Produktdetails
- Verlag: ars una
- Seitenzahl: 803
- Deutsch
- Abmessung: 245mm
- Gewicht: 1426g
- ISBN-13: 9783893913060
- Artikelnr.: 24844504
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.07.1997Kniffliges aus Knittlingen
Günther Mahal kennt die Heimat des Schwarzkünstlers Dr. Faust
Die "Historia von D. Johann Fausten" berichtete 1587 von den gruseligen Einzelheiten, die den Tod des Teufelsbündners begleitet hatten, nachdem der Teufel ihn "von einer Wand zur andern" geworfen hatte. Mindestens acht Orte haben behauptet, daß Faust in ihren Mauern vom Satan geholt worden sei. An mehreren dieser Lokalitäten bekommt der Bildungstourist, der auszieht, das Fürchten zu lernen, zum Beweis die Blutflecken an der Wand zu sehen - im Kloster Maulbronn gleich an zwei Stellen, im Faustturm und im Faustloch.
Hinter mancher der lokalen Legenden verbirgt sich eine dünne Spur des historischen Faust. Möglicherweise starb der Alchimist in seinem Laboratorium bei einem Arbeitsunfall. Seine Zeitgenossen mögen sich die allzu heftige chemische Reaktion als höllische Aktion erklärt haben. Neun Dokumente sind bekannt, in denen ein Faustus erwähnt wird, doch stets entweder beiläufig oder dunkel.
Wo es wenig Quellen gibt, bleibt viel Platz für wissenschaftliche Studien. Schon zu seinen Lebzeiten hatte der Doktor die Phantasie des Volkes wie der Gelehrten beschäftigt, und so wurde, wie Günther Mahal schreibt, sehr früh die Grundlage "für einen vom biographischen Faust kategorial unterschiedenen literarischen Faust" gelegt. Weder Geburt noch Tod des "weitbeschreyten Zauberers und Schwarzkünstlers" sind eindeutig datierbar. Hinsichtlich seines Geburts- und Studienorts haben sich in den letzten Jahren zwei gegensätzliche Meinungen gebildet.
Die eine Partei, deren Haupt der Amerikaner Frank Baron ist, sieht Fausts Herkunft aus Helmstadt und sein Studium im nahegelegenen Heidelberg als erwiesen an. Faust habe eigentlich Georg Helmstetter geheißen; den Namen, unter dem er später berühmt wurde, habe sich der ehrgeizige Student nach Humanistenmode zugelegt. Ein "Georius Helmstetter", "Jorius de Helmstat" oder auch "Jeorius Helmstadt" findet sich in den Heidelberger Immatrikulationslisten der Jahre 1483 bis 1487.
Allerdings muß Baron zugeben, daß in diesem Zusammenhang nirgendwo der Gelehrtenname Faustus genannt wird. Er finde sich indes in einem Brief des Humanisten Mutianus Rufus, der 1513 berichtete, in einem Erfurter Wirtshaus einen "Georgius Faustus Helmitheus Hedelbergensis" getroffen zu haben. Die Anhänger der Heidelberg-These plädieren dafür, die Bezeichnung "Helmitheus" als eine verschriebene Version von "Helmstetensis" oder "Helmstetius" zu lesen.
Das sind eher wackelige Konstruktionen. Mahal, der die Gegenpartei vertritt, spricht von "buchstabenschiebender Fliegenbeinzählerei". Was hat Mahal zu bieten? Er stützt die These, Faust sei mit "95% Wahrscheinlichkeit" in Knittlingen geboren, auf eine Äußerung des Johannes Manlius, der 1565 ein Buch mit Aussprüchen seines Lehrers Melanchthon herausgab und diesem den Satz in den Mund legte, er habe "einen gekennet/ mit nammen Faustus von Kundling".
Melanchthon stammte aus dem württembergischen Ort Bretten, der nur wenige Kilometer von Knittlingen entfernt ist. Daß Kundling eine der vielen Varianten des heutigen Ortsnamens Knittlingen sei, mag stimmen. Außerdem muß Mahal aber erstens eine nicht belegte frühe Bekanntschaft zwischen Melanchthon und Faust annehmen sowie zweitens Manlius' Text, der im übrigen ganz im Stil der Faust-Legenden gehalten ist, verteidigen. Zumindest den ersten Satz mit dem geographischen Hinweis muß Mahal für unverdächtig erklären. Weiterhin kann er einige Funde in Knittlingen als Indizien anführen, die zwar tatsächlich die Existenz eines örtlichen Alchimisten, aber nicht unbedingt dessen Identität mit Faust nahelegen.
Das wackelt alles kaum weniger als die Konstruktion der Gegenpartei. Mahal weiß das auch, will es aber nicht wahrhaben, und so schwankt er zwischen der Behauptung, daß seine Quellenkritik den "Geburtsort Fausts zweifelsfrei" nachweise, und der vorsichtigeren Formulierung, keinen "vollgültigen Beweis", sondern nur ein weiteres "Indiz" beigebracht zu haben. Ohnehin faßt der Leser sehr bald der Verdacht, daß der Verfasser, der das Faust-Museum in Knittlingen leitet, doch ein wenig pro domo schreibe. Glänzend gelingt ihm die Decouvrierung der Maulbronner Legenden, die erst im neunzehnten Jahrhundert so richtig in Schwung kamen. Etwas getrübt ist sein Blick dagegen angesichts der Knittlinger Wirklichkeit.
Durch den Ort lief im sechzehnten Jahrhundert eine Postroute, und so soll der von Mahal erschlossene Jörg Faust eines Tages einen Reisenden kennengelernt haben, "der mit merkwürdigem Glasgerät unterwegs war" und dem Knaben bald "einige Auskunft über seine Profession als Alchemist gab". Dies sei der Beginn einer großen Autodidaktenkarriere gewesen, denn Faust habe nie eine Universität besucht, und der Doktortitel sei ihm vom Volk verliehen worden. Nachdem der Fremde bei einer späteren Durchreise den eifrig Bemühten "vielleicht examiniert" hatte, richtete Faust sich nach und nach ein eigenes Laboratorium in Knittlingen ein und wurde "möglicherweise" Haupt eines Familienbetriebs, "in dem seine Frau die Aufträge entgegennahm und später das Bestellte aushändigte".
Bei der Beschreibung dieser gänzlich unfaustischen Idylle verwandelt sich der Historiker in einen Heimatdichter, der einen freieren Umgang mit der Wirklichkeit pflegen darf. In dieser aber stehen die Knittlinger auch als "Fauststädter" unverändert fest mit beiden Beinen. "Faust-Wein" schenken sie aus, und sie servieren "Fauststädter Kutteln". STEFAN BUSCH
Günther Mahal: "Faust. Und Faust". Der Teufelsbündner in Knittlingen und Maulbronn. Attempto Verlag, Tübingen 1997. 216 S., 89 Abb., geb., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Günther Mahal kennt die Heimat des Schwarzkünstlers Dr. Faust
Die "Historia von D. Johann Fausten" berichtete 1587 von den gruseligen Einzelheiten, die den Tod des Teufelsbündners begleitet hatten, nachdem der Teufel ihn "von einer Wand zur andern" geworfen hatte. Mindestens acht Orte haben behauptet, daß Faust in ihren Mauern vom Satan geholt worden sei. An mehreren dieser Lokalitäten bekommt der Bildungstourist, der auszieht, das Fürchten zu lernen, zum Beweis die Blutflecken an der Wand zu sehen - im Kloster Maulbronn gleich an zwei Stellen, im Faustturm und im Faustloch.
Hinter mancher der lokalen Legenden verbirgt sich eine dünne Spur des historischen Faust. Möglicherweise starb der Alchimist in seinem Laboratorium bei einem Arbeitsunfall. Seine Zeitgenossen mögen sich die allzu heftige chemische Reaktion als höllische Aktion erklärt haben. Neun Dokumente sind bekannt, in denen ein Faustus erwähnt wird, doch stets entweder beiläufig oder dunkel.
Wo es wenig Quellen gibt, bleibt viel Platz für wissenschaftliche Studien. Schon zu seinen Lebzeiten hatte der Doktor die Phantasie des Volkes wie der Gelehrten beschäftigt, und so wurde, wie Günther Mahal schreibt, sehr früh die Grundlage "für einen vom biographischen Faust kategorial unterschiedenen literarischen Faust" gelegt. Weder Geburt noch Tod des "weitbeschreyten Zauberers und Schwarzkünstlers" sind eindeutig datierbar. Hinsichtlich seines Geburts- und Studienorts haben sich in den letzten Jahren zwei gegensätzliche Meinungen gebildet.
Die eine Partei, deren Haupt der Amerikaner Frank Baron ist, sieht Fausts Herkunft aus Helmstadt und sein Studium im nahegelegenen Heidelberg als erwiesen an. Faust habe eigentlich Georg Helmstetter geheißen; den Namen, unter dem er später berühmt wurde, habe sich der ehrgeizige Student nach Humanistenmode zugelegt. Ein "Georius Helmstetter", "Jorius de Helmstat" oder auch "Jeorius Helmstadt" findet sich in den Heidelberger Immatrikulationslisten der Jahre 1483 bis 1487.
Allerdings muß Baron zugeben, daß in diesem Zusammenhang nirgendwo der Gelehrtenname Faustus genannt wird. Er finde sich indes in einem Brief des Humanisten Mutianus Rufus, der 1513 berichtete, in einem Erfurter Wirtshaus einen "Georgius Faustus Helmitheus Hedelbergensis" getroffen zu haben. Die Anhänger der Heidelberg-These plädieren dafür, die Bezeichnung "Helmitheus" als eine verschriebene Version von "Helmstetensis" oder "Helmstetius" zu lesen.
Das sind eher wackelige Konstruktionen. Mahal, der die Gegenpartei vertritt, spricht von "buchstabenschiebender Fliegenbeinzählerei". Was hat Mahal zu bieten? Er stützt die These, Faust sei mit "95% Wahrscheinlichkeit" in Knittlingen geboren, auf eine Äußerung des Johannes Manlius, der 1565 ein Buch mit Aussprüchen seines Lehrers Melanchthon herausgab und diesem den Satz in den Mund legte, er habe "einen gekennet/ mit nammen Faustus von Kundling".
Melanchthon stammte aus dem württembergischen Ort Bretten, der nur wenige Kilometer von Knittlingen entfernt ist. Daß Kundling eine der vielen Varianten des heutigen Ortsnamens Knittlingen sei, mag stimmen. Außerdem muß Mahal aber erstens eine nicht belegte frühe Bekanntschaft zwischen Melanchthon und Faust annehmen sowie zweitens Manlius' Text, der im übrigen ganz im Stil der Faust-Legenden gehalten ist, verteidigen. Zumindest den ersten Satz mit dem geographischen Hinweis muß Mahal für unverdächtig erklären. Weiterhin kann er einige Funde in Knittlingen als Indizien anführen, die zwar tatsächlich die Existenz eines örtlichen Alchimisten, aber nicht unbedingt dessen Identität mit Faust nahelegen.
Das wackelt alles kaum weniger als die Konstruktion der Gegenpartei. Mahal weiß das auch, will es aber nicht wahrhaben, und so schwankt er zwischen der Behauptung, daß seine Quellenkritik den "Geburtsort Fausts zweifelsfrei" nachweise, und der vorsichtigeren Formulierung, keinen "vollgültigen Beweis", sondern nur ein weiteres "Indiz" beigebracht zu haben. Ohnehin faßt der Leser sehr bald der Verdacht, daß der Verfasser, der das Faust-Museum in Knittlingen leitet, doch ein wenig pro domo schreibe. Glänzend gelingt ihm die Decouvrierung der Maulbronner Legenden, die erst im neunzehnten Jahrhundert so richtig in Schwung kamen. Etwas getrübt ist sein Blick dagegen angesichts der Knittlinger Wirklichkeit.
Durch den Ort lief im sechzehnten Jahrhundert eine Postroute, und so soll der von Mahal erschlossene Jörg Faust eines Tages einen Reisenden kennengelernt haben, "der mit merkwürdigem Glasgerät unterwegs war" und dem Knaben bald "einige Auskunft über seine Profession als Alchemist gab". Dies sei der Beginn einer großen Autodidaktenkarriere gewesen, denn Faust habe nie eine Universität besucht, und der Doktortitel sei ihm vom Volk verliehen worden. Nachdem der Fremde bei einer späteren Durchreise den eifrig Bemühten "vielleicht examiniert" hatte, richtete Faust sich nach und nach ein eigenes Laboratorium in Knittlingen ein und wurde "möglicherweise" Haupt eines Familienbetriebs, "in dem seine Frau die Aufträge entgegennahm und später das Bestellte aushändigte".
Bei der Beschreibung dieser gänzlich unfaustischen Idylle verwandelt sich der Historiker in einen Heimatdichter, der einen freieren Umgang mit der Wirklichkeit pflegen darf. In dieser aber stehen die Knittlinger auch als "Fauststädter" unverändert fest mit beiden Beinen. "Faust-Wein" schenken sie aus, und sie servieren "Fauststädter Kutteln". STEFAN BUSCH
Günther Mahal: "Faust. Und Faust". Der Teufelsbündner in Knittlingen und Maulbronn. Attempto Verlag, Tübingen 1997. 216 S., 89 Abb., geb., 48,- DM.
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