Diese Arbeit [... ]stellt zunächst Betrachtungsweisen der seit den 1990er-Jahren entstandenen Bildwissenschaft vor, die auch die Literaturwissenschaft nach dem »pictural turn« zu einer Erweiterung ihres Bildbegriffs angeregt haben. Der Begriff vom 'pictural' oder 'visual' turn geht auf den amerikanischen Kunsthistoriker W. J. T. Mitchell zurück, der das Zusammenspiel des Sichtbaren und des Sagbaren in allen kulturellen Bereichen, von der Literatur über die bildende Kunst bis zu den Massenmedien, untersucht hat. Es geht dieser Arbeit auch um die »Übersetzung« von Bildsujets und deren Funktion als Bildspender in verbale Beschreibungen oder szenische Auflösungen des Dargestellten. Die Literaturwissenschaftlerin Veronika Darian hatte in ihrer Monografie Das Theater der Bildbeschreibung. Sprache, Macht und Bild in Zeiten der Souveränität am Beispiel von Diego Velázquez' Gemälde Las Meninas neueste Forschungen der Kunstgeschichte vorgestellt und ging von der These aus, dass Rückgriffe auf das komplementäre Medium der bildenden Kunst immer dann erfolgen, wenn erkannt werde, »dass diesem Anderen die Fähigkeiten und Energien innewohnen, die im eigenen Vermögen vermisst werden«.Die vorliegende Arbeit kommt am Beispiel von Schmidts Kurzroman zu ähnlichen, wenn auch anders akzentuierten Ergebnissen: Bilderfahrungen sind geradezu konstitutiv für die Romane Schmidts, und Gemälde geben dabei mehr als einen erzählerischen Rahmen ab. Im Spätwerk werden text-visuelle Techniken einer Schriftbildlichkeit zunehmend wichtiger für sein Schreiben, auch darauf wird ein Blick geworfen. Einer anderen Implikation Darians kann hier ebenfalls nur teilweise gefolgt werden, die Bildbeschreibung überforme das beschriebene Gemälde, sie begebe sich mit ihren eigenen Intentionen an seine Stelle. Auch hier wird die Arbeit mit Blick auf das Schmidt'sche Schreibprogramm zu anderslautenden Ergebnissen gelangen.Einen weiteren Schwerpunkt der Arbeit bildet der Bezug zum Otto-Mueller-Komplex im Werk Schmidts, angestoßen von dem imaginären Besuch seines Protagonisten Heinrich Düring in der Hamburger Kunsthalle und seiner Begegnung mit dem Gemälde Mädchen im Grünen des früheren Brücke-Malers Otto Mueller (1874-1930). Schon im Frühwerk Schmidts haben sich die Grenzen von Bildkunst und Literatur verflüssigt und die vielgestaltigen Beziehungen beider Kunstrichtungen sichtbar werden lassen. Dies rechtfertigt den komparativen Ansatz dieser Studie.Nicht verschwiegen werden soll, dass bei der Relektüre des Kurzromans von Arno Schmidt auch meine Begeisterung für diesen in jeder Hinsicht besonderen Künstler des frühen 20. Jahrhunderts, der im künstlerischen Expressionismus eine Sonderstellung einnimmt, vertieft wurde.Ulrich Klappstein