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Die Globalisierung der Märkte ist nicht die entscheidende Ursache für die soziale Krise des Westens. Sie ist bloß eine Begleiterscheinung. Mit ökonomischem Sachverstand und ohne die übliche Larmoyanz zeigt Daniel Cohen, daß die weltweiten Veränderungen im Kern das Resultat einer dritten industriellen Revolution sind, der Revolution des Computers und der Qualifikation.

Produktbeschreibung
Die Globalisierung der Märkte ist nicht die entscheidende Ursache für die soziale Krise des Westens. Sie ist bloß eine Begleiterscheinung. Mit ökonomischem Sachverstand und ohne die übliche Larmoyanz zeigt Daniel Cohen, daß die weltweiten Veränderungen im Kern das Resultat einer dritten industriellen Revolution sind, der Revolution des Computers und der Qualifikation.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.05.1998

Wer hat, dem wird gegeben
Mit der Globalisierung hat dieser Mechanismus laut Daniel Cohen nichts zu tun

"Jedes Jahr verliert das Reich hundert Millionen Sesterzen an Indien, China und Arabien", stellte schon Plinius der Ältere besorgt fest. Heute geht die Furcht um, der Handel mit Indien, China und der ehemaligen Sowjetunion könnte den Sozialstaat aushebeln. Der französische Wirtschaftswissenschaftler Daniel Cohen hält es dagegen für eine Fehldiagnose, wenn die Armut der Globalisierung zugeschrieben wird.

Der ärmste Mensch der Welt ist vermutlich eine afrikanische Frau, die ihr Mann, der auf dem Land kaum noch Verdienstmöglichkeiten vorfindet, zur Arbeit in die Stadt schickt. Typisch für Entwicklungsländer ist eine Form des Merkantilismus, die auf eine Ausbeutung der Landbevölkerung zugunsten der Städter hinausläuft. Künstlich niedrig gehaltene Lebensmittelpreise sollen die Industrialisierung fördern, sie bewirken jedoch nur Landflucht und Reichtum für eine korrupte Oberschicht. Nur Demokratisierung und Schulbildung könnten die Macht der Eliten einschränken.

Noch am Vorabend der industriellen Revolution lag das Pro-Kopf-Einkommen in Westeuropa weniger als dreißig Prozent über dem Niveau von Indien, Afrika oder China. 1995 waren die reichsten Länder fünfzigmal reicher als die ärmsten. Im Gegensatz zu Afrika haben die asiatischen "Tigerstaaten" ihren Wohlstand steigern können. Die Asiaten haben die Beurteilung ihrer Entwicklungsstrategien konsequent dem Weltmarkt überlassen. Ihr neu erworbener Reichtum kann vor allem durch eine hohe Sparquote erklärt werden.

Westeuropa fürchtet die asiatische und osteuropäische Konkurrenz. Tatsächlich halten sich jedoch Ein- und Ausfuhren auf lange Sicht die Waage. Bei den in westlichen Ländern hergestellten, exportierten Gütern liegt der Lohnanteil höher als bei den aus den aufstrebenden Ländern importierten Gütern. So gesehen wird sogar mehr Arbeit exportiert. Die Industrialisierung der Schwellenländer bewirkt nach Cohen keine Deindustrialisierung des Westens.

Während sich das Wohlstandsgefälle zwischen den Nationen auszugleichen beginnt, steigen die Unterschiede innerhalb der Länder an. 1970 bekam ein amerikanischer Generaldirektor das Dreißigfache vom Gehalt eines Fließbandarbeiters, 1990 bereits das Einhundertfünfzigfache. Während sich in den Vereinigten Staaten die Ungleichheit in wachsenden Lohnunterschieden niederschlägt, äußert sie sich in Europa durch wachsende Arbeitslosigkeit.

Cohen erkennt eine Tendenz zur Bildung von Gruppen von vergleichbarem Status. So werden Ehen zwischen Partnern mit vergleichbarem Einkommen häufiger geschlossen, innerhalb der Firmen gleicht sich das Qualifikationsniveau der Beschäftigten an, die geringer Qualifizierten werden ausgelagert. Das Zusammenwirken von Menschen unterschiedlicher Qualifikation, unterschiedlichen Besitzes oder unterschiedlicher Ausbildung wird immer seltener, sowohl in der Familie als auch in der Arbeitswelt.

Zwei Mechanismen, die diese Spaltung verursachen, führt Cohen vor. Einerseits streben die Menschen danach, sich vom Durchschnitt abzuheben. Wer ein Diplom hat, kann auch als Laufbursche in einer Margarinefabrik arbeiten, ohne Schulabschluß wird man jedoch kaum als Nachhilfelehrer akzeptiert. Am Ende zählt aber nicht die Art der Qualifikation, sondern nur der Abstand zum Mittelmaß. Da bleiben Investitionen in das allgemeine Bildungssystem fruchtlos. Zum anderen können in Demokratien Veränderungen nur von einer Mehrheit herbeigeführt werden, die davon überzeugt sein muß, daß die Vorteile die Risiken überwiegen.

Lohnerhöhungen sind daher nie so groß, daß die Arbeitsplätze ernsthaft gefährdet würden, aber meist deutlich höher, als für Neueinstellungen in größerem Umfang zuträglich wäre. Die Anforderungen an Arbeitnehmer und Arbeitgeber steigen, beide begründen damit ihre Ansprüche auf überdurchschnittlichen Wohlstand und stigmatisieren zugleich die Arbeitslosen, die keine Leistungen vorweisen können. Das hohe Niveau der Absicherung gegen Kündigung begründet zusätzlich die Vorbehalte gegen denjenigen, der trotz Kündigungsschutz seine Beschäftigung verliert.

Alle von Cohen dargelegten Mechanismen, die in den westlichen Industrienationen das Wohlstandsgefälle wachsen lassen, gehen auf eine Zeit zurück, als das Wirtschaftswachstum unerschöpflich schien und die Lebenserwartung kaum über das Rentenalter hinausreichte. Die heutige Verteilung des Wohlstandes ist hausgemacht und hat mit der sogenannten Globalisierung nichts zu tun. Rentenansprüche werden an keiner Börse notiert, und die internationalen Finanzmärkte werden nicht reagieren, falls die Beitragszahler eine Kürzung der Rentenzahlungen beschließen. Protektionismus verlangsamt nur den Ausgleich zwischen den Nationen, was die Kriegsgefahr erhöht. Und kriegerische Verwicklungen schädigen die Wirtschaft: Das ist bekannt. HARTMUT HÄNSEL

Daniel Cohen: "Fehldiagnose Globalisierung". Die Neuverteilung des Wohlstands nach der dritten industriellen Revolution. Aus dem Französischen von Bodo Schulze. Campus Verlag, Frankfurt am Main 1998. 206 S., kt., 36,- DM.

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