Die deutsche Antwort auf Bonnie und Clyde: Zwei arbeitslose Burschen wollen 1933 aus Nazideutschland fliehen, überfallen eine Bank, um sich das Reisegeld zu beschaffen, und stranden auf ihrer ziellosen Flucht schließlich in Basel. Dort nämlich verliebt sich einer von ihnen in Dorly Schupp, eine Schallplattenverkäuferin. Tag für Tag kauft er bei ihr Tango-Platten, bis das Geld aufgebraucht ist und der nächste Banküberfall ansteht. Alex Capus, der Erfolgsautor aus der Schweiz, hat aus einem authentischen Fall einen kleinen Kriminaltango gemacht, der sich so leicht, so frisch und so anrührend liest, dass man sich sofort auf der Seite dieses romantischen Desperado-Pärchens wiederfindet.
"Alex Capus zeigt sich auch in diesem Roman als der Erzähler, der die leichte Tonlage mit ihren ironisierenden Nuancen schätzt und die Alltagswelt für ebenso bedeutsam hält wie die aussergewöhnlichen Phänomene." Neue Zürcher Zeitung, 03.04.12
"Dank szenisch aufbreiteter Details entsteht eine atmosphärische Dichte und Spannung, die das Buch zu einem Pageturner machen (...) ein herausragendes erzählerisches Talent..." Peter Jungwirth, Wiener zeitung, 09.06.12
"Dank szenisch aufbreiteter Details entsteht eine atmosphärische Dichte und Spannung, die das Buch zu einem Pageturner machen (...) ein herausragendes erzählerisches Talent..." Peter Jungwirth, Wiener zeitung, 09.06.12
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.2002Kurzes Glück mit Walter Kollo
Basler Kriminaltango: Alex Capus verfolgt ein Gangsterpärchen
Als Bonnie und Clyde Amerika in Atem hielten, im Winter 1933/34, machte auch hierzulande ein Desperado-Pärchen von sich reden. Waldemar Velte und Kurt Sandweg sind keine Mythen aus dem kollektiven Verbrecheralbum; arbeitslose Ingenieure aus Wuppertal besitzen nun einmal wenig romantische Aura. Aber ihre kriminelle Energie war beträchtlich, und ihr aus Nietzsche, unglücklicher Liebe und einer Portion Anarchismus zusammengebrauter Weltschmerz ließen seinerzeit junge Sozialistinnen schwärmen und schmachten. Am Ende aber lagen neun Menschen tot in ihrem Blute: Bankangestellte, Schweizer Polizeimänner und nicht zuletzt die Täter selbst, die sich am 21. Januar 1934 ihrer Verhaftung durch Selbstmord entzogen. Der Fall erregte in ganz Europa Aufsehen. Nicht nur, weil die Täter sich als politische Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland stilisiert hatten: Den kaltblütigen Mördern war die zärtliche Verehrung für eine kleine Kaufhausangestellte zum Verhängnis geworden.
Auf ihrer ziellosen Flucht - mal wollten sie im republikanischen Spanien ihr Glück, mal "den Seeweg von Wuppertal nach Indien" suchen - waren die beiden Deutschen in Basel gestrandet. Wochenlang machten der kleine, ernste Velte und sein großer, allzeit fröhlicher Komplize Sandweg der "Globus"-Plattenverkäuferin Dorly Schupp den Hof. Tagsüber kauften sie ihr die neusten Tango-Schnulzen ab; Walter Kollos Schlager ("In Deine Hände leg' ich mein ganzes Glück / S' ist nur ein kleines Stück, behüt es fein") war so etwas wie die heimliche Hymne ihrer "platonischen Liebe". Nach Dienstschluß holten sie das Mädchen ab, um Schlittschuh zu laufen oder durch die kalten Straßen zu spazieren. Fräulein Dorly mochte die sanftmütigen Tango-Bubis, aber als sie ihnen auf die Schliche kam, zögerte sie als brave Schweizerin keine Sekunde: Die Übergabe eines "Pfundlaibli Schwarzbrot" an die Hungernden war das Signal zum polizeilichen Zugriff, der Basler Margarethenpark der Garten Gethsemane, in dem die selbsternannten Erlöser ihren Judaskuß erhielten.
Der gelernte Journalist Alex Capus hat aus dieser authentischen Geschichte einen kleinen Kriminaltango gemacht. Ähnliches hatte er schon in seinem Debütroman "Munzinger Pascha" versucht: Werner Munzinger aus Olten hatte es einst im heutigen Eritrea vom Commis voyageur zum Pascha der Khediven und "Schweizer Lawrence von Arabien" gebracht. Das orientalische Dekor des Romans blieb zwar blaß, die erzählerische Distanz zu dem mutmaßlichen Sklavenhändler unterentwickelt; aber so wie der am gleichen Ort verschollene Rimbaud konnte Capus' Pascha von sich behaupten: "Ich bin ein anderer." Sein Alter ego war damals der Oltener Lokaljournalist Max, ein konvertierter Hippie und überzeugter Harley-Fahrer. Manche Kritiker fanden diese Mischung aus ethnologisch-biographischer Studie, sanftmütigem Humor und röhrendem Karl-May-Kitsch "federleicht" und ganz bezaubernd. Tatsächlich aber verbindet Capus nur journalistischen Spürsinn mit unzynischer Menschenfreundlichkeit und einer durchaus sympathischen erzählerischen Arglosigkeit.
"Rette mich vor Weinkennern und Literaturliebhabern, vor fliegenfischenden Deutschen, Tango tanzenden Schweizerinnen und - vor allem - von untreuen Ehefrauen", schrieb er zuletzt in "Mein Studium ferner Welten". Jetzt hat er die beiden Wuppertaler Tangoliebhaber ausgegraben und damit wieder ein glückliches Händchen bewiesen: Immerhin kann er das Gangstermelodram so mit einer Prise unaufdringlicher Zeitkritik würzen und den exakt recherchierten Kriminalfall mit sentimentalen Sehnsuchtsliedern orchestrieren. Capus hat Tatorte besucht, noch lebende Augenzeugen und Verwandte befragt, Polizeiprotokolle, Gerichtsakten und Zeitungsberichte studiert und die Erzählkonstruktion gegenüber seinem "Munzinger Pascha" verfeinert: Er fährt nun nicht mehr als schreibgehemmter Motor-Fuzzi auf den Spuren seiner abenteuerlicheren Hälfte durch ein inneres Afrika, sondern hält sich als Enkel von Dorlys bester Freundin Marie mehr und leiser im Hintergrund auf. Die Collage aus dokumentarischen, erzählenden und autobiographischen Elementen liest sich spannend und gäbe in jedem Falle eine brauchbare Vorlage für ein Fernsehspiel ab.
"Fast ein bißchen Frühling" ist darum aber noch kein literarischer Hochsommer. Wo der reflektierende Erzähler, der Psychologe und Erfinder atmosphärischer Details gefordert wäre, bricht Capus gern mit einem "Undsoweiter" ab. Die beiden Raubmörder werden entweder nach Aktenlage oder aus der Mädchenperspektive beschrieben und bleiben doch immer Scherenschnitte ohne historische oder menschliche Tiefenschärfe. Die Rahmenhandlung - wie Großvater die Großmutter Marie freite und ihr ein Leben lang fremd blieb - bleibt auch im Roman der sanften Mörder ein Fremdkörper.
Am besten ist Capus immer dort, wo er auf die Kraft der Dokumente baut. Veltes Abschiedsbrief etwa ist, bei aller Verworrenheit und Eitelkeit, das ergreifende Zeugnis eines Menschen, der von Abenteuerlust, Arbeitslosigkeit und einem instinktiven Haß auf die neuen "Herren Volksverführer" in einen verzweifelten Amoklauf getrieben wird: "Überall, wo die erbärmliche Kreatur Mensch ihre Hand im Spiel hat, da ist alles verhunzt und verhauen", heißt es darin. "So enden ideale Menschen! Oder muß man mit den Weltverbrechern ins selbe Horn blasen. Unsere Ehrlichkeit hielt uns hiervon ab. Wir sterben gerne."
Die Basler Presse kannte kein Erbarmen. Das Blatt der Kommunisten klagte den "Massenschlächter" Göring als Vater der "kleinen Bestien" an; das "Katholische Volksblatt" machte die allgemeine Sittenverwilderung, die Sozialdemokraten den depressiv gewordenen Kapitalismus verantwortlich, und das "Intelligenzblatt" hetzte gegen die "ausländischen Elemente". Nur in der Jugendbeilage der "Basler Arbeiter-Zeitung" fand sich ein Mädchen, das in den beiden Kriminellen Opfer der Gesellschaft, ja sogar "Menschen von Format", Mut und "innerster Güte und Vornehmheit" entdeckte: wenigstens ein Fräulein Dorly, das ihrem Wuppertaler Bonnie über den Tod hinaus die Treue hielt.
MARTIN HALTER.
Alex Capus: "Fast ein bißchen Frühling". Roman. Residenz Verlag, Salzburg 2002. 175 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Basler Kriminaltango: Alex Capus verfolgt ein Gangsterpärchen
Als Bonnie und Clyde Amerika in Atem hielten, im Winter 1933/34, machte auch hierzulande ein Desperado-Pärchen von sich reden. Waldemar Velte und Kurt Sandweg sind keine Mythen aus dem kollektiven Verbrecheralbum; arbeitslose Ingenieure aus Wuppertal besitzen nun einmal wenig romantische Aura. Aber ihre kriminelle Energie war beträchtlich, und ihr aus Nietzsche, unglücklicher Liebe und einer Portion Anarchismus zusammengebrauter Weltschmerz ließen seinerzeit junge Sozialistinnen schwärmen und schmachten. Am Ende aber lagen neun Menschen tot in ihrem Blute: Bankangestellte, Schweizer Polizeimänner und nicht zuletzt die Täter selbst, die sich am 21. Januar 1934 ihrer Verhaftung durch Selbstmord entzogen. Der Fall erregte in ganz Europa Aufsehen. Nicht nur, weil die Täter sich als politische Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland stilisiert hatten: Den kaltblütigen Mördern war die zärtliche Verehrung für eine kleine Kaufhausangestellte zum Verhängnis geworden.
Auf ihrer ziellosen Flucht - mal wollten sie im republikanischen Spanien ihr Glück, mal "den Seeweg von Wuppertal nach Indien" suchen - waren die beiden Deutschen in Basel gestrandet. Wochenlang machten der kleine, ernste Velte und sein großer, allzeit fröhlicher Komplize Sandweg der "Globus"-Plattenverkäuferin Dorly Schupp den Hof. Tagsüber kauften sie ihr die neusten Tango-Schnulzen ab; Walter Kollos Schlager ("In Deine Hände leg' ich mein ganzes Glück / S' ist nur ein kleines Stück, behüt es fein") war so etwas wie die heimliche Hymne ihrer "platonischen Liebe". Nach Dienstschluß holten sie das Mädchen ab, um Schlittschuh zu laufen oder durch die kalten Straßen zu spazieren. Fräulein Dorly mochte die sanftmütigen Tango-Bubis, aber als sie ihnen auf die Schliche kam, zögerte sie als brave Schweizerin keine Sekunde: Die Übergabe eines "Pfundlaibli Schwarzbrot" an die Hungernden war das Signal zum polizeilichen Zugriff, der Basler Margarethenpark der Garten Gethsemane, in dem die selbsternannten Erlöser ihren Judaskuß erhielten.
Der gelernte Journalist Alex Capus hat aus dieser authentischen Geschichte einen kleinen Kriminaltango gemacht. Ähnliches hatte er schon in seinem Debütroman "Munzinger Pascha" versucht: Werner Munzinger aus Olten hatte es einst im heutigen Eritrea vom Commis voyageur zum Pascha der Khediven und "Schweizer Lawrence von Arabien" gebracht. Das orientalische Dekor des Romans blieb zwar blaß, die erzählerische Distanz zu dem mutmaßlichen Sklavenhändler unterentwickelt; aber so wie der am gleichen Ort verschollene Rimbaud konnte Capus' Pascha von sich behaupten: "Ich bin ein anderer." Sein Alter ego war damals der Oltener Lokaljournalist Max, ein konvertierter Hippie und überzeugter Harley-Fahrer. Manche Kritiker fanden diese Mischung aus ethnologisch-biographischer Studie, sanftmütigem Humor und röhrendem Karl-May-Kitsch "federleicht" und ganz bezaubernd. Tatsächlich aber verbindet Capus nur journalistischen Spürsinn mit unzynischer Menschenfreundlichkeit und einer durchaus sympathischen erzählerischen Arglosigkeit.
"Rette mich vor Weinkennern und Literaturliebhabern, vor fliegenfischenden Deutschen, Tango tanzenden Schweizerinnen und - vor allem - von untreuen Ehefrauen", schrieb er zuletzt in "Mein Studium ferner Welten". Jetzt hat er die beiden Wuppertaler Tangoliebhaber ausgegraben und damit wieder ein glückliches Händchen bewiesen: Immerhin kann er das Gangstermelodram so mit einer Prise unaufdringlicher Zeitkritik würzen und den exakt recherchierten Kriminalfall mit sentimentalen Sehnsuchtsliedern orchestrieren. Capus hat Tatorte besucht, noch lebende Augenzeugen und Verwandte befragt, Polizeiprotokolle, Gerichtsakten und Zeitungsberichte studiert und die Erzählkonstruktion gegenüber seinem "Munzinger Pascha" verfeinert: Er fährt nun nicht mehr als schreibgehemmter Motor-Fuzzi auf den Spuren seiner abenteuerlicheren Hälfte durch ein inneres Afrika, sondern hält sich als Enkel von Dorlys bester Freundin Marie mehr und leiser im Hintergrund auf. Die Collage aus dokumentarischen, erzählenden und autobiographischen Elementen liest sich spannend und gäbe in jedem Falle eine brauchbare Vorlage für ein Fernsehspiel ab.
"Fast ein bißchen Frühling" ist darum aber noch kein literarischer Hochsommer. Wo der reflektierende Erzähler, der Psychologe und Erfinder atmosphärischer Details gefordert wäre, bricht Capus gern mit einem "Undsoweiter" ab. Die beiden Raubmörder werden entweder nach Aktenlage oder aus der Mädchenperspektive beschrieben und bleiben doch immer Scherenschnitte ohne historische oder menschliche Tiefenschärfe. Die Rahmenhandlung - wie Großvater die Großmutter Marie freite und ihr ein Leben lang fremd blieb - bleibt auch im Roman der sanften Mörder ein Fremdkörper.
Am besten ist Capus immer dort, wo er auf die Kraft der Dokumente baut. Veltes Abschiedsbrief etwa ist, bei aller Verworrenheit und Eitelkeit, das ergreifende Zeugnis eines Menschen, der von Abenteuerlust, Arbeitslosigkeit und einem instinktiven Haß auf die neuen "Herren Volksverführer" in einen verzweifelten Amoklauf getrieben wird: "Überall, wo die erbärmliche Kreatur Mensch ihre Hand im Spiel hat, da ist alles verhunzt und verhauen", heißt es darin. "So enden ideale Menschen! Oder muß man mit den Weltverbrechern ins selbe Horn blasen. Unsere Ehrlichkeit hielt uns hiervon ab. Wir sterben gerne."
Die Basler Presse kannte kein Erbarmen. Das Blatt der Kommunisten klagte den "Massenschlächter" Göring als Vater der "kleinen Bestien" an; das "Katholische Volksblatt" machte die allgemeine Sittenverwilderung, die Sozialdemokraten den depressiv gewordenen Kapitalismus verantwortlich, und das "Intelligenzblatt" hetzte gegen die "ausländischen Elemente". Nur in der Jugendbeilage der "Basler Arbeiter-Zeitung" fand sich ein Mädchen, das in den beiden Kriminellen Opfer der Gesellschaft, ja sogar "Menschen von Format", Mut und "innerster Güte und Vornehmheit" entdeckte: wenigstens ein Fräulein Dorly, das ihrem Wuppertaler Bonnie über den Tod hinaus die Treue hielt.
MARTIN HALTER.
Alex Capus: "Fast ein bißchen Frühling". Roman. Residenz Verlag, Salzburg 2002. 175 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2002Der Ärmelschonertango
Kurios: Alex Capus schwärmt in „Fast ein bißchen Frühling”
Alex Capus hat ein sprödes und gottlos verwirrendes Buch geschrieben: die authentische Chronik zweier junger Männer, die aus Hitlerdeutschland auf dem Seeweg von Wuppertal nach Indien fliehen möchten, aber nur bis Basel kommen. Weil ihnen für die Reise das Geld fehlt, überfallen sie in Stuttgart eine Bank, ein Bürodiener kommt ihnen in die Quere, der Kassierer ist tot. Die Toten werden von den beiden weder gezählt noch kommentiert. Sie morden ohne Lust, ohne Skrupel und ohne nennenswerte Beute. Im Januar 1934 liegen Kurt Sandweg und Waldemar Velte im Alter von vierundzwanzig Jahren selbst auf dem Tisch der Anatomischen Anstalt der Baseler Universität. In Sandwegs Schädel findet der Pathologe zwei Kugeln, Waldemar Velte hat ein Herzschuss hingestreckt. Dass sich der Fall tatsächlich zugetragen hat, dokumentiert der Verlag mit Zeitungsauschnitten, Polizeiakten und Fotos der malerisch vor einer Parkbank hingestreckten Leichen.
Das fünfte Gebot
Den einundvierzigjährigen Schweizer Alex Capus plagen große Fragen. Wie können Menschen reuelose Mörder und gleichzeitig Gegner des aufblühenden Hitlerdeutschland sein? Was tut der Mensch, der aufbegehrt, weder Parteimitglied werden, noch zum Arbeitsdienst will und an der Wuppertaler Schwebebahn auch kein Vergnügen findet? Er rutscht in was rein und verwechselt alles miteinander, den Tango mit den Pistolen, die Rebellion mit dem 5. Gebot.
Die Kritik hat Alex Capus nach dem Erscheinen der Bücher „Munzinger Pascha” (1997), „Eigermönchundjungfrau” (1998) und „Mein Studium ferner Welten” (2001) einen „wunderbaren Erzähler” genannt. Bis jetzt hat ihm das nicht viel geholfen. Mit diesem Roman könnte sich das ändern: Was feuert die Phantasie des lesenden Publikums stärker an, als kuriose Serienmörder aus dem wirklichen Leben? Nie hatte die Doku-Fiktion einen höheren Stellenwert als derzeit.
Capus orientiert sich an der Sprache der Akten und hält den Ton aufrichtiger Nüchternheit durch. Dass er einen Humor liebt, in dem Joachim Ringelnatz immer noch die Meisterschaft hat, beweist er gleich in den ersten Sätzen, brutalste Dinge schildert er in himmlischer Ruh'. Umgangsformen aus dem Klima des „Untertan” werden mit den bekannten Utensilien wie Ärmelschoner, Eheverträgen, Grammophone, Fräuleins, Kittelschürzen, Zimtzicken knapp umrissen. Ein bisschen kokett zieht Capus Parallelen zum Fall „Bonnie & Clyde”, der 1934 Amerika erschütterte. Bitte sehr, hier ist das Buch, dreht einen Film dazu!
„Homosexuell? Da kennen Sie die aber schlecht”, Kurt Sandweg und Waldemar Velte sind Gentlemen mit beinharten Nerven, einem starken Schlag ins keusch Romantische und lächerlich viel Pech. Weil ihre Stuttgarter Beute gering war, schlagen sie sich in die Schweiz durch, finden in der Schallplattenabteilung des Baseler Kaufhauses Globus an Dorly Schupp Gefallen, vergessen, dass die Polizei sie sucht, bestellen jeden Tag eine neue Platte, denn den Tango lieben sie sehr, verabreden sich an der Uhr mit dem Fräulein Dorly, die das Fräulein Marie mitbringt und dem Erzähler Gelegenheit gibt, das ganze als eine Familienherzblatt-Geschichte auszugeben. Als Drama im Leben des hinterwäldlerischen Großvaters, dem das Fräulein Marie längst versprochen war, bevor es sich in den Ganoven Kurt verguckt hatte.
Glanzstücke des kleinen Romans sind die nächtlichen Spaziergänge der beiden Freunde mit den zwei Frauen. Nichts Anzügliches, sie gehen nebeneinander her wie „zwei Kutschpferde”, um zwölf ist Schluss. So sittsam geht es zu, am Arm von Verbrechern, die eigentlich nur ein anderes Leben suchten. Später wird Dorly sagen, sie hatte das Gefühl, dass Waldemar Velte zugleich an Fernweh und Heimweh litt. Dieses Motiv durchzieht Capus' Bücher. Hier ist er der gewissenhafte und kaltblütige Chronist, der sich vor Richtersprüchen hütet. Weil der gute Mensch das Böse liebt, amüsiert ihn diese wahre, blutige Moritat. Sie ist gut beschrieben. Man sitzt da, weiß, dass man sich gruseln müsste, und lacht.
VERENA AUFFERMANN
ALEX CAPUS: Fast ein bißchen Frühling. Roman. Residenz Verlag, Salzburg 2002. 175 Seiten. 17,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Kurios: Alex Capus schwärmt in „Fast ein bißchen Frühling”
Alex Capus hat ein sprödes und gottlos verwirrendes Buch geschrieben: die authentische Chronik zweier junger Männer, die aus Hitlerdeutschland auf dem Seeweg von Wuppertal nach Indien fliehen möchten, aber nur bis Basel kommen. Weil ihnen für die Reise das Geld fehlt, überfallen sie in Stuttgart eine Bank, ein Bürodiener kommt ihnen in die Quere, der Kassierer ist tot. Die Toten werden von den beiden weder gezählt noch kommentiert. Sie morden ohne Lust, ohne Skrupel und ohne nennenswerte Beute. Im Januar 1934 liegen Kurt Sandweg und Waldemar Velte im Alter von vierundzwanzig Jahren selbst auf dem Tisch der Anatomischen Anstalt der Baseler Universität. In Sandwegs Schädel findet der Pathologe zwei Kugeln, Waldemar Velte hat ein Herzschuss hingestreckt. Dass sich der Fall tatsächlich zugetragen hat, dokumentiert der Verlag mit Zeitungsauschnitten, Polizeiakten und Fotos der malerisch vor einer Parkbank hingestreckten Leichen.
Das fünfte Gebot
Den einundvierzigjährigen Schweizer Alex Capus plagen große Fragen. Wie können Menschen reuelose Mörder und gleichzeitig Gegner des aufblühenden Hitlerdeutschland sein? Was tut der Mensch, der aufbegehrt, weder Parteimitglied werden, noch zum Arbeitsdienst will und an der Wuppertaler Schwebebahn auch kein Vergnügen findet? Er rutscht in was rein und verwechselt alles miteinander, den Tango mit den Pistolen, die Rebellion mit dem 5. Gebot.
Die Kritik hat Alex Capus nach dem Erscheinen der Bücher „Munzinger Pascha” (1997), „Eigermönchundjungfrau” (1998) und „Mein Studium ferner Welten” (2001) einen „wunderbaren Erzähler” genannt. Bis jetzt hat ihm das nicht viel geholfen. Mit diesem Roman könnte sich das ändern: Was feuert die Phantasie des lesenden Publikums stärker an, als kuriose Serienmörder aus dem wirklichen Leben? Nie hatte die Doku-Fiktion einen höheren Stellenwert als derzeit.
Capus orientiert sich an der Sprache der Akten und hält den Ton aufrichtiger Nüchternheit durch. Dass er einen Humor liebt, in dem Joachim Ringelnatz immer noch die Meisterschaft hat, beweist er gleich in den ersten Sätzen, brutalste Dinge schildert er in himmlischer Ruh'. Umgangsformen aus dem Klima des „Untertan” werden mit den bekannten Utensilien wie Ärmelschoner, Eheverträgen, Grammophone, Fräuleins, Kittelschürzen, Zimtzicken knapp umrissen. Ein bisschen kokett zieht Capus Parallelen zum Fall „Bonnie & Clyde”, der 1934 Amerika erschütterte. Bitte sehr, hier ist das Buch, dreht einen Film dazu!
„Homosexuell? Da kennen Sie die aber schlecht”, Kurt Sandweg und Waldemar Velte sind Gentlemen mit beinharten Nerven, einem starken Schlag ins keusch Romantische und lächerlich viel Pech. Weil ihre Stuttgarter Beute gering war, schlagen sie sich in die Schweiz durch, finden in der Schallplattenabteilung des Baseler Kaufhauses Globus an Dorly Schupp Gefallen, vergessen, dass die Polizei sie sucht, bestellen jeden Tag eine neue Platte, denn den Tango lieben sie sehr, verabreden sich an der Uhr mit dem Fräulein Dorly, die das Fräulein Marie mitbringt und dem Erzähler Gelegenheit gibt, das ganze als eine Familienherzblatt-Geschichte auszugeben. Als Drama im Leben des hinterwäldlerischen Großvaters, dem das Fräulein Marie längst versprochen war, bevor es sich in den Ganoven Kurt verguckt hatte.
Glanzstücke des kleinen Romans sind die nächtlichen Spaziergänge der beiden Freunde mit den zwei Frauen. Nichts Anzügliches, sie gehen nebeneinander her wie „zwei Kutschpferde”, um zwölf ist Schluss. So sittsam geht es zu, am Arm von Verbrechern, die eigentlich nur ein anderes Leben suchten. Später wird Dorly sagen, sie hatte das Gefühl, dass Waldemar Velte zugleich an Fernweh und Heimweh litt. Dieses Motiv durchzieht Capus' Bücher. Hier ist er der gewissenhafte und kaltblütige Chronist, der sich vor Richtersprüchen hütet. Weil der gute Mensch das Böse liebt, amüsiert ihn diese wahre, blutige Moritat. Sie ist gut beschrieben. Man sitzt da, weiß, dass man sich gruseln müsste, und lacht.
VERENA AUFFERMANN
ALEX CAPUS: Fast ein bißchen Frühling. Roman. Residenz Verlag, Salzburg 2002. 175 Seiten. 17,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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