Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2010Tat und Sache
Erich Hackls Erzählung
„Familie Salzmann“
Es macht stutzig, weil Erich Hackl es so oft betont: Seine Figuren trinken nicht. Während andere im Wirtshaus „lumpten“, lebte Hugo Salzmann „bescheiden, trank nicht, machte keine großen Worte“, war „furchtlos, selbstlos, ohne Laster“. Vor dem nationalsozialistischen Regime flieht der Kommunist Salzmann nach Paris, wird von dort ins Gefängnis deportiert, seine Frau im Konzentrationslager Ravensbrück ermordet. Doch auch im Nachkriegsdeutschland wird Salzmann spätestens mit dem Verbot der KPD nicht mehr glücklich.
Als auch sein Sohn, ebenfalls Hugo genannt, wegen seiner politischen Haltung drangsaliert wird, sucht er sein Glück in der DDR. Aber im real existierenden Sozialismus eckt er an, schon wegen eines behinderten Kindes. Als er nach Österreich flieht, beschimpft ihn der Vater als Verräter. Ihre Geschichte schreibt sich bis ins heutige Österreich fort: Hanno, Hugos Sohn, wurde gemobbt und verlor seine Arbeit.
Wie in all seinen bisherigen Büchern verarbeitet Erich Hackl auch in „Familie Salzmann“ die akribisch recherchierte reale Geschichte von Opfern des politischen Terrors im 20. Jahrhundert. Von Hugo Salzmann dem Älteren existieren niedergeschriebene Erinnerungen, Hugo der Jüngere hat dem österreichischen Autor und Übersetzer das Schicksal der Familie selbst geschildert. Trotzdem gehorcht das Ganze literarischen Kriterien. Und wirft sich unter solchen gegen die Realität auf.
Auch wenn Generationenzerwürfnisse ein wichtiges Thema für Hackl sind: In früheren Erzählungen, „Abschied von Sidonie“ oder „Als ob ein Engel“, konzentrierte er sich auf ein Einzelschicksal. Hier sind es auf nur 184 Seiten gleich drei, die allesamt eins beweisen: Es war schlecht und bleibt schlecht. Solches Elend aber wird zur Methode, und erhebt sich wider die Beklagten. Denn es hat ein Schlupfloch: seinen guten Autor. Oder dessen Überidentifikation mit Figuren, die politisch exakt so engagiert sind wie er. „Zufrieden eingekeilt im Pulk der Unzufriedenen“, wie es von Salzmann dem Jüngeren einmal heißt.
Schon als Kind erhält dieser in der Schule Medaillen „für Fleiß und gutes Betragen“, während er sich draußen mit einem Zwangsarbeiter und später den alliierten Soldaten, selbstverständlich vor allem den schwarzen, anfreundet. Sein Vater, mutmaßt der Autor, habe für seine unermüdliche Wiederaufbauarbeit sicher nie Geld bekommen, nachdem bereits dem Großvater selbst Blindheit „nichts von seinem Frohsinn“ hatte nehmen können. Der Konflikt zwischen zwei Vorbildfiguren, Vater und Sohn, muss da emotional notwendig unglaubwürdig bleiben.
Erich Hackl bleibt extrem nüchtern, sprachlich sowieso. Dass auch ein betrunkener Kommunist ein großartiger Kommunist sein könnte, muss dem ordentlichen Sohne fremd bleiben. „Abschied von Sidonie“ ist Schullektüre geworden. Es steht zu befürchten, dass auch der „Familie Salzmann“ dieses Schicksal nicht erspart bleibt. MICHAEL STALLKNECHT
Erich Hackl
Familie Salzmann
Erzählung aus unserer Mitte. Diogenes Verlag, Zürich 2010. 184 S.,19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Erich Hackls Erzählung
„Familie Salzmann“
Es macht stutzig, weil Erich Hackl es so oft betont: Seine Figuren trinken nicht. Während andere im Wirtshaus „lumpten“, lebte Hugo Salzmann „bescheiden, trank nicht, machte keine großen Worte“, war „furchtlos, selbstlos, ohne Laster“. Vor dem nationalsozialistischen Regime flieht der Kommunist Salzmann nach Paris, wird von dort ins Gefängnis deportiert, seine Frau im Konzentrationslager Ravensbrück ermordet. Doch auch im Nachkriegsdeutschland wird Salzmann spätestens mit dem Verbot der KPD nicht mehr glücklich.
Als auch sein Sohn, ebenfalls Hugo genannt, wegen seiner politischen Haltung drangsaliert wird, sucht er sein Glück in der DDR. Aber im real existierenden Sozialismus eckt er an, schon wegen eines behinderten Kindes. Als er nach Österreich flieht, beschimpft ihn der Vater als Verräter. Ihre Geschichte schreibt sich bis ins heutige Österreich fort: Hanno, Hugos Sohn, wurde gemobbt und verlor seine Arbeit.
Wie in all seinen bisherigen Büchern verarbeitet Erich Hackl auch in „Familie Salzmann“ die akribisch recherchierte reale Geschichte von Opfern des politischen Terrors im 20. Jahrhundert. Von Hugo Salzmann dem Älteren existieren niedergeschriebene Erinnerungen, Hugo der Jüngere hat dem österreichischen Autor und Übersetzer das Schicksal der Familie selbst geschildert. Trotzdem gehorcht das Ganze literarischen Kriterien. Und wirft sich unter solchen gegen die Realität auf.
Auch wenn Generationenzerwürfnisse ein wichtiges Thema für Hackl sind: In früheren Erzählungen, „Abschied von Sidonie“ oder „Als ob ein Engel“, konzentrierte er sich auf ein Einzelschicksal. Hier sind es auf nur 184 Seiten gleich drei, die allesamt eins beweisen: Es war schlecht und bleibt schlecht. Solches Elend aber wird zur Methode, und erhebt sich wider die Beklagten. Denn es hat ein Schlupfloch: seinen guten Autor. Oder dessen Überidentifikation mit Figuren, die politisch exakt so engagiert sind wie er. „Zufrieden eingekeilt im Pulk der Unzufriedenen“, wie es von Salzmann dem Jüngeren einmal heißt.
Schon als Kind erhält dieser in der Schule Medaillen „für Fleiß und gutes Betragen“, während er sich draußen mit einem Zwangsarbeiter und später den alliierten Soldaten, selbstverständlich vor allem den schwarzen, anfreundet. Sein Vater, mutmaßt der Autor, habe für seine unermüdliche Wiederaufbauarbeit sicher nie Geld bekommen, nachdem bereits dem Großvater selbst Blindheit „nichts von seinem Frohsinn“ hatte nehmen können. Der Konflikt zwischen zwei Vorbildfiguren, Vater und Sohn, muss da emotional notwendig unglaubwürdig bleiben.
Erich Hackl bleibt extrem nüchtern, sprachlich sowieso. Dass auch ein betrunkener Kommunist ein großartiger Kommunist sein könnte, muss dem ordentlichen Sohne fremd bleiben. „Abschied von Sidonie“ ist Schullektüre geworden. Es steht zu befürchten, dass auch der „Familie Salzmann“ dieses Schicksal nicht erspart bleibt. MICHAEL STALLKNECHT
Erich Hackl
Familie Salzmann
Erzählung aus unserer Mitte. Diogenes Verlag, Zürich 2010. 184 S.,19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Die Rezensentin Sabine Peters ist sehr angetan von Erich Hackls mehrere Generationen umspannende und auf "historisch verbürgten Fakten" beruhende Familiengeschichte - auch, wenn sie sich fragt, ob er auf die jüngste Generation nicht besser verzichtet hätte. Die bleibe im Vergleich etwas "blass". Peters gefällt, wie es der Autor immer wieder schafft, beim Leser eine "produktive Verstörung" hervorzurufen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2010Hugo-Hanno-Jojo
Authentische Fälle sollen den Geschichten zugrunde liegen, mit denen Erich Hackl sich seit langem einen Namen gemacht hat. Dokumentiertes und Erfundenes sind in freier Mischung zusammengefügt, wie nun auch wieder in dem Roman über drei Generationen der "Familie Salzmann". Hugo Salzmann, Metallarbeiter, Gewerkschafter, Kommunist, ist der Stammvater mit der charakteristischen politischen Biographie: Flucht vor den Nazis, Verhaftung in Frankreich und Auslieferung an die Deutschen, Zuchthaus und KZ, Befreiung durch humane Rotarmisten. Aber es kommt zu keinem versöhnlichen Ende zwischen Vater Hugo und gleichnamigem Sohn. In "zwölf wackligen Jahren" wird Hugo, der Sohn, versuchen, "den erträumten in den erlebten Sozialismus" einzupassen, dem westlichen Deutschland den Rücken zu kehren, um in der DDR ansässig zu werden, bis ihm Österreich als der bessere Ausweg erscheint. Später muss der Enkel Hanno erkennen, dass man dort von SS-Veteranen und Neonazis umstellt ist. Es ist eine Geschichte, die widersprüchliches deutsches Leben der Gegenwart spiegeln soll, leider überlädt Hackl besonders den zweiten Teil seiner Geschichte mit einem Figuren-Hin-und-Her und mit vielen Motiven, die eher verwirren, was schade ist angesichts der historischen Bedeutsamkeit dieses Stoffes, von dem hier erzählt wird. (Erich Hackl: "Familie Salzmann". Erzählung aus unserer Mitte. Diogenes Verlag, Zürich 2010. 186 S., geb., 19,90 [Euro].) G.Sch.
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Authentische Fälle sollen den Geschichten zugrunde liegen, mit denen Erich Hackl sich seit langem einen Namen gemacht hat. Dokumentiertes und Erfundenes sind in freier Mischung zusammengefügt, wie nun auch wieder in dem Roman über drei Generationen der "Familie Salzmann". Hugo Salzmann, Metallarbeiter, Gewerkschafter, Kommunist, ist der Stammvater mit der charakteristischen politischen Biographie: Flucht vor den Nazis, Verhaftung in Frankreich und Auslieferung an die Deutschen, Zuchthaus und KZ, Befreiung durch humane Rotarmisten. Aber es kommt zu keinem versöhnlichen Ende zwischen Vater Hugo und gleichnamigem Sohn. In "zwölf wackligen Jahren" wird Hugo, der Sohn, versuchen, "den erträumten in den erlebten Sozialismus" einzupassen, dem westlichen Deutschland den Rücken zu kehren, um in der DDR ansässig zu werden, bis ihm Österreich als der bessere Ausweg erscheint. Später muss der Enkel Hanno erkennen, dass man dort von SS-Veteranen und Neonazis umstellt ist. Es ist eine Geschichte, die widersprüchliches deutsches Leben der Gegenwart spiegeln soll, leider überlädt Hackl besonders den zweiten Teil seiner Geschichte mit einem Figuren-Hin-und-Her und mit vielen Motiven, die eher verwirren, was schade ist angesichts der historischen Bedeutsamkeit dieses Stoffes, von dem hier erzählt wird. (Erich Hackl: "Familie Salzmann". Erzählung aus unserer Mitte. Diogenes Verlag, Zürich 2010. 186 S., geb., 19,90 [Euro].) G.Sch.
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