»Die Erdkugel schleicht um die Sonne / der Farbleib wartet im Haus.« So beginnt Saskia Warzechas zweiter Lyrikband Farbleib und setzt damit bereits die Eckpunkte, von denen aus sich ein Langgedicht in sechzig Augenblicken entspinnt, das an festgefahrenen Einstellungen rüttelt. Geschult am New Materialism, versteht dieses Schreiben Materie nicht als lediglich dem Menschen Zuhandenes, als einheitliche, träge Substanz oder als sozial konstruiertes Faktum, sondern als aktive Kraft, die genauso sehr durch menschliches Wirken und Erfahren geformt wird, wie sie diese formt. Warzecha spürt Harmonie auf, wo zuvor Ordnung regierte, fächert die Dimensionen aus, dehnt und verschleift sie, bis einem schwindlig wird. Die Frage, wo oben ist, wo unten, wann jetzt ist und wann dann, weicht hier einer Poetik der Öffnung, die berührt, ohne besitzen zu wollen, die sich nähert, ohne Land zu nehmen. Diese Welt, die so entsteht, mit dem rätselhaften Farbleib, dem Zögling, dem Haus, ist es, in der man gerne leben möchte.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Saskia Warzechas Lyrik lässt den Rezensenten Björn Hayer mit ihren Ausflügen ins Magische und Gespensterhafte ein wenig an Goethes Zauberlehrling denken: Es wird gefragt, ob "Zaubersprüche symmetrisch verfasst" werden, der Sprecher ist ein "Zögling", dem sich die Tore zum Irrationalen, Unheimlichen und Unbewussten öffnen. Ein bisschen irritiert Hayer die "Rätselhaftigkeit" dieser Gedichte, die nicht zu mehr poetischer Offenheit führt, sondern mit Wortneuschöpfungen wie "Nunspuk" und "Primwände" hart an der Grenze zum Unverständlichen vorbeischrammt. Trotzdem empfiehlt er den Band allen, die mit Lyrik schweben wollen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH