Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.04.2003Globale Familienzusammenführung
Mit wachsendem Wohlstand, so scheint es, lockern sich die Familienbande zugunsten vielfältiger sozialer Beziehungen. Dann muss man auf dem Foto besonders eng zusammenrücken, um zu zeigen, dass man doch noch zusammen gehört. Dort, wo die Familie tatsächlich soziale Basis des Menschseins ist, kann man sich dagegen stolz als Individuum präsentieren, weil man weiß, dass man eins ist. 1000 Familien hat Uwe Ommer auf allen Kontinenten vor eine weiße Leinwand gestellt (1000 Families, Taschen Verlag, Köln 2003, 577 Seiten, 19,90 Euro) und für das Unicef-Projekt „Das Familienalbum des Planeten” fixiert. Ein Fotoalbum, das beim Verwandtenbesuch vorzeigen kann, ohne sich zu blamieren. Gerade die Ärmsten haben ihre besten Klamotten hervorgekramt, im tiefsten Afrika noch findet sich ein abgewetzter Nadelstreifenanzug für den Papa und ein bedrucktes T-Shirt einer deutschen Elektrofirma. Bilder des Friedens und der Hoffnung, kein Hunger nirgends, kein Krieg, keine Krankheiten. So sollte die Welt sein, so aufgeräumt und in solch fröhlichen Farben. Familienglück pur, staatlich geschützt, steuerlich begünstigt. Wer nicht in einer Familie aufgewachsen ist, wird das nicht verstehen. Dem wird dieser Ort der grundlosen Kuschelei und Gewalt suspekt bleiben. Es sind viele afrikanische Familien in diesem Bildband versammelt. Von einem Kontinent, auf dem tausende Kinder niemals Familie erlebt haben, die sich zwischen Krieg, Aids und Hunger durch ihr kurzes Leben schummeln und in keinem Bildband auftauchen. Nur hin und wieder in Zeitungen, wenn sie stellvertretend für tausend andere ihr Leid ausstellen dürfen. Doch langfristige Unterstützung gibt es nur, wenn es auch Hoffnung gibt, die Investition lohne sich. Deshalb ist die Propaganda dieses Bildbandes durchaus hilfreich: dass wir alle eine große und ganz normale Familie sind, in der man sich trotz aller, auch blutigen Streiterein am Ende gegenseitig irgendwie helfen sollte.
HELMUTMAURÓ
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Mit wachsendem Wohlstand, so scheint es, lockern sich die Familienbande zugunsten vielfältiger sozialer Beziehungen. Dann muss man auf dem Foto besonders eng zusammenrücken, um zu zeigen, dass man doch noch zusammen gehört. Dort, wo die Familie tatsächlich soziale Basis des Menschseins ist, kann man sich dagegen stolz als Individuum präsentieren, weil man weiß, dass man eins ist. 1000 Familien hat Uwe Ommer auf allen Kontinenten vor eine weiße Leinwand gestellt (1000 Families, Taschen Verlag, Köln 2003, 577 Seiten, 19,90 Euro) und für das Unicef-Projekt „Das Familienalbum des Planeten” fixiert. Ein Fotoalbum, das beim Verwandtenbesuch vorzeigen kann, ohne sich zu blamieren. Gerade die Ärmsten haben ihre besten Klamotten hervorgekramt, im tiefsten Afrika noch findet sich ein abgewetzter Nadelstreifenanzug für den Papa und ein bedrucktes T-Shirt einer deutschen Elektrofirma. Bilder des Friedens und der Hoffnung, kein Hunger nirgends, kein Krieg, keine Krankheiten. So sollte die Welt sein, so aufgeräumt und in solch fröhlichen Farben. Familienglück pur, staatlich geschützt, steuerlich begünstigt. Wer nicht in einer Familie aufgewachsen ist, wird das nicht verstehen. Dem wird dieser Ort der grundlosen Kuschelei und Gewalt suspekt bleiben. Es sind viele afrikanische Familien in diesem Bildband versammelt. Von einem Kontinent, auf dem tausende Kinder niemals Familie erlebt haben, die sich zwischen Krieg, Aids und Hunger durch ihr kurzes Leben schummeln und in keinem Bildband auftauchen. Nur hin und wieder in Zeitungen, wenn sie stellvertretend für tausend andere ihr Leid ausstellen dürfen. Doch langfristige Unterstützung gibt es nur, wenn es auch Hoffnung gibt, die Investition lohne sich. Deshalb ist die Propaganda dieses Bildbandes durchaus hilfreich: dass wir alle eine große und ganz normale Familie sind, in der man sich trotz aller, auch blutigen Streiterein am Ende gegenseitig irgendwie helfen sollte.
HELMUTMAURÓ
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