Was wäre das Kino des 20. Jahrhunderts ohne Federico Fellini (1920-1993)? Eine rhetorische Frage, denn er war es, der gemeinsam mit Visconti und Rossellini den Ruhm des italienischen Films begründete und die Kinowelt ein halbes Jahrhundert lang mit seiner Kunst, seiner überschäumenden Phantasie und seiner Kreativität in Atem hielt. Im damals provinziellen Rimini geboren und in bäuerlicher Umgebung aufgewachsen, galt sein Interesse immer den sogenannten kleinen Leuten, deren Sehnsüchte und Träume er in unvergessliche Bilder und immer aufwendiger gestaltete Szenarien umzusetzen verstand. I Vitelloni spielt noch in seiner Geburtsstadt, La Strada erzählt von den Gauklern und Wanderschaustellern seiner Kindheit, und mit La dolce vita ist er endgültig in Rom angekommen, das zu seiner Stadt, Fellinis Roma, wird. Unser von der Fondazione Federico Fellini herausgegebene Band lässt alle 23 Filme von Luci del varietà (1950) bis La voce della luna (1990) Revue passieren: mit Filmbildern, teils unveröffentlichten Photos vom Set, Zeichnungen von Fellini selbst, der auch ein begnadeter Karikaturist war - und Texten von Tullio Kezich, dem Freund, Mitarbeiter und schließlich Biographen des Meisters.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2009Federico der Große: Ein Fotoband über Fellinis Filme
Wir weisen Unsere Herde darauf hin, dass jeder, der an öffentlichen oder privaten Vorführungen des Films ,La dolce vita' teilnimmt, eine Todsünde begeht, und laden die Gemeinschaft der Gläubigen ein, sich mit Uns im Gebet für die Rettung der Seele des öffentlichen Sünders Federico Fellini zu vereinen. Padua, 27.1.1960. Der Erzbischof."
Erst fünfzig Jahre ist das her. Oder soll man sagen: schon fünfzig Jahre? Man ist hin- und hergerissen zwischen Sehnsucht und Schauder, zwischen "Einstweh" (Botho Strauß) nach der Welt des Federico Fellini und Befremdung über die Umstände, unter denen sie entstand, wenn man "Das Buch der Filme" aufschlägt, das der Kritiker und Fellini-Biograph Tullio Kezich noch vor seinem Tod im vergangenen August vollendet hat. Einerseits der Kinorausch, der Zauber, der bis zum Ende gehalten hat, bis zu "Intervista" und zur "Stimme des Mondes", in denen das Personal aller seiner Filme, von den Clowns und den Lebemännern bis zu den Busenwundern und Megären, noch einmal wiederkehrte. Andererseits die kleinlichen Wendungen des Schicksals, die Trennungen und Zusammenbrüche, die Mitte der sechziger Jahre kulminieren und einen Scherbenhaufen hinterlassen, die Ruine eines nie gedrehten Films, der von einer Irrfahrt im Jenseits handeln sollte. Diese "Reise des G. Mastorna" hat Fellini später in seinem Kurzfilm "Toby Damnit" und der Fernsehproduktion "Notizbuch eines Regisseurs" beschworen; vor allem aber hat er sie mit dem Skizzenstift festgehalten. Fellinis Zeichnungen zu diesem wie zu seinen anderen wunderbarerweise auf die Leinwand gelangten Filmen sind der Höhepunkt dieses Buchs.
Denn dies ist vor allem ein Band der Bilder. Ob man Anita Ekberg in Taucherhosen im Trevi-Brunnen, Fellini und Mastroianni bei den Proben für "Mastorna" oder den Regisseur mit Cello bei den Dreharbeiten zu "Orchesterprobe" sieht - die Fotos und Skizzen erzählen immer viel mehr, als der von Kezich sorgfältig redigierte und auf die Essenz seiner Fellini-Studien eingekürzte Text sagen kann. Deshalb wirken die Überschriften, mit denen Kezich das Leben des großen Federico gliedern will - "Abschiednehmen", "Die Wende", "Angst", "Wiedererwachen" und so fort -, auch eher gezwungen als augenöffnend. Halten wir uns stattdessen lieber an den Meister selbst. Dessen Gesicht strahlt am Set, ob in Cinecittà oder anderswo, unter aller Anspannung und Gereiztheit immer das tiefe Glück des Schaffens aus. Dieses Glücksgefühl teilt sich seinen Filmen mit.
ANDREAS KILB
Tullio Kezich: "Federico Fellini - Das Buch der Filme". Aus dem Italienischen von Grit Fröhlich, Renate Heimbucher und Sophia Marzoff. Schirmer/Mosel Verlag, München 2009. 312 Seiten, viele Abbildungen, 58 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wir weisen Unsere Herde darauf hin, dass jeder, der an öffentlichen oder privaten Vorführungen des Films ,La dolce vita' teilnimmt, eine Todsünde begeht, und laden die Gemeinschaft der Gläubigen ein, sich mit Uns im Gebet für die Rettung der Seele des öffentlichen Sünders Federico Fellini zu vereinen. Padua, 27.1.1960. Der Erzbischof."
Erst fünfzig Jahre ist das her. Oder soll man sagen: schon fünfzig Jahre? Man ist hin- und hergerissen zwischen Sehnsucht und Schauder, zwischen "Einstweh" (Botho Strauß) nach der Welt des Federico Fellini und Befremdung über die Umstände, unter denen sie entstand, wenn man "Das Buch der Filme" aufschlägt, das der Kritiker und Fellini-Biograph Tullio Kezich noch vor seinem Tod im vergangenen August vollendet hat. Einerseits der Kinorausch, der Zauber, der bis zum Ende gehalten hat, bis zu "Intervista" und zur "Stimme des Mondes", in denen das Personal aller seiner Filme, von den Clowns und den Lebemännern bis zu den Busenwundern und Megären, noch einmal wiederkehrte. Andererseits die kleinlichen Wendungen des Schicksals, die Trennungen und Zusammenbrüche, die Mitte der sechziger Jahre kulminieren und einen Scherbenhaufen hinterlassen, die Ruine eines nie gedrehten Films, der von einer Irrfahrt im Jenseits handeln sollte. Diese "Reise des G. Mastorna" hat Fellini später in seinem Kurzfilm "Toby Damnit" und der Fernsehproduktion "Notizbuch eines Regisseurs" beschworen; vor allem aber hat er sie mit dem Skizzenstift festgehalten. Fellinis Zeichnungen zu diesem wie zu seinen anderen wunderbarerweise auf die Leinwand gelangten Filmen sind der Höhepunkt dieses Buchs.
Denn dies ist vor allem ein Band der Bilder. Ob man Anita Ekberg in Taucherhosen im Trevi-Brunnen, Fellini und Mastroianni bei den Proben für "Mastorna" oder den Regisseur mit Cello bei den Dreharbeiten zu "Orchesterprobe" sieht - die Fotos und Skizzen erzählen immer viel mehr, als der von Kezich sorgfältig redigierte und auf die Essenz seiner Fellini-Studien eingekürzte Text sagen kann. Deshalb wirken die Überschriften, mit denen Kezich das Leben des großen Federico gliedern will - "Abschiednehmen", "Die Wende", "Angst", "Wiedererwachen" und so fort -, auch eher gezwungen als augenöffnend. Halten wir uns stattdessen lieber an den Meister selbst. Dessen Gesicht strahlt am Set, ob in Cinecittà oder anderswo, unter aller Anspannung und Gereiztheit immer das tiefe Glück des Schaffens aus. Dieses Glücksgefühl teilt sich seinen Filmen mit.
ANDREAS KILB
Tullio Kezich: "Federico Fellini - Das Buch der Filme". Aus dem Italienischen von Grit Fröhlich, Renate Heimbucher und Sophia Marzoff. Schirmer/Mosel Verlag, München 2009. 312 Seiten, viele Abbildungen, 58 Euro.
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