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Wir sollten uns auf das Wesentliche konzentrieren. Findet Antoine (35) und fängt deshalb gleich schon mal mit dem Üben an: als Jungpensionär im Altersheim.

Produktbeschreibung
Wir sollten uns auf das Wesentliche konzentrieren. Findet Antoine (35) und fängt deshalb gleich schon mal mit dem Üben an: als Jungpensionär im Altersheim.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.12.2002

Ich bin das Alter
Laurent Graff peilt den „Feierabend” sehr früh an
Die Jugend hat ein neues Thema: das Alter. Erschöpft vom Wahn der niemals endenden Pubertät wendet man sich nun, kaum in den Dreißigern angekommen, dem vierten Lebensalter zu. Nicht nur Rentenexperten, Soziologen und Ärzte denken über die drohenden Heerscharen versorgungsbedürftiger Greise nach: auch Schriftsteller finden Gefallen an hinfälligen Pensionären, lüsternen Witwen, Bettpfannen, Gebissen, Gehhilfen und anderen Accessoires der Seniorenpflege. Nachdem der 36-jährige Marc Wortmann in seinem Roman „Der Witwentröster” das Siechtum der abgeschobenen Alten farbig zu schildern wusste, und in diesem Frühjahr die 35-jährige Französin Emmanuelle Bayamack-Tam in „Guten Morgen ihr Toten” die Intimsphäre der Eightysomethings durchleuchtete, peilt jetzt ihr 33-jähriger Landsmann Laurent Graff eine Geronto-Romanze der besonderen Art an. Schon der Titel soll uns auf die Seelenlage des Helden einstimmen: „Feierabend” heißt Graffs 98-Seiten-Erzählung.
Selbstgefällig ergreift der Ich-Erzähler Antoine das Wort und schildert seine Umgebung: obwohl er in der Blüte seiner Jahre steht, hat er sich in dem Seniorenpflegeheim Glück im Winkel einquartiert und partizipiert an den Wonnen der Verwahrung. Die Rituale der gemeinsamen Nahrungsaufnahme, die Nachmittage vor dem Fernseher, Gespräche mit 80-jährigen Heimkumpels, dann und wann ein Quicky mit der Altenpflegerin oder ein Ausflug in den Wildpark – was will ein Mann mehr vom Leben. Schon mit Achtzehn, weiht uns Antoine vertraulich in sein Seelenleben ein, habe er ein Grab erworben. Seitdem kreisen seine Gedanken nur noch um sein Ableben. Eher lustlos ergriff er irgendeinen Beruf, heiratete und setzte Kinder in die Welt, aber als er mit Anfang Dreißig eine unerwartete Erbschaft machte, verabschiedete er sich erleichtert aus der Vita activa in Richtung Altersheim.
Mit einem nervtötend belehrenden Gestus verbreitet sich Graffs Held über das Leben und den Tod im allgemeinen, sein Plauderton soll Beiläufigkeit ausdrücken, wirkt jedoch bemüht und akribisch einstudiert, die gestelzten Pathos-Formeln sollen ihn entlarven, doch auch hier sind weder Witz noch Ironie zu spüren. „Feierabend” ist ein Buch zum Einschlafen und wäre nicht einmal als Vorruhestands-Soundtrack verwendbar: Die Grundidee des lebensmüden Jünglings ist schon bald ausgelutscht und fad wie ein alter Kaugummi, die Sprache ist langweilig, die Handlung einfallslos. Gedacht war das Ganze wohl als eine Mischung aus Komödie und conte philosophique – auf Du und Du mit den letzten Dingen, amüsant und nachdenklich, Tiefsinniges für den Hausgebrauch, herunter gedimmt auf das Niveau des lesenden Rentners. Aber wenn „Feierabend” die zeitgenössische Variante eines conte philosophique sein soll, steht es schlecht um die Grande Nation. Armer Voltaire!
Nur einmal schöpft man Hoffnung: vielleicht rafft sich der Autor doch noch zu einer unerwarteten Volte auf, schürzt gar einen Handlungsknoten, befördert einen Hauch von Spannung? Da taucht nämlich eine zerknitterte, krebskranke alte Dame namens Mireille auf, die Antoine sogleich ins Auge fällt. In bester Harold & Maude-Manier verguckt sich der Held in die zarte Greisin, aber da hören die Parallelen mit dem Kinoklassiker auch schon wieder auf. „Durch sie will ich das Erlöschen des Lebens begreifen”, formuliert Antoine mit seinem gekonnten Pseudopathos. Er erfüllt ihr den letzten Wunsch und bringt sie noch einmal ans Meer, wo er dann auch ihrem Dahinschwinden beiwohnen kann.
Laurent Graff findet keine Haltung zu seinem Thema. Weder schreibt er ein ätzend-geiferndes Buch über die Grausamkeit des Alterns und versucht sich in einem überschäumendem Realismus, wie es Marc Wortmann probierte, noch wagt er eine fetzige Satire, wie Bayamac-Tam es unternahm, noch gelingt ihm ein einfühlsames Porträt eines alternden Menschen, wie es zum Beispiel Agnès Desarthes in „Fünf Bilder meiner Frau” glückte. Man versteht nicht, was er will und was dieses Buch soll. „Feierabend” ist völlig belanglos. Nicht einmal die Schlusspointe zündet. Da sitzt Antoine nämlich, deutlich gealtert, wieder vor dem vertrauten Gebäude, aus dem jetzt, Ironie des Schicksals, ein Kinder- und Jugendheim geworden ist. Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben. Schlechtes Timing, Mann.
MAIKE ALBATH
LAURENT GRAFF: Feierabend. Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Verlag Antje Kunstmann, München 2002. 98 Seiten, 14,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

" Katharina Rutschky erklärt, dass es Norbert Müller in "Feierabend" um die ganz gewöhnliche "condition humaine", der "kosmischen Verlorenheit", die den Menschen zwischen Selbstverwirklichung und Sinnsuche umtreibt, so die Rezensentin. Im Mittelpunkt des Romans stehen der Werber Robert und seine literarisch ambitionierte Frau Nora. Während Nora mit Hilfe eines begeisterten Lektors auf dem Literaturmarkt landet, stürzt Robert aus seinem alten Leben, Job und Status und natürlich auch seine Frau, fasst Rutschky zusammen. Sie ist von der Sachkunde des Autors beeindruckt und meint, dass es dem Buch anzumerken ist, dass er sich in der "Welt der studierten Dreißig- bis Vierzigjährigen" genau auskennt. Offenbar nutze Müller hier eigene Erfahrungen, ohne diese jedoch "sentimental zu überschätzen", lobt die Rezensentin. Besonders aber hebt sie den "Verzicht auf Kritik" hervor, dem es Müller erlaubt, seine Protagonisten mit viel Humor, aber ohne jede "billige Ironie" zu schildern. Durch diese Haltung durchzieht den Roman ein "gleichschwebender Humor", der eine "eigentümliche Heiterkeit und Zuversicht" ausstrahlt, so Rutschky eingenommen. Im Grunde habe der Roman "kein Thema", sondern beschreibe einen "Zustand" des modernen Lebens, meint die Rezensentin weiter, die Müller als seltenen "Fall eines humoristischen Autors auf der Höhe der Zeit" preist.

© Perlentaucher Medien GmbH"…mehr