Eine Ermittlung gegen die Brunettis? Unmöglich.
Übergrlücklich hatten sie damals, vor zwanzig Jahren als frischverheiratetes Paar ihre Wohnung über den Dächern von Venedig erworben - ohne viel zu fragen. Und jetzt steht plötzlich ein Beamter vom Katasteramt, Franco Rossi, vor der Tür und stellt Fragen nach der Baugenehmigung und anderen Dokumenten. Als dieser wenig später von einem Baugerüst stürzt, weiß Brunetti mit Sicherheit, daß es keineswegs nur um seine Wohnung geht. Seine Ermittlungen führenihn in die venezianische Drogenszene, zu Wucher und Korruption. Nur feine Freunde können da noch helfen.
Übergrlücklich hatten sie damals, vor zwanzig Jahren als frischverheiratetes Paar ihre Wohnung über den Dächern von Venedig erworben - ohne viel zu fragen. Und jetzt steht plötzlich ein Beamter vom Katasteramt, Franco Rossi, vor der Tür und stellt Fragen nach der Baugenehmigung und anderen Dokumenten. Als dieser wenig später von einem Baugerüst stürzt, weiß Brunetti mit Sicherheit, daß es keineswegs nur um seine Wohnung geht. Seine Ermittlungen führenihn in die venezianische Drogenszene, zu Wucher und Korruption. Nur feine Freunde können da noch helfen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.05.2002Auf venezianische Weise geregelt
Mit Brunettis neuntem Fall geht Donna Leon im Kanal baden
Die Vorlieben des biederen venezianischen Commissario Guido Brunetti sind aus den vorangehenden acht Romanen Donna Leons hinlänglich bekannt. Am liebsten liegt er wie ein "gestrandeter Wal" daheim auf dem Sofa, nippt hin und wieder am Grappa und blättert tatenarm, aber gedankenvoll in seiner Xenophon-Ausgabe. Denn er ist ein gebildeter Mann und wohl sogar ein wenig überqualifiziert für das rauhe Geschäft der Verbrecherjagd. Das häusliche Glück scheint vollkommen, zumal Gattin Paola es seit dem letzten Buch aufgegeben hat, auf eigene Faust gegen die Übel dieser Welt anzukämpfen, womit sie ihren Ehemann in beträchtliche Konflikte mit seinen Dienstpflichten gebracht hatte. Statt dessen bereitet sie nun wieder geduldig das nächste Risotto vor, Erbse für Erbse.
Doch plötzlich gerät die Reis-und-Pasta-Idylle der Brunettis in Gefahr. Ein sympathischer Beamter des Katasteramts nämlich versucht dem verdutzten Commissario zu beweisen, daß sein geliebtes Domizil im Herzen Venedigs überhaupt nicht existiert. Baupläne, gar eine Baugenehmigung für die Dachgeschoßwohnung der Brunettis hat es offenbar nie gegeben, und so droht nach strenger Behördenlogik eine schwere Geldbuße, womöglich gar der Abriß der Wohnung. Das ist zweifellos eine betrübliche Nachricht für den ruhebedürftigen Polizisten, der nun gemeinsam mit Paola nach Möglichkeiten suchen muß, diese Angelegenheit auf venezianische Weise, also abseits der amtlichen Wege, zu regeln. Aber taugen solche Wohnungsprobleme dazu, Spannung über mehr als dreihundert Seiten aufrechtzuerhalten?
Das hat sich Donna Leon offenbar auch gefragt, und so läßt sie sich denn allerhand einfallen, um Brunettis private Sorgen mit dreieinhalb richtigen Kriminalfällen zu verbinden. Eines Tages verunglückt der nette Katasterbeamte bei einem Sturz vom Baugerüst. Einzig der instinktsichere Brunetti, dem dieser vermeintliche Unfall eigentlich ganz willkommen sein dürfte, wittert dahinter ein Verbrechen und beginnt eigenmächtig seine Recherchen. Die führen ihn - wir haben es nicht anders erwartet - in einen tiefen Sumpf von Korruption und Bestechlichkeit. So dürfte dieses neue Buch für treue Brunetti-Fans wenig Überraschendes bieten, weshalb denn auch die Handlung immer träger vor sich hin dümpelt, wie das trübe Wasser in einem Kanal.
Gegen Langeweile aber glaubt Donna Leon ein sicheres Rezept zu kennen, schließlich hat sie noch jeden ihrer Romane mit einer wohldosierten Dosis Sozialkritik ausgestattet. Diesmal meint sie es besonders gut und greift gleich zwei heiße oder eher lauwarme Eisen auf. Da ist zunächst das Rauschgift, das hoffnungsvolle Söhne in rücksichtslose Dealer oder hilflose Opfer verwandelt und selbst standhafte Väter zum Weinen bringt. So hat man es oft gelesen, und so beschreibt es auch Donna Leon. Kaum ein Klischee läßt sie bei der Beschreibung des Drogenmilieus aus, vergißt auch nicht den "guten Junkie", der als braver Junge vom Land in der großen Stadt verführt wird. Eine hübsche Pointe besteht freilich darin, daß diesmal Brunettis Vorgesetzter, der unsympathische Vice-Questore Patta, gewaltig leiden muß, da sein eigener Sohn als Dealer verhaftet wird. So dient die Rauschgiftszene allein als gruslig-pittoresker Hintergrund für Brunettis unermüdliche Streifzüge durch Venedig und hat wenig mit der eigentlichen Handlung zu tun.
Ein weit schlimmeres Übel verbirgt sich unter dem Deckmantel christlicher Nächstenliebe, wie Brunetti während seiner Ausflüge entdecken muß: Ein abgerissenes altes Paar, das täglich auf dem Campo San Luca Besucher empfängt, verschenkt öffentlich Heiligenbilder, heimlich aber verleiht es Geld zu Wucherzinsen und hat auf diese Weise bereits zahlreiche venezianische Häuser in seinen Besitz gebracht. Die moralische Entrüstung des guten Commissario und seiner Erfinderin ist groß, und das leise geraunte Zauberwort "Mafia" verleiht allen Machenschaften ein zusätzliches Geheimnis, an das niemand zu rühren wagt. Deshalb verschwinden die alten Wucherer auch bald wieder aus dem Blickfeld der Leser. Statt dessen erscheinen in den letzten Kapiteln des Romans unversehens zwei neue Verdächtige, die sich schließlich als die wahren Schuldigen am Tod des Katasterbeamten offenbaren. Mit Drogen oder Zinswucher haben sie allerdings nichts zu tun, am allerwenigsten mit der Mafia.
Es läßt sich nicht länger verschweigen: Donna Leon hat ein fades und verworrenes Buch geschrieben. Enttäuschten Lesern sei am Ende der Rat gegeben, es dem gebildeten Brunetti gleichzutun und sich mit einer Ausgabe der "Anabasis" aufs nächste Sofa zu legen. Xenophons Berichte über das griechische Heer können an Spannung und klarer Handlungsführung all das wettmachen, was dieser Roman vermissen läßt.
SABINE DOERING
Donna Leon: "Feine Freunde". Commissario Brunettis neunter Fall. Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Monika Elwenspoek. Diogenes Verlag, Zürich 2001. 333 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit Brunettis neuntem Fall geht Donna Leon im Kanal baden
Die Vorlieben des biederen venezianischen Commissario Guido Brunetti sind aus den vorangehenden acht Romanen Donna Leons hinlänglich bekannt. Am liebsten liegt er wie ein "gestrandeter Wal" daheim auf dem Sofa, nippt hin und wieder am Grappa und blättert tatenarm, aber gedankenvoll in seiner Xenophon-Ausgabe. Denn er ist ein gebildeter Mann und wohl sogar ein wenig überqualifiziert für das rauhe Geschäft der Verbrecherjagd. Das häusliche Glück scheint vollkommen, zumal Gattin Paola es seit dem letzten Buch aufgegeben hat, auf eigene Faust gegen die Übel dieser Welt anzukämpfen, womit sie ihren Ehemann in beträchtliche Konflikte mit seinen Dienstpflichten gebracht hatte. Statt dessen bereitet sie nun wieder geduldig das nächste Risotto vor, Erbse für Erbse.
Doch plötzlich gerät die Reis-und-Pasta-Idylle der Brunettis in Gefahr. Ein sympathischer Beamter des Katasteramts nämlich versucht dem verdutzten Commissario zu beweisen, daß sein geliebtes Domizil im Herzen Venedigs überhaupt nicht existiert. Baupläne, gar eine Baugenehmigung für die Dachgeschoßwohnung der Brunettis hat es offenbar nie gegeben, und so droht nach strenger Behördenlogik eine schwere Geldbuße, womöglich gar der Abriß der Wohnung. Das ist zweifellos eine betrübliche Nachricht für den ruhebedürftigen Polizisten, der nun gemeinsam mit Paola nach Möglichkeiten suchen muß, diese Angelegenheit auf venezianische Weise, also abseits der amtlichen Wege, zu regeln. Aber taugen solche Wohnungsprobleme dazu, Spannung über mehr als dreihundert Seiten aufrechtzuerhalten?
Das hat sich Donna Leon offenbar auch gefragt, und so läßt sie sich denn allerhand einfallen, um Brunettis private Sorgen mit dreieinhalb richtigen Kriminalfällen zu verbinden. Eines Tages verunglückt der nette Katasterbeamte bei einem Sturz vom Baugerüst. Einzig der instinktsichere Brunetti, dem dieser vermeintliche Unfall eigentlich ganz willkommen sein dürfte, wittert dahinter ein Verbrechen und beginnt eigenmächtig seine Recherchen. Die führen ihn - wir haben es nicht anders erwartet - in einen tiefen Sumpf von Korruption und Bestechlichkeit. So dürfte dieses neue Buch für treue Brunetti-Fans wenig Überraschendes bieten, weshalb denn auch die Handlung immer träger vor sich hin dümpelt, wie das trübe Wasser in einem Kanal.
Gegen Langeweile aber glaubt Donna Leon ein sicheres Rezept zu kennen, schließlich hat sie noch jeden ihrer Romane mit einer wohldosierten Dosis Sozialkritik ausgestattet. Diesmal meint sie es besonders gut und greift gleich zwei heiße oder eher lauwarme Eisen auf. Da ist zunächst das Rauschgift, das hoffnungsvolle Söhne in rücksichtslose Dealer oder hilflose Opfer verwandelt und selbst standhafte Väter zum Weinen bringt. So hat man es oft gelesen, und so beschreibt es auch Donna Leon. Kaum ein Klischee läßt sie bei der Beschreibung des Drogenmilieus aus, vergißt auch nicht den "guten Junkie", der als braver Junge vom Land in der großen Stadt verführt wird. Eine hübsche Pointe besteht freilich darin, daß diesmal Brunettis Vorgesetzter, der unsympathische Vice-Questore Patta, gewaltig leiden muß, da sein eigener Sohn als Dealer verhaftet wird. So dient die Rauschgiftszene allein als gruslig-pittoresker Hintergrund für Brunettis unermüdliche Streifzüge durch Venedig und hat wenig mit der eigentlichen Handlung zu tun.
Ein weit schlimmeres Übel verbirgt sich unter dem Deckmantel christlicher Nächstenliebe, wie Brunetti während seiner Ausflüge entdecken muß: Ein abgerissenes altes Paar, das täglich auf dem Campo San Luca Besucher empfängt, verschenkt öffentlich Heiligenbilder, heimlich aber verleiht es Geld zu Wucherzinsen und hat auf diese Weise bereits zahlreiche venezianische Häuser in seinen Besitz gebracht. Die moralische Entrüstung des guten Commissario und seiner Erfinderin ist groß, und das leise geraunte Zauberwort "Mafia" verleiht allen Machenschaften ein zusätzliches Geheimnis, an das niemand zu rühren wagt. Deshalb verschwinden die alten Wucherer auch bald wieder aus dem Blickfeld der Leser. Statt dessen erscheinen in den letzten Kapiteln des Romans unversehens zwei neue Verdächtige, die sich schließlich als die wahren Schuldigen am Tod des Katasterbeamten offenbaren. Mit Drogen oder Zinswucher haben sie allerdings nichts zu tun, am allerwenigsten mit der Mafia.
Es läßt sich nicht länger verschweigen: Donna Leon hat ein fades und verworrenes Buch geschrieben. Enttäuschten Lesern sei am Ende der Rat gegeben, es dem gebildeten Brunetti gleichzutun und sich mit einer Ausgabe der "Anabasis" aufs nächste Sofa zu legen. Xenophons Berichte über das griechische Heer können an Spannung und klarer Handlungsführung all das wettmachen, was dieser Roman vermissen läßt.
SABINE DOERING
Donna Leon: "Feine Freunde". Commissario Brunettis neunter Fall. Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Monika Elwenspoek. Diogenes Verlag, Zürich 2001. 333 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der neunte "Brunetti"
Da ist er nun also, der neunte "Brunetti" - für alle Fans, vor allem in Deutschland ein Muss im heimischen Bücherschrank. Fragt sich der - selbst von den erfolgreichen Verfilmungen mit Joachim Król und Barbara Auer, denen schon bald weitere folgen sollen - "unbeleckte" Rezensent unwillkürlich: Muss man sie alle gelesen haben, die acht Vorgänger-Bände, um die Faszination zu verstehen, den die Romane der Wahl-Venezianierin Leon offensichtlich ausstrahlen? Die Antwort ist: Nein!
Unverwechselbare Persönlichkeiten
Denn es ist der Autorin gelungen, ohne ausufernde Beschreibungsorgien ihre Haupt-Charaktere so plastisch zu zeichnen, dass sie bald auch für den "Neo-Brunettologen" zu unverwechselbaren Persönlichkeiten werden. Obschon es sicherlich außerordentlich aufschlussreich wäre, sie schon in früheren Fällen getroffen zu haben: Paola, die ebenso widerborstige, wie kluge Ehefrau unseres Helden.
Vice-Questore Patta, seinen Vorgesetzten, nach wenigen Sätzen erkennbares "Brechmittel vom Dienst" - ein Karrierist und Schleimer, der entweder seine Untergebenen schikaniert oder die ihm Übergeordneten hofiert und dabei nicht erkennt, dass er es nie wirklich zu etwas bringen wird.
Signorina Elettra, die Vorzimmerdame, im Wesen (wiewohl nicht Aussehen) der patenten und cleveren Sekretärin "Adelheid" aus der gleichnamigen TV-Serie nicht unähnlich, schaltet sie sich doch gern (und gut) ungefragt in laufende Ermittlungen ein und bringt - sei es nun durch ihre Kombinationsgabe, ihre Computerkenntnisse oder ihre zahlreichen Beziehungen - so manches in Erfahrung, was auf "offiziellen Wegen" wohl für immer verborgen bleiben würde und ist sich auch nicht zu schade, bei Bedarf verdeckte Ermittlungen durchzuführen.
Vianello, seinen treuen Assistenten, absolut unbestechlich und loyal, aber auch mit eigenen Ideen, ein "Harry" von Format, wie ihn sich ein Kommissar nicht besser wünschen könnte, um auch in brenzligen Situationen immer jemanden zu haben, auf den man sich 100%ig verlassen kann.
Unkonventioneller Brunetti
In "Feine Freunde" geben sie sich ein Stelldichein, um den (Un-?)Fall des bedauernswerten Signor Rossi von der Baubehörde aufzuklären - und alles, was dieser verhängnisvolle Sturz noch nach sich zieht.
Und so manches, was dem teutonischen Betrachter absonderlich erscheinen möchte, fände wohl kein Italiener der Rede wert: weder den Pathologen, der mit Prada-Köfferchen am Tatort erscheint, die Spurensicherung, die sich von angeblichen Bauarbeitern unverrichteter Dinge wegschicken lässt noch gar die Tatsache, dass das Bankgeheimnis ein solches nur für Menschen OHNE Verwandten, Freunde oder Bekannten in einem Kreditinstitut ist.
Kein Wunder also, dass es fast zwingend notwendig erscheint, dass sich Brunetti zur Ergreifung des Mörders ebenso unkonventioneller, um nicht zu sagen unlauterer Mittel bedient. So weit - so gut.
Spannender Plot und falsche Spuren
Spannender Plot, falsche Spuren, der eine oder andere Hinweis zum Mitraten für den Leser, sowie eine überraschende Auflösung, die allerdings doch sehr konstruiert wirkt und einen schalen Nachgeschmack hinterlässt, wie es in vielen Krimis der Fall ist, in denen die Täter eigentlich selbst Opfer sind - der Umstände oder jener Menschen, für die sie die Tat begehen.
Doch leider gibt es noch einen weiteren Aspekt, der wesentlich dazu beiträgt, den Leser mit einem unbefriedigten Gefühl zu entlassen: Es scheint nämlich als sei Donna Leon die Fähigkeit, ihren Figuren in wenigen Sätzen so viel Leben einzuhauchen, dass der Leser nicht umhin kann, sich für sie zu begeistern, mit ihnen zu leiden, über sie zu lachen oder sie abgrundtief zu verabscheuen, im vorliegenden Roman zum Verhängnis geworden.
Denn unweigerlich fragt sich der bis kurz vor Schluss faszinierte Leser, warum ihm die Autorin eine solche Vielzahl sympathischer, skurriler oder einfach nur fieser Zeitgenossen in mindestens zwei bis drei Neben-Handlungssträngen präsentiert, wenn diese am Ende einfach im Nirwana versickern. Muss der Tod des jungen Architekturstudenten, der in jeder Zeichnung zwei kleine Häschen versteckte, für immer ungeklärt bleiben? Wird sich das Wuchererpaar bis an sein Lebensende an verzweifelten Schuldnern bereichern dürfen?
Oder hat die Autorin einfach nur mit einem geschickten Schachzug dafür gesorgt, dass sich auch der nächste Band der Reihe in gewohnt erfolgreicher Manier verkaufen wird? (Michaela Pelz, www.krimi-forum.de)
Da ist er nun also, der neunte "Brunetti" - für alle Fans, vor allem in Deutschland ein Muss im heimischen Bücherschrank. Fragt sich der - selbst von den erfolgreichen Verfilmungen mit Joachim Król und Barbara Auer, denen schon bald weitere folgen sollen - "unbeleckte" Rezensent unwillkürlich: Muss man sie alle gelesen haben, die acht Vorgänger-Bände, um die Faszination zu verstehen, den die Romane der Wahl-Venezianierin Leon offensichtlich ausstrahlen? Die Antwort ist: Nein!
Unverwechselbare Persönlichkeiten
Denn es ist der Autorin gelungen, ohne ausufernde Beschreibungsorgien ihre Haupt-Charaktere so plastisch zu zeichnen, dass sie bald auch für den "Neo-Brunettologen" zu unverwechselbaren Persönlichkeiten werden. Obschon es sicherlich außerordentlich aufschlussreich wäre, sie schon in früheren Fällen getroffen zu haben: Paola, die ebenso widerborstige, wie kluge Ehefrau unseres Helden.
Vice-Questore Patta, seinen Vorgesetzten, nach wenigen Sätzen erkennbares "Brechmittel vom Dienst" - ein Karrierist und Schleimer, der entweder seine Untergebenen schikaniert oder die ihm Übergeordneten hofiert und dabei nicht erkennt, dass er es nie wirklich zu etwas bringen wird.
Signorina Elettra, die Vorzimmerdame, im Wesen (wiewohl nicht Aussehen) der patenten und cleveren Sekretärin "Adelheid" aus der gleichnamigen TV-Serie nicht unähnlich, schaltet sie sich doch gern (und gut) ungefragt in laufende Ermittlungen ein und bringt - sei es nun durch ihre Kombinationsgabe, ihre Computerkenntnisse oder ihre zahlreichen Beziehungen - so manches in Erfahrung, was auf "offiziellen Wegen" wohl für immer verborgen bleiben würde und ist sich auch nicht zu schade, bei Bedarf verdeckte Ermittlungen durchzuführen.
Vianello, seinen treuen Assistenten, absolut unbestechlich und loyal, aber auch mit eigenen Ideen, ein "Harry" von Format, wie ihn sich ein Kommissar nicht besser wünschen könnte, um auch in brenzligen Situationen immer jemanden zu haben, auf den man sich 100%ig verlassen kann.
Unkonventioneller Brunetti
In "Feine Freunde" geben sie sich ein Stelldichein, um den (Un-?)Fall des bedauernswerten Signor Rossi von der Baubehörde aufzuklären - und alles, was dieser verhängnisvolle Sturz noch nach sich zieht.
Und so manches, was dem teutonischen Betrachter absonderlich erscheinen möchte, fände wohl kein Italiener der Rede wert: weder den Pathologen, der mit Prada-Köfferchen am Tatort erscheint, die Spurensicherung, die sich von angeblichen Bauarbeitern unverrichteter Dinge wegschicken lässt noch gar die Tatsache, dass das Bankgeheimnis ein solches nur für Menschen OHNE Verwandten, Freunde oder Bekannten in einem Kreditinstitut ist.
Kein Wunder also, dass es fast zwingend notwendig erscheint, dass sich Brunetti zur Ergreifung des Mörders ebenso unkonventioneller, um nicht zu sagen unlauterer Mittel bedient. So weit - so gut.
Spannender Plot und falsche Spuren
Spannender Plot, falsche Spuren, der eine oder andere Hinweis zum Mitraten für den Leser, sowie eine überraschende Auflösung, die allerdings doch sehr konstruiert wirkt und einen schalen Nachgeschmack hinterlässt, wie es in vielen Krimis der Fall ist, in denen die Täter eigentlich selbst Opfer sind - der Umstände oder jener Menschen, für die sie die Tat begehen.
Doch leider gibt es noch einen weiteren Aspekt, der wesentlich dazu beiträgt, den Leser mit einem unbefriedigten Gefühl zu entlassen: Es scheint nämlich als sei Donna Leon die Fähigkeit, ihren Figuren in wenigen Sätzen so viel Leben einzuhauchen, dass der Leser nicht umhin kann, sich für sie zu begeistern, mit ihnen zu leiden, über sie zu lachen oder sie abgrundtief zu verabscheuen, im vorliegenden Roman zum Verhängnis geworden.
Denn unweigerlich fragt sich der bis kurz vor Schluss faszinierte Leser, warum ihm die Autorin eine solche Vielzahl sympathischer, skurriler oder einfach nur fieser Zeitgenossen in mindestens zwei bis drei Neben-Handlungssträngen präsentiert, wenn diese am Ende einfach im Nirwana versickern. Muss der Tod des jungen Architekturstudenten, der in jeder Zeichnung zwei kleine Häschen versteckte, für immer ungeklärt bleiben? Wird sich das Wuchererpaar bis an sein Lebensende an verzweifelten Schuldnern bereichern dürfen?
Oder hat die Autorin einfach nur mit einem geschickten Schachzug dafür gesorgt, dass sich auch der nächste Band der Reihe in gewohnt erfolgreicher Manier verkaufen wird? (Michaela Pelz, www.krimi-forum.de)
»Donna Leon hat mit ihrem Commissario Brunetti eine ebenso sympathische wie intelligente und humane Figur erfunden, ein ebenbürtiges italienisches Pendant zum französischen Kollegen Maigret.« Christa Hasselhorst / Die Welt Die Welt