Populismus, Datenmissbrauch und Fake News - was tun, wenn die Welt plötzlich in Flammen steht?
Nat hat seine besten Jahre als Spion hinter sich. Gerade ist er nach London zu seiner Frau zurückgekehrt, da wird ihm ein letzter Auftrag erteilt, denn Moskau wird zunehmend zu einer Bedrohung. Zur Erholung spielt Nat Badminton, seit Neuestem gegen Ed, einen jungen Mann, der den Brexit hasst, Trump hasst, auch seine Arbeit in einer seelenlos gewordenen Medienagentur. Ausgerechnet Ed fordert Nat auch außerhalb des Spielfelds heraus und zwingt ihn, seine Haltung gegenüber dem eigenen Land in Frage zu stellen. Und eine Entscheidung zu treffen, die für alle Konsequenzen hat.
"In all seiner Empörung über die britische Politik und den Zustand der Welt hat le Carré, 88, noch einmal einen fabelhaften Thriller hingelegt." Süddeutsche Zeitung
"Federball ist vielleicht ein altmodisches, aber zugleich brandaktuelles Buch - und hoffentlich nicht der letzte John le Carré." SWR2
"Gerade weil er das Spektakuläre nicht braucht, einfach mal Federball spielt, glaubt man ihm jedes Wort." Frankfurter Rundschau
"Niemand sonst benennt - schonungslos gegenüber Politikern und unglaublich faszinierend für seine Leser - die offenen und gut gehüteten Geheimnisse unsere Zeit so klar wie John le Carré." The Guardian
"Kein Autor vermag es wie le Carré, das höfliche Gespräch zweier Menschen, die an einem Tisch sitzen, in ein hochgefährliches Spiel zu verwandeln." The Daily Telegraph
Nat hat seine besten Jahre als Spion hinter sich. Gerade ist er nach London zu seiner Frau zurückgekehrt, da wird ihm ein letzter Auftrag erteilt, denn Moskau wird zunehmend zu einer Bedrohung. Zur Erholung spielt Nat Badminton, seit Neuestem gegen Ed, einen jungen Mann, der den Brexit hasst, Trump hasst, auch seine Arbeit in einer seelenlos gewordenen Medienagentur. Ausgerechnet Ed fordert Nat auch außerhalb des Spielfelds heraus und zwingt ihn, seine Haltung gegenüber dem eigenen Land in Frage zu stellen. Und eine Entscheidung zu treffen, die für alle Konsequenzen hat.
"In all seiner Empörung über die britische Politik und den Zustand der Welt hat le Carré, 88, noch einmal einen fabelhaften Thriller hingelegt." Süddeutsche Zeitung
"Federball ist vielleicht ein altmodisches, aber zugleich brandaktuelles Buch - und hoffentlich nicht der letzte John le Carré." SWR2
"Gerade weil er das Spektakuläre nicht braucht, einfach mal Federball spielt, glaubt man ihm jedes Wort." Frankfurter Rundschau
"Niemand sonst benennt - schonungslos gegenüber Politikern und unglaublich faszinierend für seine Leser - die offenen und gut gehüteten Geheimnisse unsere Zeit so klar wie John le Carré." The Guardian
"Kein Autor vermag es wie le Carré, das höfliche Gespräch zweier Menschen, die an einem Tisch sitzen, in ein hochgefährliches Spiel zu verwandeln." The Daily Telegraph
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2019Der englische Patient im Delirium
In seinem neuen Roman "Federball" verarbeitet der britische Autor John le Carré das Trauma des Brexits. Sein Fazit ist bitter: An der Spitze des Landes steht ein Mann, der immer gewinnen will und alles verspielt.
LONDON, Ende Oktober
Anfang der sechziger Jahre, als John le Carré in Deutschland für den britischen Geheimdienst tätig war, lautete die offizielle Mission des als Diplomat getarnten Spions, die Unterstützung deutscher Politiker für das Gesuch Großbritanniens zu gewinnen, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beizutreten. Sechzig Jahre später ist das innenpolitisch gelähmte Britannien mit seinem Austrittbegehren nun wieder in die Rolle des Bittstellers gerutscht, obgleich die Briten in der sarkastischen Beurteilung eines desillusionierten ehemaligem russischen Geheimdienstlers in le Carrés jüngstem Roman, "Federball", "die Nase oben" tragen und sich für "Superhelden" halten, weil sie meinen, all ihre Kriege ganz alleine gewonnen zu haben.
In der Zwischenzeit hat le Carré die Spitzeltätigkeit längst eingetauscht gegen den Beruf des Schriftstellers, der, wie er selbst einmal bemerkte, dasselbe "wache Auge für menschliche Verfehlungen und die vielen Wege zum Verrat" erfordert. Die Gewissheiten des Kalten Krieges sind der postkommunistischen Weltunordnung gewichen, und le Carré hat seine Stoffe den aktuellen Herausforderungen im Zeitalter der Globalisierung und Regionalisierung angepasst. Ob er sich mit erhobener Faust des Waffenhandels, der Geldwäscherei, den Machenschaften der Pharmaindustrie oder des islamischen Terrorismus annimmt, es sind immer die gleichen angeschlagenen Helden, die in der Schattenwelt der Geheimdienste mit gespaltenen Loyalitäten, kompromittierter Moral und doppelbödigen Identitäten ringen.
Dieses Mal dient le Carré der "blanke Irrsinn" des Brexits als Folie für seine beklemmend eindringliche Erkundung gebrochener Seelenlandschaften. Das Thema treibt den leidenschaftlichen Europäer buchstäblich auf die Barrikaden. Le Carré hat von der Unmöglichkeit gesprochen, gegenwärtig zu schreiben, ohne "von innen über den Zustand der Nation" zu reden. "Ich bin Teil davon. Es deprimiert mich. Ich schäme mich dessen und ich glaube, das vermittelt sich in dem Buch." Man könnte diese Aussage als Untertreibung bezeichnen. Le Carré beschriebt ein gespaltenes Land "in freiem Fall", das den roten Teppich ausrollt für einen amerikanischen Präsidenten, "der gekommen ist, um die schwer erkämpften Beziehungen zu Europa zu verhöhnen und die Premierministerin zu erniedrigen, die ihn eingeladen hat". London ist eine "niemals stillstehende Geldwaschanlage", in der die politische Elite mit korrupten Oligarchen verkehrt, die Brexiteere mit Spenden unterstützen. Je nach dem, welcher Figur der Autor das Wort gibt, wird das Land geführt von einem "Haufen postimperialer Nostalgiker, die nicht mal einen Obststand betreiben können", oder einem "zehntklassigen Minderheitskabinett der Tories" mit einem "verfluchten Narzissten von elitärem Eton-Absolventen" zum Außenminister, "der nicht eine einzige feste Überzeugung zu bieten hätte, mal abgesehen von seinem eigenen Fortkommen".
Le Carré behauptet zwar stets, dass seine Figuren nicht für ihn sprechen. In "Federball" legt er die extremsten Tiraden gegen den Zustand der Welt denn auch einem unmoralischen Russen und einem idealistischen proeuropäischen jungen Engländer in den Mund, mit dem der Hauptprotagonist regelmäßig Federball spielt. Doch deckt sich deren Verdruss mit den Aussagen, die le Carré anlässlich des Erscheinens seines neuen Buches macht. Der "schauderhafte Außenminister" des Romans ist in der wirklichen Welt inzwischen an die Spitze der Regierung avanciert, gegen deren Brexit-Politik der Schriftsteller trotz seiner 88 Jahre demonstriert. Als ehemaliger Deutsch-Lehrer des Internats, das zwanzig Premierminister hervorgebracht hat, weiß le Carré, wovon er spricht, wenn er im Zusammenhang mit Boris Johnson ein von Eton vermittelte Eigenschaft kennzeichnet. Er habe ein Dutzend Schüler seiner Art unterrichtet, sagt le Carré. Eton mache etwas Außergewöhnliches. Es bringe den Eleven nicht das Regieren, sondern das Gewinnen bei. "Darum geht es." Dass diese Ausbildung bei einem von der Lust am Wettbewerb derart getriebenen Wesen wie Johnson auf besonders nahrhaften Boden gestoßen ist, muss le Carré gar nicht hervorheben. Es versteht sich von selbst.
In "Federball" wird die politische Lage aus dem Blickwinkel eines Ich-Erzählers referiert, der nach vielen Jahren der Agententätigkeit in ehemaligen Ostblockländern nach London zurückkehrt und die Beziehung zu seiner zu Hause gebliebenen Frau,, einer politisch engagierten Menschenrechtsanwältin, wieder aufbaut. Gleiches strebt er für seine Tochter an, die ihn mit der selbstgerechten Intoleranz Jugendlicher betrachtet.
Nat, wie le Carrés Protagonist heißt, ist zwar erst 47 Jahre alt, rechnet aber mit seiner Entlassung. Statt dessen wird er von der Zentrale an der Themse auf das Abstellgleis einer "Mülldeponie für umgesiedelte Überläufer ohne Wert und für fünftklassige Informanten auf dem absteigenden Ast" geschoben. Die heruntergekommene Nebenstelle liegt am anderen Ende der Stadt und trägt den euphemistischen Namen "Oase", dessen Ironie Nat in seinem Protokoll einer Kette von Ereignissen unterstreicht, die zu einem bereits früh angedeuteten "Fall" hinauslaufen. Das anfängliche Pianissimo schwillt unter der gekonnten Feder le Carrés zu einem Forte an, das Nat von den Nebengewässern in den Hauptstrom führt auf die Spur einer verdeckten angloamerikanischen Operation mit dem Ziel, die sozialdemokratischen Institutionen und die internationalen Handelsabkommen der Europäischen Union zu unterminieren, unter anderem durch die "massive Verbreitung von "Fake News". In diesem Szenario macht sich Britannien im Gegenzug für Freihandelszusagen nach dem Brexit zum Handlanger Trumps.
Trotz der Verschwörungstheorien und ungehaltener Ausbrüche gegen Trump, Putin und die Brexiteere spielt le Carré in diesem Alterswerk gekonnt auf der Klaviatur der psychologischen Befindlichkeiten von Figuren, die weniger Verräter sind, als dass ihre Ideale verraten worden seien von zynischen Strippenziehern im Zentrum der Macht.
Als Metapher für die Wesenszüge dieser Männer, die für ihr Land lügen, dient der Federballsport, der seinen schrullig und eigenbrötlerisch wirkenden Spielern "List, Geduld, Tempo und eine unmögliche Aufholjagd" abverlangt. Nichts entgeht dem geübten Agentenblick für das verräterische Detail sowie dem Gespür für die menschlichen Unzulänglichkeiten und dem Ohr für vielsagende sprachliche Nuancen, das in der von le Carré selbst mit seinem berühmten mimischem Talent vorgetragenen Hörbuchfassung noch deutlicher zur Geltung kommt. In der Anklage gegen den Ausverkauf des europäischen Ideals halten sich der Zorn über die Unmoral der Regierenden und die altersmelancholisch gefärbte Betrachtung der Komödie des Lebens die Waage.
GINA THOMAS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In seinem neuen Roman "Federball" verarbeitet der britische Autor John le Carré das Trauma des Brexits. Sein Fazit ist bitter: An der Spitze des Landes steht ein Mann, der immer gewinnen will und alles verspielt.
LONDON, Ende Oktober
Anfang der sechziger Jahre, als John le Carré in Deutschland für den britischen Geheimdienst tätig war, lautete die offizielle Mission des als Diplomat getarnten Spions, die Unterstützung deutscher Politiker für das Gesuch Großbritanniens zu gewinnen, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beizutreten. Sechzig Jahre später ist das innenpolitisch gelähmte Britannien mit seinem Austrittbegehren nun wieder in die Rolle des Bittstellers gerutscht, obgleich die Briten in der sarkastischen Beurteilung eines desillusionierten ehemaligem russischen Geheimdienstlers in le Carrés jüngstem Roman, "Federball", "die Nase oben" tragen und sich für "Superhelden" halten, weil sie meinen, all ihre Kriege ganz alleine gewonnen zu haben.
In der Zwischenzeit hat le Carré die Spitzeltätigkeit längst eingetauscht gegen den Beruf des Schriftstellers, der, wie er selbst einmal bemerkte, dasselbe "wache Auge für menschliche Verfehlungen und die vielen Wege zum Verrat" erfordert. Die Gewissheiten des Kalten Krieges sind der postkommunistischen Weltunordnung gewichen, und le Carré hat seine Stoffe den aktuellen Herausforderungen im Zeitalter der Globalisierung und Regionalisierung angepasst. Ob er sich mit erhobener Faust des Waffenhandels, der Geldwäscherei, den Machenschaften der Pharmaindustrie oder des islamischen Terrorismus annimmt, es sind immer die gleichen angeschlagenen Helden, die in der Schattenwelt der Geheimdienste mit gespaltenen Loyalitäten, kompromittierter Moral und doppelbödigen Identitäten ringen.
Dieses Mal dient le Carré der "blanke Irrsinn" des Brexits als Folie für seine beklemmend eindringliche Erkundung gebrochener Seelenlandschaften. Das Thema treibt den leidenschaftlichen Europäer buchstäblich auf die Barrikaden. Le Carré hat von der Unmöglichkeit gesprochen, gegenwärtig zu schreiben, ohne "von innen über den Zustand der Nation" zu reden. "Ich bin Teil davon. Es deprimiert mich. Ich schäme mich dessen und ich glaube, das vermittelt sich in dem Buch." Man könnte diese Aussage als Untertreibung bezeichnen. Le Carré beschriebt ein gespaltenes Land "in freiem Fall", das den roten Teppich ausrollt für einen amerikanischen Präsidenten, "der gekommen ist, um die schwer erkämpften Beziehungen zu Europa zu verhöhnen und die Premierministerin zu erniedrigen, die ihn eingeladen hat". London ist eine "niemals stillstehende Geldwaschanlage", in der die politische Elite mit korrupten Oligarchen verkehrt, die Brexiteere mit Spenden unterstützen. Je nach dem, welcher Figur der Autor das Wort gibt, wird das Land geführt von einem "Haufen postimperialer Nostalgiker, die nicht mal einen Obststand betreiben können", oder einem "zehntklassigen Minderheitskabinett der Tories" mit einem "verfluchten Narzissten von elitärem Eton-Absolventen" zum Außenminister, "der nicht eine einzige feste Überzeugung zu bieten hätte, mal abgesehen von seinem eigenen Fortkommen".
Le Carré behauptet zwar stets, dass seine Figuren nicht für ihn sprechen. In "Federball" legt er die extremsten Tiraden gegen den Zustand der Welt denn auch einem unmoralischen Russen und einem idealistischen proeuropäischen jungen Engländer in den Mund, mit dem der Hauptprotagonist regelmäßig Federball spielt. Doch deckt sich deren Verdruss mit den Aussagen, die le Carré anlässlich des Erscheinens seines neuen Buches macht. Der "schauderhafte Außenminister" des Romans ist in der wirklichen Welt inzwischen an die Spitze der Regierung avanciert, gegen deren Brexit-Politik der Schriftsteller trotz seiner 88 Jahre demonstriert. Als ehemaliger Deutsch-Lehrer des Internats, das zwanzig Premierminister hervorgebracht hat, weiß le Carré, wovon er spricht, wenn er im Zusammenhang mit Boris Johnson ein von Eton vermittelte Eigenschaft kennzeichnet. Er habe ein Dutzend Schüler seiner Art unterrichtet, sagt le Carré. Eton mache etwas Außergewöhnliches. Es bringe den Eleven nicht das Regieren, sondern das Gewinnen bei. "Darum geht es." Dass diese Ausbildung bei einem von der Lust am Wettbewerb derart getriebenen Wesen wie Johnson auf besonders nahrhaften Boden gestoßen ist, muss le Carré gar nicht hervorheben. Es versteht sich von selbst.
In "Federball" wird die politische Lage aus dem Blickwinkel eines Ich-Erzählers referiert, der nach vielen Jahren der Agententätigkeit in ehemaligen Ostblockländern nach London zurückkehrt und die Beziehung zu seiner zu Hause gebliebenen Frau,, einer politisch engagierten Menschenrechtsanwältin, wieder aufbaut. Gleiches strebt er für seine Tochter an, die ihn mit der selbstgerechten Intoleranz Jugendlicher betrachtet.
Nat, wie le Carrés Protagonist heißt, ist zwar erst 47 Jahre alt, rechnet aber mit seiner Entlassung. Statt dessen wird er von der Zentrale an der Themse auf das Abstellgleis einer "Mülldeponie für umgesiedelte Überläufer ohne Wert und für fünftklassige Informanten auf dem absteigenden Ast" geschoben. Die heruntergekommene Nebenstelle liegt am anderen Ende der Stadt und trägt den euphemistischen Namen "Oase", dessen Ironie Nat in seinem Protokoll einer Kette von Ereignissen unterstreicht, die zu einem bereits früh angedeuteten "Fall" hinauslaufen. Das anfängliche Pianissimo schwillt unter der gekonnten Feder le Carrés zu einem Forte an, das Nat von den Nebengewässern in den Hauptstrom führt auf die Spur einer verdeckten angloamerikanischen Operation mit dem Ziel, die sozialdemokratischen Institutionen und die internationalen Handelsabkommen der Europäischen Union zu unterminieren, unter anderem durch die "massive Verbreitung von "Fake News". In diesem Szenario macht sich Britannien im Gegenzug für Freihandelszusagen nach dem Brexit zum Handlanger Trumps.
Trotz der Verschwörungstheorien und ungehaltener Ausbrüche gegen Trump, Putin und die Brexiteere spielt le Carré in diesem Alterswerk gekonnt auf der Klaviatur der psychologischen Befindlichkeiten von Figuren, die weniger Verräter sind, als dass ihre Ideale verraten worden seien von zynischen Strippenziehern im Zentrum der Macht.
Als Metapher für die Wesenszüge dieser Männer, die für ihr Land lügen, dient der Federballsport, der seinen schrullig und eigenbrötlerisch wirkenden Spielern "List, Geduld, Tempo und eine unmögliche Aufholjagd" abverlangt. Nichts entgeht dem geübten Agentenblick für das verräterische Detail sowie dem Gespür für die menschlichen Unzulänglichkeiten und dem Ohr für vielsagende sprachliche Nuancen, das in der von le Carré selbst mit seinem berühmten mimischem Talent vorgetragenen Hörbuchfassung noch deutlicher zur Geltung kommt. In der Anklage gegen den Ausverkauf des europäischen Ideals halten sich der Zorn über die Unmoral der Regierenden und die altersmelancholisch gefärbte Betrachtung der Komödie des Lebens die Waage.
GINA THOMAS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der englische Patient im Delirium
In seinem neuen Roman "Federball" verarbeitet der britische Autor John le Carré das Trauma des Brexits. Sein Fazit ist bitter: An der Spitze des Landes steht ein Mann, der immer gewinnen will und alles verspielt.
LONDON, Ende Oktober
Anfang der sechziger Jahre, als John le Carré in Deutschland für den britischen Geheimdienst tätig war, lautete die offizielle Mission des als Diplomat getarnten Spions, die Unterstützung deutscher Politiker für das Gesuch Großbritanniens zu gewinnen, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beizutreten. Sechzig Jahre später ist das innenpolitisch gelähmte Britannien mit seinem Austrittbegehren nun wieder in die Rolle des Bittstellers gerutscht, obgleich die Briten in der sarkastischen Beurteilung eines desillusionierten ehemaligem russischen Geheimdienstlers in le Carrés jüngstem Roman, "Federball", "die Nase oben" tragen und sich für "Superhelden" halten, weil sie meinen, all ihre Kriege ganz alleine gewonnen zu haben.
In der Zwischenzeit hat le Carré die Spitzeltätigkeit längst eingetauscht gegen den Beruf des Schriftstellers, der, wie er selbst einmal bemerkte, dasselbe "wache Auge für menschliche Verfehlungen und die vielen Wege zum Verrat" erfordert. Die Gewissheiten des Kalten Krieges sind der postkommunistischen Weltunordnung gewichen, und le Carré hat seine Stoffe den aktuellen Herausforderungen im Zeitalter der Globalisierung und Regionalisierung angepasst. Ob er sich mit erhobener Faust des Waffenhandels, der Geldwäscherei, den Machenschaften der Pharmaindustrie oder des islamischen Terrorismus annimmt, es sind immer die gleichen angeschlagenen Helden, die in der Schattenwelt der Geheimdienste mit gespaltenen Loyalitäten, kompromittierter Moral und doppelbödigen Identitäten ringen.
Dieses Mal dient le Carré der "blanke Irrsinn" des Brexits als Folie für seine beklemmend eindringliche Erkundung gebrochener Seelenlandschaften. Das Thema treibt den leidenschaftlichen Europäer buchstäblich auf die Barrikaden. Le Carré hat von der Unmöglichkeit gesprochen, gegenwärtig zu schreiben, ohne "von innen über den Zustand der Nation" zu reden. "Ich bin Teil davon. Es deprimiert mich. Ich schäme mich dessen und ich glaube, das vermittelt sich in dem Buch." Man könnte diese Aussage als Untertreibung bezeichnen. Le Carré beschriebt ein gespaltenes Land "in freiem Fall", das den roten Teppich ausrollt für einen amerikanischen Präsidenten, "der gekommen ist, um die schwer erkämpften Beziehungen zu Europa zu verhöhnen und die Premierministerin zu erniedrigen, die ihn eingeladen hat". London ist eine "niemals stillstehende Geldwaschanlage", in der die politische Elite mit korrupten Oligarchen verkehrt, die Brexiteere mit Spenden unterstützen. Je nach dem, welcher Figur der Autor das Wort gibt, wird das Land geführt von einem "Haufen postimperialer Nostalgiker, die nicht mal einen Obststand betreiben können", oder einem "zehntklassigen Minderheitskabinett der Tories" mit einem "verfluchten Narzissten von elitärem Eton-Absolventen" zum Außenminister, "der nicht eine einzige feste Überzeugung zu bieten hätte, mal abgesehen von seinem eigenen Fortkommen".
Le Carré behauptet zwar stets, dass seine Figuren nicht für ihn sprechen. In "Federball" legt er die extremsten Tiraden gegen den Zustand der Welt denn auch einem unmoralischen Russen und einem idealistischen proeuropäischen jungen Engländer in den Mund, mit dem der Hauptprotagonist regelmäßig Federball spielt. Doch deckt sich deren Verdruss mit den Aussagen, die le Carré anlässlich des Erscheinens seines neuen Buches macht. Der "schauderhafte Außenminister" des Romans ist in der wirklichen Welt inzwischen an die Spitze der Regierung avanciert, gegen deren Brexit-Politik der Schriftsteller trotz seiner 88 Jahre demonstriert. Als ehemaliger Deutsch-Lehrer des Internats, das zwanzig Premierminister hervorgebracht hat, weiß le Carré, wovon er spricht, wenn er im Zusammenhang mit Boris Johnson ein von Eton vermittelte Eigenschaft kennzeichnet. Er habe ein Dutzend Schüler seiner Art unterrichtet, sagt le Carré. Eton mache etwas Außergewöhnliches. Es bringe den Eleven nicht das Regieren, sondern das Gewinnen bei. "Darum geht es." Dass diese Ausbildung bei einem von der Lust am Wettbewerb derart getriebenen Wesen wie Johnson auf besonders nahrhaften Boden gestoßen ist, muss le Carré gar nicht hervorheben. Es versteht sich von selbst.
In "Federball" wird die politische Lage aus dem Blickwinkel eines Ich-Erzählers referiert, der nach vielen Jahren der Agententätigkeit in ehemaligen Ostblockländern nach London zurückkehrt und die Beziehung zu seiner zu Hause gebliebenen Frau,, einer politisch engagierten Menschenrechtsanwältin, wieder aufbaut. Gleiches strebt er für seine Tochter an, die ihn mit der selbstgerechten Intoleranz Jugendlicher betrachtet.
Nat, wie le Carrés Protagonist heißt, ist zwar erst 47 Jahre alt, rechnet aber mit seiner Entlassung. Statt dessen wird er von der Zentrale an der Themse auf das Abstellgleis einer "Mülldeponie für umgesiedelte Überläufer ohne Wert und für fünftklassige Informanten auf dem absteigenden Ast" geschoben. Die heruntergekommene Nebenstelle liegt am anderen Ende der Stadt und trägt den euphemistischen Namen "Oase", dessen Ironie Nat in seinem Protokoll einer Kette von Ereignissen unterstreicht, die zu einem bereits früh angedeuteten "Fall" hinauslaufen. Das anfängliche Pianissimo schwillt unter der gekonnten Feder le Carrés zu einem Forte an, das Nat von den Nebengewässern in den Hauptstrom führt auf die Spur einer verdeckten angloamerikanischen Operation mit dem Ziel, die sozialdemokratischen Institutionen und die internationalen Handelsabkommen der Europäischen Union zu unterminieren, unter anderem durch die "massive Verbreitung von "Fake News". In diesem Szenario macht sich Britannien im Gegenzug für Freihandelszusagen nach dem Brexit zum Handlanger Trumps.
Trotz der Verschwörungstheorien und ungehaltener Ausbrüche gegen Trump, Putin und die Brexiteere spielt le Carré in diesem Alterswerk gekonnt auf der Klaviatur der psychologischen Befindlichkeiten von Figuren, die weniger Verräter sind, als dass ihre Ideale verraten worden seien von zynischen Strippenziehern im Zentrum der Macht.
Als Metapher für die Wesenszüge dieser Männer, die für ihr Land lügen, dient der Federballsport, der seinen schrullig und eigenbrötlerisch wirkenden Spielern "List, Geduld, Tempo und eine unmögliche Aufholjagd" abverlangt. Nichts entgeht dem geübten Agentenblick für das verräterische Detail sowie dem Gespür für die menschlichen Unzulänglichkeiten und dem Ohr für vielsagende sprachliche Nuancen, das in der von le Carré selbst mit seinem berühmten mimischem Talent vorgetragenen Hörbuchfassung noch deutlicher zur Geltung kommt. In der Anklage gegen den Ausverkauf des europäischen Ideals halten sich der Zorn über die Unmoral der Regierenden und die altersmelancholisch gefärbte Betrachtung der Komödie des Lebens die Waage.
GINA THOMAS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In seinem neuen Roman "Federball" verarbeitet der britische Autor John le Carré das Trauma des Brexits. Sein Fazit ist bitter: An der Spitze des Landes steht ein Mann, der immer gewinnen will und alles verspielt.
LONDON, Ende Oktober
Anfang der sechziger Jahre, als John le Carré in Deutschland für den britischen Geheimdienst tätig war, lautete die offizielle Mission des als Diplomat getarnten Spions, die Unterstützung deutscher Politiker für das Gesuch Großbritanniens zu gewinnen, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beizutreten. Sechzig Jahre später ist das innenpolitisch gelähmte Britannien mit seinem Austrittbegehren nun wieder in die Rolle des Bittstellers gerutscht, obgleich die Briten in der sarkastischen Beurteilung eines desillusionierten ehemaligem russischen Geheimdienstlers in le Carrés jüngstem Roman, "Federball", "die Nase oben" tragen und sich für "Superhelden" halten, weil sie meinen, all ihre Kriege ganz alleine gewonnen zu haben.
In der Zwischenzeit hat le Carré die Spitzeltätigkeit längst eingetauscht gegen den Beruf des Schriftstellers, der, wie er selbst einmal bemerkte, dasselbe "wache Auge für menschliche Verfehlungen und die vielen Wege zum Verrat" erfordert. Die Gewissheiten des Kalten Krieges sind der postkommunistischen Weltunordnung gewichen, und le Carré hat seine Stoffe den aktuellen Herausforderungen im Zeitalter der Globalisierung und Regionalisierung angepasst. Ob er sich mit erhobener Faust des Waffenhandels, der Geldwäscherei, den Machenschaften der Pharmaindustrie oder des islamischen Terrorismus annimmt, es sind immer die gleichen angeschlagenen Helden, die in der Schattenwelt der Geheimdienste mit gespaltenen Loyalitäten, kompromittierter Moral und doppelbödigen Identitäten ringen.
Dieses Mal dient le Carré der "blanke Irrsinn" des Brexits als Folie für seine beklemmend eindringliche Erkundung gebrochener Seelenlandschaften. Das Thema treibt den leidenschaftlichen Europäer buchstäblich auf die Barrikaden. Le Carré hat von der Unmöglichkeit gesprochen, gegenwärtig zu schreiben, ohne "von innen über den Zustand der Nation" zu reden. "Ich bin Teil davon. Es deprimiert mich. Ich schäme mich dessen und ich glaube, das vermittelt sich in dem Buch." Man könnte diese Aussage als Untertreibung bezeichnen. Le Carré beschriebt ein gespaltenes Land "in freiem Fall", das den roten Teppich ausrollt für einen amerikanischen Präsidenten, "der gekommen ist, um die schwer erkämpften Beziehungen zu Europa zu verhöhnen und die Premierministerin zu erniedrigen, die ihn eingeladen hat". London ist eine "niemals stillstehende Geldwaschanlage", in der die politische Elite mit korrupten Oligarchen verkehrt, die Brexiteere mit Spenden unterstützen. Je nach dem, welcher Figur der Autor das Wort gibt, wird das Land geführt von einem "Haufen postimperialer Nostalgiker, die nicht mal einen Obststand betreiben können", oder einem "zehntklassigen Minderheitskabinett der Tories" mit einem "verfluchten Narzissten von elitärem Eton-Absolventen" zum Außenminister, "der nicht eine einzige feste Überzeugung zu bieten hätte, mal abgesehen von seinem eigenen Fortkommen".
Le Carré behauptet zwar stets, dass seine Figuren nicht für ihn sprechen. In "Federball" legt er die extremsten Tiraden gegen den Zustand der Welt denn auch einem unmoralischen Russen und einem idealistischen proeuropäischen jungen Engländer in den Mund, mit dem der Hauptprotagonist regelmäßig Federball spielt. Doch deckt sich deren Verdruss mit den Aussagen, die le Carré anlässlich des Erscheinens seines neuen Buches macht. Der "schauderhafte Außenminister" des Romans ist in der wirklichen Welt inzwischen an die Spitze der Regierung avanciert, gegen deren Brexit-Politik der Schriftsteller trotz seiner 88 Jahre demonstriert. Als ehemaliger Deutsch-Lehrer des Internats, das zwanzig Premierminister hervorgebracht hat, weiß le Carré, wovon er spricht, wenn er im Zusammenhang mit Boris Johnson ein von Eton vermittelte Eigenschaft kennzeichnet. Er habe ein Dutzend Schüler seiner Art unterrichtet, sagt le Carré. Eton mache etwas Außergewöhnliches. Es bringe den Eleven nicht das Regieren, sondern das Gewinnen bei. "Darum geht es." Dass diese Ausbildung bei einem von der Lust am Wettbewerb derart getriebenen Wesen wie Johnson auf besonders nahrhaften Boden gestoßen ist, muss le Carré gar nicht hervorheben. Es versteht sich von selbst.
In "Federball" wird die politische Lage aus dem Blickwinkel eines Ich-Erzählers referiert, der nach vielen Jahren der Agententätigkeit in ehemaligen Ostblockländern nach London zurückkehrt und die Beziehung zu seiner zu Hause gebliebenen Frau,, einer politisch engagierten Menschenrechtsanwältin, wieder aufbaut. Gleiches strebt er für seine Tochter an, die ihn mit der selbstgerechten Intoleranz Jugendlicher betrachtet.
Nat, wie le Carrés Protagonist heißt, ist zwar erst 47 Jahre alt, rechnet aber mit seiner Entlassung. Statt dessen wird er von der Zentrale an der Themse auf das Abstellgleis einer "Mülldeponie für umgesiedelte Überläufer ohne Wert und für fünftklassige Informanten auf dem absteigenden Ast" geschoben. Die heruntergekommene Nebenstelle liegt am anderen Ende der Stadt und trägt den euphemistischen Namen "Oase", dessen Ironie Nat in seinem Protokoll einer Kette von Ereignissen unterstreicht, die zu einem bereits früh angedeuteten "Fall" hinauslaufen. Das anfängliche Pianissimo schwillt unter der gekonnten Feder le Carrés zu einem Forte an, das Nat von den Nebengewässern in den Hauptstrom führt auf die Spur einer verdeckten angloamerikanischen Operation mit dem Ziel, die sozialdemokratischen Institutionen und die internationalen Handelsabkommen der Europäischen Union zu unterminieren, unter anderem durch die "massive Verbreitung von "Fake News". In diesem Szenario macht sich Britannien im Gegenzug für Freihandelszusagen nach dem Brexit zum Handlanger Trumps.
Trotz der Verschwörungstheorien und ungehaltener Ausbrüche gegen Trump, Putin und die Brexiteere spielt le Carré in diesem Alterswerk gekonnt auf der Klaviatur der psychologischen Befindlichkeiten von Figuren, die weniger Verräter sind, als dass ihre Ideale verraten worden seien von zynischen Strippenziehern im Zentrum der Macht.
Als Metapher für die Wesenszüge dieser Männer, die für ihr Land lügen, dient der Federballsport, der seinen schrullig und eigenbrötlerisch wirkenden Spielern "List, Geduld, Tempo und eine unmögliche Aufholjagd" abverlangt. Nichts entgeht dem geübten Agentenblick für das verräterische Detail sowie dem Gespür für die menschlichen Unzulänglichkeiten und dem Ohr für vielsagende sprachliche Nuancen, das in der von le Carré selbst mit seinem berühmten mimischem Talent vorgetragenen Hörbuchfassung noch deutlicher zur Geltung kommt. In der Anklage gegen den Ausverkauf des europäischen Ideals halten sich der Zorn über die Unmoral der Regierenden und die altersmelancholisch gefärbte Betrachtung der Komödie des Lebens die Waage.
GINA THOMAS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main