As a new generation of nuclear power stations and weapons develop, Pearce takes stock of the pitfalls and gains of the nuclear story to date, interweaving accounts of human ingenuity with stories of diabolical human error.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.2020Es wird die Spur von unseren Lebenstagen lange strahlen
Eine nukleare Weltreise in kritischer Absicht: Fred Pearce wirft etwas voreilig einen Blick zurück auf das Atomzeitalter
Für Fred Pearce ist das Atomzeitalter bereits zu Ende. Der Umweltjournalist, der im angelsächsischen Raum zu den erfahrensten und bekanntesten Vertretern seines Metiers gehört, legt deshalb mit seinem Buch einen Nachruf vor. Den gedanklichen Rahmen dazu liefert die Hypothese vom Anthropozän, also die Idee, dass menschliches Handeln von heute in geologischen Zeitdimensionen messbar und sichtbar bleiben wird.
Der Fallout von Plutonium aus den ersten Atombombentests wird, so Pearce, auch im Gestein der Zukunft markieren, was in unserer Zeit passiert ist - von Atombombentests über Kernkraftwerke bis zu Endlagern, die weltweit bleibende Spuren hinterlassen: Das Plutonium "ist unsere einzigartige Signatur auf der Erde und wird im Verlauf seines Zerfalls noch über Millionen Jahre hinweg radioaktive Strahlung aussenden".
Pearce diagnostiziert in seinem Vorwort noch einen weiteren Fallout des Atomzeitalters, nämlich den in den Köpfen. Die einstmals revolutionäre Technologie habe viel Zwietracht gesät und auch "Unvernunft entfesselt". Dazu zählt er sowohl "technikgläubige Hybris" bei den Befürwortern der Kernkraft wie wissenschaftsfeindliche Hysterie bei manchen Gegnern. Doch solche gesellschaftlichen Fragen werden in "Fallout" nur kurz behandelt, zu kurz. Im Wesentlichen bietet das Buch eine Serie von Reisereportagen zu den Schauplätzen des Atomzeitalters - den Forschungsstätten, Lagerstätten, Unglücksstätten. Für Leser, die sich in den letzten zehn Jahren oder überhaupt noch nicht mit der nuklearen Ära beschäftigt haben, ist die Lektüre sicherlich erhellend. Die nukleare Weltreise führt von Hiroshima über ehemals geheime russische und amerikanische Forschungszentren und die britische Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield zu den GAU-Reaktoren von Tschernobyl und Fukushima und zuletzt zu Ruinen und Endlagern. Pearce erzählt Geschichten von teils haarsträubender Sorglosigkeit im Umgang mit radioaktivem Material, von vertuschten Unfällen, dem unerschütterlichen Glauben der Ingenieure an eine strahlende Zukunft und von Bedrohungen, die nicht vergehen wollen.
Seine erkennbar kritische Grundhaltung gegenüber der Atomkraft bringt den Autor nicht davon ab, sich an wissenschaftlicher Evidenz zu orientieren. Deshalb weist er auch mehrfach darauf hin, dass befürchtete Gesundheitsschäden vielfach ausgeblieben sind, und nimmt die in Umweltkreisen unpopuläre Position ein, dass minimale Strahlendosen nach heutigem Wissensstand weniger gesundheitsschädlich seien, als oft befürchtet worden war. Die meisten zivilen Nuklearprojekte seien "sicher - oder zumindest weit weniger gefährlich als häufig angenommen". In Fukushima etwa gingen "alle Todesfälle auf Angst und Flucht zurück, nicht auf die Strahlung". Insgesamt wird aber klar, dass Pearce es besser gefunden hätte, wenn das Atomzeitalter nie begonnen hätte, schon weil es durchweg mit Misstrauen und Angst verbunden ist: "Wenn die führenden Köpfe der Atomindustrie es in mehr als einem halben Jahrhundert nicht geschafft haben, uns diese Angst zu nehmen, werden sie es wahrscheinlich nie schaffen."
Ob ein Abgesang wirklich berechtigt ist, wäre ein eigenes Kapitel wert gewesen, das in dem Buch leider fehlt. Denn es wird doch in vielen Ländern offen darüber diskutiert, ob die Übel der Kernkraftnutzung nicht klein seien im Vergleich zu den drohenden Schäden durch die Klimakrise. Zudem sind neue Reaktorkonzepte in Entwicklung, die Unfallgefahren und Ressourcenverbrauch verringern sollen. Und schließlich sind weltweit vierhundert Atomreaktoren in Betrieb und 52 in Bau.
Wie immer man zur Kernkraft steht: Für Pearce' Feststellung: "Wir scheinen am Ende des Atomzeitalters angelangt zu sein" und es gehe nur noch darum, das Ende der Lebensdauer bestehender Anlagen abzuwarten, sich mit ihrem umweltbelastenden Erbe auseinanderzusetzen und dann auch noch Atomwaffen abzuschaffen, ist es noch zu früh. Das Buch ist also eher eine Art Zwischenbericht. Es hätte noch interessanter und hilfreicher ausfallen können, wenn Pearce seinen Blick stärker in die Zukunft und auf die Optionen und Szenarien der Energie- wie auch der Verteidigungspolitik gerichtet hätte.
CHRISTIAN SCHWÄGERL
Fred Pearce: "Fallout".
Das Atomzeitalter.
Katastrophen, Lügen und was bleibt.
Aus dem Englischen von Tobias Rothenbücher.
Antje Kunstmann Verlag, München 2020.
342 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine nukleare Weltreise in kritischer Absicht: Fred Pearce wirft etwas voreilig einen Blick zurück auf das Atomzeitalter
Für Fred Pearce ist das Atomzeitalter bereits zu Ende. Der Umweltjournalist, der im angelsächsischen Raum zu den erfahrensten und bekanntesten Vertretern seines Metiers gehört, legt deshalb mit seinem Buch einen Nachruf vor. Den gedanklichen Rahmen dazu liefert die Hypothese vom Anthropozän, also die Idee, dass menschliches Handeln von heute in geologischen Zeitdimensionen messbar und sichtbar bleiben wird.
Der Fallout von Plutonium aus den ersten Atombombentests wird, so Pearce, auch im Gestein der Zukunft markieren, was in unserer Zeit passiert ist - von Atombombentests über Kernkraftwerke bis zu Endlagern, die weltweit bleibende Spuren hinterlassen: Das Plutonium "ist unsere einzigartige Signatur auf der Erde und wird im Verlauf seines Zerfalls noch über Millionen Jahre hinweg radioaktive Strahlung aussenden".
Pearce diagnostiziert in seinem Vorwort noch einen weiteren Fallout des Atomzeitalters, nämlich den in den Köpfen. Die einstmals revolutionäre Technologie habe viel Zwietracht gesät und auch "Unvernunft entfesselt". Dazu zählt er sowohl "technikgläubige Hybris" bei den Befürwortern der Kernkraft wie wissenschaftsfeindliche Hysterie bei manchen Gegnern. Doch solche gesellschaftlichen Fragen werden in "Fallout" nur kurz behandelt, zu kurz. Im Wesentlichen bietet das Buch eine Serie von Reisereportagen zu den Schauplätzen des Atomzeitalters - den Forschungsstätten, Lagerstätten, Unglücksstätten. Für Leser, die sich in den letzten zehn Jahren oder überhaupt noch nicht mit der nuklearen Ära beschäftigt haben, ist die Lektüre sicherlich erhellend. Die nukleare Weltreise führt von Hiroshima über ehemals geheime russische und amerikanische Forschungszentren und die britische Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield zu den GAU-Reaktoren von Tschernobyl und Fukushima und zuletzt zu Ruinen und Endlagern. Pearce erzählt Geschichten von teils haarsträubender Sorglosigkeit im Umgang mit radioaktivem Material, von vertuschten Unfällen, dem unerschütterlichen Glauben der Ingenieure an eine strahlende Zukunft und von Bedrohungen, die nicht vergehen wollen.
Seine erkennbar kritische Grundhaltung gegenüber der Atomkraft bringt den Autor nicht davon ab, sich an wissenschaftlicher Evidenz zu orientieren. Deshalb weist er auch mehrfach darauf hin, dass befürchtete Gesundheitsschäden vielfach ausgeblieben sind, und nimmt die in Umweltkreisen unpopuläre Position ein, dass minimale Strahlendosen nach heutigem Wissensstand weniger gesundheitsschädlich seien, als oft befürchtet worden war. Die meisten zivilen Nuklearprojekte seien "sicher - oder zumindest weit weniger gefährlich als häufig angenommen". In Fukushima etwa gingen "alle Todesfälle auf Angst und Flucht zurück, nicht auf die Strahlung". Insgesamt wird aber klar, dass Pearce es besser gefunden hätte, wenn das Atomzeitalter nie begonnen hätte, schon weil es durchweg mit Misstrauen und Angst verbunden ist: "Wenn die führenden Köpfe der Atomindustrie es in mehr als einem halben Jahrhundert nicht geschafft haben, uns diese Angst zu nehmen, werden sie es wahrscheinlich nie schaffen."
Ob ein Abgesang wirklich berechtigt ist, wäre ein eigenes Kapitel wert gewesen, das in dem Buch leider fehlt. Denn es wird doch in vielen Ländern offen darüber diskutiert, ob die Übel der Kernkraftnutzung nicht klein seien im Vergleich zu den drohenden Schäden durch die Klimakrise. Zudem sind neue Reaktorkonzepte in Entwicklung, die Unfallgefahren und Ressourcenverbrauch verringern sollen. Und schließlich sind weltweit vierhundert Atomreaktoren in Betrieb und 52 in Bau.
Wie immer man zur Kernkraft steht: Für Pearce' Feststellung: "Wir scheinen am Ende des Atomzeitalters angelangt zu sein" und es gehe nur noch darum, das Ende der Lebensdauer bestehender Anlagen abzuwarten, sich mit ihrem umweltbelastenden Erbe auseinanderzusetzen und dann auch noch Atomwaffen abzuschaffen, ist es noch zu früh. Das Buch ist also eher eine Art Zwischenbericht. Es hätte noch interessanter und hilfreicher ausfallen können, wenn Pearce seinen Blick stärker in die Zukunft und auf die Optionen und Szenarien der Energie- wie auch der Verteidigungspolitik gerichtet hätte.
CHRISTIAN SCHWÄGERL
Fred Pearce: "Fallout".
Das Atomzeitalter.
Katastrophen, Lügen und was bleibt.
Aus dem Englischen von Tobias Rothenbücher.
Antje Kunstmann Verlag, München 2020.
342 S., geb., 25,- [Euro].
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