Brückenkonstruktionen haben seit jeher die Phantasie großer Ingenieure und Architekten herausgefordert - auch wenn es unter den zeitgenössischen Bauwerken zahlreiche monotone Lösungen gibt. Was ist es also, das eine Brücke zu einem Bau-Kunstwerk macht? Was macht den Reiz vieler alter Brücken aus? Wie können heute wieder Brücken mit vergleichbarer Qualität gebaut werden? Diesen Fragen geht der Autor anhand von authentischem Material in großer Fülle nach. Sein Resümee für den heutigen Brückenbau zieht er aus seinen eigenen Bauwerken und Entwürfen. Dabei nimmt er die verlorenen Qualitäten vergangener Brückenbaukunst wieder auf, um zu neuer Gestaltsqualität, Vielfalt und technischer Perfektion zu finden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.1998Wodurch wird eine Brücke zu einem Werk der Baukunst?
Ein Architekt macht sich Gedanken über das Wirken seiner Zunft und der Ingenieure auf einem technischen Spezialgebiet
Wer baut die attraktiveren Brücken - Bauingenieure oder Architekten? Auf diese Frage gibt es gewiß keine eindeutige Antwort. Immer wird die Meinung vom Standpunkt des Urteilenden abhängen. Und zudem verschließt sich das Abwägen, ob eine neu errichtete Brücke nun eine Bereicherung der Baukunst darstellt oder nicht, weitgehend objektiven Kriterien. Auch Brücken unterliegen unterschiedlichen Vorstellungen von Harmonie und Geschmack.
Wer sich also mit den Glanzleistungen des Brückenbaus zurückliegender Epochen beschäftigt, kommt recht rasch auf die ganzheitliche Kunst der Baumeister zu sprechen. So verweist auch der Münchener Architekt Richard J. Dietrich in seinem neu erschienenen Buch "Faszination Brücken" (Baukunst, Technik, Geschichte, Callwey Verlag, München, 272 Seiten, mehr als 400 Abbildungen und Pläne, 99,90 Mark) auf die großen Baumeister des 19. Jahrhunderts. Da sah man Brücken noch als Gegenstand der Baukunst und als Ganzes, und angehende Baumeister mußten noch das volle Spektrum der technischen und gestalterischen Aspekte des Bauwesens beherrschen. Den Niedergang des Brückenbaus gerade nach dem Zweiten Weltkrieg sieht Dietrich in der Teilung in Spezialgebiete begründet: Brücken gehörten plötzlich zur Kategorie Tiefbau und wurden damit zur Sache der Bauingenieure, obwohl diese Bauwerke doch aus dem Gelände hervorragen. Und die grundsätzlich weniger an Fragen der Konstruktion und Statik interessierten Architekten beschäftigten sich fast ausschließlich mit dem sogenannten Hochbau. Diese Teilung der Aufgaben und die Dominanz des Stahlbetons hätten dazu geführt, daß aus der konstruktiven und gestalterischen Vielfalt im Brückenbau der Vergangenheit heute eine große Einfalt geworden ist. Nicht unwesentlichen Anteil an der Verarmung bei unterschiedlichen Konstruktionsprinzipien, schreibt Dietrich, haben auch die Auftraggeber. Das sind die Tiefbauämter der Kommunen, die Bauverwaltungen der Bahn, der Straße und der Bundesautobahnen. Hier haben Ingenieure das Sagen, die sich nur allzu gern auf das geltende Regelwerk stützen und damit den gesamten Brückenbau langweilig machen. Auch die Suche nach immer noch kostengünstigeren Lösungen haben Brücken plump und dick gemacht: Aus der klassischen Gewölbebogenbrücke wurde die Balkenbrücke, aus filigranen, materialsparenden Fachwerkträgern wurden stämmige, zwar materialintensivere, aber leichter herzustellende Vollwandoder Kastenträger.
Nach diesen Klagen in der Einführung zu seinem Buch verweist der Autor auf die erfreuliche Tatsache, daß sich in den letzten Jahren immer mehr Star-Architekten auf das Gebiet des Brückenbaus vorgewagt haben. Als Beispiel nennt er hier den Spanier Santiago Calatrava, der Brücken mit überraschender Formenvielfalt gestaltet und damit der Welt gezeigt hat, daß sie keine Zweckbauten sein müssen. Das Vordringen nicht nur dieses, sondern auch anderer Architekten hat nach Auffassung von Dietrich die Abgrenzung zu den Ingenieuren ins Wanken gebracht oder zumindest eine Diskussion ausgelöst: "Die sich in ihrer Zuständigkeit bedroht fühlenden Ingenieure werfen den Architekten mangelnde Kompetenz in technischer und konstruktiver Hinsicht vor, die Architekten wiederum den Ingenieuren fehlende Phantasie und Gestaltungskraft, und beide Seiten haben nicht ganz unrecht." Eine Einigung im Sinne einer gemeinsamen Konzeption stehe noch aus. Auch äußert der Autor Zweifel am Funktionieren kombinierter Ingenieur- und Architektenwettbewerbe für Brücken. Der Erfolg solcher Teamarbeit sei grundsätzlich zweifelhaft, denn Baukunst sei nicht teilbar: Bei einer Brücke ist die Konstruktion ein wesentliches Element der Gestaltung und kann nicht unabhängig davon entworfen werden.
Diesen von Dietrich auf den ersten Seiten seines Buches zusammengefaßten grundsätzlichen Überlegungen folgen zwei Hauptkapitel: In den "Grundlagen" werden überaus anschaulich anhand zahlloser Beispiele das Wesen und das Werden der Brückenbaukunst erläutert, und auf diese noch eher theoretische Abhandlung folgt dann im Teil "Vorbilder" die Umsetzung, dargestellt anhand von sechzehn ausgewählten Brücken. Es beginnt mit der Ponte di Santa Trinitá in Florenz und endet mit der Golden Gate Bridge von San Francisco.
Mit dieser Demonstration großer Brückenbaukunst ist das Ende des Buchs jedoch noch nicht erreicht. Das Abschlußkapitel ist ganz der eigenen Arbeit des Verfassers gewidmet. Hier stößt man gleich auf die hölzerne Spannbandbrücke über den Main-Donau-Kanal bei Essing. In Anlehnung an das uralte Prinzip der frei hängenden Seilbrücke wurden neun brettschichtverleimte Holzbalken über drei Pfeilerbögen zu den massiven Brückenköpfen gezogen und zu einem Spannband verbunden.
Auch am Ende dieses "Nabelschaukapitels" steht eine Spannbandbrücke, die Dietrich im Zuge eines Wettbewerbs als Isar-Querung bei Grünwald vorgeschlagen hatte. Anders als die Altmühl-Brücke wird diese, wie Dietrich schreibt, zwar ungewöhnliche, aber vollkommen realistische Brücke nicht gebaut. Etwas verbittert klingt es, wenn er hinzufügt, "dies ist keine schlechte Lösung, aber für die Wettbewerbsjury galt sie, obwohl rechnerisch nachgewiesen, als nicht machbar und war nicht einmal einen Ankauf wert".
GEORG KÜFFNER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Architekt macht sich Gedanken über das Wirken seiner Zunft und der Ingenieure auf einem technischen Spezialgebiet
Wer baut die attraktiveren Brücken - Bauingenieure oder Architekten? Auf diese Frage gibt es gewiß keine eindeutige Antwort. Immer wird die Meinung vom Standpunkt des Urteilenden abhängen. Und zudem verschließt sich das Abwägen, ob eine neu errichtete Brücke nun eine Bereicherung der Baukunst darstellt oder nicht, weitgehend objektiven Kriterien. Auch Brücken unterliegen unterschiedlichen Vorstellungen von Harmonie und Geschmack.
Wer sich also mit den Glanzleistungen des Brückenbaus zurückliegender Epochen beschäftigt, kommt recht rasch auf die ganzheitliche Kunst der Baumeister zu sprechen. So verweist auch der Münchener Architekt Richard J. Dietrich in seinem neu erschienenen Buch "Faszination Brücken" (Baukunst, Technik, Geschichte, Callwey Verlag, München, 272 Seiten, mehr als 400 Abbildungen und Pläne, 99,90 Mark) auf die großen Baumeister des 19. Jahrhunderts. Da sah man Brücken noch als Gegenstand der Baukunst und als Ganzes, und angehende Baumeister mußten noch das volle Spektrum der technischen und gestalterischen Aspekte des Bauwesens beherrschen. Den Niedergang des Brückenbaus gerade nach dem Zweiten Weltkrieg sieht Dietrich in der Teilung in Spezialgebiete begründet: Brücken gehörten plötzlich zur Kategorie Tiefbau und wurden damit zur Sache der Bauingenieure, obwohl diese Bauwerke doch aus dem Gelände hervorragen. Und die grundsätzlich weniger an Fragen der Konstruktion und Statik interessierten Architekten beschäftigten sich fast ausschließlich mit dem sogenannten Hochbau. Diese Teilung der Aufgaben und die Dominanz des Stahlbetons hätten dazu geführt, daß aus der konstruktiven und gestalterischen Vielfalt im Brückenbau der Vergangenheit heute eine große Einfalt geworden ist. Nicht unwesentlichen Anteil an der Verarmung bei unterschiedlichen Konstruktionsprinzipien, schreibt Dietrich, haben auch die Auftraggeber. Das sind die Tiefbauämter der Kommunen, die Bauverwaltungen der Bahn, der Straße und der Bundesautobahnen. Hier haben Ingenieure das Sagen, die sich nur allzu gern auf das geltende Regelwerk stützen und damit den gesamten Brückenbau langweilig machen. Auch die Suche nach immer noch kostengünstigeren Lösungen haben Brücken plump und dick gemacht: Aus der klassischen Gewölbebogenbrücke wurde die Balkenbrücke, aus filigranen, materialsparenden Fachwerkträgern wurden stämmige, zwar materialintensivere, aber leichter herzustellende Vollwandoder Kastenträger.
Nach diesen Klagen in der Einführung zu seinem Buch verweist der Autor auf die erfreuliche Tatsache, daß sich in den letzten Jahren immer mehr Star-Architekten auf das Gebiet des Brückenbaus vorgewagt haben. Als Beispiel nennt er hier den Spanier Santiago Calatrava, der Brücken mit überraschender Formenvielfalt gestaltet und damit der Welt gezeigt hat, daß sie keine Zweckbauten sein müssen. Das Vordringen nicht nur dieses, sondern auch anderer Architekten hat nach Auffassung von Dietrich die Abgrenzung zu den Ingenieuren ins Wanken gebracht oder zumindest eine Diskussion ausgelöst: "Die sich in ihrer Zuständigkeit bedroht fühlenden Ingenieure werfen den Architekten mangelnde Kompetenz in technischer und konstruktiver Hinsicht vor, die Architekten wiederum den Ingenieuren fehlende Phantasie und Gestaltungskraft, und beide Seiten haben nicht ganz unrecht." Eine Einigung im Sinne einer gemeinsamen Konzeption stehe noch aus. Auch äußert der Autor Zweifel am Funktionieren kombinierter Ingenieur- und Architektenwettbewerbe für Brücken. Der Erfolg solcher Teamarbeit sei grundsätzlich zweifelhaft, denn Baukunst sei nicht teilbar: Bei einer Brücke ist die Konstruktion ein wesentliches Element der Gestaltung und kann nicht unabhängig davon entworfen werden.
Diesen von Dietrich auf den ersten Seiten seines Buches zusammengefaßten grundsätzlichen Überlegungen folgen zwei Hauptkapitel: In den "Grundlagen" werden überaus anschaulich anhand zahlloser Beispiele das Wesen und das Werden der Brückenbaukunst erläutert, und auf diese noch eher theoretische Abhandlung folgt dann im Teil "Vorbilder" die Umsetzung, dargestellt anhand von sechzehn ausgewählten Brücken. Es beginnt mit der Ponte di Santa Trinitá in Florenz und endet mit der Golden Gate Bridge von San Francisco.
Mit dieser Demonstration großer Brückenbaukunst ist das Ende des Buchs jedoch noch nicht erreicht. Das Abschlußkapitel ist ganz der eigenen Arbeit des Verfassers gewidmet. Hier stößt man gleich auf die hölzerne Spannbandbrücke über den Main-Donau-Kanal bei Essing. In Anlehnung an das uralte Prinzip der frei hängenden Seilbrücke wurden neun brettschichtverleimte Holzbalken über drei Pfeilerbögen zu den massiven Brückenköpfen gezogen und zu einem Spannband verbunden.
Auch am Ende dieses "Nabelschaukapitels" steht eine Spannbandbrücke, die Dietrich im Zuge eines Wettbewerbs als Isar-Querung bei Grünwald vorgeschlagen hatte. Anders als die Altmühl-Brücke wird diese, wie Dietrich schreibt, zwar ungewöhnliche, aber vollkommen realistische Brücke nicht gebaut. Etwas verbittert klingt es, wenn er hinzufügt, "dies ist keine schlechte Lösung, aber für die Wettbewerbsjury galt sie, obwohl rechnerisch nachgewiesen, als nicht machbar und war nicht einmal einen Ankauf wert".
GEORG KÜFFNER
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