Von prominenten Beispielen, wie der Venusgrotte König Ludwigs II. im Schlosspark von Linderhof, bis hin zu kaum bekannten Anlagen reicht das Spektrum der künstlichen Felsbauten. Prachtvolle, mit Muscheln, Schnecken und Gesteinen ausgestattete Lustschlösser aus Renaissance und Rokoko spiegeln den Wettstreit der Künste mit der Natur wider. Täuschend echte Nachahmungen von Gebirgsformationen herrschen dagegen seit der Aufklärung nach dem Motto "Zurück zur Natur" vor. Seit der Entdeckung der Schweizer Alpen ist ein umfassender Berg- und Grottenbau zu beobachten, der im 19. Jahrhundert einen Höhepunkt erlebte, und sich nicht zuletzt in Kunstwerken und Filmen bis heute niederschlägt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2014Für den Tisch Der Mensch ist ja ein wahnsinnig ehrgeiziges Wesen. Hält er doch seit Jahrtausenden verbissen an dem Irrglauben fest, die Natur sei tatsächlich eine, die sich bezwingen ließe. Dabei weiß doch jedes Kind, dass sie sich am Ende alles zurückholt. Furchtlos. Immer.
Während die Griechen und der Orient der Natur noch eine gewisse Ehrfurcht entgegenbrachten und sich vor größeren Eingriffen in die Landschaft scheuten, sonnten sich die angriffslustigen Römer bereits in ihren Triumphen und legten den Grundstein für die "Prahlkunst" des Westens, wandelten über Brücken, schipperten durch Kanäle, fuhren durch Tunnel und bräunten sich auf künstlichen Inseln. Und was sich nicht bezwingen ließ, wurde einfach nachgeahmt. Rekonstruiert von detailverliebten Bastlern im kleinen Maßstab und mit allergrößter Sorgfalt. Von größenwahnsinnigen Italienern oder ewigen Kindern wie Walt Disney in der Nähe des Originals.
Das unglaublich elegante Buch "Felsengärten, Gartengrotten, Kunstberge" - das so überbordend daherkommt wie die architektonischen und gestalterischen Verrücktheiten der letzten fünf Jahrhunderte - versammelt endlich einmal all diese und dokumentiert akribisch jene vielfältigen Erscheinungsformen und Bauarten von "Kunst" - Bergen, Höhlen, Grotten, Felsen und Wasserfällen seit dem 16. Jahrhundert.
Das Lesen der wissenschaftlichen Texte lässt man schnell sein. Gerät man doch so herrlich ins Schwelgen beim Anblick der vielen wunderbaren Abbildungen, die vom Streich geschickter Menschenhände erzählen. Und ihrer Großspurigkeit. Bayerns Märchenkönig Ludwig II. (1845-1886) ließ sich beispielsweise auf dem Dach seiner Münchner Residenz einen Wintergarten mit Himalaja-Kulisse anlegen. Zwischen Palmen, bunten Blumen und saftigem Grün schipperte er - so stellt man es sich vor - dann in dem kleinen Fluss, der den Garten teilte durch sein Fernwehidyll. Wer nicht das Glück oder Privileg besaß, ihn begleiten zu dürfen, konnte sich Jahre später eine Postkarte von Ludwigs Paradies ans Küchenbord klemmen und in Gedanken weiterträumen. Darum ging es ja auch, beim Bezwingen der Natur mit Hilfe der Kunst. Um die Imagination. Das Gefühl, da gewesen zu sein. Wie oft ersehnten sich Malerei und Theater im 19. Jahrhundert eine Venusgrotte, angelehnt an jene "Blaue Grotte" auf Capri, nur viel ausgeschmückter als Mutter Natur es je gekonnt hätte. Wo tanzen schon Engel durch einen pinken Raum? Klar braucht es dazu wieder den Kindskopf Ludwig, das Genie Richard Wagner oder den Maler Heinrich Breling.
In den "Tyrolean Alps" auf der Weltausstellung 1904 in St. Louis lud eine Vergnügungsmeile die Besucher zu einer fiktiven Weltreise ein. Angefangen mit einer Alpenüberquerung. Die Schweizer Alpen haben übrigens, zusammen mit den hübschen Muscheln, den meisten Wahnsinn zu verantworten. Auch wenn es ganz tröstlich ist zu wissen, dass sich Berglandschaften auch aus Kopfkissen bauen lassen.
cawü
Uta Hassler (Hg.): "Felsengärten, Gartengrotten, Kunstberge - Motive der Natur in Architektur und Garten". Hirmer-Verlag 2014, 384 Seiten, 49,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Während die Griechen und der Orient der Natur noch eine gewisse Ehrfurcht entgegenbrachten und sich vor größeren Eingriffen in die Landschaft scheuten, sonnten sich die angriffslustigen Römer bereits in ihren Triumphen und legten den Grundstein für die "Prahlkunst" des Westens, wandelten über Brücken, schipperten durch Kanäle, fuhren durch Tunnel und bräunten sich auf künstlichen Inseln. Und was sich nicht bezwingen ließ, wurde einfach nachgeahmt. Rekonstruiert von detailverliebten Bastlern im kleinen Maßstab und mit allergrößter Sorgfalt. Von größenwahnsinnigen Italienern oder ewigen Kindern wie Walt Disney in der Nähe des Originals.
Das unglaublich elegante Buch "Felsengärten, Gartengrotten, Kunstberge" - das so überbordend daherkommt wie die architektonischen und gestalterischen Verrücktheiten der letzten fünf Jahrhunderte - versammelt endlich einmal all diese und dokumentiert akribisch jene vielfältigen Erscheinungsformen und Bauarten von "Kunst" - Bergen, Höhlen, Grotten, Felsen und Wasserfällen seit dem 16. Jahrhundert.
Das Lesen der wissenschaftlichen Texte lässt man schnell sein. Gerät man doch so herrlich ins Schwelgen beim Anblick der vielen wunderbaren Abbildungen, die vom Streich geschickter Menschenhände erzählen. Und ihrer Großspurigkeit. Bayerns Märchenkönig Ludwig II. (1845-1886) ließ sich beispielsweise auf dem Dach seiner Münchner Residenz einen Wintergarten mit Himalaja-Kulisse anlegen. Zwischen Palmen, bunten Blumen und saftigem Grün schipperte er - so stellt man es sich vor - dann in dem kleinen Fluss, der den Garten teilte durch sein Fernwehidyll. Wer nicht das Glück oder Privileg besaß, ihn begleiten zu dürfen, konnte sich Jahre später eine Postkarte von Ludwigs Paradies ans Küchenbord klemmen und in Gedanken weiterträumen. Darum ging es ja auch, beim Bezwingen der Natur mit Hilfe der Kunst. Um die Imagination. Das Gefühl, da gewesen zu sein. Wie oft ersehnten sich Malerei und Theater im 19. Jahrhundert eine Venusgrotte, angelehnt an jene "Blaue Grotte" auf Capri, nur viel ausgeschmückter als Mutter Natur es je gekonnt hätte. Wo tanzen schon Engel durch einen pinken Raum? Klar braucht es dazu wieder den Kindskopf Ludwig, das Genie Richard Wagner oder den Maler Heinrich Breling.
In den "Tyrolean Alps" auf der Weltausstellung 1904 in St. Louis lud eine Vergnügungsmeile die Besucher zu einer fiktiven Weltreise ein. Angefangen mit einer Alpenüberquerung. Die Schweizer Alpen haben übrigens, zusammen mit den hübschen Muscheln, den meisten Wahnsinn zu verantworten. Auch wenn es ganz tröstlich ist zu wissen, dass sich Berglandschaften auch aus Kopfkissen bauen lassen.
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Uta Hassler (Hg.): "Felsengärten, Gartengrotten, Kunstberge - Motive der Natur in Architektur und Garten". Hirmer-Verlag 2014, 384 Seiten, 49,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Das unglaublich elegante Buch "Felsengärten, Gartengrotten, Kunstberge" - das so überbordend daherkommt wie die architektonischen und gestalterischen Verrücktheiten der letzten fünf Jahrhunderte - versammelt endlich einmal all diese und dokumentiert akribisch jene vielfältigen Erscheinungsformen und Bauarten von "Kunst"-Bergen, -Höhlen, -Grotten, -Felsen und -Wasserfällen seit dem 16. Jahrhundert."
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
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