stanišićs Band „Fallensteller“ eine Künstlerparabel. Sie handelt von der Magie des Schreibens, bei dem es wie beim Zaubern nicht darum geht, „was ich mache“, sondern darum, „was ihr nicht seht, was ich mache“. Es geht darum, wie man dem Holz der Wörter die Schwere nimmt. Natürlich hat Stanišić diese Geschichte programmatisch an den Anfang seines Sammelbandes gestellt, als erzählerische Einführung in seine Poetologie des Kirschen- und Träumepflückens. Und mit diesem Autor ist wahrlich gut Träume pflücken.
„Fallensteller“ ist selbst so eine magische Kiste, in die Saša Stanišić allerlei Wunderdinge und literarische Zauberkunststücke hinein gelegt hat, aber schon auch manchen übrig gebliebenen Krimskrams. So ist die Titelerzählung eine Fortschreibung seines Romans „Vor dem Fest“, für den Stanišić 2014 den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten hat, und das längste Stück des Bandes. In diesem Bonus-Track schildert der Autor, wie es weiterging nach dem Fest in Fürstenfelde, dem Schauplatz seines Bestseller gewordenen „uckermarkerschütternden“ Dorfromans.
Der titelgebende Fallensteller ist ein Mann, der sich um allerhand Plagen kümmern soll, um Problemwölfe und vandalistische Keiler, um Ratten und am besten auch gleich noch um die Neonazis. Aber der beste Fallensteller und fidelste Rattenfänger ist der Autor selbst, der sich als „verweichlichter Jugo-Schriftsteller“ in den Text geschmuggelt hat. Stanišić versteht sich darauf, Schlingen und falsche Fährten auszulegen, um den Leser zu fangen. Mit seinem Lausbuben-Charme hat er den Literaturbetrieb gründlich um den Schlingelfinger gewickelt – ein unwiderstehlicher Trickster und Hütchenspieler, bei dem einem der Sascha aus dem Kinderlied in den Sinn kommt, das einst und vielleicht auch noch heute an den Montessori-Schulen beliebt war und in dem es heißt: „Konnte hoch im Bogen spucken, / Und auch mit den Ohren zucken.“
Unter den jüngeren Autoren gehört Stanišić definitiv zu denen, die am weitesten spucken, und mit den Ohren zucken seine Texte sowieso. Jeder von ihnen ist ein kleines Sprachkunstwerk, die Performance eines wunderbaren Alleinunterhalters. Als Köder dienen ihm dabei manchmal einzelne Wörter. Man meint, Stanišić geradezu dabei zusehen zu können, wie beispielsweise das Wort „Inflight-Riesling“ seine Fantasie und Fabulierlust in Gang setzt und sich auswächst zu gleich mehreren Erzählungen. Ein Anwalt reist im Auftrag einer Brauerei mit dem Flugzeug nach Brasilien. Vom Riesling befeuert, findet er sich irgendwann in einem irrwitzigen Traum wieder, in dem er – lost in translation – in Bukarest verloren geht. Es entspinnt sich eine Geschichte, in der es allein darum zu gehen scheint, die rumänischen Wörter für das Groteske und das Kafkaeske, nämlich „Groteskul“ und „Kafkaeskul“, anzuwenden.
„Das Biest Sprache hat mich in seinen Fängen“, heißt es einmal. Manche von Stanišićs Geschichten funktionieren nach dem Prinzip des Kinderspiels „Ich packe meinen Koffer und nehme mit . . .“. Seinen persönlichen Reisekoffer aber bezeichnet Stanišić als „Gepäck voll Allerlei: Sprache, Mut und Zauberei“. Je näher dieser Autor ein Wort anschaut, desto ferner, fremder, surrealer schaut es zurück. Das hängt auch damit zusammen, dass Deutsch nicht die erste Sprache des 1978 im bosnischen Višegrad geborenen Stanišić ist, der 1992 mit seinen Eltern vor den serbischen Bomben nach Deutschland floh.
Ist die Sprache schon selbst ein Abenteuer für ihn, so erschöpft sich in ihr nicht seine Reiselust. Stanišić bewegt sich vielmehr mühelos in den unterschiedlichsten Milieus und Geografien, und am ehesten lassen sich seine Geschichten der Abenteuerliteratur zuordnen, Große-Jungs-Abenteuerliteratur möchte man sagen. Und sei solch ein Abenteuer auch die Verweigerung des Abenteuers wie bei dem Jungen in einer Geschichte, der nicht ins Ferienlager fahren möchte, der Folienkartoffeln ablehnt, wie er sagt, Bäume nur als Schrank „super“ findet und lieber über Abenteuer liest, als welche zu erleben.
Abgründiger wird es, wenn Stanišić über eine verlassene Fabrik im ehemaligen Jugoslawien schreibt, die für kurze Zeit einmal eine EU-finanzierte Traumfabrik war, oder wenn er den interkulturellen Dialog an einer Gruppe von Migranten in einem Billardsalon exemplifiziert. Mehrere Geschichten führen den Ich-Erzähler und seinen Freund Mo an höchst seltsame Orte. Einmal entern sie ein Floß am Ufer des Rheins, auf dem eine Gruppe von Menschenrechtsaktivisten zusammengekommen ist, und wünschen sich, der Fluss würde „dem milden Wetter eine schallende Ohrfeige knallen“ – wobei das selbstgerechte Gesprächsklima durchaus als Teil dieser falschen Milde zu verstehen ist. Ein anderes Mal kapern sie eine Vernissage in Stockholm, wo ein syrischer Flüchtling über den angeblichen Bombentod seiner Kinder spricht, die jedoch im Hinterzimmer friedlich schlafen.
Auch die letzte und vielleicht schönste Geschichte in diesem Band ist eine Reisegeschichte und eine trügerisch leichte Sommerlaune. Ein paar Freunde sind unterwegs in Frankreich, aber in die Heiterkeit mischen sich Erinnerungen des Erzählers an den bosnischen Großvater, der im Sterben liegt. Einst hatte ihm dieser Großvater die Angst vor dem Wasser genommen, dem Fluss, an dessen Ufer der Vater spurlos verschwand, in dem die Tränen der Mutter versanken und der den Jungen über vier Grenzen nach Deutschland trug. Die Beiläufigkeit, mit der Stanišić eine schmerzvolle Geschichte über Heimatverlust mit einer romantischen Burleske verbindet, beweist das Format dieses großartigen Erzählers. Die Geschichten von Saša Stanišić sind aus Sprache, Mut und Zauberei gemacht. Dieser Autor besitzt mehr als nur eine magische Kiste, ihm steht ein ganzes Sägewerk der Magie zu Gebote.
Je näher dieser Autor ein Wort
anschaut, desto ferner, fremder,
surrealer schaut es zurück
Ein Sprachabenteurer:
Saša Stanišić. Foto: dpa
Wie bei der Zauberei geht es auch beim Schreiben nicht um das, „was ich mache“, sondern darum, „was ihr nicht seht, was ich mache“.
Foto: Lukas Barth
Saša Stanišić:
Fallensteller. Erzählungen.
Luchterhand Literatur-
verlag, München 2016.
288 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.2016Jeder Text erblüht aus einem einzelnen Wort
Sasa Stanisic erweist sich mit seinem Erzählungsband "Fallensteller" als unzeitgemäß: Aber will er das sein?
Zwei Jahre nach seinem fulminanten Romanerfolg "Vor dem Fest" fächert Sasa Stanisic seine Erzählwelt in insgesamt zwölf Erzählungen auf. Bei genauerer Betrachtung schnurrt der Fächer allerdings schnell zusammen: Die längste, insgesamt knapp neunzig Seiten umfassende Erzählung setzt die Geschichte von "Vor dem Fest" fort. Der Schriftsteller Stanisic ist aus Neuruppin verschwunden, die Spuren des Literarischen aber sind geblieben.
Hinzu kommen zwei Erzähltriplets, die jeweils von zwei Reisen berichten. Das erste erzählt von einem gewissen Georg Horvath, der sich in den Weiten Rio de Janeiros verirrt, das andere von einem Ich-Erzähler und seinem verliebungssüchtigen Freund Mo, deren Weg von einer Floßfahrt auf dem Rhein nach Stockholm führt. In die Gattung Reise- und Abenteuererzählung fügen sich auch drei weitere Geschichten, die eine führt in die Romagna, die andere in ein Waldferienlager, und die letzte und schillerndste des Bandes begleitet einen jungen Mann und zwei Frauen nach Paris und in die Erinnerung des Ich-Erzählers an den Großvater. Umkränzt werden alle diese Begegnungen mit dem Fremden von zwei anderen Spielarten derselben Thematik: Einmal bricht das Fremde in die vertraute Umgebung eines Billardclubs ein. Zum anderen entdeckt der Mitarbeiter eines Sägewerks seine lang verdrängte Vorliebe für das Zaubern in sich.
Stanisic, der mit Hilfe seiner beiden bislang veröffentlichten Romane zu einem der renommiertesten Autoren unserer Zeit avanciert ist, bleibt in diesem Erzählungsband also seinen bisherigen Erzähl- und Erfahrungswelten treu. Die gute Nachricht für alle Stanisic-Leser lautet: Es findet sich in diesem Band alles, was man an diesem Autor schätzt, das episodische Ausperlen der einzelnen Erzählstränge, die unbedingte Einfühlung in seine Figuren, die bewundernswerte Sprachvirtuosität. Die schlechte Nachricht lautet: Etwas wirklich Neues gewinnt der Autor der Gattung "Erzählung" nicht ab.
Von einem Aufbruch zu neuen erzählerischen Ufern findet sich keine Spur. Das verschafft einem Zeit, über das nachzudenken, was die Erzählungen tatsächlich im Innersten zusammenhält. In der Literaturkritik herrscht Einigkeit darüber, dass dies zum einen die unglaubliche Stimmenvielfalt und stilistische Spannbreite sei, die Stanisic beherrsche. In diesem Erzählungsband allerdings handelt es sich durchgehend um männliche Erzähler- und Perspektivfiguren. Sie alle sind in ihrem Alltag eher unscheinbare Zeitgenossen, die erst aufgrund der besonderen Zuwendung durch den Autor zu leuchten beginnen. Das gilt für den Handelsvertreter einer Brauerei ebenso wie für den Jungen, der sich durch ein Ferienlager kämpfen muss, oder für jenen Mitarbeiter eines Sägewerks, der erst nach vierzig Arbeitsjahren seine Sägehandwerk in den Dienst der Zauberkunst zu stellen wagt.
Auch um die stilistische Vielfalt ist es nicht gut bestellt. Stanisics Erzähleinheiten entfalten sich stets aus einem einzelnen Wort heraus. "Mit Jörg will niemand etwas zu tun haben. Das ist halt so einer, kennt jeder", setzt die Beschreibung eines Jungen im Ferienlager ein. Wie ein Wasserspiel aus einer Quelle entspringt, entfalten sich die weiteren Sätze aus den zwei Wörtern "so einer": "Einer, der anders ist. Weil doof oder fett oder arm oder einfach zufällig am falschen Ort was Falsches gesagt." Vier Alternativen sprudeln hervor, um sich dann abermals zu verzweigen: "Einer, der duldet, der schluckt und zu Hause unter dem Bett weint und Schulpsychologe und Schulwechsel irgendwie dann doch versucht."
Noch einmal fächert sich der Strom der Sätze in die Akkumulation von Möglichkeiten auf. Und so geht es bis zur wohlgesetzten Pointe weiter, wenn auf engstem Raum die Lebensgeschichte des kleinen Jörg auserzählt wird, obwohl er noch nichts davon gelebt hat. Das ist einerseits virtuos, andererseits aber auch routiniertes Satzflusshandwerk mit Hilfe des immer gleichen Verfahrens.
Als zweites Merkmal von Stanisics Erzählkunst wird stets die Konfrontation mit dem Fremden gelobt. In ihr erkennt die Kritik die konzise Beschreibung unserer Gegenwart. Doch eigentlich gehen Stanisics Erzählungen von einer anderen Diagnose aus. Sie entfalten sich aus der Annahme, dass wir in einer entzauberten Welt leben.
Die totale Rationalisierung gilt selbst für die Orte, an denen gespielt wird. Das ist gut zu sehen am Billardspiel, das in der Ausschaltung jeder Kontingenz sein Ziel hat. Als Gegenmittel zu dieser Entzauberung dienen Stanisic die Reise, das Abenteuer, die Begegnung mit dem Fremden und der Einbruch der Phantasie gleichermaßen. Aber trifft diese grundlegende Diagnose überhaupt noch? Heute schickt doch kein großes Unternehmen mehr seine Mitarbeiter einfach nur zum täglichen Roboten, sondern stellt zugleich ihre Kreativität und ständige Neuerfindung (bis zur Erschöpfung) in Dienst. Und hat der Geist des Kapitalismus die Welt nicht gerade durch seine an Börsen gehandelten Imaginationen in Atem gehalten? Von einer entzauberten Welt kann wohl nicht mehr die Rede sein, eher von einer verzauberten Welt. Aber warum sollte es dann besonders treffend sein, in immer neuen Wendungen von einer solchen zu erzählen? Den luxurierenden Phantasiekaskaden von Stanisic haftet so etwas geradezu Unzeitgemäßes an.
CHRISTIAN METZ
Sasa Stanisic: "Fallensteller".
Luchterhand Literaturverlag, München 2016. 288 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sasa Stanisic erweist sich mit seinem Erzählungsband "Fallensteller" als unzeitgemäß: Aber will er das sein?
Zwei Jahre nach seinem fulminanten Romanerfolg "Vor dem Fest" fächert Sasa Stanisic seine Erzählwelt in insgesamt zwölf Erzählungen auf. Bei genauerer Betrachtung schnurrt der Fächer allerdings schnell zusammen: Die längste, insgesamt knapp neunzig Seiten umfassende Erzählung setzt die Geschichte von "Vor dem Fest" fort. Der Schriftsteller Stanisic ist aus Neuruppin verschwunden, die Spuren des Literarischen aber sind geblieben.
Hinzu kommen zwei Erzähltriplets, die jeweils von zwei Reisen berichten. Das erste erzählt von einem gewissen Georg Horvath, der sich in den Weiten Rio de Janeiros verirrt, das andere von einem Ich-Erzähler und seinem verliebungssüchtigen Freund Mo, deren Weg von einer Floßfahrt auf dem Rhein nach Stockholm führt. In die Gattung Reise- und Abenteuererzählung fügen sich auch drei weitere Geschichten, die eine führt in die Romagna, die andere in ein Waldferienlager, und die letzte und schillerndste des Bandes begleitet einen jungen Mann und zwei Frauen nach Paris und in die Erinnerung des Ich-Erzählers an den Großvater. Umkränzt werden alle diese Begegnungen mit dem Fremden von zwei anderen Spielarten derselben Thematik: Einmal bricht das Fremde in die vertraute Umgebung eines Billardclubs ein. Zum anderen entdeckt der Mitarbeiter eines Sägewerks seine lang verdrängte Vorliebe für das Zaubern in sich.
Stanisic, der mit Hilfe seiner beiden bislang veröffentlichten Romane zu einem der renommiertesten Autoren unserer Zeit avanciert ist, bleibt in diesem Erzählungsband also seinen bisherigen Erzähl- und Erfahrungswelten treu. Die gute Nachricht für alle Stanisic-Leser lautet: Es findet sich in diesem Band alles, was man an diesem Autor schätzt, das episodische Ausperlen der einzelnen Erzählstränge, die unbedingte Einfühlung in seine Figuren, die bewundernswerte Sprachvirtuosität. Die schlechte Nachricht lautet: Etwas wirklich Neues gewinnt der Autor der Gattung "Erzählung" nicht ab.
Von einem Aufbruch zu neuen erzählerischen Ufern findet sich keine Spur. Das verschafft einem Zeit, über das nachzudenken, was die Erzählungen tatsächlich im Innersten zusammenhält. In der Literaturkritik herrscht Einigkeit darüber, dass dies zum einen die unglaubliche Stimmenvielfalt und stilistische Spannbreite sei, die Stanisic beherrsche. In diesem Erzählungsband allerdings handelt es sich durchgehend um männliche Erzähler- und Perspektivfiguren. Sie alle sind in ihrem Alltag eher unscheinbare Zeitgenossen, die erst aufgrund der besonderen Zuwendung durch den Autor zu leuchten beginnen. Das gilt für den Handelsvertreter einer Brauerei ebenso wie für den Jungen, der sich durch ein Ferienlager kämpfen muss, oder für jenen Mitarbeiter eines Sägewerks, der erst nach vierzig Arbeitsjahren seine Sägehandwerk in den Dienst der Zauberkunst zu stellen wagt.
Auch um die stilistische Vielfalt ist es nicht gut bestellt. Stanisics Erzähleinheiten entfalten sich stets aus einem einzelnen Wort heraus. "Mit Jörg will niemand etwas zu tun haben. Das ist halt so einer, kennt jeder", setzt die Beschreibung eines Jungen im Ferienlager ein. Wie ein Wasserspiel aus einer Quelle entspringt, entfalten sich die weiteren Sätze aus den zwei Wörtern "so einer": "Einer, der anders ist. Weil doof oder fett oder arm oder einfach zufällig am falschen Ort was Falsches gesagt." Vier Alternativen sprudeln hervor, um sich dann abermals zu verzweigen: "Einer, der duldet, der schluckt und zu Hause unter dem Bett weint und Schulpsychologe und Schulwechsel irgendwie dann doch versucht."
Noch einmal fächert sich der Strom der Sätze in die Akkumulation von Möglichkeiten auf. Und so geht es bis zur wohlgesetzten Pointe weiter, wenn auf engstem Raum die Lebensgeschichte des kleinen Jörg auserzählt wird, obwohl er noch nichts davon gelebt hat. Das ist einerseits virtuos, andererseits aber auch routiniertes Satzflusshandwerk mit Hilfe des immer gleichen Verfahrens.
Als zweites Merkmal von Stanisics Erzählkunst wird stets die Konfrontation mit dem Fremden gelobt. In ihr erkennt die Kritik die konzise Beschreibung unserer Gegenwart. Doch eigentlich gehen Stanisics Erzählungen von einer anderen Diagnose aus. Sie entfalten sich aus der Annahme, dass wir in einer entzauberten Welt leben.
Die totale Rationalisierung gilt selbst für die Orte, an denen gespielt wird. Das ist gut zu sehen am Billardspiel, das in der Ausschaltung jeder Kontingenz sein Ziel hat. Als Gegenmittel zu dieser Entzauberung dienen Stanisic die Reise, das Abenteuer, die Begegnung mit dem Fremden und der Einbruch der Phantasie gleichermaßen. Aber trifft diese grundlegende Diagnose überhaupt noch? Heute schickt doch kein großes Unternehmen mehr seine Mitarbeiter einfach nur zum täglichen Roboten, sondern stellt zugleich ihre Kreativität und ständige Neuerfindung (bis zur Erschöpfung) in Dienst. Und hat der Geist des Kapitalismus die Welt nicht gerade durch seine an Börsen gehandelten Imaginationen in Atem gehalten? Von einer entzauberten Welt kann wohl nicht mehr die Rede sein, eher von einer verzauberten Welt. Aber warum sollte es dann besonders treffend sein, in immer neuen Wendungen von einer solchen zu erzählen? Den luxurierenden Phantasiekaskaden von Stanisic haftet so etwas geradezu Unzeitgemäßes an.
CHRISTIAN METZ
Sasa Stanisic: "Fallensteller".
Luchterhand Literaturverlag, München 2016. 288 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein genialer Erzählungsband. Von dem wird man lange reden." Denis Scheck / 3sat Kulturzeit