Familiäre Konflikte um Sorgerecht und Umgangsrecht, um Sorgerechtsentzug und Herausnahme von Kindern aus der Familie und Adoption bilden den häufigsten Grund für Privatpersonen, mit einem Gericht in Berührung zu kommen. Richter, Rechtsanwälte, Jugendhelfer, Gut-achter, Berater und Verfahrenspfleger sind dann an der Regelung des Konflikts beteiligt. Psychologische Kompetenz ist daher für alle diese Personen eine unabdingbare Voraussetzung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.02.2003Nachbar tippt auf Mißbrauch
Zwei Psychologen fragen nach dem Kindeswohl im Familienrecht
Nach Bekanntwerden des Vorhabens der Justizministerin Zypries, bei "geplantem Kindesmißbrauch" eine Anzeigepflicht - etwa für Nachbarn, die "etwas mitbekommen" - einzuführen, hat der Deutsche Anwaltsverein eindringlich auf die Gefahr von Denunziationen hingewiesen. Die Angst vor eigener Bestrafung könnte, so der Verein, "zu vielerlei Fehleinschätzungen führen". Das Thema der Falschbezichtigung in dieser Sache ist rechtspsychologisch inzwischen gut erforscht; es findet seinen Niederschlag auch in dem umsichtigen Band über Familienrechtspsychologie von Harry Dettenborn und Eginhard Walter.
Das Buch untersucht den strapazierten Begriff des "Kindeswohls". Nicht immer ist da, wo selbst höchste Gerichte vom Kindeswohl sprechen, tatsächlich dem Kindeswohl gedient: Die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, daß nichtverheiratete Väter auch künftig nur mit Zustimmung der Mutter Sorge für ihr Kind tragen dürfen, geht letzten Endes zu Lasten des Kindes. So beklagen die Autoren, daß im Gerichtswesen die Verteilung des Risikos für das Kind häufig zu einseitig und in unvollständiger Würdigung der tatsächlichen psychologischen Situation geschieht.
Das gilt zumal für die Klärung des Verdachts auf Kindesmißbrauch. Erfolgt eine solche Klärung im Rahmen des Familienrechts, müßten nach Auffassung von Dettenborn und Walter analoge Ansprüche wie im Strafrecht gestellt werden: Nur wenn im Familienrecht ebenso streng wie im Strafrecht das Kriterium "Im Zweifel für den Angeklagten" gilt, können das Risiko von Falschbeschuldigungen klein gehalten und damit voreilige, das Kind schädigende Beschlüsse in Sachen Sorgerecht vermieden werden. Die Autoren wenden sich gegen eine verbreitete Auffassung, wonach diese strenge Prämisse des Strafrechts sich nicht mit der "Kindeswohlmaxime" vertrage. Eine solche Ansicht, so Dettenborn und Walter, gehe von der irrigen Voraussetzung aus, "nur Schutz vor sexuellem Mißbrauch könne kindeswohldienlich sein, nicht aber Schutz vor deplazierten Interventionen aufgrund von Falschbeschuldigungen".
Es läge im "Interesse der fachlichen Reputation", daß der Gerichtspsychologe als Sachverständiger zu erkennen gibt, wenn er an den Grenzen seiner fachlichen Erkenntnismöglichkeit angekommen ist, statt sich stereotyp auf den Satz zurückzuziehen: "Sexuelle Mißbrauchshandlungen können nicht ausgeschlossen werden". Andernfalls würden Bemühungen, ernsthaft die Gegenthese zu prüfen, unterminiert. Und nun braucht man nicht lange zu spekulieren: Sollte eine solche Tendenz künftig mit einer Anzeigepflicht von Leuten zusammentreffen, die bei dieser schwer identifizierbaren Materie meist doch nur "Zeugen vom Hörensagen" (Deutscher Richterbund) sind, dürfte dem Unwohl des Kindes definitiv mehr gedient sein als seinem Wohl.
CHRISTIAN GEYER
Harry Dettenborn, Eginhard Walter: "Familienrechtspsychologie". Ernst Reinhardt Verlag, München 2002. 352 S., br., 36,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei Psychologen fragen nach dem Kindeswohl im Familienrecht
Nach Bekanntwerden des Vorhabens der Justizministerin Zypries, bei "geplantem Kindesmißbrauch" eine Anzeigepflicht - etwa für Nachbarn, die "etwas mitbekommen" - einzuführen, hat der Deutsche Anwaltsverein eindringlich auf die Gefahr von Denunziationen hingewiesen. Die Angst vor eigener Bestrafung könnte, so der Verein, "zu vielerlei Fehleinschätzungen führen". Das Thema der Falschbezichtigung in dieser Sache ist rechtspsychologisch inzwischen gut erforscht; es findet seinen Niederschlag auch in dem umsichtigen Band über Familienrechtspsychologie von Harry Dettenborn und Eginhard Walter.
Das Buch untersucht den strapazierten Begriff des "Kindeswohls". Nicht immer ist da, wo selbst höchste Gerichte vom Kindeswohl sprechen, tatsächlich dem Kindeswohl gedient: Die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, daß nichtverheiratete Väter auch künftig nur mit Zustimmung der Mutter Sorge für ihr Kind tragen dürfen, geht letzten Endes zu Lasten des Kindes. So beklagen die Autoren, daß im Gerichtswesen die Verteilung des Risikos für das Kind häufig zu einseitig und in unvollständiger Würdigung der tatsächlichen psychologischen Situation geschieht.
Das gilt zumal für die Klärung des Verdachts auf Kindesmißbrauch. Erfolgt eine solche Klärung im Rahmen des Familienrechts, müßten nach Auffassung von Dettenborn und Walter analoge Ansprüche wie im Strafrecht gestellt werden: Nur wenn im Familienrecht ebenso streng wie im Strafrecht das Kriterium "Im Zweifel für den Angeklagten" gilt, können das Risiko von Falschbeschuldigungen klein gehalten und damit voreilige, das Kind schädigende Beschlüsse in Sachen Sorgerecht vermieden werden. Die Autoren wenden sich gegen eine verbreitete Auffassung, wonach diese strenge Prämisse des Strafrechts sich nicht mit der "Kindeswohlmaxime" vertrage. Eine solche Ansicht, so Dettenborn und Walter, gehe von der irrigen Voraussetzung aus, "nur Schutz vor sexuellem Mißbrauch könne kindeswohldienlich sein, nicht aber Schutz vor deplazierten Interventionen aufgrund von Falschbeschuldigungen".
Es läge im "Interesse der fachlichen Reputation", daß der Gerichtspsychologe als Sachverständiger zu erkennen gibt, wenn er an den Grenzen seiner fachlichen Erkenntnismöglichkeit angekommen ist, statt sich stereotyp auf den Satz zurückzuziehen: "Sexuelle Mißbrauchshandlungen können nicht ausgeschlossen werden". Andernfalls würden Bemühungen, ernsthaft die Gegenthese zu prüfen, unterminiert. Und nun braucht man nicht lange zu spekulieren: Sollte eine solche Tendenz künftig mit einer Anzeigepflicht von Leuten zusammentreffen, die bei dieser schwer identifizierbaren Materie meist doch nur "Zeugen vom Hörensagen" (Deutscher Richterbund) sind, dürfte dem Unwohl des Kindes definitiv mehr gedient sein als seinem Wohl.
CHRISTIAN GEYER
Harry Dettenborn, Eginhard Walter: "Familienrechtspsychologie". Ernst Reinhardt Verlag, München 2002. 352 S., br., 36,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Christian Geyer lobt den "umsichtigen Band" über Familienrechtspsychologie von Harry Dettenborn und Eginhard Walter. Die aktuelle Diskussion um die Anzeigepflicht bei sexuellem Missbrauch zeige laut Geyer, dass der Gesetzesvorschlag das rechtspsychologische Wissen über die Gefahr von Denunziationen ignoriere. Eine umfassende Darstellung zum Thema Falschbezichtigung könnten die Verantwortlichen in Dettenborns und Walters Überblick nachlesen. Darüber hinaus befassten sich die Autoren mit dem Begriff des "Kindeswohls", der ihrer Meinung nach in der Vergangenheit viel zu einseitig definiert wurde. So sei es eine irrige Annahme "nur Schutz vor sexuellem Missbrauch könne kindeswohldienlich sein, nicht aber Schutz vor deplazierten Interventionen aufgrund von Falschbeschuldigungen", zitiert Geyer aus dem Buch. Aufgrund dieser Feststellung forderten die Autoren eine Übertragung strafrechtlicher Grundsätze auf das Familienrecht, denn durch das Kriterium "Im Zweifel für den Angeklagten" könne das Risiko von Falschbeschuldigungen verringert werden. Geyer stimmt den Autoren in ihren Thesen zu und stellt fest, dass die gegenwärtige Tendenz zu schnellen Schlüssen zusammen mit einer künftigen Anzeigepflicht "dem Unwohl des Kindes" definitiv mehr dienen würde als seinem Wohl.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Aus: socialnet - Christoph Hiendl - 14.02.19
[...] Die Inhalte sind für die neue Auflage auf den aktuellen Stand gebracht worden. [...] Insgesamt sind die Stärken der alten Auflage auch in der neuen erhalten geblieben. So zeichnet sich das Buch durch eine große Nähe zur Praxis aus und liefert eine - nach unserer Einschätzung - für die Praktiker aus Psychologie und Pädagogik ausreichend breite und tiefe Einführung in den juristischen Kontext der jeweiligen Themen. [...] Mit der dritten Auflage liegt nun wieder eine aktuelle Version einer umfassenden Darstellung der Familienrechtspsychologie vor, die alle praktischen Fragen, die sich in Jugendämtern und ähnlichen Stellen in diesem Zusammenhang ergeben, ausführlich behandelt. [...]
Aus: Rechtspsychologie - Pablo Fritsche - 1/2015
[E]in für die Praxis zentrales, nunmehr auch wieder hoch aktuelles Standardwerk, das in keiner Bibliothek von psychologischen Sachverständigen, die im Familien, und Kindschaftsrecht arbeiten, fehlen darf.
Aus: NZFam aktuell - Harald Vogel - Heft 13/2015
[...] [D]as Werk [...] nimmt zweifellos einen gesonderten Platz in der familienrechtlichen Literatur ein. Es trägt dazu bei, den umfassenden Begriff Kindeswohl in materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Hinsicht zu erhellen. Wer in der täglichen Arbeit mit den familienrechtlichen Problemen auf welcher Ebene auch immer - als Richter, Rechtsanwalt, Verfahrensbeistand, Jugendamtsmitarbeiter oder Sachberständiger - zu arbeiten hat, ist mit diesem Werk bestens gerüstet. [...]
[...] Die Inhalte sind für die neue Auflage auf den aktuellen Stand gebracht worden. [...] Insgesamt sind die Stärken der alten Auflage auch in der neuen erhalten geblieben. So zeichnet sich das Buch durch eine große Nähe zur Praxis aus und liefert eine - nach unserer Einschätzung - für die Praktiker aus Psychologie und Pädagogik ausreichend breite und tiefe Einführung in den juristischen Kontext der jeweiligen Themen. [...] Mit der dritten Auflage liegt nun wieder eine aktuelle Version einer umfassenden Darstellung der Familienrechtspsychologie vor, die alle praktischen Fragen, die sich in Jugendämtern und ähnlichen Stellen in diesem Zusammenhang ergeben, ausführlich behandelt. [...]
Aus: Rechtspsychologie - Pablo Fritsche - 1/2015
[E]in für die Praxis zentrales, nunmehr auch wieder hoch aktuelles Standardwerk, das in keiner Bibliothek von psychologischen Sachverständigen, die im Familien, und Kindschaftsrecht arbeiten, fehlen darf.
Aus: NZFam aktuell - Harald Vogel - Heft 13/2015
[...] [D]as Werk [...] nimmt zweifellos einen gesonderten Platz in der familienrechtlichen Literatur ein. Es trägt dazu bei, den umfassenden Begriff Kindeswohl in materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Hinsicht zu erhellen. Wer in der täglichen Arbeit mit den familienrechtlichen Problemen auf welcher Ebene auch immer - als Richter, Rechtsanwalt, Verfahrensbeistand, Jugendamtsmitarbeiter oder Sachberständiger - zu arbeiten hat, ist mit diesem Werk bestens gerüstet. [...]