Ein Lateinamerikaner auf Reisen durch seinen Kontinent: Immer schon hat Alejo Carpentier die Faszination für Geschichte und Gegenwart des südlichen Amerika umgetrieben, und die hier versammelten frühen Essays, Artikel und Reden über die Musik der Karibik, seine Reisen ins Innere Venezuelas und nach Mexiko werden durch den kenntnisreichen, wißbegierigen Blick des kosmopolitischen Autors auf die Länder, die in den Augen der Europäer oft so exotisch anmuten, zu einer Entdeckungsreise. "Und diese Neue Welt", schreibt Carpentier, "erweist sich schließlich durch ihre Traditionen, ihr Erbe, durch das, was sie empfangen, sich angeeignet und anverwandelt hat, als ebenso alt und hoch entwickelt wie die übrigen Welten der ganzen Welt."
Ein Kontinent ist zu entdecken.
Ein Kontinent ist zu entdecken.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.2003Alte Kultur für die Neue Welt
Der lateinamerikanische Romancier Alejo Carpentier (1904-1980) hat neben stimmungsvollen Romanen wie "Das Reich von dieser Welt" oder "Die verlorenen Spuren" auch einige anregende und aufwühlende Essays, Pamphlete, Manifeste, Zeitungsartikel und universitäre Reden hinterlassen, die der Suhrkamp Verlag nun zu einem Kaleidoskop der "Farben eines Kontinents" zusammengestellt hat. Carpentier, ein Kubaner, der elf Jahre im Pariser Exil verbrachte, wird dabei als Grenzgänger zwischen "altem Europa" und "Neuer Welt" vorgestellt, einem Kulturenvermittler zwischen den Stilen und Temperamenten. Während er in der barocken Architektur Mexikos eine Vervollkommnung europäischer Baukunst durch mehrfarbige Materialien und Techniken der Indios sah, betont er umgekehrt den Kultureinfluß etwa der kreolischen Musik der Karibik auf Europa. Der Band enthält von tiefer Religiosität durchdrungene Texte wie "Die Große Savanne: Welt der Schöpfung", die mit der Magie der Wörter die unbändigen Naturgewalten des venezolanischen Urwalds und seine "fortwährende Offenbarung der Formen" rhetorisch nachzuahmen scheinen. Carpentier sucht und findet dabei immer wieder überraschende Analogien zwischen indianischen und christlichen Kosmogonien und Ursprungsmythen. Im Beitrag "Bibel und Spitzbogen unter dem Roraima" rekonstruiert er etwa die auf ihre Art formvollendeten romantischen Forschungsreisen des achtzehnten Jahrhunderts wie die Expedition der deutschen Brüder Richard und Robert Schomburgk zum Berg Roraima, die im Troß zwei Flaschen Rheinwein mitführten, um auch im Urwald den Geburtstag des Preußenkönigs gebührend zu feiern. Andere Beiträge streifen Schlaglichter der Geschichte Lateinamerikas wie Konquista und Kolonisation, Goldrausch und Kautschukboom. Dabei ist Carpentier zugleich ein kritischer Chronist der Gegenwart, wie seine engagierten Reden, welche die anarchischen, maß- und respektlosen Konturen moderner Kapitalen anprangern, zeigen. Carpentier, der aufgebrochen war, seinen Kontinent zu erkunden, begreift die kulturelle Symbiose als einzig gangbaren Weg lateinamerikanischer Selbstfindung. Leider wiederholen sich, dies sei als leiser Kritikpunkt an der Auswahl der Texte angemerkt, zuweilen einzelne Passagen und Motive.
sg.
"Farben eines Kontinents. Reisen durch Lateinamerika" von Alejo Carpentier. Erschienen in der Reihe: "Suhrkamp Taschenbuch", Nr. 3451. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2003. 176 Seiten, einige Abbildungen. Broschiert, 12 Euro. ISBN 3-518-39951-9.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der lateinamerikanische Romancier Alejo Carpentier (1904-1980) hat neben stimmungsvollen Romanen wie "Das Reich von dieser Welt" oder "Die verlorenen Spuren" auch einige anregende und aufwühlende Essays, Pamphlete, Manifeste, Zeitungsartikel und universitäre Reden hinterlassen, die der Suhrkamp Verlag nun zu einem Kaleidoskop der "Farben eines Kontinents" zusammengestellt hat. Carpentier, ein Kubaner, der elf Jahre im Pariser Exil verbrachte, wird dabei als Grenzgänger zwischen "altem Europa" und "Neuer Welt" vorgestellt, einem Kulturenvermittler zwischen den Stilen und Temperamenten. Während er in der barocken Architektur Mexikos eine Vervollkommnung europäischer Baukunst durch mehrfarbige Materialien und Techniken der Indios sah, betont er umgekehrt den Kultureinfluß etwa der kreolischen Musik der Karibik auf Europa. Der Band enthält von tiefer Religiosität durchdrungene Texte wie "Die Große Savanne: Welt der Schöpfung", die mit der Magie der Wörter die unbändigen Naturgewalten des venezolanischen Urwalds und seine "fortwährende Offenbarung der Formen" rhetorisch nachzuahmen scheinen. Carpentier sucht und findet dabei immer wieder überraschende Analogien zwischen indianischen und christlichen Kosmogonien und Ursprungsmythen. Im Beitrag "Bibel und Spitzbogen unter dem Roraima" rekonstruiert er etwa die auf ihre Art formvollendeten romantischen Forschungsreisen des achtzehnten Jahrhunderts wie die Expedition der deutschen Brüder Richard und Robert Schomburgk zum Berg Roraima, die im Troß zwei Flaschen Rheinwein mitführten, um auch im Urwald den Geburtstag des Preußenkönigs gebührend zu feiern. Andere Beiträge streifen Schlaglichter der Geschichte Lateinamerikas wie Konquista und Kolonisation, Goldrausch und Kautschukboom. Dabei ist Carpentier zugleich ein kritischer Chronist der Gegenwart, wie seine engagierten Reden, welche die anarchischen, maß- und respektlosen Konturen moderner Kapitalen anprangern, zeigen. Carpentier, der aufgebrochen war, seinen Kontinent zu erkunden, begreift die kulturelle Symbiose als einzig gangbaren Weg lateinamerikanischer Selbstfindung. Leider wiederholen sich, dies sei als leiser Kritikpunkt an der Auswahl der Texte angemerkt, zuweilen einzelne Passagen und Motive.
sg.
"Farben eines Kontinents. Reisen durch Lateinamerika" von Alejo Carpentier. Erschienen in der Reihe: "Suhrkamp Taschenbuch", Nr. 3451. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2003. 176 Seiten, einige Abbildungen. Broschiert, 12 Euro. ISBN 3-518-39951-9.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der Band "Farben eines Kontinentes", der Reden, Essays und Reiseberichte Alejo Carpentiers, einem Klassiker der spanisch-amerikanischen Literatur versammelt, enthält zur Freude von Rezensent Walter Haubrich "Reiseliteratur der besten Art". Einfühlsam und sprachgewaltig beschreibe der kubanische Schriftsteller die beeindruckenden Landschaften Venezuelas wie den Salto del Angel, die große Savanne oder das enge Orinoco-Tal, schwärmt Haubrich. Dabei bleibt es zu seinem Bedauern allerdings nicht. Die im zweiten Teil des Bandes folgenden Zeitungsartikel zu unterschiedlichen Themen findet Haubrich nicht mehr aktuell und uninteressant, die Pflichtreden über die "Errungenschaften der Revolution" in den beiden letzten Kapiteln langweilig. Den zweiten Teil des Buches kann man sich deswegen seines Erachtens sparen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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