Wie politisch ist Kunst heute - und wie steht es um ihre oft beschworene Autonomie? Wolfgang Ullrich, Kunsthistoriker aus Westdeutschland mit Wohnort Leipzig, stellt Fragen an die Gegenwartskunst und ihre Vermarktung, die über das rein Ästhetische hinausgehen.Damit hat er 2019 eine weitreichende Debatte provoziert: Dem in der ZEIT formulierten Vorwurf, Neo Rauch und andere in der DDR groß gewordene Maler würden unter Verweis auf die Freiheit der Kunst vermehrt rechte Positionen einnehmen, begegnete der Künstler mit dem großformatigen Bild »Der Anbräuner«. In den Feuilletons und im Netz folgte Entrüstung.Wieso kam es zu solch heftigen Reaktionen? Wolfgang Ullrich tritt einen Schritt zurück und stellt fest, dass es ( jenseits dieses Falls) um grundsätzliche Konfliktlinien geht: Vordergründig um das Verhältnis zwischen Künstler und Kritiker. Dann um die offenbar wachsende Spannung zwischen Ost- und Westdeutschland. Und am Ende um den alten neuen Widerspruch zwischen der Sehnsucht nach Heimat mit festen Grenzen und dem Wunsch nach Offenheit und Pluralismus.Ein wichtiger Beitrag zur Debattenkultur zwischen Ost und West.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Sehr ernsthaft und gewissermaßen bis heute erschrocken erzählt Kito Nedo von dem zugrunde liegenden Streit dieses Essays, der womöglich, so zitiert er den Autor, ein Grabenkampf zwischen Ost- und West-Kunst oder -Kunstauffassung sein könnte. Aber dass sich daraus Gegengründungen rechter Kunstinstitutionen ergeben könnten, diese Furcht teilt er nicht mit dem. Vielmehr vermutet der nachdenkliche Kritiker, dass es der östlichen, sich vom Westen majorisiert fühlenden Kunstperspektive weiterhin gefallen wird, sich "von den Rändern" aus lautstark zu äußern - und in die gesellschaftliche Mitte zu zielen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2020West-Wort trifft Ost-Bild
Appell ans Publikum: Wolfgang Ullrich lädt dazu ein, sein Scharmützel mit dem Maler Neo Rauch zu beurteilen.
Von Karlheinz Lüdeking
Am 16. Mai 2019 druckte die Wochenzeitung "Die "Zeit" einen Artikel von Wolfgang Ullrich mit dem Titel "Auf dunkler Scholle". Darin wurden Äußerungen des Malers Neo Rauch zitiert, in denen der Autor "Motive rechten Denkens" ausmachte. Sechs Wochen später erschien in derselben Zeitung die Reproduktion eines Gemäldes, das der Künstler als "Replik" auf diesen Artikel geschaffen hatte. Unter dem Titel "Der Anbräuner" zeigt es einen Maler, der seine Exkremente benutzt, um eine Figur zu skizzieren, die den Arm zum Hitlergruß hebt. Hinten blickt Hitler persönlich durchs Fenster in das enge Atelier, in dem sich unter anderem einige Zeitungen stapeln.
Das Privileg, dieses Gemälde betrachten zu dürfen, hatten bisher nur die geladenen Gäste einer Auktion zugunsten eines Leipziger Kinderkrankenhauses. Dort wurde es von dem Immobilienhändler Christoph Gröner für 550 000 Euro ersteigert, der nach dem Zuschlag spontan noch 200 000 Euro drauflegte. Danach wurde das Werk kaum noch kommentiert.
Nun beschäftigt sich Wolfgang Ullrich neuerlich mit dem Gemälde: in einem Buch mit dem Titel "Feindbild werden". Der Untertitel lautet "Ein Bericht". Dieser beschränkt sich aber keineswegs auf die Aufzählung unstrittiger Tatsachen. Er dient vielmehr als Plädoyer zur Verteidigung der eigenen Ansichten. Wer das Buch liest, wird zum Mitwirkenden eines Gerichtsverfahrens, bei dem nach der Beweisaufnahme ein Urteil über die Handlungen und die Haltungen der Beteiligten zu fällen ist. Welches Urteil das sein sollte, kann man als Rezensent nicht bestimmen. Man kann nur die Bedingungen klären, unter denen es zustande kommt.
Dazu gehört vor allem das Prinzip, dass auch die andere Seite gehört werden muss. Nun hat aber Rauchs Stellungnahme die Form eines Bildes, das schon deshalb nicht so leicht zu verstehen ist, weil seine Malerei generell eine neosurrealistische Vieldeutigkeit kultiviert. Einiges wollte der Maler aber doch unmissverständlich klarmachen. Die oben auf dem Stapel liegende Zeitung wird durch die Aufschrift "taz" eindeutig identifiziert, und die auf der Leinwand angebrachte Signatur "W. U." kann eigentlich nur auf Wolfgang Ullrich verweisen. Da dieser aber im wirklichen Leben gar kein Maler ist, fragt man sich, wieso Rauch ihm die Ehre erweist, ihn sozusagen als Künstlerkollegen darzustellen. Er sieht ihn wohl als einen, der sich ein - leider ganz falsches - Bild von ihm gemacht hat.
Rätselhaft bleibt dabei, warum Rauch die Vermutung, er neige zur politischen Rechten, überhaupt als Kränkung auffassen konnte. Ist er in Wahrheit ein Linker, der sich bisher nur noch nicht als solcher bekannt hat? Ist er ein Rechter, der nicht als Rechter bezeichnet werden möchte? Ist er gänzlich unpolitisch und empfindet jede Etikettierung als Zumutung? Klar ist zumindest, dass der Maler sich von Ullrich diffamiert, also angeschwärzt fühlt, und zwar nicht nur als Rechter, sondern als Nationalsozialist. Deshalb verwendet er den (von Ernst Jünger geprägten) Ausdruck des "Anbräunens". Da man durch Diffamierung und Verleumdung gewöhnlich dem Zugriff einer Macht ausgeliefert wird, fragt sich zudem, welche Macht das ist. Ist es die zahlungskräftige Käuferschaft seiner Werke? Diese lässt sich, wie die Versteigerung beweist, durch das Angebräunt-worden-Sein nicht unbedingt abschrecken. Die zu fürchtende Macht scheint demnach eher dieselbe allgemeine Öffentlichkeit zu sein, an die auch Wolfgang Ullrich mit seinem Buch appelliert.
Während Rauch der Kraft des Bildes vertraut, artikuliert sein Widersacher, wie es sich für einen Kulturwissenschaftler gehört, seine Sicht der Dinge in korrekt gebildeten Sätzen der deutschen Sprache. Dabei bemüht er sich vor allem, die private Konfrontation in einen Zusammenhang mit allgemeineren Tendenzen zu stellen. Zu diesem Zweck erweitert er Diagnosen, die er schon früher gestellt hat, zum Beispiel in seinem eingangs erwähnten Artikel über die Adaption des Ideals der Kunstautonomie durch die politische Rechte. Er prognostiziert aber auch neue Entwicklungen wie etwa die Wiederbelebung des Ost-West-Konflikts. Dabei bleiben seine Darlegungen, weil sie die Form von überprüfbaren Aussagen haben, grundsätzlich revidier- und angreifbar.
Die Evidenz des Bildes erscheint demgegenüber unmittelbarer und authentischer. Was es zeigt, kann man weder bezweifeln noch verneinen. Da Rauchs Gemälde aber Sachverhalte der wirklichen Welt wiedergeben will, verlangt es, wie die Buchstaben auf der Zeitung und der Leinwand bezeugen, schon von sich aus wieder nach dem Beistand der Sprache. Außerdem hätte man das Bild in der Zeitung gewiss nicht ohne jeden Kommentar reproduzieren können, denn dann hätte niemand verstanden, was es damit auf sich hat.
Verstehen ist für manche jedoch gar nicht das Wichtigste. Das beweist ein Text auf einer Website, die sich selbst als "die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz" feiert. Das Gemälde von Neo Rauch, heißt es dort, sei sehr zu loben, denn es entlarve die "Typen", die ihren "Unrat gegen uns ins Feuilleton spritzen". "Jeder kennt sie, die Schreiberlinge die aus ihrem Wortegewurstel mit Scheiße schmeißen in der Hoffnung, dass am Ende doch irgendwas hängen bleiben wird." Der dies schrieb, zählt sich selbst naturgemäß nicht zu den Schreiberlingen. Er sieht sich eher als ein Mann der Tat, und Rauchs Gemälde soll ihm zur Waffe werden. Sobald einer der Schreiberlinge wieder einmal einen seiner niederträchtigen Artikel verfassen will, so droht er, "wollen wir es hervorholen und es hochhalten wie einen Schild". Wäre es da nicht eine grandiose Geste gewesen, wenn Neo Rauch sich entschlossen hätte, auch hierzu eine bildhafte Stellungnahme abzugeben?
Wolfgang Ullrich: "Feindbild werden".
Ein Bericht.
Wagenbach Verlag, Berlin 2020. 144 S., br., 10,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Appell ans Publikum: Wolfgang Ullrich lädt dazu ein, sein Scharmützel mit dem Maler Neo Rauch zu beurteilen.
Von Karlheinz Lüdeking
Am 16. Mai 2019 druckte die Wochenzeitung "Die "Zeit" einen Artikel von Wolfgang Ullrich mit dem Titel "Auf dunkler Scholle". Darin wurden Äußerungen des Malers Neo Rauch zitiert, in denen der Autor "Motive rechten Denkens" ausmachte. Sechs Wochen später erschien in derselben Zeitung die Reproduktion eines Gemäldes, das der Künstler als "Replik" auf diesen Artikel geschaffen hatte. Unter dem Titel "Der Anbräuner" zeigt es einen Maler, der seine Exkremente benutzt, um eine Figur zu skizzieren, die den Arm zum Hitlergruß hebt. Hinten blickt Hitler persönlich durchs Fenster in das enge Atelier, in dem sich unter anderem einige Zeitungen stapeln.
Das Privileg, dieses Gemälde betrachten zu dürfen, hatten bisher nur die geladenen Gäste einer Auktion zugunsten eines Leipziger Kinderkrankenhauses. Dort wurde es von dem Immobilienhändler Christoph Gröner für 550 000 Euro ersteigert, der nach dem Zuschlag spontan noch 200 000 Euro drauflegte. Danach wurde das Werk kaum noch kommentiert.
Nun beschäftigt sich Wolfgang Ullrich neuerlich mit dem Gemälde: in einem Buch mit dem Titel "Feindbild werden". Der Untertitel lautet "Ein Bericht". Dieser beschränkt sich aber keineswegs auf die Aufzählung unstrittiger Tatsachen. Er dient vielmehr als Plädoyer zur Verteidigung der eigenen Ansichten. Wer das Buch liest, wird zum Mitwirkenden eines Gerichtsverfahrens, bei dem nach der Beweisaufnahme ein Urteil über die Handlungen und die Haltungen der Beteiligten zu fällen ist. Welches Urteil das sein sollte, kann man als Rezensent nicht bestimmen. Man kann nur die Bedingungen klären, unter denen es zustande kommt.
Dazu gehört vor allem das Prinzip, dass auch die andere Seite gehört werden muss. Nun hat aber Rauchs Stellungnahme die Form eines Bildes, das schon deshalb nicht so leicht zu verstehen ist, weil seine Malerei generell eine neosurrealistische Vieldeutigkeit kultiviert. Einiges wollte der Maler aber doch unmissverständlich klarmachen. Die oben auf dem Stapel liegende Zeitung wird durch die Aufschrift "taz" eindeutig identifiziert, und die auf der Leinwand angebrachte Signatur "W. U." kann eigentlich nur auf Wolfgang Ullrich verweisen. Da dieser aber im wirklichen Leben gar kein Maler ist, fragt man sich, wieso Rauch ihm die Ehre erweist, ihn sozusagen als Künstlerkollegen darzustellen. Er sieht ihn wohl als einen, der sich ein - leider ganz falsches - Bild von ihm gemacht hat.
Rätselhaft bleibt dabei, warum Rauch die Vermutung, er neige zur politischen Rechten, überhaupt als Kränkung auffassen konnte. Ist er in Wahrheit ein Linker, der sich bisher nur noch nicht als solcher bekannt hat? Ist er ein Rechter, der nicht als Rechter bezeichnet werden möchte? Ist er gänzlich unpolitisch und empfindet jede Etikettierung als Zumutung? Klar ist zumindest, dass der Maler sich von Ullrich diffamiert, also angeschwärzt fühlt, und zwar nicht nur als Rechter, sondern als Nationalsozialist. Deshalb verwendet er den (von Ernst Jünger geprägten) Ausdruck des "Anbräunens". Da man durch Diffamierung und Verleumdung gewöhnlich dem Zugriff einer Macht ausgeliefert wird, fragt sich zudem, welche Macht das ist. Ist es die zahlungskräftige Käuferschaft seiner Werke? Diese lässt sich, wie die Versteigerung beweist, durch das Angebräunt-worden-Sein nicht unbedingt abschrecken. Die zu fürchtende Macht scheint demnach eher dieselbe allgemeine Öffentlichkeit zu sein, an die auch Wolfgang Ullrich mit seinem Buch appelliert.
Während Rauch der Kraft des Bildes vertraut, artikuliert sein Widersacher, wie es sich für einen Kulturwissenschaftler gehört, seine Sicht der Dinge in korrekt gebildeten Sätzen der deutschen Sprache. Dabei bemüht er sich vor allem, die private Konfrontation in einen Zusammenhang mit allgemeineren Tendenzen zu stellen. Zu diesem Zweck erweitert er Diagnosen, die er schon früher gestellt hat, zum Beispiel in seinem eingangs erwähnten Artikel über die Adaption des Ideals der Kunstautonomie durch die politische Rechte. Er prognostiziert aber auch neue Entwicklungen wie etwa die Wiederbelebung des Ost-West-Konflikts. Dabei bleiben seine Darlegungen, weil sie die Form von überprüfbaren Aussagen haben, grundsätzlich revidier- und angreifbar.
Die Evidenz des Bildes erscheint demgegenüber unmittelbarer und authentischer. Was es zeigt, kann man weder bezweifeln noch verneinen. Da Rauchs Gemälde aber Sachverhalte der wirklichen Welt wiedergeben will, verlangt es, wie die Buchstaben auf der Zeitung und der Leinwand bezeugen, schon von sich aus wieder nach dem Beistand der Sprache. Außerdem hätte man das Bild in der Zeitung gewiss nicht ohne jeden Kommentar reproduzieren können, denn dann hätte niemand verstanden, was es damit auf sich hat.
Verstehen ist für manche jedoch gar nicht das Wichtigste. Das beweist ein Text auf einer Website, die sich selbst als "die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz" feiert. Das Gemälde von Neo Rauch, heißt es dort, sei sehr zu loben, denn es entlarve die "Typen", die ihren "Unrat gegen uns ins Feuilleton spritzen". "Jeder kennt sie, die Schreiberlinge die aus ihrem Wortegewurstel mit Scheiße schmeißen in der Hoffnung, dass am Ende doch irgendwas hängen bleiben wird." Der dies schrieb, zählt sich selbst naturgemäß nicht zu den Schreiberlingen. Er sieht sich eher als ein Mann der Tat, und Rauchs Gemälde soll ihm zur Waffe werden. Sobald einer der Schreiberlinge wieder einmal einen seiner niederträchtigen Artikel verfassen will, so droht er, "wollen wir es hervorholen und es hochhalten wie einen Schild". Wäre es da nicht eine grandiose Geste gewesen, wenn Neo Rauch sich entschlossen hätte, auch hierzu eine bildhafte Stellungnahme abzugeben?
Wolfgang Ullrich: "Feindbild werden".
Ein Bericht.
Wagenbach Verlag, Berlin 2020. 144 S., br., 10,- [Euro].
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