"Denk an mich, wenn du zwischen Telephon und Telegraph den Atem der großen Stadt hörst." Das sind die letzten Worte des einflussreichen Schwiegervaters, als er Oswald, der gerade in einem oberbayerischen Internat sein Abitur abgelegt hat, in der Feuilletonredaktion einer großen Berliner Zeitung abliefert. Bald hat Oswald den unsicheren Einstand des Adoleszenten hinter sich gelassen und im geschäftigen Leben des Berlin der zwanziger Jahre Tritt gefasst. Angezogen und abgestoßen von lebenslustigen, ehrgeizigen Frauen und in ständiger Konkurrenz zu seinem begabten Dichterfreund Manfred, mit dem ihn eine innige Hassliebe verbindet, verschwendet er Zeit und Geld im Milieu der Künstler und Journalisten, die im "Romanischen Café" und bei "Schwanneke" verkehren, und gerät in den Sog der Großstadt, der ihn unaufhaltsam aus der Bahn zu werfen droht.Peter de Mendelssohns Roman ist nicht nur Barometer, sondern gleichzeitig ein Mitgestalter des Lebensgefühls seiner Generation, die Flair und Hektik der Großstadt als Lebensumfeld zu bejahen beginnt.In der Aufbruchstimmung der Jugend mit ihrem Lebenshunger und dem unbeirrbaren Willen, die eigene Kreativität zum Erfolg zu machen, findet sich neben Zeitkolorit auch so manche Parallele zu unserer Zeit: Dabei sein muss man, immer in Bewegung. "In Berlin kann man aushalten oder ausreißen. Nur eines nicht: untätig sein."
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.2002Aushalten, ausreißen - aber nie untätig sein
Frühe Popliteratur: Peter de Mendelssohns "Fertig mit Berlin?" · Von Jörg Magenau
Auf einer Abendgesellschaft in der bayrischen Provinz wird über Berlin als geistiges Zentrum des neuen Deutschlands diskutiert. Man ist sich einig, daß die Metropole schlechte Einflüsse auf einen noch jungen, ungefestigten Geist ausübe. "Ich würde meinen Sohn nie nach Berlin schicken", sagt ein älterer Herr, der die Hauptstadt für einen "Wasserkopf", ein "unnatürliches Gebilde" hält, in dem der junge Mensch nur auf Abwege geraten könne. "In Berlin", sagt er, "muß man bereits etwas sein, um in den Cliquen leben, mit der geistigen Korruption schwimmen zu können. In Berlin kann man nichts werden." Wir schreiben das Jahr 1927. Erstaunlich, daß Sätze wie dieser 75 Jahre unverändert überdauern konnten.
Der Neuankömmling mit dem frisch erworbenen Abitur hätte sich Berlin etwas großartiger vorgestellt. Sein Stiefvater hat ihm eine Stelle in der Feuilletonredaktion einer großen Zeitung verschafft. Nun ist er gekommen, sein neues Leben zu beginnen. Die Stadt erscheint ihm kalt und leblos. Der Frühling läßt hier auf sich warten. Frierende Schuhputzer hocken auf ihren Bänkchen. Die Straßen sehen einander zum Verwechseln ähnlich, so daß man sich leicht verläuft. Die Augsburger Straße war damals schon so häßlich wie heute, besonders dann, wenn der Nieselregen die Konturen verwischt. Berlin ist eine Weltgegend, die man sich erarbeiten muß. Es ist keine Stadt, die dem Besucher zu Füßen liegt. "In Berlin kann man aushalten oder ausreißen. Nur eines kann man nicht: untätig sein", lautet das Resümee in Peter de Mendelssohns Debütroman aus dem Jahr 1930, den der Elfenbein-Verlag nun neu herausgebracht hat. "Fertig mit Berlin?" heißt das Werk mit einem Fragezeichen, das den Vorsatz, mit dieser Stadt jemals abschließen zu können, in berechtigte Zweifel zieht. Berlin macht dich fertig, das ist die Botschaft, und du kommst nie wieder davon los.
Mendelssohn war mehr Journalist als Schriftsteller, obwohl er, wie Katharina Rutschky im Nachwort erwähnt, bis 1945 neun belletristische Werke verfaßte. Auch seinem Debüt ist anzumerken, daß es schnell geschrieben ist. Mendelssohn war befreundet mit Klaus Mann, in zweiter Ehe verheiratet mit Hilde Spiel, mit der er vor den Nazis ins Exil floh. Bekannt wurde er nach 1945 als Herausgeber der Tagebücher Thomas Manns, als Mitbegründer des "Tagesspiegels" und der "Welt" und als Autor eines Standardwerkes über die "Zeitungsstadt Berlin".
Peter de Mendelssohns Berlin wirkt merkwürdig vertraut. Die Verhaltensmuster sind dieselben wie heute, nur die Szenerien haben sich ein wenig verändert. Statt im angesagtesten Szenelokal in Mitte saß man einst im romanischen Café oder bei Schwanneke in der Rankestraße, Berlin W 50. Hier war die Börse für Kunst, Theater, Literatur und verwandte Betriebe. Geld, nun ja. Irgend jemand würde einem schon noch etwas pumpen. Die Schulden steigen, die Liebesabenteuer werden immer verzwickter, der Job droht verloren zu gehen, und so geht es immer weiter. Konkurrenz, Leistungsdruck, Einsamkeit. "Wer in Berlin am meisten Leute kennt, der ist obenauf", lautet eine Maxime des sozialen Überlebenskampfes im Kulturbetrieb. Und für die Liebe gilt: "Natürlich ist es Unfug zu glauben, daß irgendwelche Menschen zusammengehören. Alle fünf Minuten gruppiert sich irgendetwas um."
Auch der Autor selbst, der gerade mal 22 Jahre alt war, als dieses Buch erschien, könnte eine Figur von heute sein. Jugendlichkeit, Authentizität, übersteigerte Egomanie, das Pathos der neuen Sachlichkeit und Erlebnishunger waren Markenzeichen der Generation, die ins Leben drängte, ohne zu wissen, wo es zu finden sei. Das Schlagwort "Pop" war damals noch nicht erfunden, doch der Zwang zu Selbstinszenierung und rastloser Produktivität nicht geringer. Die Rotationsmaschinen der Druckindustrie waren unersättlich. Das Bemühen, nicht in Vergessenheit zu geraten, steigerte den literarischen Output. Schnell mußte alles gehen, das Schreiben und das Lesen und das Leben. Dagegen leben wir heute gemächlich.
Wenig ist in diesem Roman von Politik und Zeitgeschichte zu erfahren. Der jugendliche Held interessiert sich nicht für diese Dinge und hat genug mit sich selbst zu tun. Er redigiert die Spalten des Feuilletons, wie es ihm aufgetragen wird, und bringt die fertigen Blätter in die Setzerei. Im Vorzimmer sitzen all die freien Mitarbeiter, die bleich und verzweifelt ihre Texte anbieten oder um einen Vorschuß betteln. Kein Wort von Nazis, von Regierungskrisen, vom Niedergang der Republik. Statt dessen das Lebensgefühl einer Jugend, die gegen die Lebensweise der Eltern aufbegehrte, ohne etwas anderes als Orientierungslosigkeit dagegensetzen zu können. Es ist das Porträt einer Epoche, die rastlos um sich selbst kreiste und darüber alle Widerstandskraft verlor.
Peter de Mendelssohn: "Fertig mit Berlin?" Roman. Elfenbein-Verlag, Berlin 2002. Die Erstausgabe erschien 1930 in der Reihe "Junge Deutsche" des Reclam-Verlages.
Am Freitag lesen Sie an dieser Stelle: "Hier spricht der Gast".
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frühe Popliteratur: Peter de Mendelssohns "Fertig mit Berlin?" · Von Jörg Magenau
Auf einer Abendgesellschaft in der bayrischen Provinz wird über Berlin als geistiges Zentrum des neuen Deutschlands diskutiert. Man ist sich einig, daß die Metropole schlechte Einflüsse auf einen noch jungen, ungefestigten Geist ausübe. "Ich würde meinen Sohn nie nach Berlin schicken", sagt ein älterer Herr, der die Hauptstadt für einen "Wasserkopf", ein "unnatürliches Gebilde" hält, in dem der junge Mensch nur auf Abwege geraten könne. "In Berlin", sagt er, "muß man bereits etwas sein, um in den Cliquen leben, mit der geistigen Korruption schwimmen zu können. In Berlin kann man nichts werden." Wir schreiben das Jahr 1927. Erstaunlich, daß Sätze wie dieser 75 Jahre unverändert überdauern konnten.
Der Neuankömmling mit dem frisch erworbenen Abitur hätte sich Berlin etwas großartiger vorgestellt. Sein Stiefvater hat ihm eine Stelle in der Feuilletonredaktion einer großen Zeitung verschafft. Nun ist er gekommen, sein neues Leben zu beginnen. Die Stadt erscheint ihm kalt und leblos. Der Frühling läßt hier auf sich warten. Frierende Schuhputzer hocken auf ihren Bänkchen. Die Straßen sehen einander zum Verwechseln ähnlich, so daß man sich leicht verläuft. Die Augsburger Straße war damals schon so häßlich wie heute, besonders dann, wenn der Nieselregen die Konturen verwischt. Berlin ist eine Weltgegend, die man sich erarbeiten muß. Es ist keine Stadt, die dem Besucher zu Füßen liegt. "In Berlin kann man aushalten oder ausreißen. Nur eines kann man nicht: untätig sein", lautet das Resümee in Peter de Mendelssohns Debütroman aus dem Jahr 1930, den der Elfenbein-Verlag nun neu herausgebracht hat. "Fertig mit Berlin?" heißt das Werk mit einem Fragezeichen, das den Vorsatz, mit dieser Stadt jemals abschließen zu können, in berechtigte Zweifel zieht. Berlin macht dich fertig, das ist die Botschaft, und du kommst nie wieder davon los.
Mendelssohn war mehr Journalist als Schriftsteller, obwohl er, wie Katharina Rutschky im Nachwort erwähnt, bis 1945 neun belletristische Werke verfaßte. Auch seinem Debüt ist anzumerken, daß es schnell geschrieben ist. Mendelssohn war befreundet mit Klaus Mann, in zweiter Ehe verheiratet mit Hilde Spiel, mit der er vor den Nazis ins Exil floh. Bekannt wurde er nach 1945 als Herausgeber der Tagebücher Thomas Manns, als Mitbegründer des "Tagesspiegels" und der "Welt" und als Autor eines Standardwerkes über die "Zeitungsstadt Berlin".
Peter de Mendelssohns Berlin wirkt merkwürdig vertraut. Die Verhaltensmuster sind dieselben wie heute, nur die Szenerien haben sich ein wenig verändert. Statt im angesagtesten Szenelokal in Mitte saß man einst im romanischen Café oder bei Schwanneke in der Rankestraße, Berlin W 50. Hier war die Börse für Kunst, Theater, Literatur und verwandte Betriebe. Geld, nun ja. Irgend jemand würde einem schon noch etwas pumpen. Die Schulden steigen, die Liebesabenteuer werden immer verzwickter, der Job droht verloren zu gehen, und so geht es immer weiter. Konkurrenz, Leistungsdruck, Einsamkeit. "Wer in Berlin am meisten Leute kennt, der ist obenauf", lautet eine Maxime des sozialen Überlebenskampfes im Kulturbetrieb. Und für die Liebe gilt: "Natürlich ist es Unfug zu glauben, daß irgendwelche Menschen zusammengehören. Alle fünf Minuten gruppiert sich irgendetwas um."
Auch der Autor selbst, der gerade mal 22 Jahre alt war, als dieses Buch erschien, könnte eine Figur von heute sein. Jugendlichkeit, Authentizität, übersteigerte Egomanie, das Pathos der neuen Sachlichkeit und Erlebnishunger waren Markenzeichen der Generation, die ins Leben drängte, ohne zu wissen, wo es zu finden sei. Das Schlagwort "Pop" war damals noch nicht erfunden, doch der Zwang zu Selbstinszenierung und rastloser Produktivität nicht geringer. Die Rotationsmaschinen der Druckindustrie waren unersättlich. Das Bemühen, nicht in Vergessenheit zu geraten, steigerte den literarischen Output. Schnell mußte alles gehen, das Schreiben und das Lesen und das Leben. Dagegen leben wir heute gemächlich.
Wenig ist in diesem Roman von Politik und Zeitgeschichte zu erfahren. Der jugendliche Held interessiert sich nicht für diese Dinge und hat genug mit sich selbst zu tun. Er redigiert die Spalten des Feuilletons, wie es ihm aufgetragen wird, und bringt die fertigen Blätter in die Setzerei. Im Vorzimmer sitzen all die freien Mitarbeiter, die bleich und verzweifelt ihre Texte anbieten oder um einen Vorschuß betteln. Kein Wort von Nazis, von Regierungskrisen, vom Niedergang der Republik. Statt dessen das Lebensgefühl einer Jugend, die gegen die Lebensweise der Eltern aufbegehrte, ohne etwas anderes als Orientierungslosigkeit dagegensetzen zu können. Es ist das Porträt einer Epoche, die rastlos um sich selbst kreiste und darüber alle Widerstandskraft verlor.
Peter de Mendelssohn: "Fertig mit Berlin?" Roman. Elfenbein-Verlag, Berlin 2002. Die Erstausgabe erschien 1930 in der Reihe "Junge Deutsche" des Reclam-Verlages.
Am Freitag lesen Sie an dieser Stelle: "Hier spricht der Gast".
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.01.2003Wer Geständnisse macht, hat eine leichtfertige Seele
Lehrjahre eines Journalisten: Peter de Mendelssohns vergessener Roman-Erstling „Fertig mit Berlin”
Peter de Mendelssohn, schreibt Katharina Rutschky in ihrem Nachwort zu dessen völlig vergessenem, jetzt neu aufgelegten Romanerstling „Fertig mit Berlin” (1930), habe einen „modernen, liberalen Hintergrund” gehabt, sei schon Anfang der dreißiger Jahre „gefeit” gewesen gegen „die ideologischen Versuchungen von links”. Er habe, ähnlich wie sein Freund Klaus Mann, eben „keinen neuen Glauben” gesucht. Wunderbar, wie sich die Einschätzungen wandeln. Vor nicht sehr vielen Jahren hätte man wohl formuliert: Der politisch bewusstlose, oft irrationale Individualismus der liberalen Bürgersöhne dieser Zeit hat mit dazu beigetragen, dem Nationalsozialismus den Weg zu ebnen. Das war eher die Linie von Siegfried Kracauer, der in seiner „Unfertig in Berlin” betitelten Rezension des Romans, der bei Rowohlt in der Reihe „Deutsche Jugend” erschienen war, die soziale Ortlosigkeit des Autors beanstandete.
Doch lässt sich der soziale Ort des mit dem Autor nahe verwandten Ich- Erzählers Oswald durchaus bestimmen. Oswald ist das Kind einer bürgerlichen Beziehung, die Mutter lebt in zweiter Ehe mit dem Paris-Korrespondenten einer „bedeutenden Berliner Zeitung” zusammen, der seinem Stiefsohn nach dem Internats-Abitur den Einstieg bei eben diesem Blatt ermöglicht. Oswald fühlt sich „in diesem Steinhaufen” Berlin nach dem ländlich- bayerischen Internat nicht wohl. Doch Oberst Laengfeldt meint, der Junge werde vorerst bleiben müssen: „Eine Stellung bei der Zeitung, Papa?” fragt ihn Oswald darauf hin. „ , So ist es‘, antwortete der Oberst in seiner bisweilen komischen Ausdrucksweise. ,Du wirst in der Feuilletonredaktion arbeiten, lernen, vor allem, dich eingewöhnen, alles andere kommt dann von selbst.‘”
Gut, dass die Herkunft aus dem Beziehungsbürgertum mit den Wünschen des jungen Oswald korrespondiert. Zwar gilt ein Job bei der Zeitung damals gesellschaftlich nicht als gute Wahl – der Oberst hat derzeit zu wenig Geld, ein Studium zu finanzieren – doch würde Oswald das Studentendasein ohnehin „hassen”. Lieber frisch ins Leben, rein in den Journalismus. Damit vertritt Oswald die Position der Nachkriegsjugend, der die Bildungstradition wie überhaupt die Welt der älteren Generation verdächtig geworden war.
Diese Haltung betrifft jedoch nicht alle Lebensbereiche. Zu Beginn des Romans ist Oswald vor allem ein Junge voll hergebrachtem Dünkel. Als ihn Manfred, sein verehrter Internatsfreund, der schriftstellerisch etwas weiter ist, am Tag nach dem Abitur zu einem literarischen Abend in einer nahe gelegenen Villa mit nimmt, muffelt sich Oswald als Spießer durch. Da „man hier in recht schwankenden Vermögensverhältnissen lebte (...) wurde es mir schwer, auch nur eine Tasse Tee mit ruhigem Gewissen zu trinken”. Markierungen des Gerichtsvollziehers an Möbeln und Gemälden lassen ihm auch „die geistige Atmosphäre, auf die in der Villa so großer Wert gelegt wurde, als etwas zweifelhaft erschienen.” Geld, so Oswalds alt-konservative Logik, garantiert auch Geist.
Pathos ist widerlich
Dass das Buch nicht einer der vielen schwülen Internatsromane wird, wie man sie vor dem Ersten Weltkrieg kannte, sondern bald in einen Berliner Bildungsroman übergeht, tut ihm gut. Pointiert erzählt der später als Thomas-Mann-Kenner berühmte Mendelssohn, der vor seiner Emigration nach London beim „Berliner Tageblatt” als Journalist arbeitete, Oswalds Berufsleben in Redaktion und Setzerei als milieugetreue Entwicklungsgeschichte. Ist Oswald nach einigen Artikeln, die am nächsten Tag keinen mehr interessieren, anfangs melancholisch – „Daran ist etwas Niederdrückendes für einen, der gewohnt war, seine Gedanken und seine Worte lieb zu haben wie ich” –, fügt er sich bald dem Berufszynismus, mit „dem Rotstift auf den Abzügen herumzuwirtschaften” und verdammt die Beiträge anderer Mitarbeiter; denn wenn er „schlecht” sagt, lobt ihn sein Chef.
Doch zum Glück lässt Mendelsohn seinen Helden über das soziale Bildungsziel Anpassung hinaus treiben. Oswald beginnt den Betrieb zu verachten. Er strolcht nach der Spätschicht bis morgens um vier im Romanischen Café und bei Schwanneke herum, folgt dem „Pendelverkehr des Berliner Intellektuellen”, und resümiert: „Wer sich nicht mit allen hundert Prozent in die Niedrigkeit des Betriebes, der Börse für Kunst und Literatur hineinkniet”, wer bemüht sei, sich als „wirkliche geistige Existenz, mit dem, was er ist und was er kann, und nicht mehr und nicht weniger, seinen Platz zu schaffen, der wird einige Male im Kreise dieses großen Wirbels herumgedreht und dann an die Peripherie geschleudert, und damit ist seine geistige Existenz für Berlin zerbrochen.”
Mendelssohns Sprache hat gelegentlich etwas vom Joseph Roth der Zwanziger Jahre. Sie ist zwar noch recht deutlich vom Pathos des Expressionismus, von Resten des Symbolismus und der Neuromantik geprägt, ihr Credo aber klingt schon nach „neuer Sachlichkeit”: „Den theatralischen Ton verabscheue ich. Pathos ist widerlich. Wer Geständnisse macht, hat eine leichtfertige Seele.”
Auch die Liebesbildung Oswalds schwankt zwischen Konservativismus und Libertinage. Der Anziehung durch Manfred, die derart offen auch „körperlich” ist, dass man kaum von versteckter Homoerotik, eher von einer anderen Freundschaftskultur sprechen muss, sind leidenschaftliche Liebesgeschichten mit Frauen entgegengesetzt, die dem „hässlichen”, bebrillten „Mongolen” Oswald zur eigenen Überraschung mit einiger Leichtigkeit zufallen. Die neusachlich- romantische Jugend lässt wenig Zeit verstreichen. Von Manfred „übernimmt” Oswald die Schauspielerin Franziska, von dieser wiederum ihre Freundin Ellen und beklagt sich mit verblüffender Selbstverständlichkeit darüber, dass die intellektuelle Ellen die gemeinsame Wohnung einfach so „verwahrlosen” lasse. Hauswirtschaftliche Freiheiten wurden Frauen später zugestanden als sexuelle.
Mendelssohn, so seine zweite Frau Hilde Spiel in ihren Erinnerungen, kam aus „ungeordneten” Verhältnissen. Er hieß eigentlich Carl Johann Leuchtenberg, wuchs als Sohn eines Goldschmieds in der Künstlerkolonie Hellerau bei Dresden auf, wählte sein Pseudonym nach einem schriftstellernden Onkel und suchte klare, verbindliche Strukturen. Immer wieder fühlt sich sein Held Oswald schuldig, wenn er sich als junger Snob erst nachmittags um drei erhebt. Doch mit der simplen Einschätzung „wertkonservativ” kommt man Mendelssohn nicht bei.
Auf nach Rom
Der Schluss des Buchs spielt zwar mit dem Urmodell deutscher Bildung, der Italienreise, aber die Unruhe des Helden wird sich durch einen soliden Kanon des Wissens und der Künste kaum besänftigen lassen. Während Manfred, inzwischen freier Feuilletonist, mit Berlin noch „nicht fertig” ist, verabschiedet sich Oswald, der Berlin gegenüber „Ressentiments für angebracht” erklärt, von Beruf und Deutschland. Er will skandalöserweise mit Manfreds Mutter, einer strengen, medusenhaften Italienerin, nach Rom.
Man mag Rutschkys Vergleich der damaligen Berliner „Szene” mit den jüngsten Dandy-Kopien des Pop etwas überzogen finden. Aber Mendelssohns Buch, der erste von nicht weniger als sieben frühen Romanen, hat in der Tat etwas Frisches, noch heute Bezwingendes. Das liegt an der geschliffenen Schärfe mancher Formulierungen, aber auch am Humor des damals 22jährigen. Man liest das Buch in seiner eigenen Mischung aus intellektuellen Verstiegenheiten, genauen Gedanken, Gefühlsschwulst und neugieriger Realitätsbesichtigung gern.
HANS-PETER KUNISCH
PETER DE MENDELSSOHN: Fertig mit Berlin. Roman. Mit einem Nachwort von Katharina Rutschky. Elfenbein Verlag, Frankfurt am Main 2002. 343 Seiten, 19 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Lehrjahre eines Journalisten: Peter de Mendelssohns vergessener Roman-Erstling „Fertig mit Berlin”
Peter de Mendelssohn, schreibt Katharina Rutschky in ihrem Nachwort zu dessen völlig vergessenem, jetzt neu aufgelegten Romanerstling „Fertig mit Berlin” (1930), habe einen „modernen, liberalen Hintergrund” gehabt, sei schon Anfang der dreißiger Jahre „gefeit” gewesen gegen „die ideologischen Versuchungen von links”. Er habe, ähnlich wie sein Freund Klaus Mann, eben „keinen neuen Glauben” gesucht. Wunderbar, wie sich die Einschätzungen wandeln. Vor nicht sehr vielen Jahren hätte man wohl formuliert: Der politisch bewusstlose, oft irrationale Individualismus der liberalen Bürgersöhne dieser Zeit hat mit dazu beigetragen, dem Nationalsozialismus den Weg zu ebnen. Das war eher die Linie von Siegfried Kracauer, der in seiner „Unfertig in Berlin” betitelten Rezension des Romans, der bei Rowohlt in der Reihe „Deutsche Jugend” erschienen war, die soziale Ortlosigkeit des Autors beanstandete.
Doch lässt sich der soziale Ort des mit dem Autor nahe verwandten Ich- Erzählers Oswald durchaus bestimmen. Oswald ist das Kind einer bürgerlichen Beziehung, die Mutter lebt in zweiter Ehe mit dem Paris-Korrespondenten einer „bedeutenden Berliner Zeitung” zusammen, der seinem Stiefsohn nach dem Internats-Abitur den Einstieg bei eben diesem Blatt ermöglicht. Oswald fühlt sich „in diesem Steinhaufen” Berlin nach dem ländlich- bayerischen Internat nicht wohl. Doch Oberst Laengfeldt meint, der Junge werde vorerst bleiben müssen: „Eine Stellung bei der Zeitung, Papa?” fragt ihn Oswald darauf hin. „ , So ist es‘, antwortete der Oberst in seiner bisweilen komischen Ausdrucksweise. ,Du wirst in der Feuilletonredaktion arbeiten, lernen, vor allem, dich eingewöhnen, alles andere kommt dann von selbst.‘”
Gut, dass die Herkunft aus dem Beziehungsbürgertum mit den Wünschen des jungen Oswald korrespondiert. Zwar gilt ein Job bei der Zeitung damals gesellschaftlich nicht als gute Wahl – der Oberst hat derzeit zu wenig Geld, ein Studium zu finanzieren – doch würde Oswald das Studentendasein ohnehin „hassen”. Lieber frisch ins Leben, rein in den Journalismus. Damit vertritt Oswald die Position der Nachkriegsjugend, der die Bildungstradition wie überhaupt die Welt der älteren Generation verdächtig geworden war.
Diese Haltung betrifft jedoch nicht alle Lebensbereiche. Zu Beginn des Romans ist Oswald vor allem ein Junge voll hergebrachtem Dünkel. Als ihn Manfred, sein verehrter Internatsfreund, der schriftstellerisch etwas weiter ist, am Tag nach dem Abitur zu einem literarischen Abend in einer nahe gelegenen Villa mit nimmt, muffelt sich Oswald als Spießer durch. Da „man hier in recht schwankenden Vermögensverhältnissen lebte (...) wurde es mir schwer, auch nur eine Tasse Tee mit ruhigem Gewissen zu trinken”. Markierungen des Gerichtsvollziehers an Möbeln und Gemälden lassen ihm auch „die geistige Atmosphäre, auf die in der Villa so großer Wert gelegt wurde, als etwas zweifelhaft erschienen.” Geld, so Oswalds alt-konservative Logik, garantiert auch Geist.
Pathos ist widerlich
Dass das Buch nicht einer der vielen schwülen Internatsromane wird, wie man sie vor dem Ersten Weltkrieg kannte, sondern bald in einen Berliner Bildungsroman übergeht, tut ihm gut. Pointiert erzählt der später als Thomas-Mann-Kenner berühmte Mendelssohn, der vor seiner Emigration nach London beim „Berliner Tageblatt” als Journalist arbeitete, Oswalds Berufsleben in Redaktion und Setzerei als milieugetreue Entwicklungsgeschichte. Ist Oswald nach einigen Artikeln, die am nächsten Tag keinen mehr interessieren, anfangs melancholisch – „Daran ist etwas Niederdrückendes für einen, der gewohnt war, seine Gedanken und seine Worte lieb zu haben wie ich” –, fügt er sich bald dem Berufszynismus, mit „dem Rotstift auf den Abzügen herumzuwirtschaften” und verdammt die Beiträge anderer Mitarbeiter; denn wenn er „schlecht” sagt, lobt ihn sein Chef.
Doch zum Glück lässt Mendelsohn seinen Helden über das soziale Bildungsziel Anpassung hinaus treiben. Oswald beginnt den Betrieb zu verachten. Er strolcht nach der Spätschicht bis morgens um vier im Romanischen Café und bei Schwanneke herum, folgt dem „Pendelverkehr des Berliner Intellektuellen”, und resümiert: „Wer sich nicht mit allen hundert Prozent in die Niedrigkeit des Betriebes, der Börse für Kunst und Literatur hineinkniet”, wer bemüht sei, sich als „wirkliche geistige Existenz, mit dem, was er ist und was er kann, und nicht mehr und nicht weniger, seinen Platz zu schaffen, der wird einige Male im Kreise dieses großen Wirbels herumgedreht und dann an die Peripherie geschleudert, und damit ist seine geistige Existenz für Berlin zerbrochen.”
Mendelssohns Sprache hat gelegentlich etwas vom Joseph Roth der Zwanziger Jahre. Sie ist zwar noch recht deutlich vom Pathos des Expressionismus, von Resten des Symbolismus und der Neuromantik geprägt, ihr Credo aber klingt schon nach „neuer Sachlichkeit”: „Den theatralischen Ton verabscheue ich. Pathos ist widerlich. Wer Geständnisse macht, hat eine leichtfertige Seele.”
Auch die Liebesbildung Oswalds schwankt zwischen Konservativismus und Libertinage. Der Anziehung durch Manfred, die derart offen auch „körperlich” ist, dass man kaum von versteckter Homoerotik, eher von einer anderen Freundschaftskultur sprechen muss, sind leidenschaftliche Liebesgeschichten mit Frauen entgegengesetzt, die dem „hässlichen”, bebrillten „Mongolen” Oswald zur eigenen Überraschung mit einiger Leichtigkeit zufallen. Die neusachlich- romantische Jugend lässt wenig Zeit verstreichen. Von Manfred „übernimmt” Oswald die Schauspielerin Franziska, von dieser wiederum ihre Freundin Ellen und beklagt sich mit verblüffender Selbstverständlichkeit darüber, dass die intellektuelle Ellen die gemeinsame Wohnung einfach so „verwahrlosen” lasse. Hauswirtschaftliche Freiheiten wurden Frauen später zugestanden als sexuelle.
Mendelssohn, so seine zweite Frau Hilde Spiel in ihren Erinnerungen, kam aus „ungeordneten” Verhältnissen. Er hieß eigentlich Carl Johann Leuchtenberg, wuchs als Sohn eines Goldschmieds in der Künstlerkolonie Hellerau bei Dresden auf, wählte sein Pseudonym nach einem schriftstellernden Onkel und suchte klare, verbindliche Strukturen. Immer wieder fühlt sich sein Held Oswald schuldig, wenn er sich als junger Snob erst nachmittags um drei erhebt. Doch mit der simplen Einschätzung „wertkonservativ” kommt man Mendelssohn nicht bei.
Auf nach Rom
Der Schluss des Buchs spielt zwar mit dem Urmodell deutscher Bildung, der Italienreise, aber die Unruhe des Helden wird sich durch einen soliden Kanon des Wissens und der Künste kaum besänftigen lassen. Während Manfred, inzwischen freier Feuilletonist, mit Berlin noch „nicht fertig” ist, verabschiedet sich Oswald, der Berlin gegenüber „Ressentiments für angebracht” erklärt, von Beruf und Deutschland. Er will skandalöserweise mit Manfreds Mutter, einer strengen, medusenhaften Italienerin, nach Rom.
Man mag Rutschkys Vergleich der damaligen Berliner „Szene” mit den jüngsten Dandy-Kopien des Pop etwas überzogen finden. Aber Mendelssohns Buch, der erste von nicht weniger als sieben frühen Romanen, hat in der Tat etwas Frisches, noch heute Bezwingendes. Das liegt an der geschliffenen Schärfe mancher Formulierungen, aber auch am Humor des damals 22jährigen. Man liest das Buch in seiner eigenen Mischung aus intellektuellen Verstiegenheiten, genauen Gedanken, Gefühlsschwulst und neugieriger Realitätsbesichtigung gern.
HANS-PETER KUNISCH
PETER DE MENDELSSOHN: Fertig mit Berlin. Roman. Mit einem Nachwort von Katharina Rutschky. Elfenbein Verlag, Frankfurt am Main 2002. 343 Seiten, 19 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Walter Klier hält es für eine Glück, dass Peter de Mendelssohn "Fertig mit Berlin?" siebzig Jahren nach seinem ersten Erscheinen nun im Berliner Elfenbein-Verlag neu verlegt worden ist. Klier beschreibt den damals 22-jährigen und heute kaum noch bekannten Autor Mendelssohn als "interessante Figur des Geisteslebens", der unter anderem nach dem Krieg maßgeblich beim Aufbau des "Berliner Tagesspiegels" und der "Welt" mitgewirkt habe. Klier gefällt de Mendessohns nach so langen Jahren wieder ausgegrabenes Buch. Für ihn ist es eine gelungene "Augenblicksbeschreibung der Zeit um 1930" und gleichzeitig eine Liebeserklärung an den Mikrokosmos der Zeitungswelt, den der Autor aus eigener Anschauung kannte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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