Bestseller-Autor Ilija Trojanow und Klaus Zeyringer zeigen den Sport aus einer anderen Perspektive: aus der Perspektive von uns Fans! Denn wie der Sport erlebt wird, welche Höhepunkte, Emotionen, Rituale und Gemeinschaften er stiftet, das macht seine große Faszination aus.
In Reportagen live vor Ort berichten sie von großen Wettkämpfen u.a. aus der Welt des Fußballs, des Tennis, des Biathlon und Handballs, des Schwingens und Darts, des Cricket und des Radfahrens. Sie erzählen von Bierduschen und Fangesängen, von Feuerwerk und Fanblocks - und von Stadien ohne Zuschauer, ohne Fans. Ergänzend zu den Reportagen denken sie über das Wesen des Fantums nach, über Emotionen, Nationalismus und Männlichkeit, über Fachsimpelei, Geld und VIP-Zonen, über Mythen, Inszenierung und Ersatzreligionen. Ihr Buch ist sowohl Feier wie Analyse der großen Leidenschaft, die wir Menschen dem Sport entgegenbringen: mitreißend erzählt, ungewöhnlich und voller Momente mitfühlender Erkenntnis.
In Reportagen live vor Ort berichten sie von großen Wettkämpfen u.a. aus der Welt des Fußballs, des Tennis, des Biathlon und Handballs, des Schwingens und Darts, des Cricket und des Radfahrens. Sie erzählen von Bierduschen und Fangesängen, von Feuerwerk und Fanblocks - und von Stadien ohne Zuschauer, ohne Fans. Ergänzend zu den Reportagen denken sie über das Wesen des Fantums nach, über Emotionen, Nationalismus und Männlichkeit, über Fachsimpelei, Geld und VIP-Zonen, über Mythen, Inszenierung und Ersatzreligionen. Ihr Buch ist sowohl Feier wie Analyse der großen Leidenschaft, die wir Menschen dem Sport entgegenbringen: mitreißend erzählt, ungewöhnlich und voller Momente mitfühlender Erkenntnis.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Milos Vec empfiehlt den von Ilija Trojanow und Klaus Zeyringer verfassten Band und erinnert an die etymologische Verbindung von Fan und Fanatiker. Im Buch ist für Vec weiteres zu lernen: Wie unterschiedlich sich Fans verhalten zwischen Indien, Kenia und England, Flushing Meadows und der Schweizer Alm und wieso. Wie anschaulich anhand von Alltagsbeobachtungen und wissenschaftlichen Studien die Autoren ihr Wissen über das Fansein darstellen, macht Vec gleich selbst zum Fan. Themen wie Kommerz und Verantwortung im Faniversum behandelt der Band laut Vec mit "hinreißender" Originalität" und Genauigkeit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.05.2024Sauber wegbeleidigen
Ilija Trojanow und Klaus Zeyringer erkunden in „Fans“, wie sich das Publikum in das Sportgeschehen einschaltet. Hat es heute womöglich sogar zu viel Macht?
Wie so vieles hat auch dieses Buch seinen Ursprung in der Pandemie. Während der Corona-Zeit veränderte sich sogar die Welt des Sports in zuvor kaum denkbarer Weise: Turniere wurden gestrichen, Olympische Spiele verschoben, im Frühjahr 2020 pausierte monatelang die Fußball-Bundesliga. Die doch immer weitergespielt hatte, sogar in der bleiernen Zeit der Terrorangst in den Siebzigern. Corona legte alles lahm, erst ganz allmählich fuhr der Betrieb wieder hoch, aber die Spieler blieben zunächst unter sich, kein Zuschauer durfte bei den Geisterspielen ins Stadion.
Und erst als die Fans auf einmal nicht mehr da waren, wurde nicht nur den Profis klar, welche Bedeutung sie eigentlich haben. Ohne das Volk, das lernten auch die TV-Sender, ist der Volkssport Fußball eine freudlose Angelegenheit. Oder, wie es der deutsche Schriftsteller und Essayist Ilija Trojanow und der österreichische Kritiker und Kulturwissenschaftler Klaus Zeyringer ausdrücken: „Fehlen die Fans, fällt die Arena des Sports in sich zusammen.“ Anlass genug also, das Wesen und die Wirkmacht der Supporter essayistisch zu würdigen: „Eine Welt ohne Fans regte uns an, die Fans im Sport zu beschreiben.“ Dafür reisen sie auch in die Vergangenheit und sogar Vorvergangenheit zurück, die beiden Autoren sind und waren zeitlebens sportbegeistert und schöpfen aus einem enormen Fundus persönlicher Erfahrungen, die sie als Zuschauer gewonnen haben. Vieles, wenn nicht alles haben sie gesehen: die Tour-Marter an der Alpe d’Huez, den Darts-Wahnsinn im Ally Pally, die Hahnenkamm-Hysterie in Tirol.
Der Schriftsteller Trojanow beschreibt etwa die mit eigenen Ohren wahrgenommene einzigartige Geräuschkulisse beim Tennisturnier von Wimbledon, Schwarmstille genannt: „14 000 begeisterte Menschen halten den Atem an. Ein durchdringendes Shhhh, wenn jemand spricht.“ Der Germanist Zeyringer hat 1978 die österreichische Heldentat von Cordoba auf einem Farbfernseher im voll besetzten Grazer Glaciscafé erlebt, wo der Cafetier Otto Wanz – Catch-Freunden bekannt als „Big Otto“ – nach dem 3:2-Sieg gegen Deutschland ein dreifach sattes Bravo in den Raum schmetterte. Noch interessanter als die Berichte von den Begegnungsorten der Helden und ihrer Anhänger sind die Überlegungen über den sich ändernden Blick der Fans auf ihre Heroen. Die Fans in den Sechzigern, Siebzigern hatten sich ihren Lieblingsmannschaften ähnlich leidenschaftlich verschrieben wie die Anhänger heute, sie blieben dennoch: Zuseher. Inzwischen geht es auch darum, dass die Teilhabe und Hingabe sichtbar wird. Man sammelt nicht mehr nur Autogramme, man macht Selfies und stellt sie online.
Auch das Verhalten in den Stadien hat sich geändert. In den Fünfzigern – alte Aufnahmen kann man in Dokumentationen regelmäßig sehen – ging das Publikum noch in Hut und Mantel zum Spiel, dann gehörten zum Outfit die Fahnen, dann die erst selbst gestrickten, später im Fanshop (für zu viel Geld) gekauften Schals. Die Fans fingen an, sich zu inszenieren, das Stadion war nicht mehr allein die Bühne der Athleten, es wurde auch zu dem Platz, an dem das Publikum sich in Szene setzte, als wirkmächtige Gruppe. Im Buch erwähnt wird die Rapid-Viertelstunde: Klatschend erinnerten die Fans von Rapid Wien ihre Spieler daran, dass ein Match auch ab der 75. Minute noch gedreht werden kann. Und natürlich La Ola, jene Welle, die sich über die Ränge bewegt. Sichtbar bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles, weltberühmt geworden danach bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko. Wie vieles im Fußball ist auch diese Welle eine Folge geschickten Marketings: „Vor der WM zeigte Coca-Cola das Phänomen in einem weltweit ausgestrahlten Werbespot. Was Konsumenten bewegt, reißt die Massen von den Sitzen.“
Das kenntnisreiche und detailsatte Buch von Trojanow und Zeyringer beleuchtet das Verhältnis des Publikums zu seinen Helden und Heldinnen, es erklärt Verhaltensweisen und erläutert Entwicklungen, von der Etablierung des Public Viewing bei den Weltmeisterschaften 2002 und 2006 bis zu den pandemiebedingt ohne Live-Publikum ausgetragenen Olympischen Spielen 2021 in Tokio, wo „Sport nur im Glotzenformat“ zelebriert wurde. Wobei die aktuellste Wendung in der Beziehung Fan und Star nur am Rande thematisiert wird beziehungsweise thematisiert werden kann: Sie ist tatsächlich sehr neu, und auch sie hat zu tun mit der Pandemie, in der nicht nur die Turnier-Organisatoren und Fernsehmenschen festgestellt haben, welcher Faktor die Fans im Show-Betrieb Sport sind. Die Fans haben es selbst auch gemerkt.
In der aktuellen und nun allmählich ablaufenden Bundesligasaison wurde so deutlich wie nie zuvor sichtbar, wie bewusst Fans ihre Macht einsetzen. Wochenlang sorgten sie aus Protest gegen den Einstieg von Investoren beinahe für Spielabbrüche, indem sie Tennisbälle warfen und ferngesteuerte Autos auf den Platz lenkten. Hier wirkt die Masse der Macht, um den auch im Buch erwähnten Elias Canetti zu paraphrasieren. Und gerade Vereine, die sich auf ihre engagierten Fans etwas einbilden, haben das zuletzt zu spüren bekommen.
In Dortmund hat die Netzgemeinde immer wieder den Stürmer Niclas Füllkrug ins Visier genommen: zu teuer, zu unbeweglich, lässt sich fallen. Dass der Mann ein treffsicherer Schütze ist, fiel kaum ins Gewicht. Viele Dortmunder halten sich für die besten Fans der Welt, entpuppten sich in den sozialen Medien allerdings als arrogant und herablassend. Füllkrug, vor der Saison aus Bremen gekommen, habe nun mal nicht das Niveau des Weltvereins BVB Borussia. Unterdessen hatte auch in Bremen der Stürmer Marvin Ducksch mit Geringschätzung zu kämpfen. Er wurde im Netz sauber wegbeleidigt, wie die jungen Leute sagen. Bis der Stürmer selbst zu der Einsicht kam, dass er – nach Ansicht der eigenen Fans – wohl besser den Verein wechseln sollte. Eine derartige Entfremdung eines wertvollen Spielers von seinem eigenen Publikum hat es in der Geschichte der Bundesliga nicht oft gegeben.
Bei Ilija Trojanow und Klaus Zeyringer heißt es, heutzutage könne „jeder jederzeit als digitaler Zaungast an allem virtuell partizipieren“. Die neuerdings erkennbare Wucht dieser Zaungäste und ihr fantypisch übersteigertes Anspruchsdenken ist damit nur angedeutet – dabei wird das Internet dafür sorgen, dass diese einmal entfesselten Kräfte noch mächtiger werden. Die Geschichte der Fans ist also noch lange nicht zu Ende erzählt.
HOLGER GERTZ
Bei Füllkrug erwiesen sich
die BVB-Anhänger als
arrogant und herablassend
Ilija Trojanow, Klaus Zeyringer: Fans – Von den Höhen und Tiefen sportlicher Leidenschaft. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 272 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ilija Trojanow und Klaus Zeyringer erkunden in „Fans“, wie sich das Publikum in das Sportgeschehen einschaltet. Hat es heute womöglich sogar zu viel Macht?
Wie so vieles hat auch dieses Buch seinen Ursprung in der Pandemie. Während der Corona-Zeit veränderte sich sogar die Welt des Sports in zuvor kaum denkbarer Weise: Turniere wurden gestrichen, Olympische Spiele verschoben, im Frühjahr 2020 pausierte monatelang die Fußball-Bundesliga. Die doch immer weitergespielt hatte, sogar in der bleiernen Zeit der Terrorangst in den Siebzigern. Corona legte alles lahm, erst ganz allmählich fuhr der Betrieb wieder hoch, aber die Spieler blieben zunächst unter sich, kein Zuschauer durfte bei den Geisterspielen ins Stadion.
Und erst als die Fans auf einmal nicht mehr da waren, wurde nicht nur den Profis klar, welche Bedeutung sie eigentlich haben. Ohne das Volk, das lernten auch die TV-Sender, ist der Volkssport Fußball eine freudlose Angelegenheit. Oder, wie es der deutsche Schriftsteller und Essayist Ilija Trojanow und der österreichische Kritiker und Kulturwissenschaftler Klaus Zeyringer ausdrücken: „Fehlen die Fans, fällt die Arena des Sports in sich zusammen.“ Anlass genug also, das Wesen und die Wirkmacht der Supporter essayistisch zu würdigen: „Eine Welt ohne Fans regte uns an, die Fans im Sport zu beschreiben.“ Dafür reisen sie auch in die Vergangenheit und sogar Vorvergangenheit zurück, die beiden Autoren sind und waren zeitlebens sportbegeistert und schöpfen aus einem enormen Fundus persönlicher Erfahrungen, die sie als Zuschauer gewonnen haben. Vieles, wenn nicht alles haben sie gesehen: die Tour-Marter an der Alpe d’Huez, den Darts-Wahnsinn im Ally Pally, die Hahnenkamm-Hysterie in Tirol.
Der Schriftsteller Trojanow beschreibt etwa die mit eigenen Ohren wahrgenommene einzigartige Geräuschkulisse beim Tennisturnier von Wimbledon, Schwarmstille genannt: „14 000 begeisterte Menschen halten den Atem an. Ein durchdringendes Shhhh, wenn jemand spricht.“ Der Germanist Zeyringer hat 1978 die österreichische Heldentat von Cordoba auf einem Farbfernseher im voll besetzten Grazer Glaciscafé erlebt, wo der Cafetier Otto Wanz – Catch-Freunden bekannt als „Big Otto“ – nach dem 3:2-Sieg gegen Deutschland ein dreifach sattes Bravo in den Raum schmetterte. Noch interessanter als die Berichte von den Begegnungsorten der Helden und ihrer Anhänger sind die Überlegungen über den sich ändernden Blick der Fans auf ihre Heroen. Die Fans in den Sechzigern, Siebzigern hatten sich ihren Lieblingsmannschaften ähnlich leidenschaftlich verschrieben wie die Anhänger heute, sie blieben dennoch: Zuseher. Inzwischen geht es auch darum, dass die Teilhabe und Hingabe sichtbar wird. Man sammelt nicht mehr nur Autogramme, man macht Selfies und stellt sie online.
Auch das Verhalten in den Stadien hat sich geändert. In den Fünfzigern – alte Aufnahmen kann man in Dokumentationen regelmäßig sehen – ging das Publikum noch in Hut und Mantel zum Spiel, dann gehörten zum Outfit die Fahnen, dann die erst selbst gestrickten, später im Fanshop (für zu viel Geld) gekauften Schals. Die Fans fingen an, sich zu inszenieren, das Stadion war nicht mehr allein die Bühne der Athleten, es wurde auch zu dem Platz, an dem das Publikum sich in Szene setzte, als wirkmächtige Gruppe. Im Buch erwähnt wird die Rapid-Viertelstunde: Klatschend erinnerten die Fans von Rapid Wien ihre Spieler daran, dass ein Match auch ab der 75. Minute noch gedreht werden kann. Und natürlich La Ola, jene Welle, die sich über die Ränge bewegt. Sichtbar bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles, weltberühmt geworden danach bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko. Wie vieles im Fußball ist auch diese Welle eine Folge geschickten Marketings: „Vor der WM zeigte Coca-Cola das Phänomen in einem weltweit ausgestrahlten Werbespot. Was Konsumenten bewegt, reißt die Massen von den Sitzen.“
Das kenntnisreiche und detailsatte Buch von Trojanow und Zeyringer beleuchtet das Verhältnis des Publikums zu seinen Helden und Heldinnen, es erklärt Verhaltensweisen und erläutert Entwicklungen, von der Etablierung des Public Viewing bei den Weltmeisterschaften 2002 und 2006 bis zu den pandemiebedingt ohne Live-Publikum ausgetragenen Olympischen Spielen 2021 in Tokio, wo „Sport nur im Glotzenformat“ zelebriert wurde. Wobei die aktuellste Wendung in der Beziehung Fan und Star nur am Rande thematisiert wird beziehungsweise thematisiert werden kann: Sie ist tatsächlich sehr neu, und auch sie hat zu tun mit der Pandemie, in der nicht nur die Turnier-Organisatoren und Fernsehmenschen festgestellt haben, welcher Faktor die Fans im Show-Betrieb Sport sind. Die Fans haben es selbst auch gemerkt.
In der aktuellen und nun allmählich ablaufenden Bundesligasaison wurde so deutlich wie nie zuvor sichtbar, wie bewusst Fans ihre Macht einsetzen. Wochenlang sorgten sie aus Protest gegen den Einstieg von Investoren beinahe für Spielabbrüche, indem sie Tennisbälle warfen und ferngesteuerte Autos auf den Platz lenkten. Hier wirkt die Masse der Macht, um den auch im Buch erwähnten Elias Canetti zu paraphrasieren. Und gerade Vereine, die sich auf ihre engagierten Fans etwas einbilden, haben das zuletzt zu spüren bekommen.
In Dortmund hat die Netzgemeinde immer wieder den Stürmer Niclas Füllkrug ins Visier genommen: zu teuer, zu unbeweglich, lässt sich fallen. Dass der Mann ein treffsicherer Schütze ist, fiel kaum ins Gewicht. Viele Dortmunder halten sich für die besten Fans der Welt, entpuppten sich in den sozialen Medien allerdings als arrogant und herablassend. Füllkrug, vor der Saison aus Bremen gekommen, habe nun mal nicht das Niveau des Weltvereins BVB Borussia. Unterdessen hatte auch in Bremen der Stürmer Marvin Ducksch mit Geringschätzung zu kämpfen. Er wurde im Netz sauber wegbeleidigt, wie die jungen Leute sagen. Bis der Stürmer selbst zu der Einsicht kam, dass er – nach Ansicht der eigenen Fans – wohl besser den Verein wechseln sollte. Eine derartige Entfremdung eines wertvollen Spielers von seinem eigenen Publikum hat es in der Geschichte der Bundesliga nicht oft gegeben.
Bei Ilija Trojanow und Klaus Zeyringer heißt es, heutzutage könne „jeder jederzeit als digitaler Zaungast an allem virtuell partizipieren“. Die neuerdings erkennbare Wucht dieser Zaungäste und ihr fantypisch übersteigertes Anspruchsdenken ist damit nur angedeutet – dabei wird das Internet dafür sorgen, dass diese einmal entfesselten Kräfte noch mächtiger werden. Die Geschichte der Fans ist also noch lange nicht zu Ende erzählt.
HOLGER GERTZ
Bei Füllkrug erwiesen sich
die BVB-Anhänger als
arrogant und herablassend
Ilija Trojanow, Klaus Zeyringer: Fans – Von den Höhen und Tiefen sportlicher Leidenschaft. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 272 Seiten, 26 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.2024Die Ko-Stars der Wettkämpfer
Empirischen Studien zufolge praktizieren vierzig Prozent der Fußballfans abergläubische Rituale. Sie tragen am Samstagnachmittag bewährte Unterwäsche, halten vor dem Match bestimmte Abläufe ein oder bekennen sich auf andere obskure Weise zu ihrem Team. Fans meinen es seltsam ernst, sie neigen zu Fetisch und Beschwörung. Ilija Trojanow und Klaus Zeyringer nennen das "säkulare Spiritualität".
Der Begriff Fan leitet sich vom lateinischen Fanatiker ab, der orgiastische Rituale in Tempeln oder an heiligen Orten praktiziert. In der Sportwelt sind das Stadien, Rasenplätze, atemberaubend steile Skiabfahrten oder die sonnen-verbrannten Gebirgspässe der Tour de France. Hier begegnen sich die Sportler und ihre "Ko-Stars". Denn in zahllosen Disziplinen feiert sich die Menge selbst. Sie schwappt als La Ola durchs Stadionrund, transformiert mit Sprechchören die Auswärtsarena zum Heimspiel oder markiert mit laut hörbarem Schweigen ihren sportpolitischen Protest. Sie ist das Spektakel, ohne das es weder das Ereignis noch seine Vermarktung gäbe. In der Pandemie hat man es gemerkt, schreiben die Autoren: "Fehlen die Fans, fällt die Arena des Sports in sich zusammen." Noch der Zuschauer vor dem Bildschirm braucht sie als Ko-Akteure: "Fast alles lässt sich dieser Tage simulieren, nur nicht die Fans."
Trojanow und Zeyringer haben ein fulminantes Buch über die facettenreichen Rollen der Fans geschrieben. Es erzählt in einer von Neugier und Interesse durchdrungenen Mischung von Welten des Sports. Die Varianten sind dabei vielfältiger, als man auf Anhieb vermutet. Denn es geht auf Schweizer Almen beim sogenannten Schwingen bemerkenswert anders zu als in einer englischen Dart-Halle. Während sich zwar Übergänge vom indisch-pakistanischen Cricket-Wettstreit zum Tennis-Grand-Slam in Flushing Meadows finden lassen, aber die Dramaturgie des auf dem Subkontinent populären Sports zwingt die dortigen Zuschauer überwiegend zu einem anderen Rhythmus, einer anderen Ökonomie der Gefühle, und auch die Berichterstattung wählt einen anderen Ton. Dennoch gibt es gemeinsame Muster, halten die beiden Autoren fest: "Durch Wiederholung und Vertrautheit verdichtet sich das Drama des eigenen Lebens im Sport, bis allmählich die Grenzen zwischen dem Alltag und der Existenz als Fan verschwimmen."
Die Autoren beginnen ihre Erkundung unkonventionell im kenianischen Internat von Trojanow, wo der spätere Schriftsteller viel über die Verehrung der Sporthelden lernte, weil er manchmal selber einer war - aber oft auch nur ihr Bewunderer. Sie erzählen anschaulich und verknüpfen Alltagsbeobachtungen auf überzeugende Weise mit Interpretation, ziehen wissenschaftliche Studien heran und nehmen sich selbst nie aus dem Bild.
Am Sport der Moderne ist wenig unschuldig. Politisierung, verlogene Kommerzialisierung und manchmal sogar offene Militarisierung begegnen einem hier auf Schritt und Tritt: "Durch den Sport wurdet ihr für den Krieg erzogen, drum ran an den Feind", hieß es 1914 seitens des Norddeutschen Fußballverbands. Noch in die sogenannten Derbys lesen die Autoren die latenten Schrecken von Krieg und Bürgerkrieg hinein. So werden weder die gruppenbezogenen Konflikte des Sports beschwiegen, noch wird die Täterschaft von Fans relativiert, die sich erschreckend schnell gewaltsam manifestieren kann.
Auch die Passagen über wechselnde Vorstellungen von angemessener weiblicher Sportkleidung betreffen kein Randphänomen. Hier geht es um machtvolle Normen, die vormoderne Kleiderordnungen locker in den Schatten stellen, denn sie sind strenger und weniger verhandelbar als diese und werden rücksichtslos durchgesetzt. Anderes ist vergnüglicher, so etwa die dem Sportjargon abgelauschten Einsichten, die etwas Dadaistisches haben: "Die Innenverteidigung kickt schlecht, die Ente kackt hinten." Trojanow und Zeyringer bringen durchweg biographisch unterlegte Kompetenz, Witz und Selbstreflexion in ihre Darstellung ein. An vielen Orten und bei vielen Ereignissen sind sie dabei gewesen und haben markante Details beobachtet. Vieles ist da von hinreißender Präzision und Originalität. Wie knapp schreiben sie über das unvermeidbare Scheitern im Wettkampf: "Vergeblichkeit ist das Wesen des Spiels." Und manche Sätze werden womöglich noch besser, wenn man sie aus ihrem Kontext löst, etwa die Einsicht in die Flexibilität von Anhängerschaft: "Die Zufälligkeit der Beziehung mindert keineswegs die Intensität der Hingabe."
Erfreulich ist, dass die beiden Autoren keineswegs dem Sport blind huldigen - im Gegenteil, sie üben regelmäßig Kritik, etwa dort, wo Sport, Medien und Fans zusammentreffen: "Der Sport ist der kleinste gemeinsame Nenner einer Oberflächlichkeitskultur, die wenig Vorwissen verlangt und Spannung bietet."
Als Belohnung für seine Hingabe winken dem Anhänger übrigens messbare Effekte, wie Sportwissenschaftler herausgefunden haben wollen: Fans haben ein höheres Selbstwertgefühl, ihr Engagement beugt Depressionen vor, und so fort. Über zwanzig Vorteile für das persönliche Wohlergehen werden der Zugehörigkeit zur Fangemeinschaft angerechnet.
Umso mehr betonen die Autoren die Verpflichtung aufs kollektive Wohl, und die Fans bekommen moralische Ermahnungen ins Stammbuch geschrieben. Am Ende wird ganz offen an die Verantwortung appelliert, die sich für sie aus ihrer Macht ergibt. Weil sie unverzichtbar sind, haben gerade Fans die Möglichkeit, eklatante Missstände zu adressieren. Sie können protestieren oder sich gar ganz verweigern, und jene Märkte und ihre Akteure in die Schranken weisen, wo Prinzipien des Fair Play und der Gerechtigkeit nicht respektiert, oder sagen wir: mit Füßen getreten werden. Denn das muss dem Ball vorbehalten bleiben. MILOS VEC
Ilija Trojanow und Klaus Zeyringer: "Fans". Von den Höhen und Tiefen sportlicher Leidenschaft.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2024. 272 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Empirischen Studien zufolge praktizieren vierzig Prozent der Fußballfans abergläubische Rituale. Sie tragen am Samstagnachmittag bewährte Unterwäsche, halten vor dem Match bestimmte Abläufe ein oder bekennen sich auf andere obskure Weise zu ihrem Team. Fans meinen es seltsam ernst, sie neigen zu Fetisch und Beschwörung. Ilija Trojanow und Klaus Zeyringer nennen das "säkulare Spiritualität".
Der Begriff Fan leitet sich vom lateinischen Fanatiker ab, der orgiastische Rituale in Tempeln oder an heiligen Orten praktiziert. In der Sportwelt sind das Stadien, Rasenplätze, atemberaubend steile Skiabfahrten oder die sonnen-verbrannten Gebirgspässe der Tour de France. Hier begegnen sich die Sportler und ihre "Ko-Stars". Denn in zahllosen Disziplinen feiert sich die Menge selbst. Sie schwappt als La Ola durchs Stadionrund, transformiert mit Sprechchören die Auswärtsarena zum Heimspiel oder markiert mit laut hörbarem Schweigen ihren sportpolitischen Protest. Sie ist das Spektakel, ohne das es weder das Ereignis noch seine Vermarktung gäbe. In der Pandemie hat man es gemerkt, schreiben die Autoren: "Fehlen die Fans, fällt die Arena des Sports in sich zusammen." Noch der Zuschauer vor dem Bildschirm braucht sie als Ko-Akteure: "Fast alles lässt sich dieser Tage simulieren, nur nicht die Fans."
Trojanow und Zeyringer haben ein fulminantes Buch über die facettenreichen Rollen der Fans geschrieben. Es erzählt in einer von Neugier und Interesse durchdrungenen Mischung von Welten des Sports. Die Varianten sind dabei vielfältiger, als man auf Anhieb vermutet. Denn es geht auf Schweizer Almen beim sogenannten Schwingen bemerkenswert anders zu als in einer englischen Dart-Halle. Während sich zwar Übergänge vom indisch-pakistanischen Cricket-Wettstreit zum Tennis-Grand-Slam in Flushing Meadows finden lassen, aber die Dramaturgie des auf dem Subkontinent populären Sports zwingt die dortigen Zuschauer überwiegend zu einem anderen Rhythmus, einer anderen Ökonomie der Gefühle, und auch die Berichterstattung wählt einen anderen Ton. Dennoch gibt es gemeinsame Muster, halten die beiden Autoren fest: "Durch Wiederholung und Vertrautheit verdichtet sich das Drama des eigenen Lebens im Sport, bis allmählich die Grenzen zwischen dem Alltag und der Existenz als Fan verschwimmen."
Die Autoren beginnen ihre Erkundung unkonventionell im kenianischen Internat von Trojanow, wo der spätere Schriftsteller viel über die Verehrung der Sporthelden lernte, weil er manchmal selber einer war - aber oft auch nur ihr Bewunderer. Sie erzählen anschaulich und verknüpfen Alltagsbeobachtungen auf überzeugende Weise mit Interpretation, ziehen wissenschaftliche Studien heran und nehmen sich selbst nie aus dem Bild.
Am Sport der Moderne ist wenig unschuldig. Politisierung, verlogene Kommerzialisierung und manchmal sogar offene Militarisierung begegnen einem hier auf Schritt und Tritt: "Durch den Sport wurdet ihr für den Krieg erzogen, drum ran an den Feind", hieß es 1914 seitens des Norddeutschen Fußballverbands. Noch in die sogenannten Derbys lesen die Autoren die latenten Schrecken von Krieg und Bürgerkrieg hinein. So werden weder die gruppenbezogenen Konflikte des Sports beschwiegen, noch wird die Täterschaft von Fans relativiert, die sich erschreckend schnell gewaltsam manifestieren kann.
Auch die Passagen über wechselnde Vorstellungen von angemessener weiblicher Sportkleidung betreffen kein Randphänomen. Hier geht es um machtvolle Normen, die vormoderne Kleiderordnungen locker in den Schatten stellen, denn sie sind strenger und weniger verhandelbar als diese und werden rücksichtslos durchgesetzt. Anderes ist vergnüglicher, so etwa die dem Sportjargon abgelauschten Einsichten, die etwas Dadaistisches haben: "Die Innenverteidigung kickt schlecht, die Ente kackt hinten." Trojanow und Zeyringer bringen durchweg biographisch unterlegte Kompetenz, Witz und Selbstreflexion in ihre Darstellung ein. An vielen Orten und bei vielen Ereignissen sind sie dabei gewesen und haben markante Details beobachtet. Vieles ist da von hinreißender Präzision und Originalität. Wie knapp schreiben sie über das unvermeidbare Scheitern im Wettkampf: "Vergeblichkeit ist das Wesen des Spiels." Und manche Sätze werden womöglich noch besser, wenn man sie aus ihrem Kontext löst, etwa die Einsicht in die Flexibilität von Anhängerschaft: "Die Zufälligkeit der Beziehung mindert keineswegs die Intensität der Hingabe."
Erfreulich ist, dass die beiden Autoren keineswegs dem Sport blind huldigen - im Gegenteil, sie üben regelmäßig Kritik, etwa dort, wo Sport, Medien und Fans zusammentreffen: "Der Sport ist der kleinste gemeinsame Nenner einer Oberflächlichkeitskultur, die wenig Vorwissen verlangt und Spannung bietet."
Als Belohnung für seine Hingabe winken dem Anhänger übrigens messbare Effekte, wie Sportwissenschaftler herausgefunden haben wollen: Fans haben ein höheres Selbstwertgefühl, ihr Engagement beugt Depressionen vor, und so fort. Über zwanzig Vorteile für das persönliche Wohlergehen werden der Zugehörigkeit zur Fangemeinschaft angerechnet.
Umso mehr betonen die Autoren die Verpflichtung aufs kollektive Wohl, und die Fans bekommen moralische Ermahnungen ins Stammbuch geschrieben. Am Ende wird ganz offen an die Verantwortung appelliert, die sich für sie aus ihrer Macht ergibt. Weil sie unverzichtbar sind, haben gerade Fans die Möglichkeit, eklatante Missstände zu adressieren. Sie können protestieren oder sich gar ganz verweigern, und jene Märkte und ihre Akteure in die Schranken weisen, wo Prinzipien des Fair Play und der Gerechtigkeit nicht respektiert, oder sagen wir: mit Füßen getreten werden. Denn das muss dem Ball vorbehalten bleiben. MILOS VEC
Ilija Trojanow und Klaus Zeyringer: "Fans". Von den Höhen und Tiefen sportlicher Leidenschaft.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2024. 272 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
In Hochform sind Weltensammler Trojanow und Kulturstöberer Zeyringer, wo sie die historische Entwicklung der Fankultur und damit auch der Totalkommerzialisierung des Sports betrachten. Bernhard Flieher Salzburger Nachrichten 20240706