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Der Spanier Angel Crespo gilt als ausgezeichneter Kenner des Werkes von Fernando Pessoa. Mit der vorliegenden Biographie legt er eine spannend erzählte, von Legenden befreite Lebens- und Werkgeschichte des portugiesischen Dichters vor. Er schildert Pessoas eigenwillige Lebensweise, geht auf dessen Hinwendung zur Esoterik, zum Nationalismus, zur Homosexualität, zum Alkohol ein.

Produktbeschreibung
Der Spanier Angel Crespo gilt als ausgezeichneter Kenner des Werkes von Fernando Pessoa. Mit der vorliegenden Biographie legt er eine spannend erzählte, von Legenden befreite Lebens- und Werkgeschichte des portugiesischen Dichters vor. Er schildert Pessoas eigenwillige Lebensweise, geht auf dessen Hinwendung zur Esoterik, zum Nationalismus, zur Homosexualität, zum Alkohol ein.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.1996

Nimbus aus Eis
Angel Crespo erzählt das Leben Fernando Pessoas · Von Max Grosse

Wer war Fernando Pessoa, was gibt es über sein Leben zu berichten? Eine einfache Antwort auf diese Fragen scheint eines seiner Gedichte nahezulegen: Wenn ihr nach meinem Tode meine Biographie schreiben wollt, so ist nichts leichter als das.

Sie hat nur zwei Daten - Geburt und Todestag.

Alle Tage dazwischen gehören mir.

Ich bin leicht auf eine Formel zu bringen.

Ich war besessen vom Schauen.

Der Haken an dieser Selbstaussage ist nur, daß Pessoa sie Alberto Caeiro in den Mund legte. Der "Hüter der Herden", der sich an die Dinge der Welt verschwendete und in die Landschaft des Ribatejo versenkte, führte als "Meister" den Reigen der Masken an, die sich Pessoa für seine Dichtung und mit seiner Dichtung ersann. Hinter der Halbmaske des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares allerdings lugt das Gesicht des Autors deutlich hervor, wenn er im "Buch der Unruhe" seine Auffächerung in verschiedene Ichs zu Protokoll gibt: "Jeder von uns ist mehrere, ist viele, ist ein Übermaß an Selbsten. Deshalb ist, wer die Umgebung verachtet, nicht derselbe, der sich an ihr erfreut oder unter ihr leidet. In der weitläufigen Kolonie unseres Seins gibt es Leute von mancherlei Art, die auf unterschiedliche Weise denken und fühlen."

Der im vergangenen Jahr verstorbene spanische Dichter, Übersetzer und Literaturkritiker Angel Crespo hat Pessoas gebirgige Seelenlandschaft neu zu kartieren versucht. Die Ergebnisse seiner vier Jahrzehnte umspannenden Expeditionen in das Reich der Heteronyme faßte er 1988 zu einer erfrischend nüchternen Biographie zusammen, die jetzt auch in einer stellenweise etwas holprigen deutschen Übersetzung zu besichtigen ist. Schon der Untertitel "Das vervielfältigte Leben" verweist auf das Dilemma des Biographen. Muß dieser doch versuchen, sowohl dem auf den ersten Blick unscheinbaren Individuum Fernando António Nogueira Pessoa - geboren am 13. Juni 1888 um 15.22 Uhr in Lissabon und gestorben dortselbst am 30. November 1935 um 20.30 Uhr - gerecht zu werden als auch die Plejade der darin verborgenen Dichter-Subjekte mit ihren unterschiedlichen Lebensläufen und Schreibweisen aufleuchten zu lassen.

Es ist vermutet worden, daß Pessoa an einer leichteren Form von multipler Persönlichkeitsstörung litt. Den Weg der psychiatrischen Vermittlung zwischen den beiden Polen einer vielfach gespaltenen und dann im Werk doch wieder mit sich selbst identischen Persönlichkeit versagt sich Crespo in seiner Vorrede. Dieses Vorwort wird dem deutschen Leser zusammen mit der Bibliographie vorenthalten. Auf einen Anmerkungsapparat hatte leider schon das spanische Original verzichtet, was für die Übersetzung insofern doppelt schade ist, als eine ganze Reihe der von Crespo ausgiebig zitierten Werkfragmente sonst nicht auf deutsch vorliegen. Denn was ist Pessoa heute, wenn nicht jene zwanzigtausend fliegenden Blätter, welche die Portugiesische Nationalbibliothek aus seinem Nachlaß erhielt und welche die Forscher in immer neuen Anläufen zu Büchern zusammensetzen, den Liebhabern der Dichtung zum Entzücken und zum Erstaunen?

Zwar hatte Pessoa sich in seinem Lebensplan vorgenommen, seine Papiere aus der legendären Truhe in mehrere kleinere Kästen zu sortieren, damit zum Werk zusammenwachse, was zusammengehört. Daß es dazu nicht kam, macht besonders die Rekonstruktion der geplanten großen Prosatexte wie "Das Buch der Unruhe" oder "Die Rückkehr der Götter" heikel, zumal viele Bruchstücke weder numeriert noch datiert sind. Durch dieses Labyrinth der Texte führt Crespo seine Leser soweit wie möglich am chronologischen Faden des Lebenslaufes. Anders als sein Vorgänger Joao Gaspar Simoes, der den Dichter noch persönlich gekannt hatte, siedelt er seinen Helden nicht nur im Niemandsland des Traumes an: "Pessoa war eben kein Bewohner einer nichtexistierenden Welt, sondern der Bewohner . . . einer Welt, mit der er sich nicht konform fühlte, vielleicht weil er sie mit einer unendlichen Genauigkeit analysierte."

Immerhin hatte Pessoa im südafrikanischen Durban, wohin ihn nach dem Tode seines Vaters die Heirat seiner Mutter mit dem Diplomaten Joao Miguel Rosa verschlagen hatte, die Handelsschule besucht. Da sich die Hoffnung auf ein englisches Stipendium trotz bester Noten nicht erfüllte, kehrte Pessoa zu einem bald abgebrochenen Philosophiestudium nach Lissabon zurück. In der Geschäftswelt der Stadt bewegte er sich als Handelskorrespondent. Da ihm dieser mäßig bezahlte Broterwerb Zeit zum Schreiben ließ, zog er ihn einer festen Anstellung vor. Pessoas weitergehende Versuche, geschäftlich zu reüssieren, schlugen jedoch alle fehl, auch wenn man ihm dabei Einfallsreichtum nur schwerlich wird absprechen können: So gründete er mit dem Erbe seiner Großmutter den bald bankrotten Druckereibetrieb "Ibis", versuchte sich als Erfinder, entwarf Werbung für das dunkelbraun blubbernde Gebräu eines bekannten amerikanischen Getränkeherstellers, gab zusammen mit seinem Schwager Francisco Caetano Dias die "Zeitschrift für Handel und Buchhaltung" heraus, die er zu allem Überfluß mit wirtschaftstheoretischen Artikeln aus eigener Feder anreicherte.

Ins Auge sticht eine stets in vollendete Höflichkeit und Freundlichkeit gehüllte Distanziertheit, ein - wie es im "Buch der Unruhe" heißt - "Nimbus aus Eis", den nicht einmal die platonische Liebelei mit Ophélia Queiroz völlig zum Schmelzen bringt. Wirklich enge Freunde hat Pessoa nicht mehr, seit der Dichter Mário de Sá-Caneiro 1916 in Paris Selbstmord begangen hat, literarische Vorbilder eigentlich auch nicht. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich Pessoa rasch von Dekadenz, französischem Symbolismus und dessen portugiesischem Nachspiel, dem Saudosismo (Sehnsuchtskult), abgesetzt. Noch zwei Wochen vor seinem Tod an Leberzirrhose bemerkt der Dichter in einem Brief, er habe "in Wahrheit niemals nach irgendwas Sehnsucht empfunden".

Selbst wenn ihm das künstliche Paradies des Alkohols lieb und teuer war, nach dem natürlichen der Kindheit hat es ihn nie zurückverlangt. Der Provinzialität der Lissabonner Literaturszene entrann Pessoa nicht durch die Auswanderung, sondern durch die "Explosion nach Innen", die Erfindung der Heteronyme. Bald waren Alvaro de Campos und Ricardo Reis in lebhafte literarische Auseinandersetzungen miteinander und über ihren gemeinsamen Lehrer Caeiro verwickelt, in die sich bald der Philosoph António Mora und Fernando Pessoa selbst einschalteten. Die Darstellung ihrer verwickelten Diskussionen über das neue Heidentum ist Crespos wichtigster Beitrag zur Erhellung von Pessoas Werk, denn in einem erneuerten Polytheismus wurzeln die Ekstasen des Alvaro de Campos und die formstreng den Lebensgenuß preisenden Oden von Ricardo Reis ebenso wie Alberto Caeiros schauende Hingabe an die Welt.

Angel Crespo: "Fernando Pessoa. Das vervielfältigte Leben". Eine Biographie. Aus dem Spanischen und Portugiesischen übersetzt von Frank Henseleit-Lucke. Ammann Verlag, Zürich 1996. 480 S., Abb., geb., 58,- DM.

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